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15.10.2013

Interview mit der Szene Hamburg

 

 

Szene Hamburg: Bevor wir zu Hamburger Themen kommen, eine Frage zur Bundestagswahl. Zu welcher Koalition wird es auf Bundesebene kommen?

Olaf Scholz: SPD und Unionsparteien führen Koalitionsgespräche. Wir haben zwischen den Parteien sondiert, und sinnvolle Verständigungen erscheinen möglich. Diese Verständigungen auch zu erzielen, ist Sache der Koalitionsverhandlungen. Für die SPD sind Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt unverzichtbar. Das betrifft insbesondere die Frage des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro. Die Missstände bei der Leiharbeit und den Werkverträgen müssen beendet werden.

Szene Hamburg: Am Wahltag wurde per Volksentscheid ebenfalls über den Rückkauf der Energienetze abgestimmt. Sie hatten sich im Vorwege gegen den Rückkauf ausgesprochen, empfinden Sie sich eigentlich als Verlierer?

Olaf Scholz: Nein. Ich bin ja nicht prinzipiell dagegen, dass sich die Energie-Netze und die dazugehörigen Erzeugungsanlagen in städtischem Eigentum befinden. Meine Befürchtung war, dass dieser Rückkauf zu viel Geld kostet. Jetzt haben die Bürgerinnen und Bürger eine Entscheidung getroffen, und die wird umgesetzt. Das gehört zur Natur von Volksentscheiden. Wer für Volksentscheide ist und das bin ich muss akzeptieren, dass sie nicht immer so ausgehen wie die Regierung sich das vorstellt.

Szene Hamburg: Wie realistisch sind die Chancen, die Netze zurückzukaufen?

Olaf Scholz: Ein Viertel der Versorgungsnetze für Strom, Gas und Fernwärme gehören bereits der Stadt. Wir haben die Unternehmen, die die Mehrheit halten also Vattenfall und eon hanse gefragt, ob sie uns die restlichen Anteile verkaufen. Wenn sie dazu bereit sind, müssen wir uns über den Preis verständigen.

Szene Hamburg: Und wenn die Antwort nein lautet?

Olaf Scholz: Dann werden wir die bestehenden Verträge über unsere Netzbeteiligung kündigen. Und wir werden im Wettbewerb zu den heutigen Netzbetreibern eigene Gesellschaften gründen und uns um die Netzkonzessionen bewerben.

Szene Hamburg: Sie regieren in Hamburg seit mehr als zweieinhalb Jahren mit absoluter Mehrheit. Welches Verhältnis haben Sie zur Opposition?

Olaf Scholz: Wer an Bürgerschaftssitzungen teilnimmt, weiß, dass dort intensiv und engagiert debattiert wird. Das belebt die Demokratie. Mein Verhältnis zur Opposition ist so, wie es zwischen Opposition und Regierung in einer demokratischen Stadt sein soll freundschaftlich. Aber natürlich sind wir nicht in Allem einig.

Szene Hamburg: Das heißt alle kommen zu Wort?

Olaf Scholz: Das ist so. Wenn die Oppositionsparteien gute Anträge stellen, lehnt man diese nicht ab, um sie drei Wochen später selbst neu einzubringen. Nein, diese Anträge werden unterstützt. Die SPD-Fraktion in der Bürgerschaft legt auf diese Form der parlamentarischen Arbeit großen Wert, was ich sehr gut finde. Das sorgt für eine entspannte Lage. Das nützt der Demokratie.

Szene Hamburg: Sind Sie mit den Initiativen zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums in Hamburg zufrieden?

Olaf Scholz: Der Wohnungsbau ist von den Vorgänger-Senaten zehn Jahre lang verschlafen worden. Weder die CDU noch die Grünen haben ihn wirklich ernst genommen und vorangetrieben. Die Folgen spüren die Wohnungssuchenden heute. Es fehlen rund 30.000 Wohnungen. Mein politisches Ziel sind 6000 fertig gestellte Wohnungen pro Jahr.

Szene Hamburg: Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?

Olaf Scholz: Indem wir sehr kooperativ mit vielen Partnern in der Stadt zunächst dafür Sorge tragen, dass es immer genügend Baugenehmigungen gibt. Denn die sind Voraussetzung für den Wohnungsbau. Wir haben letztes Jahr fast 9000 Baugenehmigungen erteilt, und es werden in diesem Jahr ähnlich viele sein. Klar ist: Eine genehmigte Wohnung ist noch keine gebaute. Und zwischen Genehmigung und Fertigstellung vergeht Zeit. Aber die städtische Wohnungsbaugesellschaft SAGA/GWG allein beginnt in diesem Jahr mit dem Bau von 1000 Wohnungen. Am Ende der Regierungszeit des letzten Senats hat die SAGA/GWG praktisch keine Wohnung mehr fertig gestellt. Das hat sich jetzt geändert. Wir dürfen nie wieder aufhören, Wohnungen zu bauen.

Szene Hamburg: Von den Baugenossenschaften hört man häufig, dass eines der großen Probleme ist, bezahlbare Grundstücke zu finden?

