Olaf Scholz ist der erfolgreichste aller SPD-Landeschefs, Spitzname "König Olaf". Im Interview auf "Welt Online" spricht er über den Kanzlerkandidaten der SPD und über den Mythos Piratenpartei. Von Welt
Welt Online: Herr Scholz, der Ausgang der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein könnte knapp werden. Ihr Rat an die Parteifreunde Hannelore Kraft und Torsten Albig für die letzten Tage und Wochen?
Olaf Scholz: Die brauchen keinen Rat. Hannelore Kraft bekommt eine Mehrheit für Rot-Grün, die sie bisher nicht hatte. Und in Schleswig-Holstein gibt es einen Regierungswechsel.
Welt Online: Aber wohl nicht mit Rot-Grün. Wäre in Kiel eine große Koalition in Ordnung?
Scholz: In einigen Umfragen reicht es für Rot-Grün, in anderen für ein Bündnis von Rot-Grün mit dem SSW, also der dänischen Minderheit. Der Regierungswechsel kommt.
Welt Online: Sind Dreierkonstellationen stabil?
Scholz: Diese sicher. Aber man soll die Spökenkiekerei (gleichbedeutend mit "Vorhersehung" Anm. d. Red) nicht übertreiben. Ob zur Regierungsbildung drei Parteien nötig sind, wissen wir nach der Wahl.
Welt Online: Einen Versuch noch: Wenn die FDP bei den Landtagwahlen die fünf Prozent verpasst: Wird die schwarz-gelbe Koalition in Berlin halten?
Scholz: Die FDP ist in einer Krise, die sie mit ihren unseriösen Steuersenkungsversprechen selbst verursacht hat. Die FDP könnte nicht nur aus den Landtagen fallen, sondern auch bei der nächsten Bundestagswahl scheitern. Trotzdem glaube ich, dass diese Bundestagswahl erst zum regulären Termin stattfindet.
Welt Online: Ist die SPD vorbereitet, um bei einer vorgezogenen Neuwahl schnell einen Kanzlerkandidaten zu benennen?
Scholz: Wir können aus dem Stand einen Kanzlerkandidaten benennen.
Welt Online: Sie haben schon einen?
Scholz: Wir haben gesagt, dass es am sinnvollsten ist, die Entscheidung Anfang 2013 zu treffen.
Welt Online: Sollte die Kandidatur per Mitgliederentscheid geklärt werden?
Scholz: Wenn klar ist, wer der Kandidat wird, braucht es keinen Mitgliederentscheid. Wenn es eine ernst zu nehmende Konkurrenz gibt, die anders nicht zu entscheiden ist, dann ist eine Mitgliederbefragung richtig. Ich glaube aber nicht, dass es dazu kommen wird. Der Parteivorsitzende wird einen Kandidaten vorschlagen, mit dem alle zufrieden sind.
Welt Online: SPD-Chef Sigmar Gabriel ist in der Partei beliebt, aber nicht bei den Bürgern. Bei Peer Steinbrück ist es eher umgekehrt. Was ist wichtiger?
Scholz: Unabhängig von der Frage, ob Ihre Aussagen stimmen: Die SPD hat es immer geschafft, denjenigen als Kandidaten zu nominieren, mit dem sie die besten Wahlchancen hat.
Welt Online: Warum hat die SPD Erfolg in den Ländern, liegt aber im Bund unter 30 Prozent?
Scholz: Dass ein Sozialdemokrat 2013 Kanzler wird, ist gerade wegen der Erfolge in den Ländern durchaus realistisch. Ich traue der SPD ein Ergebnis über 30 Prozent zu. Wir sollten die Nerven behalten.
Welt Online: Sie sind mit einer absoluten Mehrheit der erfolgreichste SPD-Ministerpräsident. Wie können Sie der Partei helfen?
Scholz: In Hamburg haben wir gezeigt, dass man mit gesundem Pragmatismus Erfolg hat. Wichtig ist die Erkenntnis, dass wir die Grundlagen unseres Wohlstands nur durch gute Wirtschaftspolitik und durch die Bereitschaft zur Haushaltskonsolidierung sichern können.
Welt Online: Wenn Sie einer rufen sollte, im Wahlkampf eine größere Rolle zu spielen oder später ein Ministeramt zu übernehmen: Was antworten Sie?
