"Hamburg ist eine weltoffene und gastfreundliche Stadt" Interview mit der Wochenzeitung "Die Zeit"
"Die Zeit": Herr Bürgermeister. Stellen Sie sich bitte vor: Hamburg, 9. Juli. Die Teilnehmer des Gipfels sind abgereist. Wie steht die Stadt da?
Olaf Scholz: Die Stadt wird ein bedeutendes Treffen der Staats- und Regierungschefs der Gruppe der G20 erlebt haben. Wir werden gesehen haben, dass über wichtige Fragen der Weltwirtschaft und des globalen Zusammenhalts gesprochen wurde und dass es friedliche Kundgebungen gegeben hat. Am Ende wird die Stadt stolz sein.
"Die Zeit": Sicher? Noch hält sich der Stolz der Hamburger auf das Ereignis in engen Grenzen.
Olaf Scholz: Es gibt einige, die meinen, Hamburg sei heute schon überall in der Welt bekannt und müsse dafür nichts weiter tun. Denen muss man sagen: So ist es eben nicht ganz.
"Die Zeit": Neigen die Hamburger zu Selbstüberschätzung?
Olaf Scholz: Ich hoffe nicht. Jedenfalls ist es wichtig, sich klarzumachen, dass man Hamburg in vielen Ländern trotz der jahrhundertealten Hafentradition und unserer vielfältigen Handelsbeziehungen nicht kennt. Manche kennen als deutsche Stadt höchstens Berlin.
"Die Zeit": Und München. Wegen des Oktoberfests.
Olaf Scholz: Hamburg muss keine übertriebene Sucht entwickeln, ständig Ereignisse zu produzieren, die weltweit wahrgenommen werden. Aber wenn man Gelegenheiten hat, soll man sie auch nutzen.
"Die Zeit": Hamburg nennt sich Tor zur Welt. Unser Eindruck ist: Wenn die Welt durch das Tor tritt, sind viele skeptisch.
Olaf Scholz: Ach, das empfinde ich nicht so. Es gibt selbstverständlich manche, die reserviert auf den Gipfel schauen. Aber ich denke, die meisten stehen dafür, dass Hamburg eine weltoffene und gastfreundliche Stadt ist. Das gehört zu unserer Mentalität. Und vergessen wir nicht: Es kommen viele tausend Delegationsmitglieder und Journalisten aus der ganzen Welt zu uns, die einen Eindruck von unserer Stadt mit nach Hause nehmen und in ihrer Heimat über Hamburg berichten.
"Die Zeit": Verharmlosen Sie da nicht, was auf die Stadt zukommt?
Olaf Scholz: Nein. Es gibt viele Städte, in denen oft ähnliche Ereignisse stattfinden. Dort wird darüber gar nicht mehr diskutiert. Bei uns ist das anders, das ist in Ordnung. Aber man muss auch mal ein Stück beiseite treten und sich klarmachen, dass es eine Chance ist, so einen Gipfel in Deutschland auszurichten. Die letzten G20-Treffen waren in China und in der Türkei. Wer dort demonstrieren wollte, brauchte Mut. Dass Hamburg einen G20-Gipfel mit der Kultur eines demokratischen Rechtsstaats und mit hohem Respekt vor der Versammlungsfreiheit organisiert, ist gut.
"Die Zeit": Es werden bis zu 8000 gewaltbereite Demonstranten aus ganz Europa erwartet.
Olaf Scholz: Es werden Leute kommen, deretwegen wir eine hohe Zahl an Sicherheitskräften brauchen. Ich hoffe, dass das nicht so viele sein werden. Aber ich weiß auch, dass man sich auf die Polizei verlassen kann.
"Die Zeit": Ihr Innensenator Andy Grote sagt, die allermeisten werden vom Gipfel kaum etwas mitkriegen.
Olaf Scholz: Das glaube ich auch.
"Die Zeit": 35 Fahrzeugkolonnen, quer durch die Stadt, die nicht unterbrochen werden dürfen und die Bürger merken nichts?
