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07.06.2012

Ich mache Politik, damit die Welt besser wird


Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz fordert vor dem SPD-Landesparteitag mehr Optimismus in der Politik und verteidigt die Kürzungen im Sozialbereich. 
Was für ein Auftakt für die diesjährigen Sommer-Terrassengespräche der "Welt Online": Am Morgen hat sich die Sonne noch durch die Wolken gekämpft, dann wird die Wolkendecke dichter. Fünf Minuten, bevor Bürgermeister Olaf Scholz eintrifft, setzt Nieselregen ein. Ein schnelles Foto unter dem "Welt"-Schirm, dann setzen wir das Gespräch in den Redaktionsräumen fort. Der Sozialdemokrat ist dennoch gut aufgelegt.
Vor dem Parteitag der Hamburger SPD am Sonnabend, auf dem sich der 53-Jährige als Landesvorsitzender wiederwählen lassen will, spricht er im Interview über die Sozialpolitik seines Senats und den Widerstand dagegen, über Optimismus als Lebensgefühl und als sein Politikstil. Das Interview führten Jörn Lauterbach und Insa Gall.
 
Welt Online: Wie beeinflusst das Wetter, wie verändert der Sommer Ihr Lebensgefühl?
Olaf Scholz: Ich finde den Sommer toll. Es bleibt länger hell, das Licht verändert die Stadt, man kann sich freier bewegen. Auch Joggen ist im Sommer besonders schön. Ich genieße es, draußen zu sein.
 
Welt Online: Sind Sie generell ein optimistischer Mensch?
Scholz: Ja, das kann man sagen. Ich denke positiv.
 
Welt Online: Was bedeutet dies für Ihren Politikstil?
Scholz: Ich bedaure es, dass die Sicht auf die Welt seit den 80er-Jahren immer verdrießlicher geworden ist. In den 60er- und 70er-Jahren hatten wir das Gefühl, in der Welt gebe es viele Probleme. Aber wir hatten auch die Hoffnung, dass man Verbesserungen erreichen kann, wenn man das Richtige tut. Heute werden schwierige Zustände schon fast als schicksalhaft wahrgenommen.
Das ist aber nicht angemessen, und es widerspricht meinem eigenen Lebensgefühl und meinem politischen Denken. Es mag pathetisch klingen: Aber ich mache Politik, damit die Welt besser wird. Deshalb wünsche ich mir den Optimismus zurück, der auch die Politik einmal geprägt hat. Das würde nicht zuletzt die Zustimmung der Bürger zur Politik erhöhen. Es geht nicht nur darum, die Welt zu beklagen.
 
Welt Online: Auch Hamburg sollte also mit mehr Zuversicht in die Zukunft schauen?
Scholz: Ich habe Hamburg immer als optimistische Stadt wahrgenommen. Als wachsende Metropole hat sie auch allen Grund zu Optimismus. Schließlich stehen ihr die größten Möglichkeiten offen. Das bedeutet nicht wegzuschauen, wenn es Probleme gibt. Aber wir können mit dem, was wir tun, dazu beitragen, dass Schlechtes besser wird. Das ist mein Verständnis von Politik, das hält mich so lange in ihr, und das ermöglicht mir lange Arbeitstage.
 
Welt Online: Dieses Gefühl teilen nicht alle in der Stadt.
Scholz: Ich wünsche mir eine Aufbruchsstimmung. Dazu hat mich auch das Leben und Wirken des schwedischen Politikers Olof Palme inspiriert, dessen Biografie ich gerade gelesen habe. Er hat sein Land mit seinem Verständnis von Demokratie und von wirtschaftlicher Vernunft geprägt, aber auch mit der optimistischen Vorstellung, dass Regierung und Parlament dazu beitragen können, dass sich die Lebensverhältnisse der Bürger eines Landes verbessern. Diese Vorstellung brauchen wir wieder stärker.
 
Welt Online: Viele Zuwandererfamilien kommen mit positiven Erwartungen nach Hamburg. Dann aber wird ihnen gesagt: Euch geht es hier schlecht.
Scholz: Die meisten von ihnen versprechen sich in der Tat in unserer Stadt ein besseres Leben, und sie sind bereit, dafür auch etwas zu tun. Diesen Elan und die Dynamik, die damit auch für Hamburg verbunden sind, dürfen wir nicht brechen. Dazu soll unser Angebot an länger in Deutschland lebende Migranten beitragen, sich einbürgern zu lassen. Für viele ist dies ein wichtiger, abschließender Schritt.
Mich hat das Buch von Doug Saunders, "Arrival City", bestärkt. Es beschreibt am Beispiel Berlins und Deutschlands ein Versäumnis der deutschen Integrationspolitik: Deutschland hat diesen entscheidenden Schritt nicht von Anfang an in die Perspektive einer Ankunft mit hineingebaut. Das hat Kraft gekostet und engagierten Leuten Möglichkeiten verbaut, hier wirklich heimisch zu werden. Da steuern wir jetzt gegen. Und deshalb ist unsere Einbürgerungsinitiative so beispielgebend.
 
