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02.12.2011

Grußwort zur ZEIT-Konferenz Deutsches Wirtschaftsforum

Grußwort zur ZEIT-Konferenz Deutsches Wirtschaftsforum

 

Sehr geehrter Herr Dr. Esser,

sehr geehrter Herr Dr. Joffe,

sehr geehrter Herr Dr. Ackermann,

sehr geehrter Herr Merz,

lieber Helmut,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

die Turbulenz auf den Finanzmärkten will nicht aufhören, schreiben Sie, lieber Herr Joffe, in der Einladung und erwähnen im folgenden Satz die Problemländer zwischen Biskaya und Ägäis, die gegen den Staatsbankrott kämpften.


Biskaya und Ägäis: Wem stünde nicht sofort das Bild eines Schiffes in rauer See vor Augen?


Wer Ihre Kolumnen kennt, weiß, dass Sie mit solchen Bildern nicht von ungefähr spielen und man könnte sie jetzt minutenlang ausmalen: Wie manövrierbar ist unsere stolze Europa, die sich ja ohne Zweifel durch schwere See kämpft? Genügt es, sich auf der Leeseite an die Reling zu klammern? Oder bedarf es einer entschlossenen Kursänderung, damit die Odyssee in einen sicheren Hafen führt?

 

Ich will es nicht übertreiben und das Bild erst einmal verlassen. Dass die Lage ernst ist, wissen wir.


Die Turbulenz, von der Herr Joffe spricht, hat nicht allein die Kapitalmärkte erfasst, wie wir sie im ehrfürchtigen plurale tantum nennen. Sie droht auch die reale Wirtschaft zu erfassen, und wir ahnen als Gesellschaft die erheblichen Risiken für die europäische und die Weltwirtschaft.


Ich sage bewusst ahnen, denn ich stimme dem US-amerikanischen Autor Adam Haslett zu, wenn er darauf hinweist, Zitat, dass das Verständnis der Öffentlichkeit für die Funktionsweisen der Wirtschaft zusehends erodiert. Das ist so, und es ist schlecht und gefährlich, denn es stellt letzten Endes die Demokratie in Frage.


Zumal die Erosion, denke ich, in beiden Bedeutungen des Wortes stattfindet: Verständnis im intellektuellen Sinn, aber auch im Sinne von: Geduld, Nachsicht, Vertrauen in das, was Fachleute sagen und Politiker tun. Und umgekehrt. Vertrauen in die so genannte Problemlösungs-Kompetenz derer, von denen man sie erwartet... oder irgendwann nicht mehr erwartet.


Verständnis und Vertrauen erodieren mit der Möglichkeit, Wirtschaft überhaupt noch sinnlich wahrzunehmen. Das, was wir die Realwirtschaft nennen: ja, die kann man sehen, hören, manchmal noch riechen, auch wenn die Umweltgesetze heute zum Glück die sprichwörtlichen rauchenden Schlote kaum noch zulassen.


Aber was geht dort ab, wo auf den Untergang ganzer Volkswirtschaften gewettet wird? Und wo, um eben den zu verhindern, ein Rettungsschirm gespannt werden muss, um die zu retten, die schlecht gewirtschaftet haben? Weil es sonst auch denen schlecht ergeht, die besser gewirtschaftet haben?

 

Denen jetzt, andererseits, der schwächere Euro hilft, ihren Platz in der Spitzengruppe der Exportländer zu verteidigen? Während die Kritik am deutschen Handelsbilanz-Überschuss langsam, aber sicher lauter wird? Übrigens zu Unrecht.


Erstens wäre es kurios, der deutschen Industrie ihre vielen hervorragenden zukunftsfähigen Produkte negativ anzulasten. Viele davon produzieren mittelständische Unternehmen, die es anderswo kaum noch gibt.

 

Fakt ist zweitens, dass Deutschland auch beim Import in der Champions League spielt.


