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01.11.2008

Haushaltsnahe Dienstleistungen ein Potenzial für genossenschaftliche Neugründungen?

Haushaltsnahe Dienstleistungen ein Potenzial für genossenschaftliche Neugründungen?

1. Beschäftigungschancen erschließen

 

Wie es gelingen kann, das Beschäftigungspotenzial haushaltsnaher Dienstleistungen besser zu heben, ist ein Dauerthema in der politischen Debatte. Neu ist allerdings die Verknüpfung dieser Frage mit dem Genossenschaftsgedanken vor dem folgenden Hintergrund: Durch Rationalisierungen sind in der Vergangenheit viele Einfacharbeitsplätze weggefallen oder mit der Globalisierung in Billiglohnländer verlagert worden. Und alle Experten sind sich einig: In Deutschland wird die Nachfrage nach geringqualifizierten Arbeitskräften insgesamt weiter abnehmen. Deshalb ist es eine große Herausforderung, Bedarfe für einfachere Tätigkeiten zu erschließen und Beschäftigung aus der Schwarzarbeit zu holen. Einen vielversprechenden Ansatz sehe ich dafür im Bereich haushaltsnaher Dienstleistungen, wie Haushalts- und Wäschereinigung, einfachere handwerkliche Arbeiten, Hilfe bei Behördenangelegenheiten, aber auch Betreuungsleistungen für Kinder, ältere oder pflegebedürftige Menschen kurz: Tätigkeiten, die normalerweise von den Mitgliedern eines privaten Haushalts selbst erledigt werden und die keine langen Ausbildungszeiten erfordern.  Die demografische Entwicklung, die steigende Lebenserwartung infolge des medizinischen Fortschritts und der Wandel der Familienstrukturen und Haushaltsmodelle sind nur einige der Faktoren, die zu einer steigenden Nachfrage nach haushalts- und personenbezogenen Dienstleistungen beitragen. Dieser Wirtschaftszweig gehört deshalb zu den wenigen, die sowohl in Bezug auf die Unternehmens-, als auch auf die Beschäftigungszahlen für die Zukunft positive Wachstumschancen versprechen. Gutachten gehen von mindestens 300.000 zusätzlichen Vollzeitstellen aus, wobei sich insbesondere Frauen und älteren Arbeitnehmern Chancen bieten. 

Gegenwärtig ist der legale Markt für haushaltsnahe Dienstleistungen jedoch noch kaum entwickelt.  Die Hoffnungen, dass in diesem Segment existenzsichernde Arbeitsplätze entstehen, haben sich trotz verschiedenster Förderprojekte in der Vergangenheit nicht erfüllt.  Die Gründe für dieses Marktversagen sind vielfältig: Eine zentrale Hemmschwelle für Haushalte, Dienstleistungen über Agenturen oder sonstige Dienstleistungsanbieter einzukaufen, ist schlicht der Preis. Dienstleistungsagenturen sind bedingt durch Mehrwertsteuer, Regiekosten, Fahrkosten, Geschäftsraummieten gegenüber illegaler und geringfügiger Beschäftigung nur bedingt wettbewerbsfähig. Haushalte, die Hilfe benötigen, die über den Umfang eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses hinausgeht, zögern deswegen oft, jemanden legal einzustellen. Dazu kommt gerade in der deutschen Gesellschaft mit ihrem ausgeprägten Arbeitsethos die Scheu, jemanden für sich arbeiten zu lassen, sprich der Inanspruchnahme des Dienstmädchens. Außerdem gestaltet es sich für Haushalte oft schwierig, geeignetes Personal zu finden. Informationen über das Angebot sind gering und zentrale Anlaufstellen fehlen.  Das zieht hohe Suchkosten nach sich. Ein weiteres Hemmnis ist oft die Unzufriedenheit der Haushalte mit der Qualität der angebotenen Dienstleistung, wie Studien bestätigen. 



2. Genossenschaft als innovative Organisationsform für Dienstleistungsanbieter

 

