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20.07.2009

Interview mit der DGB-Zeitschrift Einblick

einblick: Die Verbesserungen beim Kurzarbeitergeld haben bisher massive Entlassungen in Folge der Krise verhindert. Wie lange hält dieser Damm noch? Und was kommt danach?

Olaf Scholz: Es war richtig, dass wir im Dezember entschieden haben, die Kurzarbeiterförderung auf 18 Monate auszudehnen. Inzwischen sind es 24 Monate. Das ermöglicht den Unternehmen, zusammen mit ihren Beschäftigten die Wirtschaftskrise durchzuhalten. Wir nehmen an, dass sich die wirtschaftlichen Verwerfungen der Krise im Laufe des nächsten Jahres weitgehend zurückbilden. Und wenn diese Vorhersagen eintreten, dann haben wir es mit einem modernen Keynesianismus geschafft, die Krise durchzustehen. Vergleicht man die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in anderen Ländern mit der in Deutschland, bestätigt das unseren Weg.

Ist das nicht zu positiv gedacht? Die Gewerkschaften meinen: Das dicke Ende könnte noch kommen.

Das hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Für die Unternehmen rechnet sich Kurzarbeit natürlich immer nur dann, wenn sie davon ausgehen können, dass es früher oder später halbwegs normal weitergeht. Wer denkt, dass er sich dauerhaft von seinen Mitarbeitern trennen muss, kalkuliert falsch, wenn er auf Kurzarbeit setzt. Die meisten, die mit ihren Betriebsräten Kurzarbeit vereinbart haben, rechnen damit, dass sich die Auftrags- und Beschäftigungslage in ihrem Unternehmen wieder bessern. Vorhersagen sind aber im Moment schwer für alle. Nicht nur für die Wirtschaftsforschungsinstitute, die in der Vergangenheit auch immer wieder daneben lagen.

Kurzarbeit wird noch besser gefördert, wenn sie mit Qualifizierung verbunden wird. Bisher gibt es aber gerade einmal 5000 bis 6000 Fälle, in denen das tatsächlich genutzt wird. Woran hakt es?

Wir haben das Angebot der geförderten Qualifizierung während der Kurzarbeit gemacht: Wenn qualifiziert wird, werden gleich ab dem ersten und nicht erst ab dem siebten Monat Kurzarbeit die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber vollständig übernommen. Wir fördern Qualifizierung außerdem mit zusätzlichen Mitteln aus dem europäischen Sozialfonds. Und unabhängig von der Kurzarbeit gibt es auch Programme, die für die Qualifizierung un- und angelernter Arbeitnehmer zur Verfügung stehen. Das ist beispielsweise das Programm WeGebAU. Die Unternehmen nutzen diese Angebote viel mehr als früher, aber weit unterhalb der Größenordnung, die wir uns wünschen. Deshalb müssen Betriebsräte vor Ort darauf drängen, dass die Möglichkeiten zur Qualifizierung auch genutzt werden. Unternehmen, die in Weiterbildung investieren, fahren wirtschaftlich besser. Und Beschäftigte, die ihre beruflichen Kenntnisse auffrischen oder verbessern können, haben einen sichereren Arbeitsplatz.

Aus den Gewerkschaften gibt es den Vorschlag, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeld I zu verlängern. Ist das für Sie eine mögliche Option, um Härten der Krise abzumildern?

Priorität hat jetzt die aktive Arbeitsmarktpolitik. Also all die Maßnahmen von Kurzarbeit bis zur Förderung der Qualifizierung, die dafür sorgen, dass wir möglichst viele Arbeitplätze erhalten können. Im Übrigen haben wir uns bereits vor der Krise dafür entschieden, die Arbeitsvermittlung auszubauen. Wir haben tausende zusätzliche Arbeitsplätze in den Arbeitsagenturen und Jobcentern geschaffen. Diejenigen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, müssen optimal bei der Jobsuche unterstützt werden. Deshalb setzen wir dort unsere Prioritäten. Meine These ist: Da wäre noch mehr möglich. Deshalb bin ich für einen weiteren massiven Ausbau der Arbeitsvermittlung.

Ende 2009 läuft die geförderte Altersteilzeit aus. Die Gewerkschaften fordern eine Verlängerung, zumindest befristet. Wie sehen die Chancen dafür aus?


