Sehr geehrte Damen und Herren,
entschuldigen Sie, dass ich nur kurz dabei sein kann. Aber ich muss gleich eine Sitzung der Antragskommission der SPD leiten, bei der es auch um das zu schreibende Programm für die digitale Gesellschaft gehen wird. Sie sehen, unser Thema bewegt die Politik, nicht nur die Medienpolitik.
Insbesondere in der Medienpolitik aber haben wir uns derzeit einiges vorgenommen. Dazu gehört neben der Neuordnung der ZDF-Gremienstruktur und der Evaluation der erfolgreichen Umstellung auf das Beitragsmodell ganz sicher auch das Projekt einer Medienordnung, die den Bedingungen der Digitalisierung angemessen ist.
Darüber wird seit Jahren geredet, mehrere Anläufe wurden unternommen. Doch seit etwas mehr als anderthalb Jahren scheint es, als befänden wir uns in einem Prozess, der auch tatsächlich ein Ergebnis bringen kann.
Das liegt einerseits daran, dass beinahe niemand mehr verdrängen kann, dass es so etwas wie einen digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit tatsächlich gibt.
Und das liegt andererseits aber auch daran, dass wir aktuell nicht so tun, als würde die regulatorische Revolution gelingen. Wir bewegen uns vielmehr pfadabhängig und ganz pragmatisch Schritt für Schritt vorwärts.
Hamburg leitet eine entsprechende AG im Länderkreis und mit der Bundesregierung ist verabredet, dass wir auf dieser Basis in einer Bund/Länder-Kommission über das Nötige sprechen werden. Wenn alles gut geht, fangen wir Anfang 2015 damit an.
Das alles mag vielen immer noch viel zu langsam gehen ehrlicher Weise: Mir auch! Aber die Knoten, die sich in den letzten Jahren immer fester gezogen haben, lösen sich nur langsam. Immerhin bewegt sich etwas. Und das ist notwendig.
Denn unsere Medienwelt verändert sich so rasant, dass wir unsere medienpolitischen Instrumente modernisieren müssen, wenn wir auch künftig noch ein positives Bild unserer gesellschaftlichen Öffentlichkeit und ihrer Strukturbedingungen politisch und gesellschaftlich verbindlich zeichnen wollen.
Die dazu notwendige politische Verständigung rührt an die Fundamente. Wir brauchen letztlich einen gemeinsamen neuen Grundkonsens darüber, welche Art von Öffentlichkeit und medialer Kommunikation wir künftig erwarten.
Es geht im Kern darum, was wir eigentlich künftig als Medium begreifen wollen und welche Inhalte wir für besonders schützenswert erachten.
Derzeit haben wir diese Frage relativ einfach entlang von Verbreitungswegen beantwortet, die in der Vergangenheit zum einen knapp bemessen und zum anderen deshalb auch überschaubar gewesen sind.
Die Kämpfe darum, was denn nun alles Rundfunk sei und was nicht, gehören da fast schon zur Folklore der föderalen Medienpolitik. Die Definitionen werden von so manchen traditionalistischen Gralshütern argwöhnisch bewacht.
Gleichwohl müssen wir heute feststellen, dass diese Frage Was sind Medien? nicht mehr so einfach zu beantworten ist, wenn alles in einer neuen technischen Superstruktur verschmilzt, in der das Shoppingportal unterschiedslos neben dem Verlagsangebot steht.
Aus der Ecke der Netzpolitiker schallt uns sogar der Ruf entgegen, dass wir alle unsere Unterscheidungen aufgeben müssten, um auf der Basis einer umfassend verstandenen Netzpolitik den Kommunikationsraum Internet als Ganzes zu schützen ohne ihn zu regulieren.
Es wird unsere Aufgabe sein, zwischen diesen beiden Maximalposition Maß zu halten und die vernünftige Mitte zu finden.
Wir müssen an den Medienbegriff ran, aber wir sollten ihn nicht gleich aufgeben und die bislang wertvolle Unterscheidung zwischen der Freiheit individueller Meinungsäußerung und der institutionellen Garantie der Presse vollständig verwischen.