Setzt man die Handelsbilanz in ein Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, dann hat Deutschland in dieser so genannten trade to GDP ratio einen viel höheren Wert gegenüber den USA oder auch Japan.

 

Und da geht es um die Importe genauso wie um die Exporte. Deutschland ist eine wesentliche Stütze der Weltwirtschaft, so herum und so herum.    

 

 

Meine Damen und Herren,       

 

dass die Welt immer komplexer wird, ist eine Binsenweisheit und damit werden wir leben müssen, gerade was globale ökonomische Zusammenhänge betrifft.

 

Der wichtigste soziale Mechanismus zur Reduktion von Komplexität ist Vertrauen. Auch deshalb darf sich Politik in der aktuellen Krise nicht so viele Pirouetten erlauben, wie sie momentan in Berlin und Brüssel gedreht werden.

 

Vertrauen entsteht durch klare Regeln, deren Verbindlichkeit nicht in Zweifel gezogen wird weder von den Märkten noch von der Politik.


Die Finanzmärkte brauchen Aufsicht und Realitätsbezug. Sie stellen doch bestenfalls einen besonders effizienten Mechanismus zur Ressourcenverteilung dar. Sie funktionieren aber nicht ausreichend ohne einen gesellschaftlichen, kulturellen und ja auch das politischen Rahmen, der ihren Mechanismen Sinn und Richtung und Ordnung gibt. Erst auf dieser Basis können Verständnis und Vertrauen wachsen.

 

Die Ereignisse in 2008 und 2009 haben gezeigt, dass wir die Märkte nicht alleine lassen dürfen. Die Ereignisse 2011, europa- und weltweit, zeigen es abermals.

 

Das gilt analog auch für die Beziehungen der verschiedenen Märkte untereinander. Wir dürfen nicht zulassen, dass immaterielle Bereiche, allen voran der Finanzsektor, für die Volkswirtschaft bestimmend werden. Die Wertschöpfung aus realem wirtschaftlichen Handeln muss das A und O bleiben.


Gut durch die vorige Krise gekommen sind wir in Deutschland mit klugen Konjunkturpaketen, und mit der Kurzarbeit, auf die viele in der Welt immer noch staunend schauen.


Sie machen die eigentliche Stärke unseres Standortes aus: starke industrielle Kerne, leistungsfähige soziale Systeme und eine belastbare Sozialpartnerschaft.


Und in dem Zusammenhang darf ich, hier unter dem Dach des Michel, hanseatisch nüchtern auf den demokratischen Konsens verweisen, der in Hamburg inzwischen besteht, bei allen tagespolitisch verschiedenen Meinungen.

 

Erstens, dass wir eine ordentliche Haushaltsführung brauchen, die das Schuldenverbot des Grundgesetzes ab 2020 und damit eine Schuldenbremse schon jetzt greifen lässt.


Und  zweitens, dass Dienstleistungen und Handel auch in der Hafenstadt die Industrie brauchen, weil erst aus ihrem Wechselspiel wirtschaftliche Kraft entsteht. Aus dem Wechselspiel, in dem natürlich die Finanzwirtschaft einen wesentlichen Part hat.


Hamburgs wirtschaftliche Aussichten sind im Vergleich sehr gut, weil Handel, Dienstleistungen und Hafen einen Stabilitätsanker realer Wertschöpfung haben.

 

 

Meine Damen und Herren,

 

dass auch Hamburgs Zukunft von der Zukunft des Europäischen Einigungsprojektes abhängt, ist keine Frage. Der Euro ist nicht irgendein Zahlungsmittel, er ist weit mehr als nur eine gemeinsame Währung. Er ist unsere Währung, so wie die D-Mark unsere Währung war. Er ist einer der bislang größten Meilensteine der Europäischen Integration und eine Erfolgsgeschichte.