Ich glaube, dass es richtig ist, bei der Altersteilzeit noch mal was zu machen. In dieser Legislaturperiode haben wir bereits dafür gesorgt, dass ein Teil der Fördermöglichkeiten dauerhaft bestehen bleibt. Wer in Altersteilzeit geht, verdient weniger. Die meisten von uns kommen aber nicht mit einem halben Gehalt aus. Deshalb leisten die Unternehmen eine Aufstockungszahlung. Diese zusätzliche Zahlung ist steuerfrei, auch die Sozialversicherungsbeiträge für diese Aufstockung sind niedriger. Das bleibt dauerhaft. Und das ist nicht unwichtig etwa die Hälfte der Altersteilzeit findet auf dieser Basis statt. Darüber hinaus ist es bis Ende 2009 möglich, dass die Bundesagentur für Arbeit einen Zuschuss an Arbeitgeber gibt, die Altersteilzeit anbieten und gleichzeitig neue Arbeitnehmer einstellen. Ich halte es für richtig, diese Förderung noch einmal für fünf Jahre zu verlängern. Es gibt viele Arbeitnehmer, deren erste Berufsjahre sie körperlich sehr beeinträchtigt haben. Das lässt sich heute nicht mehr mit moderner Arbeitskultur in Ordnung bringen. Deshalb ist es sinnvoll, bei der Altersteilzeit eine zusätzliche Periode anzuhängen. Wir müssen aber in Zukunft dafür sorgen, dass die heute 22-Jährigen nicht so verschlissen werden, dass sie als 42-Jährige nicht mehr weitermachen können.

Also geförderte Altersteilzeit wie bisher?

Nein, nicht wie bisher. Bisher wurde Altersteilzeit für jede Neueinstellung gefördert. Da haben viele Personalleiter letztendlich nur die normale Fluktuation als Neueinstellung ausgegeben. Und in fast allen Unternehmen gibt es irgendwann Neueinstellungen. Stattdessen sollte die Förderung an die Übernahme von Auszubildenden gekoppelt werden. Denn da haben wir in den nächsten Jahren ein Problem. Das wäre die richtige Beschäftigungspolitik.

Beim Ausbildungspakt gibt es mittlerweile deutliche Diskrepanzen zwischen Ihnen und der Wirtschaft. Wie viel mehr Engagement auch in konkreten Zahlen hätten Sie sich von der Wirtschaft gewünscht?

In Deutschland sind in den beiden letzten Jahren jeweils über 600 000 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen worden. Das war ein Fortschritt, denn wir waren schon einmal schlechter. Aber jetzt beginnt die Zahl der Ausbildungsverträge zu sinken in diesem Jahr womöglich unter 600 000. Das kann nicht sein. Wir brauchen ein konstant hohes Niveau an Ausbildungsverträgen. Zumal die Situation auf dem Ausbildungsmarkt für die jungen Leute nicht geschönt werden sollte. Fakt ist, anderthalb Millionen der 20- bis 29-Jährigen sind ohne Berufsabschluss. Und einige Hunderttausend suchen als Altbewerber Jahr für Jahr vergeblich einen Ausbildungsplatz. Das ist ein schlimmes Zeugnis für die Funktionsfähigkeit des Ausbildungsmarktes in Deutschland.

Die Wirtschaft ist jetzt schon nicht bereit, ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Zeigt das nicht auch, dass der Ausbildungspakt letztlich gescheitert ist? Müssen nicht doch Konzepte wie eine Ausbildungsplatzumlage wieder auf den Tisch?

Wir müssen hart miteinander diskutieren. Deshalb habe ich mich beim diesjährigen Ausbildungspakt geweigert zu unterschreiben, dass etwas vereinfacht gesagt 580 000 Ausbildungsverträge genau so gut sind wie 620 000. Das ist eine Form von Mathematik, die sich mir nicht erschließt.

Aber wenn die Wirtschaft nicht mehr Ausbildungsplätze anbietet woher sollen sie dann kommen? Gibt es dann mehr außerbetriebliche Ausbildung?

