Interview mit dem Magazin des Business Club Hamburg zum Thema Mobilität in der Metropole Hamburg
Herr Bürgermeister, wie kommen Sie morgens zur Arbeit?
Olaf Scholz: Meistens mit dem Dienstwagen, manchmal mit einem öffentlichen Verkehrsmittel. Die S-Bahn ist für mich sehr praktisch, um von zu Hause ins Rathaus zu kommen.
Die Verkehrspolitik ist ein zentrales Thema für Ihre Arbeit. Was denken Sie: Rollt es in Hamburg gut oder stehen wir eher im Stau?
Damit Hamburg rollt, müssen wir handeln. Unsere Stadt wächst und wir müssen den wachsenden Mobilitätsbedürfnissen Rechnung tragen.
Was sind, um dieses Ziel zu erreichen, die wichtigsten Projekte, die Hamburg kurzfristig in Angriff nehmen muss?
Zunächst geht es darum, den Trend umzukehren, und wieder in vorhandene Infrastruktur zu investieren. Über viele Jahrzehnte ist in Straßen, Brücken und Gewässer zu wenig investiert worden. Die Mittel für diesen Bereich wurden deutlich erhöht, was sich jetzt bemerkbar macht, weil viele Straßen saniert werden. Außerdem wird die A 7 achtspurig ausgebaut, die Wilhelmsburger Reichsstraße wird gerade verlegt. Und wir planen mit dem Bund die A 26. Dieses Vorhaben wird die Situation des PKW- und LKW-Verkehrs verbessern und nebenbei durch die Lärmschutzmaßnahmen die Belastungen für viele Anwohner reduzieren.
Und in der Stadt stehen die Hamburger im Stau.
Es funktioniert nun einmal nicht, eine Straße zu sanieren, ohne dass es eine Baustelle gibt. Ich setze darauf, dass die meisten denken: Besser, es wird etwas gemacht, als dass sich der Zustand der Straßen weiter verschlechtert.
Ein weiteres Leuchtturm-Projekt ist der Ausbau von U- und S-Bahnen.
Ja. Mit der Verlängerung der U4 bis zu den Elbbrücken, einer zusätzlichen S-Bahn-Station dort sowie einer neuen S-Bahn-Station in Ottensen sind weitreichende Entscheidungen getroffen. Mit dem geplanten Bau der S4 nach Ahrensburg und bis nach Bad Oldesloe, die einen erheblichen Teil des Pendlerverkehrs in die Stadt aufnehmen wird, werden gleichzeitig die Ferngleise für Güter- und Personenverkehr freigemacht.
Hat es Sie überrascht, dass mehr als 4000 Kilometer Straße und viele Brücken sanierungsbedürftig sind?
Nein, das ist nichts Neues. Darüber wurde viel geredet. Was sich geändert hat, ist, dass zum ersten Mal ein Senat endlich so viel investiert, wie notwendig ist, um diesen Instandhaltungsstau aufzulösen.
Wobei gerade das Projekt Busbeschleunigung in der Öffentlichkeit große Diskussionen ausgelöst hat. Verstehen Sie die Menschen?
Ja, aber es braucht auch Mut in der Demokratie, weil eben der Weg Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass weder beim Straßenbau noch bei anderen Infrastrukturmaßnahmen zum Erfolg führt. Ich bin aber sicher, dass wir viel Zustimmung bekommen werden, wenn die Bürgerinnen und Bürger sehen, dass Komfort und Kapazität größer werden und es weniger Verspätungen bei den Bussen gibt. Manchmal geht es um ganz simple Aufgaben, etwa dass zwei Doppelgelenkbusse hintereinander an einer Haltestelle halten können. Dafür sind Umbauten notwendig. Nichtstun ist keine Alternative.
Das Komplizierte beim öffentlichen Nahverkehr ist, so sagen Experten, dass man schnell funktionierende Maßnahmen wie die Busbeschleunigung benötigt, weil der Ausbau von U- und S-Bahnen zehn bis 20 Jahre dauert.
Glaube niemandem, der verspricht, er könne in einer Legislaturperiode eine neue Verkehrslinie bauen. Das ist unrealistisch. Das kann man an vielen Beispielen sehen. Der Bau der Elbphilharmonie dauert fast zehn Jahre. Der Plan von Vattenfall, ein Kraftwerk privatwirtschaftlich zu bauen, hat auch schon viel mehr Zeit in Anspruch genommen als gedacht. Die Verlängerung der U4 um eine Station von der Hafencity Universität zu den Elbbrücken wurde 2011 auf den Weg gebracht und wird voraussichtlich 2018 abgeschlossen sein. Der Bau der S4 wurde ebenfalls 2011 beschlossen allein die Planung und die anschließenden Genehmigungsverfahren werden wohl nicht vor 2018 beendet sein.
