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13.01.2014

"Hamburg ist eine soziale Stadt" - Interview mit der Süddeutschen Zeitung

 

 

SZ: Herr Scholz, die US-Botschaft warnt amerikanische Bürger vor Hamburgs Gefahrenzone. Was ist los in ihrer Stadt?

Olaf Scholz: Die Warnung ist etwas übervorsorglich. Hamburg ist ein sicherer Ort. Es gab ein Problem wegen einer Demonstration vor Weihnachten. Da kamen Leute aus ganz Deutschland, teilweise aus ganz Europa, um Gewalt auszuüben. Das hat die Situation schwieriger gemacht. Aber ich bin sicher, dass sich das wieder ändert.  Die Demonstration hatte Ziele, nicht alle Teilnehmer waren gewalttätig.
Ich hoffe, Sie sind mit mir der Meinung, dass jemand, der zu einer Veranstaltung geht und sich mit Schlagverstärkern, mit illegaler Pyrotechnik, Steinen und Vermummungsgegenständen ausrüstet, nicht zwangsläufig gute Gründe hat. Hier ging es einer großen Gruppe ausschließlich um Gewalt. Man darf sie nicht aufwerten, indem man ihr politische Ziele zubilligt.
 
SZ: Was sind Schlagverstärker?
 
Olaf Scholz: Zum Beispiel Handschuhe, die mit Sand gefüllt sind, um die Wirkung beim Zuschlagen zu verstärken. Man kann sich vorstellen, was jemand damit vorhat. Da geht es um wirklich böse Gewalt.
 
SZ: Danach hat die Polizei weite Teile der Stadt zum Gefahrengebiet erklärt. Bürger klagen über die Polizeipräsenz, fühlen sich belagert, nicht mehr zu Hause.
 
Olaf Scholz: Um weite Teile geht es nicht. Und ganz viele Bewohner sagen das Gegenteil. Sie fühlen sich sicherer. Das Vorgehen ist doch nicht neu. Solche Gefahrengebiete haben in Hamburg über viele Jahre existiert, etwa in Gegenden mit Raubkriminalität oder Drogenhandel. In der Zeit der schwarz-grünen Koalition gab es sie auch immer wieder. Damit wird sehr flexibel, souverän und wenig aufgeregt umgegangen.
 
SZ: Unaufgeregt? Wir haben einen anderen Eindruck.
 
Olaf Scholz: Das Instrument ermöglicht, Personen zu kontrollieren, mal in die Tasche zu gucken, ob jemand zufällig Schlagwerkzeuge oder Pyrotechnik mit sich führt. Übrigens wurden zu Beginn recht viele dieser Dinge gefunden. Die Kontrollen haben die Maßnahme bestätigt. Ich weiß nicht, ob Sie mit solchen Sachen im Rucksack herumlaufen, ich finde das jedenfalls nicht normal.  
 
SZ: Fragwürdig ist der Umfang der Kontrollen. Leiden die Hamburger, die sich damit unwohl fühlen, unter Fehlwahrnehmungen?
 
Olaf Scholz: Natürlich wurde die Polizeipräsenz verstärkt. Da hat immerhin ein Angriff auf die Davidwache stattgefunden, ein Polizist wurde schwer verletzt, es laufen Leute mit gefährlichen Gegenständen herum.
 
SZ: Es gibt starke Zweifel am Polizeigesetz, weil kein Richter oder Parlament zustimmen muss, wenn die Polizei ein Gefahrengebiet ausruft.
 
Olaf Scholz: Ich teile die Bedenken nicht. Das Instrument hat sich bewährt und wird sich weiter bewähren.
 
SZ: Nach Ansicht des Verfassungsgerichts ist das Gesetz nur verfassungskonform, wenn die Grenzen eng interpretiert werden, es nicht extensiv auslegt wird.
 
Olaf Scholz: Machen wir ja auch nicht.
 
SZ: Wie lange halten Sie daran fest?
 
Olaf Scholz: Die Polizei prüft die Lage jeden Tag neu. Die Maßnahme ist nicht auf lange Zeit angelegt. Sie wurde ja bereits zurückgefahren ein Zeichen dafür, dass sie wirkt. Wenn jetzt Kissenschlachten veranstaltet werden, ist das lustig und ein Zeichen für Entspannung. Bleibt es dabei, hebt die Polizei die verbliebenen Gefahrengebiete auf.
 
SZ: Wie wollen Sie erst reagieren, wenn in Hamburg ein Aufruhr wäre wie in der Hochphase von Stuttgart 21? Fordern Sie dann die Bundeswehr an?
 
Olaf Scholz: Ach was. Demonstrationen gehören zur Demokratie und sind normal. Ganz viele Teilnehmer dieser Demonstration sind aber gekommen, um Gewalt auszuüben. Das war in Stuttgart nicht der Fall.
 
SZ: Manches erinnert an das Trauma der SPD von 2001. Ihre Partei wurde damals abgewählt, weil viele sie in der inneren Sicherheit zu weich fanden. Es folgte ein Jahrzehnt in der Opposition. Will sich die Hamburger SPD nie mehr eine Blöße geben?
 
Olaf Scholz: Richtig.
 
SZ: Sie wurden damals kurz vor der Wahl Innensenator und sollten die Lage retten. Sie sagten: Ich bin liberal, aber nicht doof.
 
Olaf Scholz: Das gilt auch heute.
 