Ich bin überzeugt davon, dass es einen Unterschied macht, ob ein Informations- und Orientierungsangebot technologisch aus einer Vielzahl fragmentierter Meinungsäußerungen aggregiert wird oder ob eine Redaktion auf der Basis inhaltlicher Auseinandersetzung und diskursiver Vernetzung ein Angebot herausdestilliert, das auf öffentliche Meinung zielt.
Diesbezüglich waren und sind wir uns eigentlich auch gesellschaftlich weitestgehend einig. Deshalb sollten wir uns auch künftig bemühen, diese journalistisch-redaktionelle Leistung, diesen Mehrwert für die gesellschaftliche Kommunikation, mindestens vor Diskriminierung zu schützen.
Allerdings müssen wir uns perspektivisch auf neue Identifikationskriterien einigen, weil auf digitalen Verbreitungswegen der bisherige Schluss vom Verbreitungsweg auf den Inhalt in der Zukunft zunehmend weniger ausreichen wird.
Die Zeiten, in denen wir Regulierung an der linearen Verbreitung von Bewegtbildangeboten oder am Vertrieb gedruckter Presse festmachen konnten, neigen sich dem Ende zu. Wir brauchen ein Szenario für einen Umstieg in ein neues Kategoriensystem.
Ich bin dem Gutachten zu Möglichkeiten der konvergenten Regulierung der Professores Kluth und Schulz sehr dankbar, dass es hier einen Vorschlag macht, wie ein solcher Umstieg verträglich und entlang der Markt- und Nutzungsentwicklung erfolgen könnte. Wir debattieren darüber derzeit im Länderkreis und müssen sehen, ob das auch ein politisch gangbarer Weg ist. Wir werden diese Diskussion schon bald auch in die politische Öffentlichkeit tragen. Sie ist wesentlich für alle weiteren Schritte.
Denn wenn die Länder es nicht schaffen, hier ihren Medienbegriff zu erweitern, dann drohen sie nach und nach ihre Gestaltungsmacht zu verlieren und künftig nicht mehr für die gesellschaftlich relevanten medialen Marktplätze zuständig zu sein, sondern lediglich noch für das bisschen linearen Rundfunk, das dann übrig geblieben sein wird.
Den Rest werden dann der Bund und die Europäische Union über ihre weitreichenden Markt- und Technologieregulierungskompetenzen erledigen. Sie können auf dieser Basis zwar keine positive Normierung gesellschaftlicher und kommunikativer Vielfalt vornehmen, aber sie können negativ Grenzen ziehen und tun das bereits in erheblichem Maße.
Ich will, dass die Länder ihren Gestaltungsspielraum auf Basis von Artikel 5 Grundgesetz selbstbewusst reklamieren und zwar unabhängig vom Verbreitungsweg überall dort, wo gesellschaftliche Verständigung via Medien stattfindet. Vor dieser Aufgabe sollten wir nicht zaghaft zurückschrecken.
In der Debatte über den Medienstaatsvertrag geht es nicht um das Abgeben von Kompetenzen, sondern über den selbstbewussten Anspruch, die eigenen Kompetenzen auch zu nutzen.
Deshalb wird es natürlich auch weiterhin Rundfunkstaatsverträge der Länder geben. Was wir in eigener Kompetenz regeln können, darum kümmern wir uns.
In der Bund/Länder-Kommission werden wir vielmehr über die Schnittstellen zu bundes- und europarechtlichen Kompetenzen reden und unsere Gestaltungsansprüche reklamieren. Diese sollten wir vorsorglich sortieren, um für Klarheit der Rahmenbedingungen für die Marktteilnehmer zu sorgen. Es ist sinnvoll, hier zu Vereinbarungen mit dem Bund zu kommen. Dies kann über Verwaltungsvereinbarungen oder über einen gemeinsamen Staatsvertrag geschehen. Das ist pragmatisch zu entscheiden. Jedenfalls legen wir so auch die Grundlage dafür, gemeinsam mit dem Bund bei Themen wie der AVMD-Richtlinie in Richtung Brüssel zu wirken.
Langsam setzt sich im Länderkreis die Einsicht durch, dass dieser Weg der Orientierung auf einen öffentlichen Mehrwert einer ist, der uns Handlungsspielräume sichert.
