Rede im Deutschen Bundestag vom 27. November 2008
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute sind wieder die Arbeitsmarktzahlen veröffentlicht worden. Nach dem letzten Monat haben wir wieder einen Monat mit guten Zahlen. Die Zahl der Arbeitslosen insgesamt ist weiter zurückgegangen. Das ist ein gutes Ergebnis der Anstrengungen der letzten Jahre.
Natürlich ist das etwas, über das wir heute reden müssen; denn tatsächlich sind die Entwicklungen, die wir heute auf dem Arbeitsmarkt sehen können, nicht zufällig zustande gekommen. Sie sind das Ergebnis der Anstrengungen von Unternehmen, sie sind das Ergebnis der harten Arbeit vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sie sind aber unverkennbar auch das Ergebnis der richtigen Weichenstellungen, die in der letzten und in dieser Legislaturperiode vorgenommen wurden. Diese haben zu einem Rückgang der Arbeitslosigkeit beigetragen.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns diese Zahlen anschauen, dann ist es wichtig, dass wir uns immer wieder klarmachen, wie sie eigentlich zusammengesetzt sind, was sie uns für die Zukunft sagen und welche Handlungsmöglichkeiten sich für uns daraus ergeben. Eine wichtige Zahl ist eine genaue gibt es nur für das letzte Jahr, für dieses Jahr kann man sie nur hochrechnen, dass die Zahl der Zugänge und Abgänge von Arbeitslosen insgesamt jeweils über 8 Millionen gelegen hat bzw. liegen wird. Es findet also ganz viel Bewegung auf dem Arbeitsmarkt und bei der Beschäftigung statt. Das darf man nie vergessen, wenn man die konsolidierten Zahlen betrachtet. Hinter ihnen stehen viele Schicksale.
Weil es so viele Bürgerinnen und Bürger sind, um die es geht und deren Schicksal berührt wird von dem, was wir tun, ist es von zentraler Bedeutung, dass wir uns sehr viel Mühe dabei geben, die Arbeitsvermittlung zu organisieren und etwas für sie zu unternehmen. Dass wir die Zahl der Arbeitsvermittler erhöht haben, ist ein richtiger Ansatz. Das bedeutet, dass wir Menschen für Menschen einsetzen und ihnen in einer schwierigen Situation ihres Lebens helfen.
Die Zahlen, über die wir im Zusammenhang mit diesem Haushalt diskutieren, sind ja beeindruckend. Wir haben uns dazu entschlossen, die Zahl der Vermittler bei den Arbeitsgemeinschaften unmittelbar um etwa 2 000 zu erhöhen und innerhalb der nächsten Jahre durch Verlagerung von Stellen aus der Sachbearbeitung und der Leistungsausrechnung hin zur Vermittlung noch einmal 5 000 zusätzliche Stellen zu mobilisieren, sodass 7 000 zusätzliche Vermittlerinnen und Vermittler für Menschen in großer Not da sind. Das Gleiche gilt für die Arbeitsagentur, deren Service sich über die letzten Jahre stetig verbessert hat.
Wir dürfen eines nicht vergessen: Als Walter Riester mit den Reformen begonnen hat, waren gerade einmal knapp über 10 Prozent der Beschäftigten mit der Vermittlung beauftragt. Heute sind es bei der Agentur über 30 Prozent und bei den Arbeitsgemeinschaften knapp über 40 Prozent; das sind beeindruckende Zahlen. Ich benenne unser Ziel ganz deutlich: Wir müssen dafür Sorge tragen, dass irgendwann das Verhältnis halbe-halbe sein wird. Im Mittelpunkt der Arbeitsagentur und der Arbeitsgemeinschaften muss die Vermittlung stehen, nicht die Auszahlung der Leistungen; Letztere muss einfach gut funktionieren.
Daher ist es richtig, dass wir uns in der jetzigen wirtschaftlichen Situation entschieden haben, für die Arbeitnehmer, die bisher ihre Beiträge gezahlt haben und eine Kündigung bekommen, 1000 zusätzliche Vermittler einzusetzen. Eine Job-to-job-Vermittlung ist das richtige Zeichen in einer schwierigen Situation, meine Damen und Herren.