Welt Online: Der von Ihnen propagierte Optimismus kann natürlich auch so interpretiert werden, dass ein Regierungschef jede Kritik als Miesepeterei abtut.
Scholz: Kritik ist ein Teil der Demokratie. Dass nicht alle immer einverstanden sind, finde ich selbstverständlich und wenig aufregend. Es ist sogar für die Willensbildung im Senat, der Verwaltung und den Führungsgremien von größter Bedeutung, dass wir offen miteinander diskutieren. Sonst geht eine realistische Problemsicht verloren, und es kommt zu Fehlentscheidungen, weil alle einem nach dem Mund reden. Niemand sollte so größenwahnsinnig sein zu glauben, dass nur er allein weiß, was richtig ist.
 
Welt Online: Haben Sie das Buch "Mutproben" von Ole von Beust gelesen?
Scholz: Herr von Beust hat mir noch kein Buch mit Widmung überlassen anders als Ex-Senator Peiner…
 
Welt Online: Ole von Beust schreibt darin, er habe sich nie als Fachpolitiker, sondern in einer übergeordneten Führungsverantwortung gesehen. Eine gute Personalwahl verbunden mit möglichst großer Ressortfreiheit sei deshalb besser als dauernde eigene Kontrolle. Wie stehen Sie dazu?
Scholz: Natürlich muss man als Bürgermeister bestens mit den Themen vertraut sein, mit denen sich eine Regierung beschäftigt. Aber obwohl Herr von Beust und ich bestimmt komplett andere Arbeitsstile haben, kann ich seiner Feststellung voll zustimmen.
Meine Senatoren und auch die Staatsräte sind sehr gute Leute, die einen wichtigen Beitrag zum Erfolg der Regierung leisten. Zur Zusammenarbeit gehört, dass sie mit dem Bürgermeister alle Fragen besprechen können, wobei ich mich verantwortlich fühle für das, was wir den Bürgern versprochen haben. Raushalten tue ich mich nicht.
 
Welt Online: Als Sie 2009 den SPD-Landesvorsitz übernahmen, haben Sie die Losung ausgegeben: Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch. Gibt es vor dem anstehenden Parteitag eine neue Losung oder gilt die alte fortwährend für alle Zeiten?
Scholz: In der Demokratie reden viele mit. Das ist gut und richtig, weil das zu Qualität in den Entscheidungen führt. Aber Demokratie ist nicht der Verzicht auf Führung. Diejenigen, die eine Führungsaufgabe bekommen, dürfen sich vor dieser nicht drücken. Das habe ich mit diesem Satz ausgedrückt. Und daran halte ich mich auch.
 
Welt Online: Sie selbst stehen auf dem Parteitag zur Wiederwahl, an der niemand zweifeln dürfte. Aber viele werden darauf schauen, ob Sie nach gut einem Jahr als Bürgermeister beispielsweise wegen der Einschnitte im Sozialen ein ebenso gutes Ergebnis bekommen wie beim vorigen Mal.
Scholz: Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht und werde es auch nicht tun.
 
Welt Online: Wie nehmen Sie denn die Diskussion über die ersten konkreten Kürzungspläne im Sozialen wahr?
Scholz: Wir konsolidieren den Haushalt. Das haben wir den Hamburgerinnen und Hamburgern vor der Wahl versprochen, und daran halten wir uns. Wir haben auch gesagt, wie wir dies tun werden: durch eine Begrenzung des Ausgabenwachstums auf ein Prozent.
Dementsprechend bauen wir vieles aus, schaffen mehr Wohnungen, erweitern den öffentlichen Nahverkehr, bauen U-Bahnhöfe behindertengerecht um und geben dramatisch viel mehr Geld für Kinder und Jugendliche aus durch den Kita-Ausbau, das ganztägige Betreuungsangebot, kleinere Klassen und die Abschaffung der Studiengebühren. Weil dies alles gleichzeitig geschieht, geht es voran zugleich wird es an einigen Stellen enger. Dieser Zusammenhang ist den Bürgerinnen und Bürgern mehrheitlich klar.
 
