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04.05.2013

Internationale Gedenkveranstaltung

 

 

Sehr geehrter Herr Dr. Garbe,

sehr geehrte Überlebende des KZ Neuengamme,

sehr geehrter Herr Vizepräsident Malbecq,

sehr geehrte Frau Fried,

sehr geehrter Herr Magaard,

sehr geehrte Frau Vizepräsidentin

   der Hamburgischen Bürgerschaft,

sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter

   des Konsularischen Korps,

meine Damen und Herren,

 

es ist eine große Ehre für mich, als Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg vor Ihnen sprechen zu dürfen, die Sie das KZ Neuengamme und seine Außenlager überlebt haben. Ich danke Ihnen sehr dafür, dass Sie die Reise nach Hamburg und die damit verbundenen Mühen immer wieder auf sich nehmen.

 

In den vergangenen Tagen haben Sie einmal mehr Ihre Stimme im Kampf gegen das Vergessen erhoben. Sie haben öffentliche Zeitzeugen-gespräche geführt, sich mit Jugendlichen unterhalten, sich immer neuen Fragen und natürlich den eigenen Erinnerungen -  gestellt. Das ist hilfreich, denn längst hat sich herausgestellt: Gerade für Jüngere sind persönliche Treffen mit Ihnen immer noch der eindrucksvollste Weg, sich mit der Geschichte des nationalsozialistischen Terrors auseinanderzusetzen.

 

Von vielen ehemaligen Häftlingen des KZ und seiner Außenlager hat die Amicale Internationale   der Zusammenschluss der Überlebenden des KZ Neuengamme und haben wir, die Stadt Hamburg, in den vergangenen Jahren Abschied nehmen müssen.

 

Im Oktober 2010 ist Dr. Emil Lakatos, der im ungarischen Verband der Amicale Internationale gegen das Vergessen kämpfte, im Alter von 90 Jahren gestorben.

 

Ernst Nielsen, Präsident des dänischen Überlebendenverbandes, starb im Frühjahr 2012 im Alter von 88 Jahren.

 

Ich erinnere auch an Fritz Bringmann, der im März 2011 im Alter von 93 Jahren gestorben ist. Er hat durch Jahrzehnte gegen das Vergessen gekämpft und war einer derjenigen, ohne die es die KZ-Gedenkstätte Neuengamme in ihrer heutigen Form nicht geben würde. Gemeinsam mit seinen ehemaligen französischen Kameraden 

Jean Le Bris, dessen Leben im Frühjahr 2012 mit 87 Jahren geendet hat, und Robert Pinçon, der im Alter von 90 Jahren am 27. Oktober 2012 starb, arbeitete Fritz Bringmann in den frühen 1990er Jahren in der Kommission zur Neugestaltung der Gedenkstätte mit, die der Senat seinerzeit berufen hatte. Alle drei waren außerdem unermüdliche Berater des Teams, das die neue Dauerausstellung 2005 entwickelt hat.

 

Ich weiß von meinen Vorgängern im Amt, Henning Voscherau und Ole von Beust, dass sie gute Erinnerungen an die durchaus kontroversen, immer von gegenseitigem Respekt geprägten Treffen mit den Vertretern der Amicale Internationale haben. Henning Voscherau war Fritz Bringmann und Robert Pinçon bis zu ihrem Tode freundschaftlich verbunden.

 

Alle Angehörigen der Amicale, die ich beispielhaft genannt habe, waren unentbehrlich nicht nur für die Arbeit der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, sondern bereits für ihre Entstehung.

 

Wir erinnern uns an schwierige und, wie es manchmal schien, schwer überbrückbare Diskussionen früherer Jahre über die Nutzung des ehemaligen KZ-Geländes, sowie alter und neuer Bauten auf dem Gelände, als Gefängnis.

 

Auch nachdem 1989 der Hamburger Senat grundsätzlich entschieden hatte, die Justizvollzugsanstalt Vierlande vom Gelände zu verlegen und die KZ-Gedenkstätte Neuengamme neu zu gestalten, sollte es noch sehr lange dauern, bis das Vorhaben realisiert war.

 

Fritz Bringmann, Robert Pinçon und Jean Le Bris haben auch mit ihrem unerwarteten Besuch im Hamburger Rathaus im Herbst 2001 zu einer richtigen Entwicklung beigetragen. Sie erreichten die Zusage, dass in Neuengamme nichts ohne ihre Zustimmung geschehen werde. Und so war es dann: Am Ende ist der einstimmige Beschluss der Hamburgischen Bürgerschaft vom Sommer desselben Jahres, die Strafanstalt Vierlande vom Gelände des ehemaligen KZ Neuengamme weg zu verlegen, in die Tat umgesetzt worden zuvor war dies eine zeitlang wieder in Frage gestellt.

