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14.10.2013

Interview mit dem Magazin "Der Spiegel"

 

 

Der Spiegel: Herr Scholz, freuen Sie sich schon auf die Große Koalition?

Olaf Scholz: Ich freue mich nicht, und ich fürchte mich nicht vor ihr. Die
Wähler haben uns beauftragt, aus dem Wahlergebnis etwas zu machen. Eine
Partei, die ernst genommen werden will, muss deshalb seriös ausloten, ob
das möglich ist.

Der Spiegel: Sie haben Erfahrungen mit einer Großen Koalition, und die waren
nicht gut.

Olaf Scholz: Falsch. Wir haben sowohl von 1966 bis 1969 als auch von 2005 bis
2009 gute Arbeit geleistet. Das wird doch allgemein so gesehen. Die SPD hat
vor vier Jahren nicht wegen ihrer Beteiligung an der Großen Koalition ein
so miserables Ergebnis erzielt.

Der Spiegel: Sondern?

Olaf Scholz: Weil wir in dieser Zeit als Partei kein gutes Bild abgegeben haben.
So ehrlich muss man sein. Die Bürgerinnen und Bürger wollten uns die
Regierung erkennbar nicht anvertrauen. Natürlich wäre es schwierig, bei den
nächsten Bundestagswahlen 2017 als kleinerer Partner anzutreten, aber eine
Niederlage ist keine Gesetzmäßigkeit nach einer Großen Koalition. Wir haben
1969 im Bund und zuletzt 2004 in Mecklenburg-Vorpommern auch als
Juniorpartner eine Wahl gewonnen.

Der Spiegel: Worauf kommt es an, um am Ende der Legislaturperiode als kleiner
Partner gut auszusehen?

Olaf Scholz: Auf Klarheit und langen Atem.

Der Spiegel: Die Klarheit bleibt bei Koalitionsverhandlungen häufig auf der
Strecke. Wegen der vielen Kröten, die man schlucken muss.

Olaf Scholz: Bei Kompromissen ist es normal, dass nicht alles so kommt, wie man
es sich wünscht. Aber man darf auf keinen Fall anders regieren, als man es
im Wahlkampf angekündigt hat. Deshalb muss bei aller Kompromissbereitschaft
klar sein, dass wir nicht das Gegenteil von dem abnicken werden, wofür wir
eingetreten sind. Wir können nur mit einem Ergebnis vor unsere Mitglieder
treten, von dem wir sicher sind, dass es sie überzeugen wird.

Der Spiegel: Also werden Sie weder dem Betreuungsgeld noch einer Autobahnmaut
zustimmen?

Olaf Scholz: Solche Aussagen bekommen Sie hier von mir nicht. Wir sondieren mit
den Unionsparteien und nicht mit dem Spiegel. Aber: Wir meinen unser
Wahlprogramm sehr ernst. Unsere Haltung zur Autobahnmaut und zum
Betreuungsgeld ist eindeutig. Die Stadt Hamburg klagt gegen das
Betreuungsgeld vor dem Bundesverfassungsgericht, weil wir fest davon
überzeugt sind, dass der Bund dafür nicht zuständig ist.

Der Spiegel: Gilt Ihre Standfestigkeit auch für die von Ihnen geforderten
Steuererhöhungen, ohne die Ihr Programm nicht finanzierbar wäre?

Olaf Scholz: Wir haben sehr sorgfältig vorgerechnet, wie das Programm finanziert
werden kann und schauen jetzt interessiert, wie die Union ihre eigene
Wunschliste finanzieren will. Für die würden wir zusätzliche Einnahmen
brauchen. Daran besteht kein Zweifel.

Der Spiegel: Sie werden doch nicht im Ernst damit rechnen, dass Ihre
Berechnungen am Ende die Union überzeugen werden.

Olaf Scholz: Wir spielen nicht Schach, sondern machen Politik.

Der Spiegel: Koalitionsverhandlungen sind Schach nicht ganz unähnlich.

Olaf Scholz: Nein. Beim Schach geht’s ja um nichts. In der Politik aber schon.

Der Spiegel: Dass Sie nun mit der Union über eine ungeliebte Große Koalition
verhandeln müssen, verdanken Sie Ihrem miserablen Wahlergebnis. Wird diese
Niederlage irgendwann noch aufgearbeitet?

Olaf Scholz: Das Ergebnis war für die SPD nicht gut, selbst wenn es nicht so
schlecht ausgefallen ist wie vor vier Jahren. Solche Ergebnisse hat die SPD
zuletzt in den fünfziger Jahren erzielt. Wir wissen, dass wir eine große
Aufgabe vor uns haben. Die SPD muss wieder über 30 Prozent kommen, wenn sie
im politischen Wettbewerb mit der Union bestehen will.

Der Spiegel: Ihre Partei hat schon die Katastrophe von 2009 kaum aufgearbeitet.
Wieviel Zeit wollen Sie sich jetzt lassen?

Olaf Scholz: Wer annimmt, dass wir dieses Ergebnis nicht debattieren werden,
liegt falsch. Wir werden über die Konsequenzen aus der Wahlniederlage
reden.

Der Spiegel: Welche könnten das sein?

Olaf Scholz: Wir müssen unseren Charakter als Volkspartei bewahren und als eine
Partei auftreten, die die Kanzlerschaft anstrebt und der man das Regieren
zutraut. Dafür benötigen wir mehrheitsfähige Positionen.