Die wichtigste Ausbildung in Deutschland bleibt auch in Zukunft die Berufsausbildung, die Lehre. Selbst wenn ein Drittel eines Altersjahrgangs studiert, werden zwei Drittel aller jungen Menschen ihr Berufsleben in der klassischen Berufsausbildung beginnen. Wir müssen sicherstellen, dass es genügend ungeförderte, von der Wirtschaft bereit gestellte Ausbildungsplätze im dualen System gibt. Natürlich kann man das mit außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen unterstützen. Das tun wir auch. Wir sind in der Lage, 45 000 bereitzustellen. Besser wäre es aber, dass diese jungen Menschen einen ungeförderten, regulären Ausbildungsplatz bekommen. Das können wir politisch unterstützen. Wir sollten Betriebsräten ein Initiativrecht beim Thema Ausbildung geben. So könnte festgelegt werden, wie viel in einem Unternehmen ausgebildet wird. Das würde in vielen Fällen dafür sorgen, dass die Ausbildungsquote in den Unternehmen auf das richtige Maß steigt.

Die SPD sagt, sie stehe für die Ausweitung der Mitbestimmung. Was soll Ausweitung konkret heißen?

Mehr Mitbestimmung der Betriebsräte wünsche ich mir bei der Aus- und Weiterbildung. Über diese Fragen muss am dringendsten diskutiert werden. Wir müssen sehen, in welchem Rahmen die Möglichkeiten der Betriebsräte weiterentwickelt werden können. Bei diesen Themen ist auch die Wahrscheinlichkeit am größten, dass man Gesetzgebungsmehrheiten zustande bekommt.

Die Weiterbildungsquote von Geringqualifizierten ist in Deutschland immer noch zu niedrig. Wie lässt sich das ändern?


Durch Einsicht und durch gestützte Einsicht.

Gestützte Einsicht?

Gestützte Einsicht heißt, dass man Betriebsräten Instrumente an die Hand geben kann, um diesen Zustand zu ändern. Sie haben ja jetzt schon ein Mitbestimmungsrecht bei Bildungsmaßnahmen im Betrieb und können für faire Verteilung sorgen. Es sollte auch bei Weiterbildung ein Initiativrecht des Betriebsrats geben.

Im nächsten Jahr steht die Überprüfung der Rente mit 67 an. Die Beschäftigungssituation Älterer hat sich im Zuge der Krise in keiner Weise verbessert, wird sich wohl eher verschlechtern. Muss die Rente mit 67 nicht ausgesetzt werden?

Wir reden über eine Anhebung der Regelaltersgrenze, und wir reden über das Jahr 2029. Ich will die Hoffnung ausdrücken, dass die Krise bis dahin längst vorbei ist. Wahrscheinlich werden wir bis dahin mehrere Aufs und Abs der Konjunktur mitgemacht haben. Deshalb sollte man die richtigen Zusammenhänge herstellen. Wir brauchen eine Veränderung der Kultur des Arbeitens. Wir brauchen eine Kultur, in der wir die lange Zeit der Berufstätigkeit nicht als den schlimmen, als den schlechten Teil unseres Lebens begreifen. Wir müssen stolz und zufrieden zur Arbeit gehen können. Und zwar nicht nur, wenn wir eine Arbeit mit einem erstklassigen Einkommen haben sondern auch diejenigen, die am Band oder an der Ladentheke stehen. Das muss auch für diese Arbeitsplätze gelten. Da ist noch viel nachzuholen. Wir brauchen alternsgerechte und altersgerechte Arbeitsplätze.

Viele Unternehmen bieten Älteren aber überhaupt keine Stellen mehr an.

Ich frage bei Besuchen in Betrieben immer nach Arbeitnehmern über 60. Es stimmt: Es ist schwer, Unternehmen zu finden, die über 60-Jährige beschäftigen. Das muss man mit aller Bitterkeit sagen. Wenn ich auf Unternehmerversammlungen frage, wer zuletzt jemanden mit 61 eingestellt hat, dann melden sich nur ganz wenige. Und wenn ich dann ergänze außer im Vorstand, dann gehen noch ein paar Hände runter. Da ist etwas in Ordnung zu bringen, was bisher schief gelaufen ist.

Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir in Zukunft ältere Belegschaften haben. Arbeitsbedingungen, die für ältere Arbeitnehmer geeignet sind, nützen gleichzeitig auch den Jüngeren und somit der Produktivität des ganzen Unternehmens. Solche Arbeitsbedingungen durchzusetzen, wird die Aufgabe der Zukunft sein. Wir dürfen außerdem nicht nur über die Frage einer reduzierten Arbeitszeit im Alter diskutieren. Es gibt Menschen, die das schon im Laufe ihres Arbeitslebens tun wollen. Deshalb haben wir die rechtlichen Grundlagen für Arbeitszeitkonten verbessert. Die Konten können anders als in der Vergangenheit bei einem Arbeitgeberwechsel mitgenommen werden und sind endlich gegen Insolvenz geschützt. Dadurch kann eine neue Kultur entstehen, in der das Arbeitsleben in seiner gesamten Länge betrachtet wird. Nur wenn uns das gelingt, wird es uns auch gelingen unseren Wohlstand zu sichern. Denn es wird in den nächsten Jahren einen Mangel an Arbeitskräften geben und da werden wir alle brauchen.

Das hört sich gut an aber funktionieren die Schutzregeln? Ist gewährleistet, dass Arbeitszeitkonten und Guthaben bei einem Arbeitgeberwechsel oder bei Insolvenz tatsächlich sicher sind?

Es gibt zwei Möglichkeiten: Arbeitnehmer können das Konto mit Einverständnis des neuen Arbeitgebers übertragen. Und wenn das Einverständnis fehlt, kann man es bei der Deutschen Rentenversicherung parken. Die gesetzliche Möglichkeit ist geschaffen worden, und auf dieser Grundlage gibt es jetzt die ersten Tarifverträge. Das halte ich für ganz moderne Tarifpolitik. Wir müssen die Frage, wie wir arbeiten wollen, wieder mehr in den Blick nehmen. Die Humanisierung der Arbeitswelt war eine große Initiative von Willy Brandt und wir müssen daran anknüpfen. Arbeit ist das wichtigste in unserem Leben und sie muss so ordentlich sein, dass wir das ohne faden Beigeschmack sagen können.

Also setzen Sie auf das Konzept Gute Arbeit?

Ja, es geht um Gute Arbeit. Und das heißt auch ganz klar: Arbeit, die ordentlich bezahlt wird. Wenn jemand den ganzen Tag arbeitet und am Ende des Tages feststellen muss, dass er von dem Lohn seiner Arbeit nicht leben kann, dann ist das unanständig. Das verletzt die Ehre hart arbeitender Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deswegen bin ich sehr froh, dass es uns gelungen ist, die Zahl der Mindestlöhne in Deutschland zu vervielfachen. Es ist gut, dass jetzt zum Jahresende vier Millionen Arbeitnehmer vor Dumpinglöhnen geschützt sein werden, und wir mit dem Mindestarbeitsbedingungengesetz in Zukunft sogar in Branchen handeln können, in denen weit und breit kein Tarifvertrag zu sehen ist.

Trotzdem sind wir von einem gesetzlichen Mindestlohn noch weit entfernt. Und auch die vorhandenen Instrumente gegen Lohndumping wirken nur begrenzt. Es hat sich als schwierig erwiesen, das Entsendegesetz auf weitere Branchen auszudehnen. Immer weniger Tarifverträge werden für allgemeinverbindlich erklärt, das scheitert meist an der Blockadehaltung der Arbeitgeber im Tarifausschuss. In anderen Ländern kann der Arbeitsminister allein Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären.


Dass in Deutschland die Bedeutung der Tarifverträge abgenommen hat, ist schlecht. Dass es ganze Regionen und Branchen gibt, in denen Tarifverträge nur eine ganz geringe Rolle spielen, ist auch schlecht. Und es ist sogar zum Schaden der Unternehmen. Denn manche Branche, die sich darüber wundert, dass sie nicht genügend Nachwuchskräfte findet, ist dafür selbst verantwortlich, weil sie die Arbeit nicht ordentlich bezahlt. Das ist eine schlimme Entwicklung der letzten zwei bis drei Jahrzehnte. Deshalb brauchen wir eine Neubelebung der Sozialpartnerschaft. Ich bin sehr dafür, dass wieder mehr Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden.

Haben Sie denn eine Idee, wie das funktionieren könnte? Die Politik kann schließlich auch etwas dazu beitragen sie schafft die Rahmenbedingungen.

