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16.11.2003

Interview mit dem Tagesspiegel

 

Der Tagesspiegel: Herr Scholz, können wir uns darauf einigen, dass ein Satz in dem Interview nicht vorkommt: Wir haben ein Vermittlungsproblem, unsere Politik ist aber gut.

 

Olaf Scholz: Können wir, den Satz habe ich sowieso noch nie benutzt. Schon als Schüler konnte ich Politiker nicht leiden, die nach einer Wahlniederlage erzählen, sie hätten nur ein Vermittlungsproblem.

 

 

Sie müssen sich auch in die SPD vermitteln. Fühlen Sie sich von der Partei getragen?

 

Ja. Ich habe gerade in den vergangenen Tagen Solidarität erfahren. Wir haben eine schwierige Situation. Die Reformmaßnahmen sind nicht populär. Dass man dafür nicht nur Beifall bekommt, kann nicht weiter verwundern.

 

 

Ihr Wahlergebnis von 91 Prozent beim ersten Mal vor einem Jahr war geliehen. Was wäre auf dem Parteitag in Bochum ein gerechtes und solidarisches Ergebnis?

 

Als Generalsekretär bin ich per Arbeitsvertrag zur Genügsamkeit verpflichtet. Ich bin sicher, dass viele wissen, wie kompliziert die Lage ist.

 

 

Sie nehmen jedes Ergebnis mit Demut hin?

 

Nein.

 

 

Die Kritik konzentriert sich stark auf ihre Person. Hat das bei Ihnen Spuren hinterlassen?

 

Jeder, den das unberührt ließe, bedürfte einer eingehenden Behandlung.

 

 

Wie lange wollen Sie denn dann noch Generalsekretär bleiben? So lange Sie dürfen?

 

Also, nicht bis 67.

 

 

Ist Generalsekretär ein interessanter Job?

 

Generalsekretär ist eine der interessantesten Aufgaben für einen Sozialdemokraten. Ich bin mit 17 in die SPD eingetreten. Die Partei hängt mir am Herzen. Für mich ist es eine große Herausforderung, die Partei programmatisch und organisatorisch weiter zu entwickeln.

 

 

Was entgegnen Sie denen, die sagen, Olaf Scholz ist mir zu kalt?

 

Ich bin nicht kalt. Wer mich kennt, weiß das. Die Reformen sind anstrengend. Ich unterstütze sie. Gerade, weil ich ein sozial engagierter Mensch bin.

 

 

Verstehen Sie diejenigen, die Sie Scholzomat" nennen, die finden, Sie seien ein Sprechautomat?

 

Chapeau. Der Spruch ist gut. Das ist eine Formel von Journalisten, die sich darüber ärgern, dass ich nicht schlecht über die SPD rede.

 

 

Könnte es nicht sein, dass sich die Menschen etwas mehr Verständnis für die Sorgen und etwas mehr Emphase von Ihnen wünschen?

 

Ich bin in die SPD gegangen, weil ich etwas für Gerechtigkeit tun will und das treibt mich auch heute noch an! Ansonsten: Ich bin Hamburger. Ich neige nicht zu Gefühlsausbrüchen.

 

 

Wo wir bei Gerechtigkeit sind: Was spricht gegen eine Vermögenssteuer, außer dass Sie gegen das Wort Steuer sind?

 

Die SPD will das Steuersystem gerechter machen. Dazu gehört, dass große Erbschaften stärker belastet werden. Es kann nicht sein, dass die Besteuerung für die kommende Erbengeneration geringer ist als zu Ludwig Erhards Zeiten. Natürlich, Omas Haus wird verschont, und mittelständische Betriebsübernahmen werden nicht beeinträchtigt.

 

 

Wie viel kostet denn bei Ihnen Omas Haus?

 

Man wird sich da an den Preisen in den Städten orientieren.

 

 

Das ist die lange Perspektive. Kurzfristig sorgen Sie sich ums Weihnachtsgeschäft Das soll das Vorziehen der Steuerreform ankurbeln. Gleichzeitig nehmen Sie den Menschen Pendlerpauschale und Eigenheimzulage.

 

Steuern senken und Subventionen abbauen gehört zusammen. Die Pendlerpauschale wollen wir kürzen; ganz abschaffen will sie Herr Merz! Die Vorstellung mancher, man könnte das Vorziehen der Steuerreform komplett gegenfinanzieren ist aber unrealistisch. Die Union muss sich bald für oder gegen Steuersenkungen entscheiden.

 

 

Und mit Ihrem Modell geht es wieder aufwärts? Wir haben fast fünf Millionen Arbeitslose. Halten Sie da am Ziel der Vollbeschäftigung fest?