Olaf Scholz: Man sollte ein großes Ereignis nicht kleinreden, aber auch nicht die Dimension überschätzen. Sie haben gerade die größte zu erwartende Störung genannt: Dass an wenigen Tagen Kolonnen durch die Stadt fahren. Das kommt in den Hauptstädten der Welt ziemlich oft vor.
"Die Zeit": Hamburg ist aber nunmal keine Hauptstadt. Was sagen Sie Autofahrern in Hinblick auf den 7. und 8. Juli?
Olaf Scholz: Es wird nicht besser werden an diesen Tagen. Aber bei jedem Marathon, bei jedem Hafengeburtstag wissen in Hamburg ja auch alle, wie sie damit umgehen sollen. Da sind deutlich mehr Leute unterwegs als beim Gipfel.
"Die Zeit": Nur sind Marathon-Läufer selten auf Krawall getrimmt.
Olaf Scholz: Die Teilnehmer des Gipfels sind auch nicht auf Krawall getrimmt, jedenfalls nicht, was Hamburg betrifft. Untereinander haben die sich sicher ein paar weniger nette Dinge zu sagen, aber dazu ist das Treffen ja da.
"Die Zeit": Es gibt Demonstranten, die schon angekündigt haben, sich nicht in friedlicher Absicht zu versammeln. Eine Kundgebung soll den Namen Welcome to hell tragen.
Olaf Scholz: In Hamburg haben wir Erfahrung mit Demonstrationen auch mit solchen, deren Anmelder den Satz Ich rufe alle Teilnehmer auf, friedlich zu sein, nicht über die Lippen bringen. Wer in Deutschland Polizistin oder Polizist werden will, muss schon vor der Ausbildung viele Tests bestehen. Da geht es nicht nur um Fitness, sondern auch um Charakter und die Kompetenz, mit angespannten Situationen souverän umzugehen. Wir sind gut aufgestellt.
"Die Zeit": Warum tut sich die Stadt dann so schwer, den Demonstranten das Zeltlager zu genehmigen, das sich diese wünschen auch viele Demonstranten, die in friedlicher Absicht kommen?
Olaf Scholz: Bisher haben sich vorwiegend diejenigen gemeldet, bei denen das mit der friedlichen Absicht nicht so sicher ist. Da soll man niemandem auf den Leim gehen.
"Die Zeit": Also wird es keine Zeltlager geben?
Olaf Scholz: Wir halten die Vorschläge, die uns gemacht worden sind, für nicht vertretbar. Wir sind auch nicht dafür zuständig, Zeltlager zu organisieren.
"Die Zeit": Werden Sie mit den 50 Millionen Euro auskommen, die Sie vom Bund für Sicherheitsmaßnahmen bekommen haben?
Olaf Scholz: Ja. Im Gegensatz zu anderen Ländern haben wir bei einer solchen Gelegenheit nicht angefangen, fiktive Kosten aufzustellen und zu kalkulieren, was die Reifenabnutzung kostet, wenn ein Polizeiwagen 200 Meter bewegt wurde. Wir haben eine realistische Kostenschätzung vorgenommen und ich würde sagen, dass wir mit dem Verhandlungsergebnis zufrieden sein können.
"Die Zeit": Sprechen wir über mögliche Inhalte des Gipfels. Diese G20-Tagung könnte richtig wichtig werden. Mal angenommen, sie bekäme einen Platz in den Geschichtsbüchern: Was könnte da stehen?
Olaf Scholz: Mindestens drei Themen sind von besonderer Bedeutung. Erstens geht es darum, wie wir verhindern, dass eine Welt des Protektionismus entsteht. Deshalb wird es wichtig sein, wie wir einen fairen weltweiten Handel organisieren, ohne dass sich alle wieder auf nationale Grenzen zurückziehen. Zweitens geht es darum, wie wir dazu beitragen können, dass die Gesundheitsversorgung auch in den ärmsten Regionen der Welt besser wird. Drittens muss erörtert werdet, wie man die Entwicklung Afrikas beschleunigen kann.
"Die Zeit": Im Geschichtsbuch muss eine griffige Überschrift stehen. Wir schlagen Ihnen ein paar vor. Als erstes: Der Hamburger Handelskrieg. Was geschieht? Der US-Präsident macht klar, dass es weitere Gespräche über globalen Freihandel mit seiner Regierung nicht geben wird. Plausibel?