Der Erfolg, den wir bisher schon bei den Mindestlöhnen hatten, ist ein ganz wichtiger Beitrag. Das hat den Ideologen unter den Arbeitgebervertretern gezeigt, dass ihre Rechnung nicht aufgegangen ist. Wer ständig gegen Kompromisse, gegen Sozialpartnerschaft, gegen Tarifverträge die Rede führt, bekommt mit Zeitverzögerung, was er bestellt hat: Ein demokratischer Staat kann Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht ungeschützt lassen und muss dann mit staatlichen Regelungen das tun, was früher besser durch die Tarifpartnerschaft funktioniert hat. Ich glaube, dass das bei vielen Arbeitgebern zum Nachdenken geführt hat. Deshalb haben wir mit den Fortschritten bei den Mindestlöhnen auch die Grundlage für einen Neustart der Sozialpartnerschaft gelegt.

Und das bringt eine andere Haltung der Arbeitgeber im Tarifausschuss?

Das ist meine Hoffnung. Es gibt mittlerweile Arbeitgeberorganisationen einzelner Branchen, die jetzt in Konkurrenz zu den Bundesverbänden in den Tarifausschuss streben, weil sie mit deren Politik nicht einverstanden sind. Das ist bemerkenswert. Weil es zeigt, dass immer mehr Arbeitgeber erkennen, dass sie Mindestlöhne für ihre Branche brauchen.

In Deutschland insbesondere im Osten entstehen immer mehr so genannte Green Jobs. Die Unternehmen erhalten oft öffentliche Förderungen. Gleichzeitig sind in manchen Unternehmen die Arbeits- und Lohnbedingungen nicht immer einwandfrei. Wie lässt sich garantieren, dass Unternehmen, die öffentliche Förderung in Anspruch nehmen, auch Gute Arbeit mit Existenz sichernden Löhnen bieten?

Eine Möglichkeit sind die Mindestlöhne. Eine weitere Möglichkeit ist, dass wir generell unabhängig von den konkreten Projekten dafür sorgen, dass bei öffentlicher Auftragsvergabe Tarifbedingungen durchgesetzt und beachtet werden. Das ist durch die sehr problematische und aus meiner Sicht falsche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs schwieriger geworden. Aber es ist nicht aussichtslos. Niemand darf sich verdrücken mit dem Argument: Wegen des Europäischen Gerichtshofs geht das nicht mehr. In der Kombination von verbindlichen Mindestlöhnen und Vergaberecht geht es eben doch.

Die Frage galt aber nicht nur der öffentlichen Auftragsvergabe, sondern öffentlicher Förderung: öffentliche Gelder von der Bundesagentur, aus EU-Fonds. Kann man diese Förderungen nicht generell mit der Forderung nach anständigen Arbeitsbedingungen verbinden?

Förderungen sind ja meistens mit Vergabe verbunden. Überall wo es rechtlich zulässig ist, ist es auch vernünftig dafür zu sorgen, dass die geförderten Unternehmen sich an die Standards halten, die wir alle für richtig halten.

Leiharbeit boomt in fast allen Branchen und hat sich zum Riesenproblem entwickelt. Wie lassen sich die Auswüchse der Leiharbeit in den Griff bekommen?

Was bei der Leiharbeit geschieht, ist sehr bedrückend. Besonders empörend ist, dass eine Regelung missbraucht wird, die was selten genug in Deutschland vorkommt im Einvernehmen von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften zustanden gekommen ist. Nämlich die Regelung, dass Leiharbeiter dasselbe verdienen wie Arbeitnehmer im Einsatzbetrieb es sei denn, für sie gilt ein eigener Tarifvertrag. Manche Arbeitgeber fanden das Gesetz damals so schlimm, dass sie vors Bundesverfassungsgericht ziehen wollten. Inzwischen müssen wir allerdings feststellen, dass sich irgendjemand ein Büro mietet und sagt Ich bin eine Gewerkschaft und jemand anders ein Büro mietet und sagt Ich bin ein Arbeitgeberverband. Und die schließen dann einen Tarifvertrag mit inakzeptabel schlechten Arbeitsbedingungen. Das muss sich ändern.

Wie?

