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12.09.2015

Grußwort zur Spielzeiteröffnung 2015/16 im Thalia Theater

Sehr geehrter Herr Lux,
sehr geehrte Frau Twachtmann,
meine sehr geehrten Damen und Herren, 
 
Theater, überhaupt Kunst, ist politisch oder es ist schlechtes Gewerbe. Das sagt nicht etwa ein Politiker und es kommt auch nicht von Brecht. Es ist vielmehr das Credo von Hansgünther Heyme, dessen Inszenierungen die Politik kaum geschont haben. 
Das Thalia Theater startet 2015 mit Brechts Dreigroschenoper in eine dezidiert politische Spielzeit, wie Joachim Lux es angekündigt hat. 
 
Also Feierabend für Politiker und Politikerinnen? Vermutlich nicht: Denn weder Heyme noch Brecht glauben, dass Kunst direkten Einfluss nehmen und als besser Politik die Sache in die Hand nehmen soll. Wir verdanken Brecht vielmehr die Erkenntnis, dass es kein unpolitisches Theater gibt, sondern Theater immer Stellung nimmt. Manchmal ist das deutlich und kritisch, manchmal schweigend und zustimmend.
 
Die Brechtsche Stellungnahme, die wir heute sehen, ist gut hundert Jahre alt und führt nach London. Menschen kämpfen ums Überleben und korrupte Cops richten über Schicksale. Hier werden die Regeln des Marktes neu definiert und das Elend der Menschen zur Ware für wenige.
 
Die sogenannte Bettleroper ist Brechts zynischer Kommentar zum ungezähmten Kapitalismus. Wer will, findet erschreckend aktuelle Passagen. Zum Beispiel immer wieder diese Frage, ob es denn stimmt, dass erst das Fressen und dann die Moral kommt. Viele Zeilen klingen vor dem aktuellen Hintergrund anders, als wir sie gewohnt sind zu verstehen. Etwa wenn es heißt: Denn die einen sind im Dunkeln / Und die andern sind im Licht. / Und man siehet die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht. 
 
Meine Damen und Herren,
weltweit, nicht nur in Europa, nehmen soziale, wirtschaftliche und militärische Krisen in bedrohlichem Ausmaß zu. 
 
Syrien, Irak, Sudan, Eritrea oder Somalia, tausende Kilometer liegen zwischen uns und den Krisenherden. 
 
Kann man davon wissen und doch emotionale Distanz bewahren? Schon die modernen Kommunikationsmittel haben das kaum noch erlaubt. Inzwischen aber sind diese Themen nicht nur in den Nachrichten, sondern auch im Alltag und in der Nachbarschaft ankommen. Und unsere demokratische Stadtgesellschaft ist nicht mehr außen vor, sondern mittendrin. 
 
Die Anzahl der Flüchtlinge, die sich auf den beschwerlichen, gefährlichen Weg nach Europa gemacht haben, ist enorm. Ihre Schicksale berühren uns, beschäftigen die Politik, die Verwaltung und die Bürger. Das Engagement ist beeindruckend und bewegend. Jede und jeder spricht darüber, denkt darüber nach, wie man sich als Nachbar, als Hamburger und als deutscher Staatsbürger dazu verhalten will. Man hört es am Küchentisch, auf den Straßen und im Fernsehen: Deutschland hat eine große Aufgabe vor sich.
 
Was hat das Theater damit zu tun? Passt diese Aufgabe zu der kulturbewahrenden und kulturbildenden Funktion? Die Antwort des Thalia Theaters ist deutlich: Ja! 
 
Theater hat den Auftrag und die Möglichkeit Themen aufzugreifen und Debatten anzustoßen. Es geht im Theater darum, den Eigensinn, die Subversion und die produktiven Zweifel in den Künsten, für die Gesellschaft zu nutzen. 
 
Es sind die Geschichten von Hoffnungen und Träumen des Menschen, von seinen Niederlagen und Empörungen, von der Sehnsucht, sein Leben selbst gestalten zu wollen. Damit schaffen sie Identifikationsmuster für unsere vielgestaltigen Gesellschaften und lassen uns erkennen, was bei aller Heterogenität das Gemeinsame und Verbindende in den sozialen Verbünden der Gegenwart sein könnte, beschreibt es der Theaterwissenschaftler Lars Göhmann. 
 
