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13.03.2015

Grußwort zur Kongresseröffnung Work in Progress

Grußwort zur Kongresseröffnung Work in Progress

 

Sehr geehrter Herr Rühl,
sehr geehrte Frau Deuflhard,
sehr geehrter Herr Kopka,
sehr geehrter Herr Rifkin,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

1998 veröffentlichten Orio Giarini und Patrick M. Liedtke ihren sehr lesenswerten und interessanten Bericht für den Club of Rome mit dem Titel Wie wir arbeiten werden und bestätigten angesichts ihrer besorgten Perspektiven damit aus heutiger Sicht einmal mehr das berühmte Bonmot, dass Voraussagen schwierig sind, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.

 

Das heißt aber keineswegs, dass wir uns nicht über die Zukunft unterhalten sollten, besonders über die Zukunft der Arbeit. Denn Zukunft ist nicht etwas, das irgendwie passiert wie das Wetter von morgen, sondern wir alle gestalten sie. Dieser Prozess erfordert Nachdenken, Diskutieren und schließlich Entscheiden und Überprüfen. Zumal wir alle merken, wie umfassend und in welchem Tempo sich unsere Kommunikation und unsere Arbeitswelt verändert auf der Basis teils bewusster, teils ungesteuerter Entscheidungen. Daher bin ich gern zu diesem Kongress mit dem programmatischen Titel Work in Progress gekommen und begrüße im Namen des Senats unsere Gäste sehr herzlich bei uns in Hamburg.


Der öffentliche Diskurs über Wertschätzung und Verwertung von Arbeitsleistungen changiert zwischen Debatten um den Mindestlohn auf der einen Seite und völlig flexibilisierten Formen von Leistung und Gegenleistung auf der anderen. Gerade aufgrund des Einsatzes digitaler Technologien verändern sich Märkte und Arbeitsweisen. Jüngere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben andere Wertvorstellungen und Ansprüche an die Arbeit als noch ihre Eltern und Großeltern.


In sozialen und künstlerischen Netzwerken ist das Modell der Festanstellung längst aufgeweicht. Dort bieten sich viele neue Möglichkeiten für Unkonventionelles. Selbstbestimmtes Arbeiten kann Spaß und Freude machen trotz eines geringeren Maßes an gefühlter Sicherheit. Allerdings ist das oft keine freiwillige Wahl, und Viele hätten nichts gegen eine Kombination aus Sicherheit und Flexibilität einzuwenden. In der Politik wurde das vor wenigen Jahren mit dem Wort Flexicurity beschrieben.


Doch auch in den klassischen Arbeitsverhältnissen wird der Wunsch, die privaten Lebenskonzepte mit der Arbeit und deren Rahmenbedingungen in Einklang zu bringen, immer stärker. Immaterielle Faktoren wie Lebensqualität und Vereinbarkeit von Familie und Beruf spielen dabei eine immer größere Rolle. Der technische Fortschritt bietet dafür ganz neue Möglichkeiten.


Parallel besteht die Gefahr von Rationalisierungen zu Lasten der Beschäftigten. Jeremy Rifkin prognostizierte ja bereits 1995 das Ende der Arbeit. Bisher ist auch diese düstere Prognose noch nicht eingetreten, und die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland scheint auch eine andere Sprache zu sprechen. Wir verzeichnen die höchste Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter und Erwerbstätiger, nämlich 30,2 und 42,8 Millionen.


Die hohe Arbeitslosigkeit ist in vielen Teilen der Welt ein drückendes Problem. Aber auch bei uns sorgen sich viele Arbeitnehmer insbesondere in der Industrie , dass ihre Arbeit durch den Einsatz neuer Technologien überflüssig werden könnte.


Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne von der University of Oxford schätzten vor einigen Monaten in ihrem Beitrag mit dem Titel Die Zukunft der Beschäftigung: Wie anfällig sind Arbeitsplätze für Computerisierung?, dass etwa 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA vom Wegfall durch Technisierung bedroht sind und sie schreiben auch: Je geringer Bildungsstand und Einkommen der Beschäftigten sind, umso größer ist diese Gefahr.


Gerade deshalb sollten wir unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen in einer komplexen und ambivalenten Welt mit Weitsicht entwickeln und die Versprechungen des einen oder anderen Unternehmens aus Kalifornien vernünftig beurteilen. Auch eine Portion hanseatischer Nüchternheit kann dabei durchaus von Wert sein.


