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29.04.2006

INTERVIEW in der Welt am 29. April 2006

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Olaf Scholz über Gesundheitsreform, "Reichensteuer" und Integration


von Martin Lutz

DIE WELT: Die Koalitionsspitzen treffen sich am 1. Mai zum Arbeitsgespräch. Stimmt der Eindruck aus Ihrer Partei noch, daß die Roten im Maschinenraum schuften, während die Schwarzen sich auf dem Sonnendeck räkeln?

Olaf Scholz: Die SPD fühlt sich traditionell wohl im Maschinenraum. Wir haben aber im letzen Jahrhundert erreicht, daß wir ab und zu an die Sonne dürfen. Auch auf dem jetzigen Regierungsschiff ist das so.

WELT: Die Koalition hat bisher kein großes Reformvorhaben abgehakt. Kommt es am Montag endlich zu einer Einigung über die Gesundheitsreform?

Scholz: Wir haben schon manches bewegt. Ergebnisse in Sachen Gesundheitswesen wird es in etwa einem Monat geben. Eins ist klar: Die große Koalition muß mit der Gesundheitsreform ihr Meisterstück abliefern.

WELT: Wird die Koalition die Bürger vor allem erneut zur Kasse bitten oder plant sie wirklich Strukturveränderungen?

Scholz: Die Koalition muß eine grundlegende Gesundheitsreform zustande bringen. Dafür können wir an eine Tradition anknüpfen: Die Sozialversicherungen sind historisch aus dem Konflikt zwischen Bismark und den Sozialdemokraten entstanden. Nun müssen wir die Sozialversicherungen erneut langfristig durch einen Kompromiß zwischen den Konservativen und uns für die Zukunft stabilisieren. Diese Reform muß länger halten als nur bis zum nächsten Wahltermin. Das wollen auch die Bürgerinnen und Bürger. Das Nervenkostüm der meisten hält es nicht aus, wenn sie sich bei Rente und Gesundheit alle vier Jahre vor einem Regierungswechsel fürchten müssen.

WELT: Nach dem Vorschlag von Unions-Fraktionschef Volker Kauder sollen die Krankenkassen Zusatzprämien eintreiben, falls sie mit dem Geld aus dem geplanten Gesundheitsfonds nicht auskommen. Eine Kopfpauschale durch die Hintertür?

Scholz: Die SPD hat sich im Wahlkampf klar gegen eine Kopfpauschale ausgesprochen. Ich sehe nicht, daß es bei den anstehenden Gesprächen dazu kommt.

WELT: Welches Kompromißmodell kann sich die SPD vorstellen?

Scholz: Für uns geht es um vier Kriterien: Die Finanzierung muss solidarisch erfolgen. Das dass nur so geht hat unser Koaltionspartner spätestens im Wahlkampf gelernt.

Wir müssen Verschwendung begrenzen und gleichzeitig dem expandierenden Markt der Gesundheitswirtschaft genügend Geld zur Verfügung stellen. Die Reform darf auf den Arbeitsmarkt keine negativen Auswirkungen haben.

WELT: Derzeit gibt es 250 Krankenkassen. Ist das noch zeitgemäß? Wie sieht die Zukunft der privaten Krankenversicherungen aus?

Scholz: Die hohe Anzahl der Kassen wird sicher abnehmen. Dafür spricht die wirtschaftliche Vernunft. Die SPD hat sich schon im Wahlkampf darauf festgelegt, die privaten Kassen nicht in Frage zu stellen. Dabei bleibt es. Und unser Koalitionspartner sieht das nicht so überraschend - genauso wie wir.

WELT: Neben der Gesundheit gibt es eine zweite Koalitions-Baustelle: Wird die Reichensteuer wegen verfassungsrechtlicher Bedenken gecancelt?

Scholz: Der Steuerbalkon ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Darum bin ich sicher, daß dieser am 1. Juli 2007 Gesetz wird. Ein Ehepaar, dass mehr als 500 000 Euro im Jahr verdient, muß dann drei Prozent mehr Einkommenssteuer bezahlen.

WELT: Unions-Politiker wollen die Reichensteuer auf 2008 verschieben - mit der geplanten Unternehmenssteuerreform.

Scholz: Eine solche Position der gesamten Union kenne ich nicht und eine Verschiebung wird es mit uns nicht geben.

WELT: Für den künftigen SPD-Chef Beck läßt sich die Republik nicht ohne eine höhere Steuerquote zukunftsfähig machen. Finanzminister Steinbrück lehnt dagegen zusätzliche Steuererhöhungen ab. Wer hat Recht?

Scholz: Der Koalitionsvertrag. Dort steht: Wir werden mutig sparen und Subventionen abbauen. Das hat Vorrang. Aber ohne Steuererhöhungen ist die nötige Konsolidierung nicht zu schaffen. Dies bezieht sich auf den Steuerbalkon und die Mehrwertsteuer.

WELT: Was soll der Integrationsgipfel der Bundesregierung bringen?

Scholz: Notwendig ist da nicht nur ein Gipfel. Es wird mehrere Gespräche geben zwischen allen, die für die Integration eine wichtige Rolle spielen. Auch in der Bundesregierung sind mehrere Ressorts gefordert. Die Integration der Zuwanderer ist weiter gediehen als allgemein angenommen wird. Dieses Entwicklung muß die Regierung verstärken. Am wichtigsten ist jetzt, eine bessere und lange vor der Einschulung einsetzende Bildung zu garantieren. Dazu gehören Spracherwerb, Kenntnisse über unsere Kultur und die Rechtsordnung.

WELT: Sollte man die bisher freiwilligen Abschlußprüfungen bei den staatlich angebotenen Sprach- und Integrationskursen verpflichtend gestalten?

Scholz: Die Regierung muß sicher stellen, daß alle Deutsch lernen. Aus meiner Sicht heißt das, daß man die Gelder dafür nicht kürzen kann. Geprüft werden sollte eher, die bisher gewährten 600 Stunden für die Integrationskurse der Zuwanderer auf 900 aufzustocken.

WELT: Aus der Union werden Forderungen nach harten Strafen für Integrationsverweigerer laut. Wer die Sprach- und Integrationskurse grundlos und hartnäckig schwänzt, soll mit spürbaren Bußgeldern, bis zu 30 Prozent weniger Sozialleistungen oder dem Entzug der Aufenthaltserlaubnis bestraft werden. Zieht die SPD da mit?

Scholz: Ein Straftatbestand für Integrationsverweigerer, den einige verlangen, ist verfassungswidrig. Gesinnung ist nicht strafbar. Wir sollten unaufgeregt kluge Vorschläge entwickeln. Für Weiterentwicklungen ohne Ressentiments gegen Ausländer ist die SPD offen.

WELT: Die Union will das von Rot-Grün geschaffene Staatsangehörigkeitsrecht reformieren.

Scholz: Das wäre ein Rückschritt, den ich mir nicht vorstellen kann. Auch die Union sollte das Recht als Chance und Fortschritt für unser Land begreifen.
Zu der Reform gehörten übrigens auch strengere Sprachanforderungen als vorher.


WELT: Trägt die SPD bundeseinheitliche Einbürgerungstests mit, die die Union fordert?

Scholz. Gemeinsame Standards bei der Einbürgerung sind nötig. Aber einige müssen erst mal von ihren eigenwilligen Vorstellungen abrücken. Sehr mißglückt finde ich die Ressentiments in den Fragebögen in Baden-Württemberg und die Tests in Hessen, wo quasi das Abitur zur Voraussetzung für die Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft gemacht wurde. Das war nicht besonders schlau.