Olaf Scholz: Das war in der Tat so. Und das war schlecht, denn die Baugenossenschaften sind wichtig für Hamburg: Von den etwa 900.000 Wohnungen in der Stadt gehören der SAGA/GWG ungefähr 130.000 und etwa genauso viele den Genossenschaften. Die Genossenschaften verhindern, dass die Mietpreise ungebremst steigen. Ganz klar ist auch: Wir kriegen das mit den Miet-Preisen nur in den Griff, wenn wir genügend neue, bezahlbare Wohnungen bauen.

Szene Hamburg: Bezahlbar? Wie wollen Sie das erreichen?

Olaf Scholz: Wir haben drei Entscheidungen getroffen, die wir sehr konsequent verfolgen und umsetzen: Bei Grundstückvergaben wird unter dem Stichwort Konzeptvergabe nicht nur nach dem zu erzielenden Preis von städtischen Grundstücken geschaut sondern auch danach, was entstehen soll zum Beispiel Sozialwohnungen. In diesem Zusammenhang haben wir zweitens beschlossen, dass bei großen Bauvorhaben immer ein Drittel geförderter Wohnraum entstehen muss, wenn wir neue Baurechte vergeben. Da die Zinsen heute so niedrig sind, verzichten zur Zeit viele auf öffentliche Förderung, weil sie auch so gut zurechtkommen. Aber dann hätten wir keinen Einfluss mehr auf die Mietpreise. Das ist für uns sehr wichtig, weil wir keine Quartiere entwickeln wollen, die nach der Höhe des Einkommenssteuerbescheides ihrer Bewohner gestaltet werden. Und drittens wollen wir 2000 Sozialwohnungen pro Jahr bauen und haben die entsprechenden Fördermittel bereitgestellt.

Szene Hamburg: Es gibt ja auch noch andere regulative Möglichkeiten, auf die Fehlentwicklung von Quartieren Einfluss zu nehmen.

Olaf Scholz: Das stimmt. Es gibt Möglichkeiten, mit rechtlichen Mitteln allzu große Mietpreissteigerungen zu begrenzen. Aber man darf nie vergessen: Wenn wir nicht genug Wohnungen haben, wird kein rechtliches Mittel verhindern, dass das Wohnen immer teurer wird. Und das betrifft diejenigen, die schon eine Wohnung haben genau wie diejenigen, die eine suchen. Eine rechtliche Möglichkeit ist die der sozialen Erhaltungsverordnung. Wir haben in der Stadt bereits eine Reihe davon und weitere sind in Vorbereitung. Damit sorgen wir dafür, dass keine sogenannte Aufwertungsspekulation stattfinden kann. Bei bestehenden Mietverhältnissen gibt es, neben den Mietbegrenzungen, die sich durch das normale Mietrecht ergeben, eine weitere Grenze. Und wir haben von einer neu geschaffenen rechtlichen Möglichkeit Gebrauch gemacht und festgelegt, dass es bei bestehenden Mietverhältnissen höchstens eine Preissteigerung von 15 Prozent in drei Jahren geben darf.

Szene Hamburg: Fünf Prozent pro Jahr ist noch viel zu viel.

Olaf Scholz: Das stimmt. Deshalb wendet sich diese Festlegung gegen die übermäßigen Ausschläge, die es leider gibt. Wir können uns auch vorstellen, diese 15 Prozent auf einen längeren Zeitraum zu verteilen. Außerdem brauchen wir dringend eine Begrenzung bei den Neuvermietungen, denn hier finden die größten Preissprünge statt. Da muss man klug und geschickt vorgehen. Denn wir wollen ja nicht, dass der Neubau von Wohnungen behindert wird. Allerdings: Bei Wohnungen, die es schon lange gibt, soll eine Wiedervermietung nicht dazu dienen, außergewöhnliche Gewinne zu machen, nur weil der Markt das möglich macht. Dazu haben wir eine ganze Reihe von Gesetzesinitiativen über den Bundesrat eingebracht und hoffen, dass wir da vorankommen.

Szene Hamburg: Bildung ist ein großes gesellschaftliches Thema, bei dem es in Hamburg in den letzten Jahren viele Diskussionen und Kämpfe gegeben hat. Ein aktuelles Thema ist der Wunsch nach Wiedereinführung des Abiturs nach 13-jähriger Schulzeit.