Olaf Scholz: Eher nicht plausibel. Schon, weil wir darauf spekulieren dürfen, dass am Ende die Rationalität gewinnt.
"Die Zeit": Zweite Überschrift: Der Hamburger Frieden. Trump und Putin verständigen sich in einer ruhigen Minute auf eine Lösung des Syrien-Konflikts. Plausibel?
Olaf Scholz: Wünschbar, aber nicht wahrscheinlich.
"Die Zeit": Überschrift Nummer Drei: Die Kanzlerin wird zur Führerin der freien Welt. Angela Merkel profiliert sich in Hamburg als die entschiedenste Fürsprecherin von Demokratie, Menschenrechten und Freihandel. Plausibel?
Olaf Scholz: Dass die Repräsentantin der Bundesrepublik Deutschland sich für Menschenrechte, Demokratie und freien Handel ausspricht, will ich hoffen. Wir Deutschen sollten uns mit der Führung der freien Welt aber zurückhalten.
"Die Zeit": Ist es nicht ärgerlich für einen Sozialdemokraten, seiner wichtigsten politischen Gegnerin so kurz vor der Bundestagswahl so eine prächtige Bühne errichten zu müssen?
Olaf Scholz: Ich bin Bürgermeister von Hamburg und möchte, dass Deutschland die Gelegenheit, den G20-Gipfel auszutragen, optimal nutzt.
"Die Zeit": Stimmt es, dass Frau Merkel den Hamburgern den Gipfel angeboten hat, um Hamburg bei der damals noch wahrscheinlichen Olympiabewerbung zu helfen?
Olaf Scholz: Darüber kann man spekulieren. Ob Frau Merkel selbst immer alle ihre Motive kennt, habe ich noch nicht herausgefunden. Letztlich gibt es nicht viele andere Orte in Deutschland, an denen so ein Gipfel stattfinden könnte.
"Die Zeit": Es gibt doch immer wieder super Vorschläge: Helgoland. Neuwerk. Ein Flugzeugträger in der Nordsee.
Olaf Scholz: Das ist absurd. Bei G20 reisen so viele Teilnehmer an, dass wir Zeltstädte von der Dimension einer Kleinstadt errichten müssten. Wir reden hier nicht von G7 oder G8, wo es schon in der Natur der Sache liegt, dass weniger Staaten und damit viel weniger Delegationen zusammenkommen. Einen G20-Gipfel können in Deutschland nur Hamburg, Berlin oder München ausrichten. Dafür braucht man Übernachtungskapazitäten und ein leistungsfähiges Tagungszentrum.
"Die Zeit": Ganz uneigennützig ist die Kanzlerin aber nicht, wenn sie kurz vor der Wahl einen G20-Gipfel ansetzt?
Olaf Scholz: Ich will nicht ausschließen, dass Angela Merkel auch an sich denkt. Aber dass der Gipfel zu diesem Zeitpunkt in Deutschland stattfindet, liegt einfach daran, dass wir mit der Präsidentschaft dran sind. Das mag nicht jedem gefallen. Aber um es zu persiflieren: Die Kanzlerin hätte uns auch einfach in einem Brief mitteilen können: Der Gipfel findet dann und dann statt. Und übrigens, wir haben dafür Eure Messehalle gemietet.
"Die Zeit": Anders als bei Olympia konnten die Hamburger über den G20-Gipfel nicht abstimmen. Haben Sie eine Vermutung, wie eine solche Abstimmung ausgegangen wäre?
Olaf Scholz: Ich glaube, dass die meisten gelassen sind. Natürlich wird es nicht jedem gelingen, die Ruhe zu bewahren, wenn er jeden Tag irgendwo liest, was alles passieren könnte. Deshalb hoffe ich, dass eine Lehre aus dieser Tagung sein wird, dass wir unsere traditionelle hanseatische Gelassenheit noch etwas vertiefen.
"Die Zeit": Geht uns die gerade verloren?
Olaf Scholz: Nö, aber danach wird sie noch stärker sein.
Das Interview führte Charlotte Parnack.