Wagen wir einmal einen Blick in die Zukunft: Wie wird denn der Verkehr in Hamburg in 50 Jahren aussehen?
Wir werden den öffentlichen Nahverkehr weiter ausbauen, und zwar gerade den schienengebundenen. Das gilt für die U-Bahn- und S-Bahn-Vorhaben, die wir bereits auf den Weg gebracht haben und den weiteren Ausbau, den wir jetzt vorsehen, Stichwort U5. Wir müssen auch zu einer Elektrifizierung des Verkehrs übergehen. Deshalb reden wir beispielsweise sehr intensiv mit Busherstellern, welche Möglichkeiten sich bieten, um unseren Wunsch zu realisieren, von 2020 an nur noch emissionsfreie Busse anzuschaffen.
Ist das realistisch?
Wir haben jetzt schon eine weit fortgeschrittene Generation von Wasserstoff-Hybrid-Bussen in Betrieb. Wir hoffen, dass vielleicht schon 2017 eine Situation eintritt, in der sich die Kosten für die Produktion eines solchen Busses von denen für einen dieselbetriebenen Bus nicht sehr unterscheiden. Wir testen jetzt auch batterieelektrische Busse.
Wenn jetzt tatsächlich ganz viele Menschen auf die Elektromobilität umsteigen, wie können Sie dann sicherstellen, dass überhaupt genügend Ladestationen zur Verfügung stehen?
Dadurch, dass wir das Stromnetz wieder selbst betreiben und auch die Ampelanlagen, sind wir in der Lage, diese Dinge selbst auf den Weg zu bringen. Der Senat hat gerade den Investitionsplan für den Bau der Ladeinfrastruktur beschlossen.
Die Zukunft liegt also beim Strom?
Nach der Elektrifizierung der modernen Städte zu Beginn des 20. Jahrhunderts geht es am Beginn des 21. Jahrhunderts um die fortschreitende Elektrifizierung des Verkehrs. Ein weiteres Thema beim Blick in die Zukunft ist: Intermodalität.
Also die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel auf dem Weg zum Ziel.
Ja. Und deshalb muss der Umstieg von einem Verkehrsmittel zum anderen bequem und spontan möglich sein. Dass man zum Beispiel mit dem eigenen Fahrrad oder dem Auto zu guten Bike-and-Ride- oder Park-and-Ride-Parkplätzen kommt, dann mit Bus, Bahn oder Fähre in die Stadt fährt und es dort die Möglichkeit gibt, sich weiterzubewegen zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit einem Taxi oder Carsharing-Angeboten.
Was Sie beschreiben, gibt es in der Hansestadt seit Kurzem: Das Programm switchh, bei dem eine App dem Nutzer zeigt, welches gerade das beste Verkehrsmittel zu seinem Ziel ist.
Richtig. Der große Nachteil aller öffentlichen Verkehrsmittel, besonders gegenüber dem eigenen Auto mit Navigationssystem, ist der, dass man glaubt, sich nicht genug auszukennen, um zum Ziel zu kommen. Deshalb ist es wichtig, dass man einfach auf eine App drücken kann und einem gezeigt wird, was man beim Umsteigen machen muss.
Stichwort Park and Ride. Die Benutzer der Parkplätze sind erbost, dass für das Abstellen der Autos plötzlich eine Parkgebühr gezahlt werden soll.
Dafür wird es aber auch eine Qualitätsverbesserung des Angebots geben. Wir werden es ausbauen und weitere Stationen einrichten. Das ist nur zu schaffen, wenn auch Einnahmen erzielt werden. München hat, aus sehr ähnlichen Erwägungen wie wir jetzt, schon vor einigen Jahren entschieden, die Park-and-Ride-Plätze innerhalb der Stadt gebührenpflichtig zu machen und das funktioniert. Und im Hamburger Umland sind die Park-and-Ride-Plätze auch oft gebührenpflichtig.
Ist die gerade beschriebene Intermodalität Ihre Idealvorstellung davon, wie wir uns in einer Metropole wie Hamburg fortbewegen sollten?
Ich will niemandem vorschreiben, wie er sich in der Stadt bewegen sollte. In diesem Sinne habe ich keine Idealvorstellung. Unsere Aufgabe ist es sicherzustellen, dass jegliche Nutzung von ganz unterschiedlichen Verkehrsmitteln gut funktioniert. Nicht einfach in einer schon gebauten Stadt.
Wenn die Mischung gut aufgeht, funktioniert die Stadt besonders gut.