Unstrittig ist allerdings: Der Bedarf nach haushaltsnahen Dienstleistungen ist da. Die Herausforderung zur Schaffung neuer Arbeit liegt daher vor allem darin, Angebot und Nachfrage besser zusammenzubringen. Eine neue politische Idee ist es, diese Chance mit dem Genossenschaftsgedanken zu verknüpfen. In der Geschichte sind Genossenschaften oft als Kinder der Not entstanden. Mit ihrer Hilfe gelang Hilfe zur Selbsthilfe. Und vielfach sind sie nur auf Kostendeckungsbasis tätig . Sie können daher Dienstleistungen auch für Bevölkerungsgruppen erbringen, die sich diese sonst nicht leisten könnten. In dem Segment der haushaltsnahen Dienstleistungen sind dies vor allem ältere und behinderte Bürgerinnen und Bürger, Pflegehaushalte oder Haushalte mit Kindern. Gerade in Dienstleistungen für ältere Menschen liegt ein besonders großes Wachstumspotenzial. Werden Genossenschaften in diesem Segment tätig, kann darin auch ein besonderer Vorteil liegen: Genossenschaften können als juristische Personen auch ohne Gewinnerzielungsabsicht wirtschaften, sodass die Möglichkeit besteht, in bestimmten Fällen  das steuerliche Gemeinnützigkeitsprivileg mit weitreichenden Steuervergünstigungen, wie z.B. dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu erhalten. Die heute schon bestehende Umsatzsteuerbefreiung für Pflegeleistungen sollte für haushaltsnahe Dienst- und Betreuungsleistungen pragmatisch und behutsam weiterentwickelt werden. Dienstleistungen könnten dann kostengünstiger angeboten werden.

Da Privathaushalte meist nur für wenige Stunden wöchentlich eine Hilfe brauchen, muss, um einen Vollzeitarbeitsplatz zu schaffen, die Nachfrage mehrerer Haushalte zusammengefasst und organisiert werden. Dies kann zentral besser erledigt werden als durch einzelne Arbeitnehmer oder Haushalte, vor allem, wenn die Tätigkeit den Umfang einer geringfügigen Beschäftigung überschreitet.  Eventuell könnte auch der Scheu vor dem Dienstmädchen besser begegnet werden, wenn deutlich gemacht wird, dass die eingesetzten Arbeitnehmer an der Genossenschaft beteiligt sind. Wesentliche Merkmale genossenschaftlicher Selbsthilfe würden umgesetzt, wenn eigene Ressourcen wie Arbeitskraft und Organisationsgeschick genutzt werden, um Arbeitslosigkeit zu überwinden und die Versorgung mit haushaltsnahen oder familienunterstützenden Dienstleistungen an Bedürftige zu verbessern.

Auch das Gemeinwohl würde gefördert, wenn es zukünftig mithilfe solidarischer, dem Selbsthilfegedanken verpflichteter wirtschaftlicher Initiativen besser gelänge, legale Arbeitsplätze zu schaffen und damit zur Entlastung von Familien oder hilfsbedürftiger Menschen durch haushaltsnahe oder familienunterstützende Dienstleistungen beizutragen .

Auf den ersten Blick sprechen auch strukturelle Vorteile der Organisationsform eG dafür, das Arbeitsfeld der haushaltsnahen Dienstleistungen im Rahmen von genossenschaftlichen Unternehmen zu organisieren. Bereits die Europäische Kommission  hat mehrfach die Vorzüge der Genossenschaften für KMU hervorgehoben. Wettbewerbsvorteile werden für Geschäftsfelder gesehen, in denen durch "Vertrauensbildung, Mitspracherechte und flexible Spielregeln niedrigere Kosten erreicht werden können",  Kriterien, die auch bei der Erbringung personenbezogener Dienstleistungen bedeutsam sind. Strukturelle Vorteile sind: Eignung auch für eigenkapitalschwache Gründer durch fehlende Mindestkapitalvorschriften, Unabhängigkeit der Organisation vom Mitgliederwechsel, der ohne Zwang zu notarieller Beurkundung oder Registereintrag möglich ist, Trennung der Vermögenssphären und damit Haftungssicherheit, faire Mitbestimmungsmöglichkeiten, i.d.R. keine Nachschusspflicht oder Haftung, die genossenschaftliche Rückvergütungsmöglichkeit . Hinzu kommt besonders wichtig für Arbeitnehmergenossenschaften, die nicht im gemeinnützigen Umfeld tätig sind der fehlende Zwang zur Gewinnerzielung für Dritte und damit eine stärkere Erfolgsbeteiligung mit positiver Auswirkung auf die Motivation als wichtiges Element vor allem in der Anlaufphase und bestens geeignet, um den Anforderungen der Haushalte an eine hohe Qualität der Dienstleistungen besser gerecht zu werden. Auch der Zugang zu Fördermitteln ist für Vereinigungen in Form von Genossenschaften vielfältiger und unproblematischer, als wenn Privathaushalte direkt als Arbeitgeber agieren. Zwar gibt es, anders als etwa in Italien, hier in der Regel keine besondere Förderung für den arbeits- und produktivgenossenschaftlichen Sektor.  Grundsätzlich aber stehen Genossenschaften alle unternehmensbezogenen Fördermittel zur Verfügung. Aber auch für die personenbezogenen Zuschüsse der Arbeitsagenturen gilt: Sie sind nicht an die Wahl bestimmter Gesellschaftsformen gebunden. So richtet sich z.B. der Gründungszuschuss nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) an Arbeitnehmer, die eine hauptberuflich selbstständige Tätigkeit aufnehmen und dadurch die Arbeitslosigkeit beenden. Solange sich Arbeitslose als Personen selbstständig machen und als Selbstständige Mitglied der Genossenschaft werden, sind im Rahmen von Unternehmensgenossenschaften auch Gründungszuschüsse denkbar, die der Sicherung des Lebensunterhalts und der sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung dienen. Ähnliches gilt für die Gründungsförderung nach dem SGB II. Hinsichtlich Investitionen und Anschaffungen sowie der Beschaffung von Betriebsmitteln und der Abdeckung allgemeiner Kosten des Gründungsvorhabens (Anmeldungen, Genehmigungen, Kautionen, Eintrag ins Handelsregister oder Notarkosten) sind alle Gründer rechtsformunabhängig auf die allgemeine Wirtschaftsförderung von Gründungen angewiesen, die bundesseitig in der Regel in Form von Darlehen gewährt werden.  Der Genossenschaft als Arbeitgeber können Eingliederungszuschüsse nach § 218 SGB II für die Einstellung bestimmter Arbeitnehmer gewährt werden.