Scholz: Nein.
Welt Online: Die Linke wird wohl aus den Landtagen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen herausfallen. Wird sie wieder ostdeutsche Regionalpartei?
Scholz: Die Partei Die Linke hat sich vor der eigenen Weiterentwicklung gedrückt. Sie ist keine Partei, die ernsthafte Vorschläge für das Regieren in Deutschland macht. Sie verweigert sich der Politik. Die Folge ist eine dramatisch gesunkene Zustimmung. Es würde mich nicht überraschen, wenn diese Partei in immer weniger Parlamenten vertreten wäre.
Welt Online: Also eine Regionalpartei.
Scholz: Die großen Linien der Geschichte zeichnet man leichter hinterher. Warten wir es ab.
Welt Online: Wie bekommt die SPD die Wähler zurück, die sie an die Linke verloren hat?
Scholz: Die SPD muss zeigen, was sie ist: eine Partei, die etwas von Wirtschaft versteht. In der Parteigeschichte ging es immer um die Möglichkeit des Einzelnen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Und die SPD muss dafür sorgen, dass die, die arbeiten, dabei gut zurechtkommen. Das sollten wir immer im Blick behalten.
Welt Online: Und die Piraten? Sind die eine Konkurrenz für die SPD?
Scholz: Es ist nicht schlecht, wenn Bürgerinnen und Bürger sich neu für Politik interessieren und sich zusammenfinden. Wer aber ordentlich regiert werden will, sollte auf die SPD setzen.
Welt Online: Wie sollte sich die SPD mit den Piraten auseinandersetzen?
Scholz: Demokratie besteht darin, dass man sich über Inhalte auseinandersetzt, und nicht darin, dass man über die Existenz von Parteien an und für sich redet. Es geht zum Beispiel darum, wie wir die Energiewende voranbringen oder wie wir die öffentlichen Haushalte konsolidieren. Oder wie alle jungen Leute ein selbstständiges und unabhängiges Leben führen können.
Welt Online: Warum haben die Piraten Erfolg?
Scholz: Die Partei weckt Neugier, das ist okay. Bei näherem Hinschauen kann sich die Begeisterung aber legen. Es geht bei Wahlen doch darum, dass man jemanden wählt, der in der Lage ist, eine Regierung zu bilden und unser Land voranzubringen. Die Piraten beabsichtigen ja gar nicht, in eine Regierung zu gehen.
Welt Online: Was machen CDU, Grüne, FDP oder auch die SPD denn falsch?
Scholz: Wenn der eine Erfolg hat, müssen die anderen nicht notwendigerweise etwas falsch machen. Ich rate zu etwas weniger Missgunst. Lassen Sie uns darüber reden, wie wir unser Gemeinwesen am besten weiterentwickeln können. Die Bürger suchen sich die passende Formation dann schon selbst.
Welt Online: Die SPD macht gegen das Betreuungsgeld der Union Wahlkampf. Kann sie es verhindern?
Scholz: Jeder weiß, dass die geplante Einführung des Betreuungsgelds ein politischer Fehler ist. Wenn die Mehrheit der Politiker und der Bürger das weiß, dann sollte es gelingen, einen so schweren Fehler zu vermeiden.
Welt Online: Aber wie?
Scholz: Wir werden alles tun, um das Betreuungsgeld aufzuhalten. Und es wachsen die Zweifel, dass es möglich ist, diese Leistung per Bundesgesetz einzuführen. Es gibt keine Begründung dafür, warum man eine bundeseinheitliche Regelung braucht, wenn es in einem Bundesland bereits ein Betreuungsgeld gibt übrigens mit wissenschaftlich erwiesenen schlechten Folgen.
Welt Online: Sie wollen klagen?
Scholz: Noch liegt ja kein Gesetz vor. Aber Hamburg wird eine Klage gegen das Betreuungsgeld ernsthaft prüfen. Wenn sie möglich ist, werden wir diesen Weg auch gehen. Wenn das Bundesverfassungsgericht es für verfassungswidrig hält, beispielsweise per Bundesgesetz Studiengebühren zu verbieten, weil die Länder das unterschiedlich ohne Probleme regeln können, dann sehe ich nicht ein, warum wir für das Betreuungsgeld, das auch jedes Land selbst einführen oder nicht einführen kann, ein Bundesgesetz brauchen.