SZ: Derzeit finden Kritiker ihre Politik nicht schlau und nicht liberal. Man nennt sie einen roten Sheriff.
 
Olaf Scholz: Dass wir für Recht und Ordnung stehen, ist richtig. Das ist unsere Aufgabe. Leute, die das nicht mögen, finden es eben nicht gut. Die meisten akzeptieren es, weil es in eine sehr liberale Politik eingebettet ist.
 
SZ: Das sagen Ihnen nicht viele nach.
 
Olaf Scholz: Wir machen in Hamburg die modernste Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik in ganz Deutschland. Ich neige nicht zu Überheblichkeit und fürchte, dass ich jetzt vielen auf den Schlips trete, aber das ist meine Überzeugung.
 
SZ: Superlative sind doch sonst nicht ihre Art.
 
Olaf Scholz: Ein Beispiel: Ich schreibe alle 137 000 Hamburger ohne deutschen Pass, die schon acht Jahre in Deutschland leben, an und bitte sie persönlich, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Das hat zu einer unglaublich positiven Resonanz geführt, die Zahl der Einbürgerungen ist erheblich gestiegen. Es ist etwas Besonderes, wenn im größten und schönsten Saal des Rathauses zur Einbürgerungsfeier viele Familien in der besten Kleidung kommen und gemeinsam die Hammonia, die Hamburger Hymne, und die Nationalhymne singen. Ich bin jedes Mal gerührt.
 
SZ: Und singen mit?
 
Olaf Scholz: Beide Lieder. Wir waren es auch, die über den Bundesrat versucht haben, dass geduldete Ausländer, die einen Schulabschluss gemacht haben, bleiben können. Weil es mich krank macht, zu sehen, wie jemand hier seinen Abschluss macht und dann abgeschoben wird. Jetzt steht das im Koalitionsvertrag der Bundesregierung.   
 
SZ: Hamburg ist eine reiche Stadt. Aber es gibt Klagen über soziale Kälte...
 
Olaf Scholz: Hamburg ist eine soziale Stadt, deren Wirtschaft und Bevölkerung wächst. Das enorme wirtschaftliche Wachstum führt selbstverständlich zu Problemen, wenn man nicht rechtzeitig reagiert. Meine Vorgänger haben zehn Jahre das Bauen von Wohnungen vergessen. Wir haben vom schwarz-grünen Senat einen Fehlbestand von 30 000 bis 40 000 Wohnungen übernommen. Das holen wir nach, leider geht das nicht über Nacht. Seitdem wir im Amt sind, haben wir Baugenehmigungen für 25 000 neue Wohnungen erteilt, es werden bis zur nächsten Wahl in einem Jahr wohl 35 000 sein.
    
SZ: Und die Gentrifizierung, die sozial Schwache aus Trendvierteln vertreibt?
 
Olaf Scholz: Wir haben überall die Mietpreisbremse verhängt. Wir haben ein Gesetz gegen den Leerstand von Wohnraum. Damit auch in wohlhabenden Stadtteilen sozialer Wohnungsbau stattfindet, setzen wir bei allen großen Bauvorhaben ein Drittel Sozialwohnungen durch. Das machen wir alles, um etwas gegen Gentrifizierung zu tun. Man muss gewissermaßen nichts wissen wollen, um das Gegenteil zu behaupten.
 
SZ: Sie fühlen sich unfair beurteilt.
 
Olaf Scholz: Nein, wir müssen eben wie in diesem Interview laut erzählen, was wirklich passiert. Ich zähle nicht zu den beleidigten Typen in der Politik.
 
SZ: Wie geht es mit der Roten Flora, dem autonomen Kulturzentrum, weiter?
 
Olaf Scholz: Gerade das Beispiel zeigt, dass es einem Großteil bei der Demonstration im Dezember eben nicht um Politik ging. Angeblich sollte gegen eine drohende Räumung protestiert werden. Aber warum? Wenige Wochen vor dieser Demonstration hat die zuständige Bezirksversammlung mit den Stimmen aller Parteien und Rückendeckung des Senats beschlossen, dass ein Bebauungsplan das Kulturzentrum absichert. Gegen wen wird da demonstriert? Gegen den Staat, der hilft, eine unabhängige autonome Kultur zu erhalten?
 
SZ: Ist die Rote Flora gut für Hamburg?
 
Olaf Scholz: Sie ist da. Und es gibt keine politische Kraft, die das ändern will. Deshalb ist es so unverständlich, dass aus ganz Europa Leute anreisen, um sie zu retten. Vor wem eigentlich?
 
SZ: Die Stadt hat sie 2001 an einen Privatmann verkauft, um sich des Problems zu entledigen ein Fehler?
 
Olaf Scholz: Damals ist der heutige Eigentümer als Kulturinvestor aufgetreten und hat gesagt, so etwas brauche eine Stadt. Jetzt will er nicht mehr. Wir wären ja bereit, die Flora von ihm zurückzukaufen. Er bezahlte 190 000 Euro. Nun gibt es eine Grenze für das, was wir zahlen würden, das kann nicht wesentlich mehr sein als ein Verkehrswertgutachten ergibt.
 
SZ: Wie finden Sie persönlich die Flora?
 
Olaf Scholz: Ich war dort nicht auf einem Konzert. Aber Fettes Brot, die vor kurzem da aufgetreten sind, finde ich gut.