Folgende Initiativen sind daher erfolgversprechend, um das in haushaltsnahen Dienstleistungen liegende Beschäftigungspotenzial mit der für dieses Arbeitsfeld durchaus innovativen Organisationsform der eG zu erschließen: Zum einen wären dies Zusammenschlüsse der Privathaushalte zu Kunden- oder Konsumgenossenschaften.  Mitglieder und gleichzeitig Nutzer der Dienste der Genossenschaft wären darin die privaten Haushalte, indem sie von der Genossenschaft haushaltsnahe Dienstleistungen, Vermittlungsleistungen oder die Übernahme von Arbeitgeberpflichten einkaufen.  Angebot und Nachfrage könnten so in Einklang gebracht werden. Eine andere Möglichkeit und unter beschäftigungspolitischen Aspekten noch bedeutsamer stellen Produktiv- bzw. Arbeitnehmergenossenschaften dar.  Bei diesen sind die Beschäftigten Eigentümer des Unternehmens, die für sich selbst sichere und humane Arbeitsplätze mit angemessener Entlohnung im Rahmen der Selbsthilfe jenseits von Schwarzarbeit  schaffen könnten. Darüber hinaus besteht als dritte Möglichkeit das sogenannte Kooperationsmodell: Einzelne Personen machen sich als Dienstleister selbstständig und schließen sich in einer Unternehmergenossenschaft zusammen.  Dies ermöglicht einen gemeinsamen Marktauftritt. Viertens sollte darüber nachgedacht werden, ob genossenschaftliche Zusammenschlüsse von Arbeitnehmern nicht die Arbeitgeberverpflichtungen der Haushalte, die Arbeitnehmer für haushaltsnahe Dienstleistungen einstellen, befreiend für diese übernehmen könnten. Ein Entbürokratisierungsgewinn für die Arbeitgeber wäre mit zusätzlichen  sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer verbunden. Allerdings wäre das ein sozialversicherungs- und steuerrechtlich ambitioniertes Vorhaben.

 
3. Nachteile der Rechtsform eG

 