Theater soll anregen, berühren, manchmal überwältigen, auch verstören, um wenn der Vorhang gefallen ist zu vielleicht neuen Einsichten und Überzeugungen oder auch konkretem Handeln zu führen. 
 
Theater ist der Ort, wo man hinschaut. Gutes Theater und das ist im Thalia garantiert gutes Theater ist ein Ort des Erlebens und der Aufruf zur Reflexion. 
 
Wie gut es dem Thalia Theater gelingt, die künstlerische Aufgabe sogar mit ganz konkretem politischen Engagement zu verbinden, zeigen Projekte wie in der Spielstätte Gaußstraße: 'anˌ kɔmən - Unbegleitet in Hamburg ist ein Projekt mit minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen, das kommenden Monat zur Premiere gebracht wird. 
 
Auch eine Inszenierung der letzten Spielzeit unterstreicht die gelungene Verknüpfung von Stellungnahme, kritischem Blick und Kunst: Ich denke an Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek in der Regie von Nicolas Stemann. 
 
Das aufwühlende Stück über das Fremd sein und das Gefühl der Unsichtbarkeit der Flüchtlinge ohne Papiere hat das Hamburger Publikum bewegt, das Berliner Theatertreffen eröffnet und auch beim Stückemarkt in Mülheim große Anerkennung gefunden.
 
In der jährlichen Fachautoren-Befragung, die die Zeitschrift des Deutschen Bühnenvereins Die deutsche Bühne durchführt, wurde das Stück kürzlich zur besten Inszenierung der letzten Spielzeit gewählt. Eine gute Nachricht für die, die das bundesweit beachtete Stück noch nicht gesehen haben: Es gibt weitere Vorstellungen in der kommenden Spielzeit. Auch die Arbeit mit Flüchtlingen wird weiterhin einer der Schwerpunkte des Thalia Theaters sein.
 
Lieber Herr Lux, 
auch zum siebten Jahr einer erfolgreichen Intendanz ist man bei Ihnen auf der Suche nach Routine. Die einzige Konstante, die ich bisher ausmachen konnte, ist Ihre kontinuierliche Produktivität, Ihre fortwährende Einmischung in die Themen dieser Stadt und Ihr nicht versiegendes Engagement für das Thalia Theater. Sie haben das Thalia fest in der Mitte der Stadt verankert, ein Theater, das sich auseinandersetzt, auf Missstände hinweist und Diskussionen einfordert.
 
Meine Damen und Herren.
dieses Haus ist eins der gefragtesten unserer Republik, mit fast 300.000 Besucherinnen und Besuchern in der letzten Spielzeit und mehr als 140 Gastspielen in Deutschland, Europa und auch international, seit Beginn der Intendanz von Herrn Lux. 
 
Jetzt aber sind wir gespannt auf den heutigen Abend, mit der Dreigroschenoper. Der Klassiker, von dem wir alle glauben zu wissen, was er erzählt und was er bedeutet. Insofern ein besonderer Dank an Antú Romero Nunes, den einfallsreichen Theatermacher und Hausregisseur des Thalia Theaters, dass er den Mut hatte, uns dieses Stück heute neu zu präsentieren. 
 
Brecht selbst hatte den Anspruch, dass gutes Theater nicht nur Abbilder der Wirklichkeit schafft, sondern im durchaus hedonistischen Sinne auch den Reiz des Erkennens und den Spaß an der Veränderung erregt. 
 
Unsere Zuschauer müssen nicht nur hören, wie man den gefesselten Prometheus befreit, sondern sich auch in der Lust schulen, ihn zu befreien", schrieb er in Über Politik auf dem Theater. 
 
In diesem Sinne freue ich mich auf eine lustvolle Entfachung des Feuers am heutigen Abend. (Diese vielleicht ja prophetische Anspielung auf 2024 sei erlaubt.)
 
Und dem Thalia Theater wünsche ich den Mut, uns auch weiterhin zu fordern und zu überraschen.
 
Vielen Dank!
 
Es gilt das gesprochene Wort.