Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Beeinträchtigung der Pressefreiheit durch Aktivitäten des Bundesnachrichtendienstes
Olaf Scholz (SPD):
Frau Präsidentin! Meine Kolleginnen und Kollegen! Wir verhandeln hier ein ernstes Thema. Ich will deshalb ein paar Dinge ansprechen, von denen ich glaube, dass wir sie brauchen, und ein paar, von denen ich glaube, dass wir sie nicht brauchen.
Wir brauchen in unserem Land selbstverständlich funktionierende Nachrichtendienste, die rechtsstaatlich im Inland oder im Ausland - je nachdem, wo ihr Aufgabengebiet ist - agieren.
Wir brauchen - das gehört dazu - eine rechtsstaatliche, demokratische Kontrolle dieser Nachrichtendienste. Dazu dient insbesondere das Parlamentarische Kontrollgremium, das aus meiner Sicht nicht immer genug gewürdigt wird, das aber eine ganz zentrale Funktion hat. Bei allen Diskussionen über Reformen will ich ausdrücklich sagen: Unser Gesetz über das Parlamentarische Kontrollgremium ist für viele Länder ein Vorbild gewesen; dieses Gesetz ist weltweit einmalig und ein sehr fortschrittliches Gesetz.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen Pressefreiheit, die Möglichkeit, zu recherchieren, zum Beispiel - das gehört zu einer Demokratie und zu einem freien Staat - was die Regierung macht und ganz selbstverständlich auch was ihre Nachrichtendienste tun.
Pressefreiheit schließt Information und Recherche über die Nachrichtendienste und ihre Tätigkeit mit ein. Das ist ein Teil der effektiven Kontrolle von Nachrichtendiensten. Deshalb muss sie geschützt werden; sie spielt eine zentrale Rolle.
(Beifall bei der SPD - Otto Fricke [FDP]: Das haben schon die Verfassungsväter erkannt!)
Wir brauchen aber kein Milieu von Schlapphüten, weder beim BND noch bei Journalisten, die zwar keinem Nachrichtendienst angehören, sich aber fast so fühlen und als Nachrichtenhändler agieren.
(Beifall bei der SPD)
Es gibt eine Gruppe von Leuten, die eine Art Gemeinsamkeit entwickeln, sich gegenseitig beobachten und sich in einer Weise verhalten, die wir für unzulässig halten. Deshalb geht es, um mehr als um eine Schlapphutkrise, eine Krise des BND oder des Journalismus - nach der Veröffentlichung des Berichts wird das sicherlich sehr viel klarer werden, als derzeit vermutet wird -, weil es auf beiden Seiten zu unzulässigen Grenzüberschreitungen gekommen ist.
(Beifall bei der SPD)
Das ist die gegenwärtige Situation.
Es geht nicht an, dass die Arbeit des Nachrichtendienstes und des Parlamentarischen Kontrollgremiums durch strafbare Indiskretionen gefährdet wird. Ich hebe das deshalb hervor, weil es sehr leicht genommen wird. Offenbar herrscht das Gefühl vor, dass man sich damit abfinden und vielleicht sogar daran gewöhnen müsse. Die eigentliche Idee - das Geheimnis hinter der Funktionsfähigkeit des Parlamentarischen Kontrollgremiums - besteht darin, dass wir als Mitglieder alles erfahren dürfen und auch tatsächlich alles erfahren, weil absolut sicher ist, dass nichts herauskommt, es sei denn, wir halten die Veröffentlichung für notwendig und veranlassen diese. Das heißt, dass es Abgeordnete in der Hand haben, für die notwendige Öffentlichkeit zu sorgen, aber gleichzeitig die notwendige Vertraulichkeit der Arbeit von Nachrichtendiensten gewahrt werden kann.
Deshalb bitte ich alle - das hat auch der Kollege Röttgen bereits getan -, die Angelegenheit nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, sondern zu bestätigen, dass es sich um einen ernsthaften Vorgang handelt, wenn mit der Weitergabe von geheimen Dokumenten versucht wird, manipulative Wirkung auszuüben. Denn dadurch wird die demokratische und rechtsstaatliche Kontrolle von Nachrichtendiensten gefährdet. Das darf nicht sein.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Mancher dieser Vorgänge ist herausgekommen und wird jetzt mit anderen Informationen verrührt, die zwar nicht bestätigt wurden, aber für wahr gehalten werden, weil sie in denselben Texten enthalten sind. Insofern ist es klar, dass es nur einen Weg gibt, eine vernünftige öffentliche Debatte über die Frage des weiteren Vorgehens zu ermöglichen, nämlich für eine maximale Öffentlichkeit zu sorgen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir müssen dazu beitragen, dass alles, was es über diese Angelegenheit zu wissen gibt, allen zugänglich gemacht wird.
In Kenntnis des Berichts von Richter Schäfer stelle ich fest: Meiner Ansicht nach kann jeder darin enthaltene Satz die Öffentlichkeit erreichen und überall diskutiert werden.
(Beifall bei der SPD)
Bisher haben mich jedenfalls noch keine rechtlichen Bedenken von der Notwendigkeit überzeugt, zu verhindern, dass die Öffentlichkeit über den kompletten Bericht informiert wird. Auch deshalb halte ich die Veröffentlichung für erforderlich.
(Beifall bei der SPD)
Erlauben Sie mir noch eine abschließende Bemerkung. Als sehr komisch, kaum nachvollziehbar und fast schon verlogen
(Fritz Rudolf Körper [SPD]: Ja, das ist wohl wahr!)
habe ich das Agieren der PDS-Linkspartei in dieser Frage empfunden.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Dass Sie auf der einen Seite die komplette Veröffentlichung verlangen, und zwar - damit es jeder erfährt - nicht mit einer normalen Pressemeldung, sondern als bezahlte Tickermeldung über OTS,
(Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: So ist es!)
sich aber auf der anderen Seite im Kontrollgremium gegen die Veröffentlichung aussprechen, ist nicht in Ordnung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU - Dr. Carl-Christian Dressel [SPD]: Das ist Verlogenheit!)
Die Schlapphutkrise muss mit der Veröffentlichung des Berichts ein Ende finden. In dem Bericht ist Ernstes, aber auch ziemlich viel Komisches enthalten. Das sollten wir gemeinsam lesen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Max Stadler [FDP])
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19.05.2006