Bei all diesen Möglichkeiten erstaunt es, dass so zeigt ein Blick in die Statistik , Neugründungen in der Rechtsform der eG in der Bundesrepublik kaum eine Rolle spielen. Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2006 von allen rd. 738.000 Neugründungen von denen 217.000 aus der Arbeitslosigkeit heraus folgten nur 232 solche in der Rechtsform der eG.  Kleinere Kooperationsvorhaben, mit denen genossenschaftliche Zwecke verfolgt werden können, entscheiden sich trotz der vielen Vorzüge der eG fast immer für die Rechtsform der GmbH oder der GbR. Vereinigungen im Bereich sozialer Dienste wählen meist die Rechtsform des e.V..  Die Gründe für diese Flucht aus der Genossenschaft sind bereits breit diskutiert und wurzeln in den strukturellen und rechtlichen Schwächen der Rechtsform eG gegenüber der des e.V. oder der der GmbH. Zwar sind durch die im Jahr 2006 in Kraft getretene Reform des Genossenschaftsrechts mittlerweile bereits einige Barrieren abgebaut.  Insbesondere gilt dies für die Erleichterung bei der genossenschaftlichen Pflichtprüfung für kleinere Genossenschaften. Doch auch nach dieser Novellierung des Genossenschaftsrechts ist nach allem, was wir bisher wissen kein Gründungsboom bei den kleinen Genossenschaften eingetreten, da genossenschaftliche Zwecke auch im Rechtskleid von e.V., GmbH oder GbR verwirklicht werden können.   Und nach wie vor ist die eG für kleinere und kapitalschwächere Unternehmen kaum handhabbar und zu teuer. Die komplizierten Gründungsvorschriften sind geblieben, die aufwändige Gründungsprüfung kostet ebenfalls mehrere Tausend Euro.  Wie GmbH und Limited aber anders als der Verein ist die eG Kaufmann und deshalb nach handels- und steuerlichen Vorschriften zur Bilanzierung verpflichtet. Ohne Hilfe eines Steuerberaters sind Jahresabschluss und doppelte Buchführung in den wenigsten Fällen zu bewältigen. Dies zieht jährliche Folgekosten für die Durchführung des Jahresabschlusses nach sich. Nicht zu vernachlässigen sind auch die Kosten für die Pflichtmitgliedschaft in der IHK, der die eG als Formkaufmann unterliegt. Auch dadurch entstehen Mehrkosten, die kleinere wirtschaftliche Initiativen und Selbsthilfeprojekte oft nicht aufbringen können.  Hinzu kommt die teure und bürokratische, mindestens zweijährliche Pflichtprüfung der eG durch die Prüfungsverbände, deren Existenz letztlich auch von den Genossenschaften finanziert werden muss. Auch nach der Novellierung von 2006 blieben die Prüfauflagen vergleichsweise hoch. Kleine Genossenschaften unterliegen zwar nicht mehr einer verpflichtenden Jahresabschlussprüfung im Sinne des HGBs, aber nach wie vor der allerdings weniger aufwändigen Prüfung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse im Sinne des Genossenschaftsrechts. Für die laufenden Prüfungen und Beiträge nach der Gründung fallen auch nach der Reform Kosten an. Ein Hemmnis bleibt auch die vorgegebene Organstruktur. Die mit dem Verzicht auf das Pflichtorgan des Aufsichtsrates gewollte Erleichterung für kleine Genossenschaften beseitigt nicht alle damit verbundenen organisatorischen Schwierigkeiten.

Somit besteht für den Aufbau und Erhalt der genossenschaftlichen Strukturen in der eG nach wie vor ein erheblicher Finanzierungsbedarf, der letztlich im Unternehmen erwirtschaftet werden muss.

 
4. Gesamtschau und Weiterentwicklung

 

Trotz alledem bietet der Genossenschaftsgedanke im Arbeitsfeld der haushaltsnahen Dienstleistungen das Potenzial für zukunftsfähige Geschäftsmodelle und legale, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze. So sind gerade in der jüngsten Vergangenheit eine ganze Reihe von Initiativen in der Rechtsform der eG entstanden . Erst vor Kurzem wurden durch das von der Bundesregierung initiierte Modellprojekt Unternehmen Familie von der Robert-Bosch-Stiftung besonders innovative erfolgversprechende Unternehmensmodelle prämiert. Unter den Gewinnern ist ein Projekt, mithilfe dessen Familien eine Genossenschaft gegründet haben, über die sie sich Arbeitskräfte für familienunterstützende Dienstleistungen teilen . Damit kann eine Schneise geschlagen werden, um in der Form der eG speziell haushaltsnahe Dienste für breite Bevölkerungsschichten oder auch spezielle Zielgruppen anzubieten. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir den Genossenschaftsgedanken im Zusammenhang mit haushaltsnahen Dienstleistungen zu beiderseitigem Nutzen zukünftig besser und gezielter verbreiten. Das ist lohnend, zum einen um Beschäftigungspotenziale zu erschließen und damit zugunsten der Sozialversicherungen und der Steuersysteme illegale Beschäftigung unattraktiver zu machen. Aber auch in anderer Hinsicht hätte das gesamtgesellschaftlichen Nutzen und würde speziell denjenigen helfen, die auf die Dienstleistungen angewiesen sind.

 

Die Bundesregierung hat beschlossen, Haushaltsnahe Dienstleistungen und den Dienst Mensch am Mensch auszubauen. Die Vorteile, die Genossenschaften heute schon bieten, müssen bekannter und genutzt werden.

 

 

Beitrag erschienen in: Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband (Hrsg.), Genossenschaftsrecht und Wirtschaftsrecht zwischen Tradition und Fortschritt, Festschrift für Hans-Jürgen Schaffland, 2008 (DGRV Schriftenreihe, Sonderband).