Olaf Scholz: Vielleicht vorab zum Stand: Hamburg hat zurzeit wahrscheinlich das modernste Bildungssystem in ganz Deutschland. Wir haben fast schon skandinavische Verhältnisse. Wir haben ein flächendeckendes Angebot an Krippen und Kitas, die alle mit Ganztagsangeboten versehen sind. Wir werden im nächsten Jahr die Halbtagsbetreuung gebührenfrei anbieten und dafür nochmals viel Geld in die Hand nehmen. In fast jeder Schule gibt es ein Ganztagsangebot. Und wir haben mittlerweile nur noch zwei weiterführende Schulen: das Gymnasium und die Stadtteilschule. Auf beiden kann man das Abitur machen. Wir haben fast 1000 Lehrer und Pädagogen neu eingestellt, und viele Betreuer und Betreuerinnen sind in den Krippen und Kitas zusätzlich eingestellt. Das alles zeigt, wie wichtig dem Senat das Thema Bildung ist. Diese Veränderungen zeigen nicht schon über Nacht Wirkung. Aber wir werden schon bald positive Auswirkungen spüren. Zur Schulstruktur: CDU, Grüne und Sozialdemokraten haben sich verpflichtet, über zehn Jahre keine neuen Strukturreformen anzugehen. Daran halten wir uns. Ohnehin macht es keinen Sinn, auf die gerade genannten Neuerungen nun noch eine oben drauf zu setzen, nämlich die Schulzeitverlängerung an den Gymnasien. Die Verkürzung der Schulzeit an den Gymnasien war ein sehr mühevoller Prozess. Es wäre noch mühevoller, diesen Prozess nun wieder rückgängig zu machen. Das sage ich übrigens als einer, der nie für Schulzeitverkürzung und G8 plädiert hat. Ein Kurswechsel könnte bei all den hier genannten Herausforderungen alle Beteiligten überfordern. Deshalb bin ich skeptisch.

Szene Hamburg: Man fährt durch die Stadt und trifft überall auf Baustellen

Olaf Scholz: Klasse, oder? Denn jede Baustelle zeigt, dass sich bei der Sanierung der Straßen jetzt endlich etwas tut. Wir haben den Mittelansatz dramatisch erhöht und verbauen dieses Geld jetzt auch. Wir müssen das jetzt auch tun. Die gesamte Infrastruktur, nicht nur Straßen und Brücken, hätte schon vor Jahren saniert werden müssen.

Szene Hamburg: Was man allerdings vermisst, sind der Ausbau und die Sanierung von Radwegen.

Olaf Scholz: Wir ändern das bereits. Ich habe vor kurzem den für den Fahrradverkehr zuständigen Verwaltungschef von Kopenhagen eingeladen. Kopenhagen ist in dieser Hinsicht eine sehr erfolgreiche Stadt. Und wir wollten, dass dieser Experte mit allen spricht, die in Hamburg für Bau, Unterhalt und Sanierung von Radwegen verantwortlich sind. Das waren zwischen 40 oder 50. Das hat mich beeindruckt. Aber es zeigt auch, warum das Thema Sanierung so schwierig ist: Es gibt Bundes- und Landesstraßen, es gibt Bezirksstraßen, es gibt unglaublich viele unterschiedlich Zuständige, die für das Verkehrsnetz und auch die Radwege verantwortlich sind. Ich habe diese Expertinnen und Experten ermutigt, ihre Möglichkeiten zu nutzen und zum Beispiel Fahrradstreifen auf Straßen auszuweisen, wo das möglich und geboten ist. Übrigens: Seit dem Regierungswechsel sind in Hamburg Fahrradwege mit einer Länge von 22 Kilometern neu gebaut oder instand gesetzt worden. Wir brauchen eine Trendwende in der Sache. Wir sehen ja, welche Begeisterung die roten Stadträder auslösen, deshalb wollen wir die Zahl der Stadtrad-Stationen auch erhöhen.

Szene Hamburg: Martin Kretschmer, Eigentümer der Roten Flora, will dort ein Veranstaltungszentrum mit einem Konzertraum mit 2.500 Plätzen bauen. Wie ist die Haltung des Senats zur Zukunft der Roten Flora?

Olaf Scholz: Der Bezirk hat einen Bebauungsplan auf den Weg gebracht, der sicherstellen soll, dass die heutige Flora gesichert wird. Diesen unterstützen wir.

Szene Hamburg: Vor einigen Monaten haben Sie eine Einigung mit Hochtief zur Fertigstellung der Elbphilharmonie erzielen können. Haben Sie den Eindruck, dass der Weg zur Eröffnung 2017 ein guter, ein richtiger Weg ist?

Olaf Scholz: Wir haben etwas vereinbart, was einmalig ist. Wir haben die Verantwortlichkeiten für ein fertiges und funktionsfähiges Gebäude auf den Vertragspartner übertragen. Wir sehen jetzt am Planungs- und Baufortschritt, dass es vorwärts geht. Ich bin optimistisch. Unser Vorgehen ist sogar vom Bund der Steuerzahler gelobt worden, das heißt schon was.

Szene Hamburg: Was glauben Sie, zeichnet den Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg aus? Was muss er können?

Olaf Scholz: Das ist eine Frage, die man besser erst als ehemaliger Amtsinhaber beantworten sollte. Das Besondere an der Aufgabe des Bürgermeisters der Stadt Hamburg ist, dass man zugleich Regierungschef einer großen Stadt ist, einer Kommune wie München, Frankfurt oder Köln. Gleichzeitig ist der Erste Bürgermeister Staatschef eines der 16 Länder in Deutschland. Das gibt unglaubliche Gestaltungsmöglichkeiten. Wir können zum Beispiel die Bildungspolitik gestalten, was meinen Kollegen in München oder Köln nicht möglich ist. Und generell gilt: In der Hektik des politischen Betriebes sollte man einen Kurs verfolgen, den die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehen können.

Szene Hamburg: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Gespräch führte Gerhard Fiedler.