Innovationen und Veränderungen bekommen nämlich erst dann einen Sinn, wenn es uns gelingt nachzuweisen, dass sie tatsächlich unser Leben verbessern können und den Einzelnen in den Mittelpunkt stellen und nicht ausschließlich eine schnellen Gewinn versprechende Geschäftsidee.


Als ein aktuelles Beispiel nenne ich den umstrittenen Mitfahrdienst UberPop, dessen Tätigkeit von Behörden und Gerichten aus wettbewerbs- und ordnungsrechtlichen Gründen untersagt wurde. Soziales, gemeinschaftliches Wirtschaften klingt gut aber Ausbeutung dürfen wir auch dann nicht akzeptieren, wenn sie digital daherkommt.


Ein Beispiel wie Sharing Economy funktionieren kann, ist unser Arrangement mit den Plattformen airbnb und 9flats, die sich auf klare Regeln eingelassen haben, nach denen privater Wohnraum auch Dritten zur Verfügung gestellt werden kann. Die Novelle unseres Wohnraumschutzgesetzes, die diese Nutzung ermöglicht, gilt mittlerweile weltweit als eine sozialverträgliche Regulierung von Sharing-Plattformen.


In Ihrem aktuellen Buch Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft widmen Sie sich, Herr Rifkin, genau dieser Thematik des kollektiven Wirtschaftens. Sie postulieren das Ende des Kapitalismus und eine neue wirtschaftliche Organisationsform, die sich weg vom reinen Diktat des Eigentums bewegt und am Interesse an der Zusammenarbeit orientiert. Wie sich diese dritte industrielle Revolution aus Ihrer Sicht darstellt, werden Sie in Ihrem Vortrag im Anschluss an diese Eröffnungsveranstaltung ausführen.


Meine Damen und Herren,
ich will meine Sicht nicht verbergen: Ein Ende der Arbeit steht nicht bevor. Der Philosoph Volker Gerhardt hat es so ausgedrückt: Die Arbeit ginge der Gesellschaft erst aus, wenn der Gesellschaft die Menschen abhandenkommen würden.


Ich füge hinzu: Auch der Beruf übrigens ein Wort, das seine heutige Bedeutung erst durch Martin Luthers Bibelübersetzung erlangt hat auch der Beruf wird unser Leben weiter prägen. Obwohl Karrieren immer seltener geradlinig verlaufen und heutige Berufsbilder zunehmend verschwimmen.


Übrigens hat Johann Wolfgang von Goethe das bereits im Jahr 1809 in seinem Roman Die Wahlverwandtschaften beschrieben: Es ist schlimm genug, heißt es da, dass man jetzt nichts mehr für sein ganzes Leben lernen kann. Unsere Vorfahren hielten sich an den Unterricht, den sie in ihrer Jugend empfangen; wir aber müssen jetzt alle fünf Jahre umlernen, wenn wir nicht ganz aus der Mode kommen wollen.

 

Was zu Goethes Zeiten fünf Jahre waren, sind heute oft nur fünf Monate. Sich am Arbeitsmarkt zu behaupten, geht mit einer ständigen Transformationsbereitschaft einher, die eine Menge Zeit und Ressourcen verschlingt.


Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung sind dabei oft zwei Seiten derselben Medaille. Wer im breiten Feld der Kreativwirtschaft tätig ist, also in jenen Berufsfeldern, die besonders informations- und wissensintensiv sind, wird mir in diesem Punkt wahrscheinlich zustimmen.


Meine Damen und Herren,
die Kreativwirtschaft ist oft prototypisch für zukünftige Veränderungen von Arbeitswelt und Arbeitswert. Was dort an Arbeitsmethoden, Raumstrategien oder neuen Wertschöpfungs-zusammenhängen entwickelt wird, findet sich früher oder später auch in vielen anderen Unternehmensstrukturen und Arbeitsräumen wieder. Flache Hierarchien, vernetztes Arbeiten, das Co-Working-Prinzip, Design-Thinking-Methoden oder schwarmbasierte Ressourcen-nutzung wie Crowdfunding und Crowdsourcing sind Beispiele dafür.


