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12.10.2003

Interview mit der BILD am SONNTAG

 

BILD am SONNTAG: Herr Scholz, leben wir in einer neuen Republik? Die SPD setzt die Agenda 2010 durch, die von der CDU stammen könnte, und die CDU präsentiert ein Programm, das bis vor kurzem nur die FDP vorgelegt hätte.

 

Olaf Scholz: Es ist unverkennbar, dass Deutschland sich nach der Kanzlerrede vom 14. März ändert. Alle merken, dass etwas getan werden muss. Allerdings werden auch die Unterschiede zwischen unserer Agenda und der CDU-Politik immer klarer. Ich finde es schon sehr bemerkenswert, was die CDU zur Kranken- und Pflegeversicherung vorgelegt hat. Diese Vorschläge orientieren sich nicht mehr an dem Sozialstaat, wie wir ihn seit Jahrzehnten kennen. Das ist die Aufkündigung des Sozialstaatskonsenses in der Bundesrepublik.

 

 

CDU-Chefin Merkel hat dafür immerhin die Rückendeckung des Parteivorstands…

 

Angela Merkel folgt einem falschen Vorbild - der konservativen Partei in Großbritannien. Die CDU sollte sich das Schicksal der Tories genau anschauen. Die hatten in den 80er-Jahren Erfolg, weil die linke Labour-Partei damals Reformen verweigerte. Wir dagegen bringen die notwendigen Reformen auf den Weg. Deshalb haben extreme marktliberale Positionen in Deutschland keine Chance. Der jetzige Kurs von Frau Merkel gefährdet sogar den Charakter der CDU als Volkspartei.

 

 

Norbert Blüms christliche Arbeitnehmer fühlen sich so fremd wie die SPD-Linke bei Ihnen...

 

Ich lade die CDU-Arbeitnehmer ein, sich bei der SPD umzuschauen. Wenn Friedrich Merz das Ende der Sozialdemokratisierung in der Union" feiert, haben wir ja offenbar ein Alleinstellungsmerkmal.

 

 

Merke! verfolgt doch das gleiche Ziel wie Sie, nur konsequenter: Sie will die Lohnnebenkosten senken, also den Preis der Arbeitsstunde reduzieren.

 

Wir wollen auch die Beiträge zur Sozialversicherung senken. Aber die SPD ist nicht bereit, zentrale Elemente sozialstaatlichen Schutzes dafür aufzugeben.

 

 

Die Kopfpauschale in der Krankenversicherung ist für Sie tabu?

 

Das ist einfach ein falscher Vorschlag. Es kann nicht sein, dass alle Menschen - egal, wie viel sie verdienen oder besitzen - gleich viel für ihre Krankenversicherung bezahlen. Wenn Frau Merkel sagt, Hausmeister und Manager seien vor dem Herrgott gleich, mag das sein. Ihre Geldbeutel sind es jedenfalls nicht

 

 

So meint Frau Merkel das auch gar nicht Höchstens 15 Prozent des Einkommens sollen an Krankenbeitrag fällig werden - der Rest kommt aus dem Steuertopf…

 

Es macht einen großen Unterschied für die Menschen, ob sie ein Anrecht auf Krankenversicherung aus Beiträgen haben oder ob sie beim Staat als Bittsteller um eine Unterstützung auftreten. Außerdem glaube ich nie und nimmer, dass die zig Milliarden Euro, die an Zuschüssen vorgesehen sind, aufgebracht werden. Wir geben doch jetzt schon 70 von 250 Milliarden Euro im Bundeshaushalt als Zuschuss für die Rente aus. Und da soll diese Milliardensumme für die Krankenversicherung obendrauf? Ich stelle fest: Mit der Kopfpauschale hätten viele Menschen Probleme, sich die Krankenversicherung, die sie kennen, noch zu leisten.

 

 

Am Freitag im Bundestag könnte die rot-grüne Regierungszeit schon vorbei sein.

 

Ich bin überzeugt, dass wir am Freitag für alle Gesetze, die zur Abstimmung stehen, eine eigene Mehrheit haben werden.

 

 

Dann brauchen Sie im Vermittlungsausschuss die Zustimmung der CDU/CSU. Warum sollte die Union die Regierung am Leben erhalten?

 

Der Bundesrat muss seine Verantwortung wahrnehmen, die ihm die Verfassung zugewiesen hat. Auch dem Druck aus der Bevölkerung kann die Union sich nicht entziehen. Das wird laufen wie bei der Gesundheitsreform, als die Union auch kein Ergebnis wollte: Jetzt ist die Reform da.

 

 

Die Union will beim Vorziehen der Steuersenkungen von 2005 auf 2004 nicht mitziehen, weil sie auf Pump finanziert sind ...

 

Wir haben die einmalige Chance, die finanziellen Risiken einer Steuersenkung präzise auf ein Jahr zu beschränken - für 2005 steht die Senkung schon im Gesetzblatt. Im Jahr 2004 wird die Steuersenkung die anspringende Konjunktur befeuern.

 

 

Das Interview führte Ulrich Deupmann.