Richtig. Deshalb glaube ich, dass es die Gegensätze, die einige herbeireden wollen, gar nicht gibt. Größte Profiteure einer attraktiven Fahrradstadt sind ja die Autofahrer, weil diejenigen, die mit dem Fahrrad unterwegs sind, nicht auch mit Autos auf den vorhandenen Straßen fahren.
Fahrradfahren ist ein bedeutender Aspekt von Intermodalität. Doch viele Radwege in der Stadt sind marode. Müssen nicht die Möglichkeiten verbessert werden, um die Menschen aufs Rad zu locken?
Ja. Um es mit den Worten aus dem Katalog einer Ausstellung im Museum der Arbeit zu sagen: Als das Auto in die Stadt kam, wurde das Fahrrad vergessen.
In anderen Städten Europas wie etwa Kopenhagen gehören Unmengen von Fahrrädern zum Stadtbild. Was hat Hamburg versäumt?
Kopenhagen wird immer gern als Beispiel genannt. Aber Hamburg ist viel größer als Kopenhagen, das im eigentlichen Stadtgebiet weniger als 600 000 Einwohner und eine viel geringere Fläche hat. Zudem liegen dort wichtige Institutionen, wie zum Beispiel die Universität, mitten in der Stadt und es gibt Innenstadtzentren, die bewohnt sind. So etwas stellen wir mit der HafenCity jetzt überhaupt erst her. Aber richtig ist, dass andernorts das Fahrrad für einen Teil der Bevölkerung immer ein Verkehrsmittel nicht nur für die Freizeit, sondern auch für den Arbeitsweg geblieben ist. Das kann auch für unsere Stadt beispielhaft sein.
Wie wollen Sie dieses Ziel erreichen?
Wir haben die Trendumkehr schon eingeleitet. Die Fahrradwege und Velorouten werden ausgebaut, das StadtRad-Programm wird mit weiteren 40 neuen Stationen massiv ausgeweitet und Fahrradachsen entlang der Außenalster werden konzipiert. Auch der Fahrradweg entlang der Elbe am Großmarkt wurde gerade eröffnet.
Lassen Sie sich durch erfolgreiche Verkehrskonzepte anderer Metropolen inspirieren?
Ja, unbedingt. Im Hinblick auf den Ausbau der Fahrradwege hatten wir schon letztes Jahr zu einer sogenannten Fahrradwerkstatt eingeladen. Dabei sind alle in der Hamburger Verwaltung zuständigen Mitarbeiter zusammengekommen. Als Referenten hatten wir den Fahrradbeauftragten der Stadt Kopenhagen eingeladen.
Der ehemalige Staatsrat der Wirtschaftsbehörde und heutige Präsident der Hafenunternehmer, Gunter Bonz, beklagt, dass Hamburg wegen des Investitionsstaus in den vergangenen Jahren mit Straßen, Brücken und der Hafen-infrastruktur 60 bis 70 Jahre hinterherhinkt. Wie lange wird es dauern, bis die Stadt wieder optimal aufgestellt ist?
Wir sind dabei, den Instandhaltungsstau aufzuarbeiten. Schon am Ende dieses Jahrzehnts wird es zumindest bei den Straßen keine Verschlechterung mehr geben. Nach und nach holen wir das in der Vergangenheit Versäumte auf.
Professor Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts, kritisiert, dass die Gelder in falsche Kanäle fließen. Wenn man das, was notwendig ist, schneller und intensiver tun würde, anstatt auf Mütterrente und Rente mit 63 Geld zu verschleudern, könnten die Menschen in 20 oder 30 Jahren mehr davon profitieren.
Ich bin immer sehr zurückhaltend, was solche Vergleiche angeht. Aber ich stimme allen zu, die sagen, dass wesentlich mehr in die Verkehrsinfrastruktur investiert werden muss. Das werden wir auch kontinuierlich tun.
Wo steht Hamburg verkehrspolitisch und mobilitätstechnisch im Vergleich zu anderen Großstädten in der Welt? Gibt es Bereiche, bei denen Sie sagen, da sind wir besser als alle anderen?
Ich neige nicht zu solchen Vergleichen. Aber das, was wir tun, sind die Dinge, die in der Welt als die richtigen empfunden werden. Also zum Beispiel der Ausbau des Metrosystems, unsere S- und U-Bahnen in Hamburg. Das findet überall in großen Dimensionen statt. Angesichts der wenigen Metro-Kilometer, die wir in den vergangenen Jahrzehnten gebaut haben, frage ich mich, wie Anfang des vergangenen Jahrhunderts die Stadtväter einen ganzen Hochbahn-Ring bauen konnten. Heute würden viele Leute behaupten: Das kann man nicht schaffen. Denen rufe ich zu: Unsere Generation schafft das auch.
Das Interview führten Andreas Eckhoff und Achim Schneider.