Wenn wir die Situation verstehen wollen, müssen wir uns die Zahlen noch etwas genauer ansehen. Von den jetzt unter 3 Millionen Arbeitslosen bekommen knapp über 800 000 Menschen Arbeitslosengeld, und etwas über 900 000 sind im Rechtskreis SGB III gemeldet. Das konjunkturelle Auf und Ab wird sich dort zuallererst abbilden. Deshalb ist es richtig, dass wir entschieden haben, in dieser wirtschaftlichen Situation ein Zeichen zu setzen und dazu beizutragen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch dann in den Betrieben bleiben, wenn es schwierig wird. Wir verlängern die Zeit der Kurzarbeit von sechs Monaten, wie es im Gesetz steht, auf 18 Monate. Das ist das richtige Zeichen an die Unternehmen und an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Lande.
Wir verbinden dies mit einer weiteren Botschaft: Die Zeiten der Kurzarbeit, in denen vielleicht weniger zu tun ist, muss man für Qualifizierung nutzen. Qualifizieren statt entlassen, das ist die zweite Botschaft, die wir in der jetzigen wirtschaftlich angespannten Situation formulieren.
Meine Damen und Herren, wir müssen deutlich sagen, wo wir stehen: Wir stehen gut da und stehen trotzdem vor schweren Zeiten. Wir sind gut vorbereitet, aber wir wandern durch unbekanntes Gebiet. Insofern kann niemand wissen, ob unsere Ausrüstung insgesamt die richtige ist. Wir müssen darüber nachdenken, was wir tun können. Natürlich wird in einer solchen Situation über sehr unterschiedliche Ansätze diskutiert. Je nach Neigung und Interesse stützen sich manche eher auf den ersten Teil der Wahrheit und beschwichtigen, während andere eher den zweiten Teil betonen und in Alarmismus machen. Beides ist nicht redlich. Weder dürfen wir so tun, als müssten wir nur wollen, und dann werde alles wieder gut, noch sollten wir mit unbändiger Lust an der Apokalypse den Zusammenbruch von Wachstum und Wohlstand in Deutschland und der Welt prophezeien. Erst analysieren und dann Lösungen entwickeln, zügig, aber nicht hektisch, und das alles mit der gebotenen Klarheit, das verlangen die Bürgerinnen und Bürger in der jetzigen Situation von uns.
Niemand erwartet, dass wir jetzt schnell Flugblätter produzieren. Vielmehr erwartet man von uns, dass wir das tun, was wir tun können. Dies bedeutet, dass nicht besonders markige Forderungen vernünftig sind, sondern solche, von denen man glauben kann, dass sie wirklich helfen. Die von der Regierung auf den Weg gebrachten und die Konjunktur stützenden Impulse sind viel klüger und vernünftiger als manches, was man sonst so hört. Gäben wir jetzt einfach irgendwelche Milliarden aus, dann fehlten sie uns bitter für wirklich vernünftige und hilfreiche Dinge, die wir brauchten, wenn die Krise länger dauern und schwieriger werden sollte.
Im Übrigen entstünde, wenn wir die markigen Forderungen erfüllten, nicht das, was wir in der jetzigen wirtschaftlichen Situation wirklich brauchen: Wir brauchen Vertrauen. Das Vertrauen, der Kredit, in die Finanzmärkte, die sind zurzeit sehr gefährdet. Das ist auch kein Wunder angesichts all der Spiele, die wir in den letzten Jahren und Monaten bei Banken und Börsen beobachten mussten, und angesichts der Tatsache, dass jetzt viele, die dafür selbst gar nichts können, um ihre Zukunft fürchten müssen, weil einige an einer ganz anderen Stelle etwas falsch gemacht haben.