Denn letztlich ist es unsere Aufgabe in der Medienpolitik, öffentliche Räume zu erhalten und nicht bloß faktisch technische Verbreitungswege zu regulieren.
Meine Damen und Herren,
deswegen ist es auch so wichtig, dass wir uns nicht nur mit den medialen Inhalteanbietern auseinandersetzen, sondern auch mit der derzeit fundamentalsten Veränderung unserer Medienlandschaft:
In den letzten Jahren ist zwischen Medienanbieter und Rezipienten nämlich eine neue Gruppe so genannter Intermediäre getreten, die zunehmend bestimmen, welche Inhalte wie gefunden werden können. Beispiele sind Suchmaschinen, Social Media Angebote oder eCommerce-Plattformen, die allesamt als sichtbare Marken zunehmend Öffentlichkeit prägen und damit auch den Stellenwert klassischer Medienmarken verändern.
Wer heute eine Nachricht sucht, der findet diese zunehmend seltener direkt auf einem inhaltlichen Angebot, sondern immer häufiger bei Google oder über einen Facebook-Freund oder als Twitter-Follower. Er muss durch diese Welt hindurch, um zu den Angeboten der Redaktionen zu gelangen. Und Redaktionen nutzen diese Plattformen, um gezielt ihre Reichweite zu gewinnen. Es wird darum gehen, hier die faire Kooperation zu fördern und Verdrängung zu verhindern.
Den neuen Spielern jedenfalls wird unser bisheriges Regelwerk nicht gerecht, weil es noch von der Logik ausgeht, dass nur eine begrenzte Zahl von Informationen durch die zur Verfügung stehenden Kanäle verbreitet werden kann.
Das ist aber heute gar nicht mehr das Problem. Das Nadelöhr ist nicht mehr die Verbreitung, sondern die Aufnahmekapazität der Nutzerinnen und Nutzer.
Deshalb brauchen wir auch ein neues und selbstständig definiertes Regelwerk für Plattformen und Intermediäre, um ihnen in ihrer Eigenständigkeit im Hinblick auf Medien und Öffentlichkeit gerecht zu werden. Dafür kann die heute im Rundfunkstaatsvertrag formulierte Plattformregulierung kaum eine Blaupause sein. Sie liefert allenfalls Anhaltspunkte, wie künftig mit Streitigkeiten umgegangen werden kann.
Wir müssen aber sehr grundsätzlich auf die Markt- und die Meinungsmacht der neuen Anbieter und ihr Verhältnis zu den klassischen Medienhäusern schauen, wenn wir Vielfalt und Diskriminierungsfreiheit auch unter neuen Bedingungen sichern wollen.
Wir müssen gemeinsam Instrumente entwickeln, die auf die Spezifika der Intermediäre ausgerichtet sind und die Gefahr überhandnehmender Meinungsmacht auf den Plattformen ausschließen.
Das liegt auch im Interesse der Plattformen, weil es deren Glaubwürdigkeit sichert. Hier ist smarte Governance nötig. Denkbar wären zum Beispiel Modelle, in denen sich Suchmaschinenanbieter auf einen gemeinsam gesellschaftlich entwickelten Kodex neutraler Suchangebote verpflichten und sich dann auch an ihm messen lassen.
Denn wenn wir uns ehrlich machen, dann wissen wir, dass wir die Plattformen weder zerschlagen wollen können, noch faktisch dazu das Instrumentarium besitzen. Aber wir könnten faire Spielregeln durchsetzen, die Diskriminierung verhindern.
Das ist im Übrigen regulatorisch auch nichts Neues: Überall dort, wo wir gesellschaftliche Infrastrukturen privat sichern, machen wir den Betreibern sehr konkrete Vorschriften. Das wäre Beispielsweise in der Verkehrspolitik genauso, wenn wir ein privatisiertes Straßennetz hätten: Wir würden sehr präzise definieren, wie dieses auszusehen hätte.
Ähnliches müssen wir im Hinblick auf die neuen Intermediäre leisten nicht nur kartell-, sondern eben auch medienrechtlich.
