"FAZ": Herr Bürgermeister, sind Sie froh, dass es keine Volksabstimmung über den Länderfinanzausgleich gibt, so wie über Hamburgs Olympia-Bewerbung?
Olaf Scholz: Sehr freundliche Frage, vielen Dank.
"FAZ": War es richtig, ein Referendum über diese Frage abzuhalten?
Olaf Scholz: Man kann die Entscheidung über ein so langfristig angelegtes Projekt nicht treffen, ohne dass die Bürger einmal klar ja dazu gesagt haben. Olympia ist ein sehr optimistisches Projekt. In die Zeit des Referendums fielen die Anschläge in Paris, ebenso die Berichte über Korruption im Weltfußball. Vermutlich haben bei manchen die Sorgen und Ängste überwogen. Einige werden auch gesagt haben: Das wird zu groß und zu teuer. Das muss man akzeptieren.
"FAZ": Wäre denn eine Volksbefragung über den Länderfinanzausgleich auch sinnvoll? Da werden Milliardenbeträge seit Jahrzehnten verschoben.
Olaf Scholz: Der Finanzausgleich ist ein wichtiges Thema, das in einer repräsentativen Demokratie bei der Politik gut aufgehoben ist. Es sind große Summen, aber immer noch der kleinste Teil vom Steueraufkommen der Länder. Und immerhin entscheiden darüber 16 Länder und der Deutsche Bundestag.
"FAZ": Zudem verstehen vermutlich die wenigsten Menschen, worum es geht.
Olaf Scholz: Die Abgeordneten und Minister, die in Bund und Ländern darüber abstimmen, verstehen es auf alle Fälle.
"FAZ": Was ist neu an dem, was die Länder jetzt miteinander ausgehandelt haben?
Olaf Scholz: Wir müssen zu einer Neuordnung kommen, damit die ostdeutschen Länder auch nach 2020 noch unterstützt werden. Auch dann werden sie mit ihrer Wirtschaftskraft nicht mal an die der schwächeren westdeutschen Länder heranreichen. Es soll aber keine Sonderförderung mehr für den Osten geben. Deswegen haben wir uns für eine systematische Lösung entschieden, die sich nicht mehr nach Himmelsrichtungen, sondern nach Bedarf richtet den Ausgleich für unterdurchschnittliche kommunale Finanzkraft. Erstmal wird dies fast ausschließlich den ostdeutschen Ländern zugute kommen.
"FAZ": Was ist noch neu?
Olaf Scholz: Die finanzschwachen Länder Saarland und Bremen, die mit eigener Steuerkraft nicht aus ihrer hohen Verschuldung herauskommen, werden stärker unterstützt. Zudem wollen wir die Zahl der Länder, die einen Solidarbeitrag leisten, vergrößern.
"FAZ": Sie spielen darauf an, dass Nordrhein-Westfalen künftig auf die Seite der Geberländer kommt.
Olaf Scholz: Bisher organisieren vier Länder die erforderliche Solidaritätsleistung: Hamburg, Baden-Württemberg, Hessen und Bayern. Nun kommt Nordrhein-Westfalen hinzu. In den fünf Ländern lebt die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands. Deshalb darf man hoffen, dass das neue System weniger kritisch betrachtet wird als das bisherige. Vor allem die süddeutschen Zahlerländer haben daran oft Kritik geübt.
"FAZ": Sind wir jetzt solidarischer als vorher oder weniger?
Olaf Scholz: Wir bleiben solidarisch. Die schwächeren Länder werden etwas näher an den Durchschnitt gebracht, aber die leistungsstarken Länder behalten mehr Geld als bisher. Die Reihenfolge der Leistungsfähigkeit der Länder bleibt unangetastet.
"FAZ": Der Bund soll deshalb knapp 9,7 Milliarden Euro zusätzlich in das System pumpen. Der Verzicht auf den Solidaritätszuschlag fällt da schwer. Hat jemand in den Verhandlungen an den Steuerzahler gedacht?
Olaf Scholz: Der Bund hat früh signalisiert, dass er bereit ist, einen Beitrag zu leisten. Die Größenordnung, die uns nun vorschwebt, bewegt sich etwa auf der Höhe dessen, was auch 2014 vom Bund geleistet wurde. Der Soli selbst ist eine Bundessteuer, deswegen werde ich wenig dazu sagen.