Die Menschen investieren Vertrauen in die Politik, weil sie uns etwas zutrauen. Sie haben gesehen, dass dies angesichts unserer schnellen und zügigen Reaktion in Bezug auf die Krise der Finanzmärkte und angesichts des Schirms, den wir aufgespannt haben, berechtigt ist. Dieses Vertrauen ist auch gerechtfertigt angesichts der Entscheidungen, die wir für den Arbeitsmarkt getroffen haben. Aber Vertrauen wird immer verspielt, wenn man nicht seriös handelt und wenn man von dem, was vorgeschlagen wurde, nicht überzeugt ist, dass es in der Zukunft hilft. Darum geht es. Ich habe schon etwas zu denjenigen gesagt, die Arbeitslosengeld erhalten, von den knapp unter 3 Millionen. Die anderen Arbeitslosen bekommen Arbeitslosengeld II. Darunter sind viele, die schon lange arbeitslos sind. Wir müssen uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass das Schicksal vieler Bürgerinnen und Bürger von uns bewegt werden kann, und zwar unabhängig davon, ob die Konjunktur gut oder schlecht läuft; denn ihre Schwierigkeiten haben oft mit Dingen zu tun, die auch jenseits der Konjunktur ein Problem darstellen. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass manche unsere Hilfe und Unterstützung brauchen. Ansonsten kann es passieren, dass auch in einer boomenden Konjunktur viele von ihnen keine Beschäftigung finden. Das ist die Aufgabe, die wir mit großem Mut und großer Klarheit angehen müssen.
Darum spielt für das, was wir tun, Qualifizierung eine so große Rolle. 500 000 Arbeitslose haben keinen Schulabschluss; fast alle davon sind Langzeitarbeitslose. Darum ist es richtig, dass wir bei der Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente sagen: Es muss ein lebenslanges Recht geben, diesen Schulabschluss nachzuholen, um die eigene Zukunft besser meistern zu können.
Darum ist es richtig, dass wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass von den Langzeitarbeitslosen die Hälfte keinen Berufsabschluss hat. Wenn wir deren Schicksal wenden wollen, müssen wir dafür Sorge tragen, dass jeder und jede in diesem Lande die Chance auf eine Berufsausbildung hat. Das ist das Entscheidende für die Zukunft unseres Landes. Ich will ausdrücklich sagen: Die wichtigste Ausbildung in Deutschland ist die Lehre, die Berufsausbildung. Auch mit zukünftig mehr Akademikern werden 60 bis 70 Prozent eines Altersjahrgangs diese Ausbildung brauchen.
Es wird eine große Rolle spielen, wie wir qualifizieren. Das gilt nicht nur in Zeiten der Konjunkturkrise, sondern auch langfristig. Daher müssen wir für mehr Ausbildungsplätze sorgen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass auch diejenigen eine Chance bekommen, die nicht so gut sind. Meine feste Überzeugung ist, dass wir deutlich darüber sprechen müssen, wie diese Menschen eine Chance bekommen können. Wer mit 16 Jahren die Schule verlässt, hat fünf Jahrzehnte Arbeit vor sich. Die Frage, ob er in dieser Zeit immer wieder auf fremde Hilfe angewiesen sein wird oder ob er von dem, was er selber tut, leben kann, entscheidet sich an dem, was wir an Bildungsmöglichkeiten und Bildungschancen eröffnen. Das ist unsere Aufgabe, die wir bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Blick haben müssen.
Wir müssen natürlich aus der Ausbildung auch mehr machen. Deshalb finde ich es gut, dass wir im Zusammenhang mit dem Bildungsgipfel die Zusage der Länder bekommen haben, mitzuhelfen, dass innerhalb eines Jahres überall in Deutschland nach einem einheitlichen Verfahren geregelt ist, dass Meister, Techniker und diejenigen, die eine Berufsausbildung gemacht haben und die ein paar Jahre gearbeitet haben, direkt zum Studieren an eine Universität gehen und dort ihre Talente entfalten können. Der Fachkräfte- und Ingenieursmangel kann eben auch behoben werden, indem wir die Potenziale unserer Berufsschulen und derjenigen, die dort etwas lernen, besser nutzen.