Das wird kaum allein im deutschen Raum gelingen, aber bei entsprechender Sensibilität ist das ein Thema, das die Europäische Union gemeinsam mit dem Bund und den Ländern gut bearbeiten kann. Das dauert.
Deswegen können wir gar nicht früh genug anfangen, hier voranzudenken und Vorschläge zu entwickeln zum Beispiel auch in dem Programmprozess zur Digitalen Gesellschaft, den die SPD auf ihrem Konvent anstoßen wird. Der Leitantrag des Parteivorstands sieht vor, das als einen Themenkreis zu benennen und die Medien- und netzpolitische Kommission zu bitten, hier programmatische Vorschläge zu erarbeiten.
Meine Damen und Herren,
in diesen Kontext gehört auch, dass wir den Begriff der Netzneutralität weiter präzisieren müssen.
Denn nur dann können wir das, was wir auf den Plattformen erreichen wollen, auch hinsichtlich der technischen Infrastruktur durchsetzen.
Hier ist der politische Konsens in Deutschland weit gediehen: Es darf kein Zwei-Klassen-Netz geben. Wir dürfen nicht zulassen, dass die privilegierte Verbreitung eine Frage der ökonomischen Macht wird. In der Demokratie sind diese Fragen strikt zu trennen.
Aber was genau Neutralität im Netz meint, wird noch Gegenstand heftiger politischer und ökonomischer Auseinandersetzungen werden.
Wir werden jedenfalls dafür sorgen, dass Diskriminierungsfreiheit weiterhin gilt und Verstöße dagegen auch geahndet werden können auch in den Fällen, in denen technologische Infrastrukturen und inhaltliche Angebote strategisch und auf Kosten anderer Anbieter verschmolzen werden.
Es ist eine vordringliche Aufgabe, dass wir hier Maßstäbe entwickeln, anhand derer wir Fairness gewährleisten können technologisch, wirtschaftlich und kommunikativ!
Meine Damen und Herren,
das alles sind Themen, die derzeit auf der medienpolitischen Agenda stehen. Ich würde mir wünschen, dass sich noch mehr politisch Verantwortliche engagiert an ihrer Bearbeitung beteiligen. Und zwar tabulos kreativ, aber eben auch pragmatisch und kompromissorientiert.
Denn viele Fragen führen unweigerlich in Bereiche hinein, in denen sich Bundes-, Landes- und in den meisten Fällen auch europäisches Recht aneinander reiben. Hier müssen wir uns einigen.
Ich bin da insofern gelassen, als dass nur die Länder in der Lage sind, diese Fragen aus einem positiven Verständnis unserer Medienordnung heraus zu bearbeiten und zu beantworten.
Dazu müssen wir ein solches erneuertes positives Verständnis aber auch erarbeiten. Diese Chance müssen wir nutzen.
Es geht nicht um langwierige und unsinnige Kompetenzrangeleien. Die bringen niemandem etwas. Sondern es geht darum, Klarheit in konkreten Fragen zu erlangen.
Und es geht auch nicht darum, neuen Regulierungsfiktionen das Wort zu reden. Wenn wir ein same level playing field zwischen den unterschiedlichen Anbietern von Medieninhalten schaffen wollen, dann darf dieses Feld nicht auf einem regulatorischen Hochniveau liegen. Es darf aber sehr wohl Abstufungen in den Erwartungen geben, wenn diese sich umgekehrt auch mit entsprechendem Schutz oder Privilegien verbinden.
Und den Betreibern der neuen Intermediäre muss klar sein, dass sie eine für unsere Öffentlichkeit hoch relevante Infrastruktur betreiben und sich deshalb gesellschaftlichen Erwartungen und ihrem verbindlichen Ausdruck in Form gesetzlicher Spielregeln auch nicht verschließen können.
Am Ende wird es immer wieder aufs Neue darum gehen, mit den richtigen politischen Rahmenbedingungen dafür zu sorgen, dass das mediale Gespräch und das mediale Geschäft auch unter den Bedingungen einer digitalen Gesellschaft möglich bleiben.
Das ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe, für deren Bewältigung wir gar nicht genügend leidenschaftliche Mitstreiter haben können.
Wir sind jedenfalls auf dem Weg!
Schönen Dank!
Es gilt das gesprochene Wort.