 

Vollbeschäftigung ist ein realistisches Ziel. Daran halten wir Sozialdemokraten fest. Andere Länder, etwa Skandinavien, haben zehn Jahre früher mit Reformen angefangen und uns vorgemacht, dass es geht. Die dafür notwendigen Entscheidungen hat der Bundestag beschlossen, jetzt muss nur noch der unionsdominierte Bundesrat zustimmen. Wenn wir damit durchkommen, ist es die wohl wichtigste Reform seit langem.

 

 

Was heißt Vollbeschäftigung? Tony Blair sieht sie bei vier bis fünf Prozent Sockelarbeitslosigkeit.

 

Es geht nicht um einen Sockel. Das Kriterium ist, dass niemand länger als ein Jahr arbeitslos ist.

 

 

In den Niederlanden arbeiten die Menschen weniger als die Deutschen. Trotzdem geht es dort besser.

 

Wir müssen flexibler werden. In den Niederlanden liegt die Teilzeitarbeit bei 40 Prozent - gewünschte, nicht aufgezwungene. Auch sehr gut qualifizierte Menschen bis ins Management machen das. Da sind wir erst am Anfang.

 

 

Mit Lohnsteigerungsverzicht durch die Gewerkschaften.

 

Das hat nichts damit zu tun: Es wird immer nur die Arbeit bezahlt, die man leistet.

 

 

Reallohnverzicht - ein schönes Projekt auch für Deutschland?

 

Nein, generell ist das kein richtiger Weg. Wir brauchen auch Nachfrage der Konsumenten!

 

 

Von der Makroökonomie zur Heimatkunde. Würden Sie aus dem schicken Hamburg freiwillig nach Bochum fahren?

 

Klar. Es ist gut, dass wir im Ruhrgebiet tagen. Hier schlägt immer noch das Herz der SPD. Gleichzeitig ist Bochum ein Ort, der zeigt, dass der Wandel zu modernen Strukturen gelingen kann.

 

 

Ist es ein wichtiger Parteitag?

 

Jeder Parteitag ist wichtig. Dieser findet in einem ganz entscheidenden Moment statt. Wir sind dabei, wichtige Reformen umzusetzen und diskutieren gleichzeitig über die Perspektiven.

 

 

Welches Signal soll vom Parteitag ausgehen?

 

Wir erneuern den Sozialstaat mit Herz und Verstand. Wir sind die Partei des Fortschritts. Wir haben Perspektiven für die Zukunft; für Themen wie Bildung, Forschung, Innovation oder Kinderbetreuung lassen sich Sozialdemokraten begeistern.

 

 

Wir sitzen hier im Willy-Brandt-Haus. Braucht die SPD eine Vision?

 

Die SPD hat eine Vision: eine gerechte Gesellschaft und gerechte Welt zu schaffen. Wie wir das erreichen können, müssen wir immer wieder neu diskutieren.

 

 

Sind Sie überzeugt, dass Sie und Ihre Partei überzeugend sind? Die

 

Umfragen sind im Moment nicht gut!

 

 

Ach, was. Und Warum?

 

Weil wir in einem Umbruch sind, der niemandem leicht fällt. Alle werden nächstes Jahr feststellen, dass unser Sozialstaat immer noch funktioniert und die Menschen werden auch merken, dass unsere Reformen gerecht und sozial ausgewogen sind, anders als die Vorschläge der Unionsparteien.

 

 

Zweifeln Sie gelegentlich, ob Ihr Weg der richtige ist?

 

Natürlich, alles andere wäre ja vermessen.

 

 

Sie haben 14 Wahlen vor sich. Wie viele können Sie noch verlieren, bevor die Regierung und Sie nicht mehr im Amt sind?

 

Wir haben die Chance bei allen Wahlen unsere Ergebnisse zu verbessern. Dafür werden wir in den nächsten Wochen hart arbeiten.

 

 

Also: die SPD deutlich über zehn Prozent.

 

Die Reformen werden Wirkung zeigen. Wir packen die Dinge an, die 20 Jahre liegen geblieben sind. Mit dem absehbaren wirtschaftlichen Erfolg werden sich die Stimmung für die SPD und die Wahlchancen im nächsten Jahr verbessern.

 

 

Versprechen Sie das Ihren Genossen?

 

Die Konjunktur wird nicht am Schreibtisch des Generalsekretärs gemacht. Aber was wir politisch machen können, das tun wir. Die Menschen werden merken, dass es wieder besser wird.

 

 

Wann?

 

Wenn die Serie der Wahlen im Juni beginnt, werden wir besser dastehen.

 

 

Die Wahlen in NRW dürfen nicht verloren gehen, weder 2004 in den Kommunen noch 2005 im Land.

 

Die Wahlen in NRW sind von strategischer Bedeutung. Wir wollen die gewinnen.

 

 

Würden Sie darauf wetten?

 

Wenn Sie mir das ersparen würden. Sonst muss ich wieder 500 E-Mails von denen beantworten, die mitwetten wollen.