Im ersten Schritt mit einer Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit. Die Union hat dem jetzt zumindest verbal zugestimmt. Aber wir sind mit der Umsetzung nicht fertig geworden, weil die Union darauf bestanden hat, dass als Lohnuntergrenze der jeweils schlechteste Lohnflächentarif in Deutschland gelten soll. Das kann man nun wirklich nicht machen. Gerade nach den bisherigen Erfahrungen. Schlimm sind auch die Fälle der Konzernleihe, bei der große Firmen eigene Verleihunternehmen gründen und sich zu billigeren Konditionen ihre Beschäftigten selber verleihen. Auch das müssen wir zurück drängen. Außerdem muss nach einer gewissen Einsatzzeit im Entleihbetrieb der Equal-Pay-Grundsatz gelten ganz gleich, welche Bedingungen beim Verleihunternehmen gelten. Wenn wir diese drei Dinge zustande bringen, dann können wir den schlimmsten Missbrauch bei der Zeitarbeit zurückgedrängt werden.

Die SPD macht in ihrem Regierungsprogramm auch Vorschläge zum Schonvermögen. Geld, das für die private Altersvorsorge angelegt wurde, soll nicht aufs Arbeitslosengeld II angerechnet werden. Welches Geld ist tatsächlich sicher?


Altersvorsorge muss geschützt werden. Das ist sie auch heute schon aber nur für die Leute, die alle Irrwege und Umwege kennen. Was ganz klar der Altersvorsorge dient, soll nicht herangezogen werden, wenn man Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende in Anspruch nimmt. Als Altersvorsorge gilt dann die Anlage, die unkündbar ist, die nicht gepfändet werden darf, die als Rente ausgezahlt wird und bis zum Lebensende zur Verfügung steht. Das kann man mit jeder Geldanlage und mit jedem Vertrag, den man heute schon hat, herstellen. Man kann seine bestehenden Anlagemöglichkeiten entsprechend umwandeln, sodass jeder von dieser Regelung Gebrauch machen kann. Das ist glaube ich eine sehr vernünftige Regelung, die vor Missbrauch schützt und gleichzeitig die Höhe der Altersvorsorge völlig freistellt. Die ganze Diskussion, wie hoch ein Schonvermögen sein soll oder darf, sind wir dann los: Geld, das man für seine Altersvorsorge angelegt hat, ist dann auch geschützt. Und wenn das sehr viel ist, dann können wir auch damit leben. Denn es ist gut, fürs Alter vorzusorgen.

Ein eigenständiges Arbeitnehmerdatenschutzgesetz ist vor der parlamentarischen Sommerpause nicht mehr zustande gekommen. Sie hatten angekündigt, dass es Fortschritte geben würde. Welche Fortschritte sehen Sie und wie geht es weiter?

Der Bundestag das ist immerhin gelungen hat eine Veränderung des geltenden Datenschutzrechts beschlossen und eine neue Generalklausel für Arbeitnehmer auf den Weg gebracht. Das ist eine leichte Stärkung der Arbeitnehmerrechte und wird den heutigen Zustand verbessern. Das reicht aber noch nicht auch angesichts all der in jüngster Zeit bekannt gewordenen Fälle von Überwachung und Datenmissbrauch durch Arbeitgeber. Wir brauchen ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz. Mich irritiert in dieser Frage ein wenig, dass zwar alle für mehr Arbeitnehmerdatenschutz sind, wenn der Skandal da ist und die Diskussion aufbrandet. Aber dieselben darunter auch Bundesministerien bekämpfen dann jede einzelne Regelung, die wir zur Verbesserung des Datenschutzes von Arbeitnehmern in der Koalition konkret durchsetzen wollten. Das werde ich nicht mehr mitmachen. Wenn es nicht gelingt, in der Regierung einen gemeinsamen Gesetzentwurf zustande zu bringen, dann werde ich einen eigenen vorlegen. Und dann wird die Bundestagswahl im September auch zum Plebiszit, bei dem die Bevölkerung sagen kann: Wir wollen das!

Es wird also in dieser Legislatur keine Einigung mehr geben?

Es wird ziemlich eng. Für mich ist aber klar: Ich werde mich bei diesem Thema nicht aus der Spur bringen lassen.

 

Hier finden Sie das Gespräch auf der Internetseite des Einblick.