 

Für viele Überlebende des KZ Neuengamme kam die feierliche Neu-Eröffnung der Gedenkstätte im Mai 2005 dennoch zu spät. Einer von ihnen war der langjährige Vorsitzende der deutschen Lagergemeinschaft, Herbert Schemmel, der Anfang 2003 im Alter von knapp 89 Jahren starb. Er hatte sich bis zu seinem Tod gemeinsam mit seinen ehemaligen Kameraden aus dem In- und Ausland für eine würdige Gedenkstätte eingesetzt. Zumindest hatte er noch erleben dürfen, dass die Neugestaltung konkrete Formen annahm. Bei der Einweihung konnte er nicht mehr dabei sein. 

 

Meine Damen und Herren,

heute, 68 Jahre nach Kriegsende, 68 Jahre nach der Befreiung des KZ Neuengamme sind noch längst nicht alle Fragen beantwortet. Auch nicht die Fragen, die im Zusammenhang mit der so genannten Machtergreifung 1933 stehen. Die liegt achtzig Jahre zurück und etliche Veranstaltungen haben dieser Tage zum Beispiel an die Besetzung und Zerschlagung der Gewerkschaften erinnert, hier in Hamburg und auch in Berlin, wo ich selbst vorgestern an einer solchen Gedenkfeier teilnehmen konnte. 

 

Ich selbst bin 1958 geboren und habe eine sehr klare Meinung zu der Frage, ob die Erinnerungs-kultur wie sie manchmal mit kritischem Unterton genannt wird sich inzwischen überlebt habe. Das ist nicht der Fall. Nicht nur, weil das Erinnern die Voraussetzung dafür ist, dass wir aufmerksam und wachsam bleiben gegenüber Revisions- und Vertuschungsversuchen. An diese Pflicht werden wir ohnehin beklemmend oft erinnert: durch Aufmärsche und Gewalttaten alter und neuer Fremdenfeinde, Rassisten, Antisemiten, die es in ganz Europa gibt, auch in Deutschland, und deren Weltbild in unterschiedlicher Weise an die finsteren Jahre von 1933 und danach anknüpft. Der demnächst beginnende NSU-Prozess wird das aus dem Dunklen ans Licht bringen.

 

Aber hilfreich und unverzichtbar ist das Erinnern auch dann, wenn es sozusagen um eigene Versäumnisse der demokratischen Parteien, Verfassungsorgane und Behörden in der Weimarer Zeit geht. Von der ersten deutschen Republik heißt es oft, sie sei eine Demokratie ohne Demokraten gewesen. Das ist übertrieben, denn es gab viele überzeugte Demokraten, aber eine echte Mehrheit hatten sie nicht. Zu tief war die Neigung verwurzelt, Sündenböcke für die eigene Misere zu benennen und das Heil im wahrsten Sinne in autoritären antidemokratischen Lösungen zu suchen.

 

Meine Damen und Herren,

auch deshalb steht für mich fest: Integration statt Ausgrenzung, das ist unsere heutige Aufgabe, und zwar im weitesten Sinne: Mitnehmen aller, die aus unterschiedlichen Gründen am Rand der Gesellschaft stehen, Nutzen Ihrer Fähigkeiten, indem man sie einbezieht, ihnen Bildungs- und Ausbildungschancen eröffnet, so dass ihnen ein selbstbestimmte Berufsleben offen steht. Indem man sie zur Teilhabe, zum Mitmachen auffordert und dies auch für alle möglich und attraktiv macht. Das ist für mich der Weg zu verhindern, dass es jemals wieder zu der Spaltung und Segmentierung der Gesellschaft kommt, die vor achtzig Jahren ein Nährboden der kommenden Katastrophe war.

 

Am heutigen Ort fragen wir uns: Wie wird das Erinnern weitergehen, ohne diejenigen, die noch selbst Zeugnis ablegen können? Schaffen wir es, das Versprechen, dass Sie, die Überlebenden, uns seit Jahren mit Recht abverlangen, zu halten? Dass nichts und niemand vergessen wird?