Der Spiegel: Es lag also an der Programmatik?

Olaf Scholz: Viele in der SPD glauben, dass es nicht an der programmatischen
Aufstellung lag.

Der Spiegel: Aber Sie haben damit die Wähler in der Mitte verschreckt. Die
assoziieren Ihre Partei vor allem mit Steuererhöhungen.

Olaf Scholz: Natürlich kann man über das richtige Maß streiten. Aber es gibt
eine Schuldenbremse im Grundgesetz. Die Bundesländer dürfen ab 2020 keine
neuen Schulden mehr machen, für den Bund gilt ähnliches. Viele Aufgaben,
die die Bürgerinnen und Bürger vom Staat erwarten, können dann nicht ohne
weiteres erfüllt werden. Deshalb muss eine vernünftige Aufgabenfinanzierung
möglich sein. Wenn sich die SPD für eine maßvolle Anhebung der
Staats-Einnahmen einsetzt, hat sie die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger
hinter sich.

Der Spiegel: Aber es war ja nicht nur das Programm. Die SPD konnte zum Beispiel
kaum junge Frauen für sich begeistern.

Olaf Scholz: Wir haben bei vielen Wählergruppen keinen Erfolg gehabt, aber die
geringe Zustimmung von Frauen war besonders auffällig. Die SPD muss in
Zukunft wahrnehmbarer sein als eine Partei, in der Frauen eine wesentliche
Rolle spielen. Es hilft uns, dass in den Ländern Frauen wie Hannelore Kraft
oder Malu Dreyer regieren. Auch die Ministerien müssen überall, wo die SPD
Einfluss hat, zwischen Männern und Frauen paritätisch besetzt werden. In
Hamburg ist das so.

Der Spiegel: Kann man einen Wahlkampf gewinnen, wenn sich Parteichef und
Kandidat gegenseitig Illoyalität vorwerfen?

Olaf Scholz: Man muss zusammenhalten. Das ist überwiegend gelungen. Man sollte
aber auch nicht die Vorstellung verbreiten, alle seien immer einer Meinung.
Die große Kunst besteht darin, trotz unterschiedlicher Haltung in
Einzelfragen eine gemeinsame politische Perspektive in der Führung zu
entwickeln.

Der Spiegel: Warum übernimmt der Parteivorsitzende, der mit 25,7 Prozent nach
Hause gegangen ist, nicht die Verantwortung für diese Pleite?

Olaf Scholz: Weil wir gemeinsam die Verantwortung tragen.

Der Spiegel: Man hat eher den Eindruck: Niemand will Verantwortung übernehmen.

Olaf Scholz: Natürlich wird es eine Diskussion über die Lehren aus den letzten
beiden Bundestagswahlergebnissen geben. Da kann man nicht sagen, wir gehen
zur Tagesordnung über. Aber das hat auch niemand vor.

Der Spiegel: Wann soll das passieren?

Olaf Scholz: Ohne Zeitdruck. Aber die Diskussionen werden auf alle Fälle kommen.

Der Spiegel: Nach der Wahl 2009 haben Sie gesagt, das Ausschließen von
Wahloptionen müsse vorbei sein.

Olaf Scholz: Hab’ ich das gesagt? Das Zitat hätte ich mal gerne.

Der Spiegel: Ihr Satz damals war: ‘Ich glaube, dass alle Parteien das letzte
Mal beschlossen haben, mit wem sie in keinem Fall regieren.’

Olaf Scholz: Wenn Sie damit die Partei Die Linke meinen, ist es so: Die
Perspektive dieser Partei wird ausschließlich von ihr selbst bestimmt. Wir
sollten nicht vergessen: Was wir in Deutschland machen, hat Auswirkungen
auf den übrigen Teil Europas, auf die Währungen, die Weltwirtschaft.
Deshalb brauchen wir Parteien, die sich zu ihrer Verantwortung bekennen und
die daraus resultierenden  Aufgaben auch annehmen.

Der Spiegel: Teile der Linkspartei wollen diese Aufgaben annehmen.

Olaf Scholz: Teile reichen nicht aus. Wenn die Führung der Partei Die Linke
nicht bereit ist, die Ausrichtung ihrer Partei zu ändern, auch mit dem
Risiko des innerparteilichen Konflikts, wird sie auch künftig außen vor
bleiben. Und die Theorie, man werde in der Regierung vernünftig, geht nicht
auf. Die eigenen Positionen darf man nicht erst weiter entwickeln, wenn man
an der Macht ist. Hat die Führung zur Veränderung nicht den Mut, beschränkt
sie die Möglichkeiten der eigenen Partei.

Der Spiegel: Die Klärung von Positionen könnte man auch Sondierungsgesprächen
und möglichen Koalitionsverhandlungen überlassen.

Olaf Scholz: Nein, das können die nur selbst erstreiten. Es ist nicht die
Aufgabe von Koalitionsgesprächen, andere Parteien auf den richtigen Weg zu
bringen.

Der Spiegel: Selbst wenn Sie damit in Kauf nehmen, die linke Mehrheit im
Bundestag nicht für linke Politik zu nutzen?

Olaf Scholz: Das kann durchaus passieren. Der Wähler wird klare Aussagen
erwarten. Mal sehen.


Das Interview führten Horand Knaup und Gordon Repinski