 

 

Finden Sie, dass Sie Humor haben?

 

Ja.

 

 

Können Sie sich über sich selbst lustig machen?

 

Ja.

 

 

Machen Sie mal.

 

(lacht) Nein. Warum?

 

 

Wär' doch nett, wenn Sie uns in Ihr Herz blicken ließen, Ihr linkes. Sagen Sie doch mal drei Begriffe, die sich mit Ihnen verbinden sollen.

 

Ich stelle mir öffentlich nicht gerne Zeugnisse aus.

 

 

Jetzt sind Sie wieder so ernst. Fehlt da nicht etwas Leichtigkeit - wenn alles schon so schwer ist?

 

Politik darf unterhaltsam sein. Sie darf aber nicht zur reinen Show verkommen. Dazu sind die Probleme zu ernst und Politiker sollten nicht den Hampelmann machen!

 

 

Es gibt da ja noch den Vorsitzenden, der es leichter machen kann?

 

Es geht nicht um Leichtigkeit. Was wir machen, verlangt den Menschen einiges ab.

 

 

Kann es sein, dass der Vorsitzende Sie bald in ein Gremium beruft, das Kabinett heißt? Als Finanz- oder als Innenminister?

 

Mich ehren diese Spekulationen, offenbar traut man mir die Ämter zu. Aber ich will als Generalsekretär mithelfen, ein neues Programm zu entwickeln und die nächsten Bundestagswahlen zu gewinnen.

 

 

Olaf Scholz sagt also: Ich will bis 2006 nicht Minister werden.

 

Ja.

 

 

Hat denn der Kanzler schon mal gefragt, ob Sie ins Kabinett wechseln wollen?

 

Das wüssten Sie sicher gerne.

 

 

Angela Merkel hat bessere Umfragewerte als Gerhard Schröder. Die Menschen trauen ihr offenbar mehr zu.

 

Das ist erkennbar nicht der Fall. SPD-Wähler wechseln kaum zur CDU, sie sind nur im Moment bei Wahlen zurückhaltend. Helmut Kohl hat sich 16 Jahre vor Reformen gedrückt, weil er die sinkenden Umfragewerte gefürchtet hat. Wir drücken uns nicht. Ehrlich gesagt auch deshalb, weil wir dazu keine Alternative kennen. Und drei Jahre Stagnation haben uns natürlich mutiger gemacht. Wenn wir es schaffen, werden wir auch die Anerkennung bekommen.

 

 

Erst das Land, dann die Partei?

 

Erst das Land, dann die Partei.

 

 

Reformieren oder untergehen?

 

Reformieren. Wir werden wieder bessere Ergebnisse erzielen.

 

 

Unterschätzen Sie Angela Merket nicht?

 

Angela Merkel hat sich verschätzt. Sie hat mit ihrer Entscheidung, sich hinter das Konzept der Kopfpauschalen von Roman Herzog und die Steuerideen von Friedrich Merz zu stellen, einen schweren strategischen Fehler gemacht. Für solche Konzepte, die die Abkehr vom sozialen Konsens bedeuten, wäre nur Platz, wenn die SPD sich nicht traute, die aktuellen Reformen durchzusetzen. Die Menschen wollen keine marktradikalen Lösungen an Stelle der sozialen Marktwirtschaft.

 

 

Auch in Ihrer Partei gibt es Sympathien für das Merz-Konzept.

 

Die Senkung des Spitzensatzes auf 36 Prozent hat einen gewaltigen Pferdefuß - sie soll mit der Ladenhüteridee vom Verzicht der Arbeitnehmer auf steuerfreie Zuschläge finanziert werden. Das bedeutet: Die gut Verdienenden zu Lasten der schwer Arbeitenden zu begünstigen. Herr Merz will nur Umverteilung von unten nach oben.

 

 

Apropos Merkel: Glauben Sie, das Thema Hohmann ist nur ein CDU-Problem?

 

Sicher gibt es mehr Menschen in Deutschland, die so denken wie Herr Hohmann. Deshalb tut eine demokratische Partei gut daran, sich klar abzugrenzen. Die Äußerungen des Abgeordneten Hohmann sind unerträglich. Der Ausschluss aus der Fraktion war notwendig. Die zahlreichen Stimmen für Hohmann sind aber bedenklich. Es gibt in der CDU offenbar noch erheblichen Klärungsbedarf.

 

 

Viele mahnen, in Deutschland gebe es antisemitische Tendenzen. Muss nicht auch die SPD, die Regierung, darüber die Debatte suchen?

 

Natürlich, das ist keine Aufgabe, die nur eine Partei betrifft, sondern alle Demokraten. Über diese Fragen muss die Gesellschaft diskutieren.

 

 

Das Interview führten Stephan-Andreas Casdorff, Markus Feldenkirchen und Ingrid Müller.