Nicht zuletzt garantiert er, dank einer umsichtigen Europäischen Zentralbank, seit einem Jahrzehnt Inflationsraten von unter drei Prozent in der gesamten Eurozone. Ich wiederhole das gern: umsichtig. Bei allen berechtigten Debatten über konkrete Entscheidungen: Sie hat auch in der aktuellen Krise das Vertrauen gerechtfertigt.

 

Jedenfalls haben die Käufe von Staatsanleihen der Krisenländer auf dem Sekundärmarkt bisher nicht geschadet.

Dauerhaft entfaltet der Euro seine Wirkung nur, wenn die Mitgliedsstaaten der Union ich zitiere den Kommissionspräsidenten Manuel Barroso mehr dafür tun, ihre Zusagen hinsichtlich ihrer Strukturreformen einzuhalten, und bereit sind, den Weg einer tieferen Integration im Euroraum mitzugehen.


Ich stimme dem zu. Und deshalb brauchen wir eine konstitutionelle Verankerung des Schuldenabbaus in allen Euro-Ländern.


Und zwar so, dass die EU-Kommission bei nicht ausgeglichenem Budget intervenieren können muss. Natürlich nicht durch direkte Eingriffe in Fragen nationaler Politik, etwa der Sozialpolitik, oder durch Eingriffe in die Wirtschaftspolitik.

 

Aber die Kommission sollte künftig das Recht haben, den betreffenden Ländern verbindliche Regeln hinsichtlich des Budgets zu setzen. Das wäre sinnvoller als wie es heute vorgesehen ist, Strafzahlungen zu verhängen, wenn das Land ohnehin Budget-Schwierigkeiten hat


Wenn wir einen Konsens über ausgeglichene Budgets als Verfassungsprinzip haben, dann ist der Spielraum für unterschiedliche politische Strategien innerhalb der Euro-Zone da. Viele Wege führen zu einem gesunden Haushalt und letztendlich müssen die einzelnen Länder demokratisch selbst entscheiden, ob sie für zusätzliche Ausgaben höhere Steuern verlangen wollen oder wegen geringerer Steuern geringere Ausgaben akzeptieren.


Solche demokratischen Entscheidungen werden aber überhaupt erst möglich, wenn das Maßhalten beim Schuldenmachen allgemein akzeptiert ist.

 

 

Meine Damen und Herren,

 

Barroso hat Recht. Aber die tiefere Integration, von der er spricht, lässt sich nicht herbeireden. Sie muss politisch beschrieben und gesellschaftlich legitimiert werden.

Jürgen Habermas hat in einem jüngst erschienenen eindrucksvollen Essay wieder darauf hingewiesen, dass Europa nicht funktionieren wird, so lange es bloß als die technokratische Idee einiger Funktionäre in Brüssel wahrgenommen wird. Erst wenn es gelebte und argumentierte politische Wirklichkeit wird, kommen wir weiter. In der aktuellen Krise steckt die Chance, Europa vom Sockel zu holen und in den vermeintlichen Niederungen der Politik zu bearbeiten.

 

Ich bin zuversichtlich, dass gerade aus diesem Bearbeiten im Alltagskampf des Politischen am Ende die Legitimation erwachsen kann, die das europäische Projekt so dringend benötigt. Weil wir eben nicht mehr nur die ewig selben Stanzen ritualhaft wiederholen, sondern uns praktisch und pragmatisch und auch streitbar um das Gelingen dieser großen Idee kümmern müssen. So paradox es klingen mag: Gerade der Streit in der konkreten Sache ist eine Form des politischen Ernstnehmens, aus der heraus Vertrauen und Legitimation wachsen können.

 

 

Meine Damen und Herren,

 

damit bin ich jetzt die gewünschten zehn Minuten lang hoffentlich nicht zu hart am Wind gesegelt. Ich wünsche uns allen in Europa, und auch diesem Forum, ein gutes Navigieren zwischen Biskaya und Ägäis.

 

Schönen Dank.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.