Durch den Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft rückt die Kreativwirtschaft selbst in den Mittelpunkt des Wirtschaftens. Sie wächst schneller als jede andere Branche und ist mehr denn je hoffnungsbesetzte Innovationstreiberin und Trendbarometer.
Doch die Kreativwirtschaft trägt nicht nur zum Inlandsprodukt bei, sondern schafft darüber hinaus andere, vor allem gesellschaftlich relevante Werte, was im Laufe des Kongresses noch weiter zur Sprache kommen wird. Kunst beschäftigt sich zunehmend mit sozialen Themen, und zwischen der Kreativwirtschaft und anderen Branchen werden Verbindungen geknüpft.


Diese recht neue, vielversprechende Rolle unterstützen wir in Hamburg ganz bewusst und stellen uns den Herausforderungen, welche die neue Arbeit mit ihren Märkten, Arbeits- und Lebensweisen mit sich bringt und zwar ohne prekäre Arbeitsverhältnisse zu generieren.


Wir diskutieren deshalb in Deutschland mit über die Weiterentwicklung des Urheberrechts, mit dem unveränderten Ziel fairer Einkommen für die Urheber bei gleichzeitig breiter digitaler Teilhabe. Außerdem müssen wir herausfinden, wie der Sozialstaat auch im Falle der Selbstständigkeit wirken kann. Die Sozialversicherungssysteme müssen zeitgemäß angepasst werden. Auch die Existenzgründungsförderung für wirtschaftlich orientierte Kreative soll stärker auf diese Gruppe zugeschnitten werden.


Die Bedürfnisse der Kultur- und Kreativschaffenden sollen also stärker berücksichtigt werden.


In Hamburg haben wir dafür schon einige solide Grundsteine gelegt und Impulse gegeben, die genau diese neuen Herausforderungen berücksichtigen. Seit nunmehr fünf Jahren ist die Hamburg Kreativ Gesellschaft [sic] ein gutes Beispiel dafür.


Sie verbessert die Rahmenbedingungen für Kreativarbeiter und schließt eine Lücke im Betreuungs-, Beratungs- und Förderungsangebot der Stadt. In den unterschiedlichsten Belangen fungiert sie als Anlaufstelle für die Aktiven aus der Kultur- und Kreativwirtschaft.


Außerdem hat der Senat es sich zum Ziel gesetzt, mit Hilfe der Initiative nextMedia.Hamburg die Rahmenbedingungen zur Entwicklung neuer und tragfähiger Geschäftsmodelle für die digitale Medienbranche zu verbessern. Damit trägt NextMedia.Hamburg zum Ausbau der Spitzenposition Hamburgs als Medienstandort bei.


Hamburg ist das erste Bundesland, das ein Transparenzportal eröffnet hat, über das die Bürgerinnen und Bürger staatliches Handeln genau verfolgen können. Unser Open Data Projekt dient aber nicht nur der Transparenz. Es ermöglicht auch neue digitale Geschäftsmodelle, indem die Daten genutzt werden, unser Leben zu verbessern.


Welch ein kreatives und auch ökonomisches Potenzial darin liegt, haben zuletzt die ideenreichen Beiträge beim App-Contest gezeigt, dem Wettbewerb der Handelskammer, für den ich die Schirmherrschaft übernommen habe.


Mit dem Konzept der Digitalen Stadt, auch Smart City genannt, verfolgen wir die Chancen, die wir im Zuge von Digitalisierung und Flexibilisierung erkennen.


Ich bin fest davon überzeugt, dass es uns gelingen wird, durch den Einsatz neuer Technologien die Lebensqualität in Hamburg weiter zu steigern. Denn nicht nur die Arbeits- und Kommunikations¬verhältnisse und erst recht die industrielle Produktion werden sich in den kommenden Jahren im Zuge der Digitalisierung weiter wandeln, sondern auch das System Stadt mit seiner Infrastruktur und seiner Organisation des Zusammenlebens seiner Bürgerinnen und Bürger.


Meine Damen und Herren,
ich freue mich, dass Jeremy Rifkin als Keynote-Sprecher dieses Kongresses zu uns nach Hamburg gekommen ist und seine Thesen, die nicht alle mit denen übereinstimmen, die ich hier angedeutet habe, vorstellt. Ich danke dem Hamburger Unternehmen Xing als Partner des diesjährigen Kongresses für sein Engagement und wünsche allen Beteiligten heute und in den kommenden Tagen einen erkenntnisreichen Austausch zu Work in Progress.


Vielen Dank.

 

Es gilt das gesprochene Wort.