Ich glaube, das sind die wichtigsten Dinge, die wir bewegen müssen. Alles, was wir sonst noch getan haben, haben wir unter Berücksichtigung dieser Punkte auf den Weg gebracht. Ich nenne beispielsweise das Fachkräftekonzept für Spitzenkräfte. Dabei geht es um diejenigen, die einen Hochschulabschluss haben. Wir werden den Arbeitsmarkt in Deutschland ab dem nächsten Jahr öffnen, sodass es einen Ingenieursmangel nicht mehr geben muss. Denn die Unternehmen haben dann die Möglichkeit, die Kräfte zu holen, die sie brauchen. Damit werden auch Arbeitsplätze für diejenigen geschaffen und gesichert, die als Gelernte, Angelernte und auch Umgelernte Arbeit haben wollen. Diese Arbeitsplätze hängen davon ab, dass das wissenschaftliche Qualifikationsniveau unserer Arbeitskräfte insgesamt so hoch ist, dass wir alle unsere Chancen nutzen können.
Man kann etwas tun. Das ist die entscheidende Botschaft, die in einer Demokratie die Politik aussenden muss. Es ist nicht die Stunde der Zyniker, die malerisch beschreiben, warum sowieso alles schiefgehen wird. Das kann von links und von rechts geschehen, um auf diese Weise Applaus zu bekommen. Aber die Demokratie lebt nicht davon, dass sie Wolkenkuckucksheime verspricht, sondern davon, dass sie ganz konkrete Vorschläge macht, wie das Schicksal der Bürgerinnen und Bürger verbessert werden kann. Wo ist das wichtiger als auf dem Arbeitsmarkt, wo wir mit besserer Vermittlung, besserer Qualifizierung und dem, was wir uns insgesamt vorgenommen haben, konkrete Handlungsmöglichkeiten haben? Natürlich bekommt das auch noch einen gewissen Drive - das ist eine gute Entwicklung, wenn wir sagen: Wer arbeitet, muss auch gut zurechtkommen. Deswegen freue ich mich, dass wir zum Beispiel heute wieder dabei sind, festzulegen, in welchen Branchen in Deutschland nun Mindestlöhne Einzug halten sollen. Ich bin mir sicher: Wenn wir unsere Gespräche beendet haben werden, wird sich die Zahl der Arbeitnehmer, die durch Mindestlöhne geschützt werden, noch einmal verdoppeln. Das ist eine gute Nachricht für Deutschland und für die vielen, die in unserem Land schwer arbeiten.
Wir müssen die Beschäftigungspotenziale derjenigen nutzen, die bisher vom Arbeitsmarkt oft ferngehalten werden. Deshalb kündige ich hier noch einmal an: Der Zugang zum Arbeitsmarkt für diejenigen, die in den Pflegeberufen tätig sein wollen, muss verbessert werden. Es kann nicht sein, dass wir so hohe Hürden aufgebaut haben, dass engagierte Absolventen der Hauptschulen kaum eine realistische Chance haben, in diesen Berufen tätig zu sein. Wir müssen ihnen dieses Feld öffnen und ihre Qualifikationsmöglichkeiten in der Berufsausbildung verbessern. Das werden wir tun.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluss allen, die mitgeholfen haben, diesen Haushaltsentwurf aufzustellen, und die ihn mitberaten haben, danken. Ganz besonders danke ich den Berichterstattern aus dem Haushaltsausschuss. Herausheben - das sei mir gestattet - möchte ich ausdrücklich Waltraud Lehn, die uns, leider zum letzten Mal, in bewährter Weise geholfen hat, einen Etat für Arbeit und Soziales auf die Beine zu stellen.
Wir sollten nicht unterschätzen, welchen Eindruck solides Parlamentshandeln in der Krise machen kann. Ich glaube, wir haben einen guten Eindruck gemacht. Gehen wir an die Arbeit.
Schönen Dank.