Welt Online: Dennoch werden sich nun aber alle, die von diesen Kürzungen schmerzhaft betroffen sind, zu Wort melden. Ist Ihre Parole für die SPD-Abgeordneten: Standhaft bleiben?
Scholz: Na ja Sie und Ihre Journalistenkollegen haben mir vor Monaten prophezeit, dass es Proteste und Diskussionen im Zusammenhang mit der Haushaltskonsolidierung geben wird. Ihre Vorhersagen habe ich nie bezweifelt. Viele Fragen werden mit Recht gestellt.
Wenn Mitarbeiter einer sozialen Einrichtung gute Arbeit leisten und diese fortsetzen möchten, kann ich ihnen nicht übel nehmen, dass sie dies lautstark zum Ausdruck bringen. Trotzdem drücke ich mich nicht vor der Verantwortung, die die Wähler mir und meinem Senat übertragen haben: einerseits mit dem Geld ordentlich umzugehen und andererseits neue Dinge auf den Weg zu bringen. Ich stelle mir die Debatte ungemütlich vor, glaube aber, dass da ein großer gemeinschaftlicher Lernprozess stattfindet.
 
Welt Online: Was gibt es da zu lernen?
Scholz: Das Denken im großen Zusammenhang. Die Schuldenbremse führt dazu, dass die Dinge zusammenpassen müssen. Wir haben eine Gesamtverantwortung, bei der wir nicht alles, was im Einzelnen richtig wäre, gleichzeitig bewältigen können. Ich wünsche mir, dass die Bereitschaft wächst, das Ganze zu bedenken.
 
Welt Online:  Auch in der SPD-Fraktion?
Scholz: In allen politischen Parteien, in der Bürgerschaft, den Redaktionen und bei den Wissenschaftlern, die ihre Meinung zum Besten geben, sollte wieder etwas Platz greifen, das man früher eine Haltung genannt hätte. Eine Grundüberzeugung, die sich nicht durch jeden Protest erschüttern lässt.
Man kann nicht einerseits beklagen, dass die Haushaltskonsolidierung nicht ernst genommen wird und andererseits fast im gleichen Atemzug erklären, die einzelnen Konsolidierungsmaßnahmen seien nicht zulässig. Man braucht eine Haltung, damit man vermeintlich Widersprüchliches zusammenführen kann. Das Entwickeln einer solchen Haltung ist ein Prozess, der gerade in unserer Gesellschaft stattfindet.
 
Welt Online: Aber geraten nicht dennoch viele der SPD-Abgeordneten in ihren Wahlkreisen unter Druck, weil sich vor Ort Ärger über die Schließung von Spielhäusern und Jugendklubs regt?
Scholz: Nein, die Bürger sind viel vernünftiger als viele in Politik, Journalismus und Wissenschaft dies unterstellen. Sie wissen, dass wir uns nicht alles leisten können. Sie wollen, dass wir uns jede Maßnahme genau überlegen. Aber auch sie wollen eben auch eine zusammenhängende Position, eine durchdachte Strategie.
 
Welt Online: Werden Sie die SPD auf dem Parteitag in Ihrer Rede auf diese Haltung einschwören, weil es der Basis doch noch einmal erklärt werden muss?
Scholz: Wir werden das noch öfter erklären müssen. Auch der Bürgermeister, der Senat und die Bürgerschaftsfraktion würden gern mehr machen können. Aber niemand würde uns ernst nehmen, wenn wir uns nicht auf unsere realen Möglichkeiten beschränkten.
Ich bin optimistisch, dass alle wissen, dass es zwar nicht leicht ist, aber doch nach vorn geht. Wenn wir bis 2020 nur Stück für Stück konsolidieren würden, ohne etwas Neues anzuschieben, dann würde das in der Stadt zu ziemlichem Verdruss führen und den Zukunftsoptimismus ersticken, über den wir eingangs sprachen. Das werde ich auch auf dem Parteitag noch einmal darlegen.
 
Welt Online: Es gibt in Hamburg eine Diskussion über die Dauer der Legislaturperiode. Würden Sie gern das nächste Mal für fünf Jahre zur Wahl antreten?
Scholz: Das ist vorwiegend eine Frage des Parlaments, deshalb will ich mich da zurückhalten. Als Bürger war ich nie für längere Wahlperioden, weil ich gern häufiger wähle.