 

Ich denke, dass die Gedenkstätten so wie diese hier auf einem guten Weg sind. Sie arbeiten mit den Aufzeichnungen der Erinnerungen Überlebender, und mit Biographien von Häftlingen. Sie stellen auf diese Weise diejenigen konkreten Personen in den Vordergrund der pädagogischen Arbeit, die in den Lagern gelitten haben. Das erleichtert Schülerinnen und Schülern die Vorstellung. Die Berichte der Überlebenden haben in die Forschung ebenso Eingang gefunden wie in den Schulunterricht.

 

Heute ist die Zahl von Veranstaltungen und Projekten in Hamburg, die sich der Beschäftigung mit der Geschichte des Nationalsozialismus stellen und deren weit verbreiteter Verdrängung in den Nachkriegsjahrzehnten sehr groß. Das von Bürgerschaft und Senat initiierte  Programm Hamburg erinnert sich - Gedenkjahr 2013 zeigt Ausstellungen, Film- und Theaterprojekte, Stadterkundungen und vieles mehr.

 

Ich danke allen beteiligten Institutionen für dieses wichtige Engagement: der Landeszentrale für politische Bildung, der Forschungsstelle für Zeitgeschichte, dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden, den Museen, Kulturinstitutionen, den Geschichtswerkstätten und der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Senat und Bürgerschaft haben jüngst beschlossen, das Gedenkstättenkonzept fortzuschreiben, dabei neue Medien stärker einzubeziehen. Sie haben auch beschlossen, einen Gedenkort einzurichten, der an Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz erinnern wird, die sich dem Naziregime und der weiteren Kriegführung verweigert haben.

 

Heute rückt die zweite und dritte Generation mehr und mehr in den Blick. Kinder und Enkel ehemaliger KZ-Häftlinge berichten über ihre Eltern und über das, was diese ihnen erzählt haben. Und sie sprechen über die Konsequenzen der Hafterfahrungen ihrer Eltern für ihr eigenes Leben. Wir wissen heute, dass Traumata, wie sie das Grauen und die Demütigungen der KZ-Haft darstellen, innerhalb der Familien weitergegeben werden.

 

Die Frage, wie die Erinnerung zukünftig lebendig gehalten werden kann, bestimmte auch die Veranstaltungen beim Forum Erinnern des Kirchentags gestern hier in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Solange der Dialog mit den Überlebenden noch geführt werden kann, muss dazu jede Gelegenheit genutzt werden. Und es ist gut, dass im Rahmen des diesjährigen Kirchentags Viele diese Möglichkeit ergreifen konnten.

 

Meine Damen und  Herren,

ohne Sie, ohne die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, wäre es und wird es schwieriger, das, was in Neuengamme und anderen Konzentrationslagern Menschen angetan wurde, zu vermitteln. Doch Sie selbst, und die Vertreterinnen und Vertreter der internationalen Überlebendenverbände der Konzentrationslager Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald, Dachau, Flossenbürg, Mittelbau-Dora, Neuengamme, Ravensbrück und Sachsenhausen, haben 2009 mit einem internationalen Vermächtnis den Weg vorgegeben. Ich möchte daraus zitieren:

Unsere Reihen lichten sich. In allen Instanzen unserer Verbände, auf nationaler wie internationaler Ebene, treten Menschen an unsere Seite, um die Erinnerung aufzunehmen: Sie geben uns Vertrauen in die Zukunft, sie setzen unsere Arbeit fort. Der Dialog, der mit uns begonnen wurde, muss mit ihnen fortgeführt werden. Für diese Arbeit benötigen sie die Unterstützung von Staat und Gesellschaft. Die letzten Augenzeugen wenden sich an Deutschland, an alle europäischen Staaten und die internationale Gemeinschaft, die menschliche Gabe der Erinnerung und des Gedenkens auch in der Zukunft zu bewahren und zu würdigen. Wir bitten die jungen Menschen, unseren Kampf gegen die Nazi-Ideologie und für eine gerechte, friedliche und tolerante Welt fortzuführen, eine Welt, in der Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus keinen Platz haben sollen. Dies sei unser Vermächtnis.

Meine Damen und Herren,

dieser Mahnung der Überlebenden der Konzentrationslager fühlen wir uns verpflichtet. Die Freie und Hansestadt Hamburg wird sich mit aller Kraft gegen Antisemitismus, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus einsetzen. Wir werden der Erinnerung und dem Gedenken weiterhin einen wichtigen Platz in unserer Stadt einräumen. 

 

Ich danke Ihnen.

 
 
Es gilt das gesprochene Wort.