Sehr geehrter Herr Kneip,
sehr geehrte Frau Küçük,
meine sehr geehrten Damen und Herren
und ganz besonders: liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Jungen Islam-Konferenz!
Ich begrüße Sie herzlich in unserem schönen Hamburger Rathaus. Meine Rolle ist heute die des Schirmherrn, und das heißt, ich muss den trockenen und kurzen Weg suchen, damit das Planspiel beginnen kann. Ich weiß, dass Sie darauf mehr Lust haben als darauf, dass ich Ihnen die Welt erkläre.
Jedenfalls hoffe ich, dass das so ist! Sich von anderen die Welt erklären zu lassen ist gut, wenn einem danach ist und wenn man Fragen hat. Selber auf ein paar brauchbare Antworten zu kommen ist auch gut.
Verträgt sich das mit dem Glauben? In dem Stück Leben des Galilei von Bertolt Brecht geht es so:
Was, fragt ein Theologe den Gelehrten, wenn es dem Herrn gefallen hätte, sich die Planeten so bewegen zu lassen (zeichnet eine kompliziert gezackte Linie in die Luft);
Darauf Galilei: Dann hätte es ihm auch gefallen, das menschliche Gehirn so denken zu lassen (zeichnet dieselbe Linie in die Luft).
Was wollte uns der Dichter der übrigens nicht sehr gläubig war damit sagen? Ich habe es immer so verstanden: Die Wahrheit gibt es. Sie zu suchen, ist eine großartige und mühsame Aufgabe. Sie zu finden, ist uns vielleicht vergönnt, und sei es, wie in der Sternenkunde, erst nach Jahrhunderten. Aber suchen darf jeder und es gibt keine falsche Suche.
Es gibt auch keine falsche Religion. In dieser Stadt leben Christen, Juden, Hindus, Anhänger so genannter Naturreligionen. Einen Lehrstuhl für wissenschaftlichen Atheismus so etwas gab es auch, aber nicht in Hamburg. Agnostiker gibt es. Und natürlich: Ungefähr 130.000 Muslime leben in Hamburg, jetzt.
Wie viele es 1694 waren, weiß ich nicht; wahrscheinlich nicht viele. Aber man hat damals sehr intensiv orientalische Handschriften gesammelt und vor 320 Jahren hat der Verleger Benjamin Schiller in Hamburg die erste vollständig gedruckte Ausgabe des Korans in Europa auf den Markt gebracht.
Umgekehrt verdanken es Europa und Hamburg dem islamischen Gelehrten Averroës der arabische Name ist erheblich länger und endet: Muhammad Ibn Rud dass wir an Aristoteles wieder heran-geführt worden sind, den wir den Urvater der abendländischen Philosophie nennen. Ibn Rud, der in Cordoba und Marrakech lebte, hat Aristoteles so intensiv kommentiert wie kein anderer.
Und wir heute? Wir haben zum Beispiel als Stadt mit den muslimischen und alevitischen Gemeinden einen Vertrag geschlossen, der den Status dieser Religionen als hier gelebte und zu Hamburg gehörige bestätigt.
Denn ein freier, denkender Mensch bleibt nicht da stehen, wo der Zufall ihn hinstößt;
oder wenn er bleibt, so bleibt er aus Gründen, aus Wahl des Bessern.
Heinrich von Kleist, der die Weltreligionen als Zweige einer Familie verstand, eines Generationenvertrages, hat das in einem Brief geschrieben. Dieser auf seine Art sehr moderne Dichter wusste nämlich:
Jede und jeder ist einzigartig, und jede und jeder Mensch ist sehr vielschichtig. Auch seine oder ihre Suche. Für die Identität, so sagen wir heute, des einen spielt vielleicht die Religion seiner Eltern eine wichtige Rolle, der andere will seinen eigenen Weg zum Glauben und Denken suchen.
Und wir alle sind Hamburg.
Wir alle sind Hamburg, ganz unabhängig von der Religion, der wir anhängen oder einer Anschauung des Lebens, die uns auf Religion verzichten lässt.
Lassen wir uns durch aktuelle Entwicklungen darin irre machen? Das sollten wir nicht.
Es stimmt: Wir schauen an verschiedenen Stellen der Welt, verstärkt in den jüngsten Monaten, in einen Abgrund von Gewalt, der sich zuweilen mit vermeintlich religiösen Motiven umgibt.
Ich weiß mich mit den muslimischen Gemeinden in Deutschland einig: im scharfen und unmissverständlichen Verurteilen von Verbrechen, deren Täter sich zu Unrecht auf den Islam und den Heiligen Koran berufen. Stellungnahmen, die es übrigens schon lange gibt.
Und wir sind nicht weniger eindeutig, wenn es gegen Versuche geht, in unserer Stadt Unfrieden gegen muslimische Gläubige zu schüren. Oder jüdische.
Oder gegen angeblich falsch, oder gar nicht Gläubige.
Hamburg ist eine arrival city, eine Ankunftsstadt. Jeder darf seinen, jede darf ihren Glauben hierher mitbringen oder hier zu einem Glauben finden.
Der Islam aber ist längst in unserer Stadt angekommen. Mehr, und Genaueres dazu ergibt bestimmt Ihr Planspiel. Suchen und finden Sie. Alles Gute!
Es gilt das gesprochene Wort.