"FAZ": Haben Sie schon ein Signal von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bekommen?
Olaf Scholz: Ich will den notwendigen Gesprächen zwischen Bund und Ländern nicht vorgreifen. Der Korridor, in dem wir uns bewegen, ist so dicht an dem Angebot des Bundes, dass es überraschend wäre, wenn wir nicht zueinander kämen.
"FAZ": Gibt es noch eine Bescherung vor Weihnachten?
Olaf Scholz: Nein. So schnell geht das nicht. Ich glaube, dass es möglich sein sollte, bis Ende März den nächsten Schritt zu gehen. Wir haben mehr als drei Viertel der Wegstrecke hinter uns.
"FAZ": Die Länder gehen über das letzte Angebot des Bundes hinaus. Wie wichtig sind diese zusätzlichen 1,2 Milliarden Euro für den Länderkonsens?
Olaf Scholz: Ohne diesen Betrag hätte es keinen Konsens unter den Ländern gegeben. Jetzt haben wir eine einheitliche Position aller Länder das ist gut.
"FAZ": Es ist schwer vorstellbar, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nicht wusste, was sie auf Länderebene besprochen haben.
Olaf Scholz: Wir haben uns natürlich in den letzten Jahren immer wieder ausgetauscht.
"FAZ": Und Sie haben gewusst, wo bei Schäuble die Grenze des Zumutbaren überschritten wird?
Olaf Scholz: Ich habe dazu meine Mutmaßungen.
"FAZ": Einwohnerhöherwertung für Stadtstaaten, Einwohnerhöherwertung für dünnbesiedelte Flächenländer, Hafenlasten, strukturelle Arbeitslosigkeit, Kosten der politischen Führung das wirkt so, als wenn man nur irgendwie alle zufriedenstellen wollte.
Olaf Scholz: Der Sinn all dieser Regelungen, die seit langem bestehen, ist es, den unterschiedlichen Bedingungen in den 16 Ländern gerecht zu werden.
"FAZ": Und wenn man das weiterführt, heißt das, es ist alles richtig gut. Oder man hat nicht die Kraft, etwas wirklich Neues zu schaffen.
Olaf Scholz: Es hat sich bewährt.
"FAZ": Begeisterung klingt anders.
Olaf Scholz: Konsense sind wichtig für die Demokratie und das föderale System. Es wäre naiv anzunehmen, dass ein Konsens gelingt, wenn nur jeder seine Interessen formuliert. Und es wäre noch naiver anzunehmen, dass man schon mit einem großen intellektuellen Entwurf die Zustimmung aller bekommt. Es ist immer ein komplizierter Aushandlungsprozess, zu einem guten Ergebnis zu kommen.
"FAZ": Warum erhalten die Bundesländer nicht das Recht, ihren Anteil an der Einkommensteuer einen Tick zu erhöhen, um etwa die Kinderbetreuung ausbauen zu können? Warum muss überall alles gleich sein?
Olaf Scholz: Solche Ideen sind nie auf große Zustimmung gestoßen und deshalb nie Gegenstand der Debatten unter den Ländern gewesen. Das liegt auch daran, dass die Freiheit, mehr oder weniger Steuern zu erheben, vor allem dort groß ist, wo man sehr viele Einnahmen hat.
"FAZ": Einspruch. Länder mit geringen Steuereinnahmen haben mit einer Steuersenkung relativ wenig zu verlieren.
Olaf Scholz: Widerspruch: Schauen Sie sich die Grunderwerbsteuer an. Über den Steuersatz können die Länder eigenständig entscheiden. Es ist kein Zufall, dass zum Beispiel Bayern diese Steuer noch nie erhöht hat
"FAZ":
Sachsen auch nicht. Alles andere als ein steuerstarkes Land.
Olaf Scholz: und auch Hamburg hat, seitdem ich Bürgermeister bin, die Grunderwerbsteuer nicht erhöht. Wenn ich wie in unserer Stadt ein großes Wohnungsbauprogramm in Gang setze, darf ich das Bauen nicht verteuern. Viele andere Länder können sich solche Überlegungen schlicht nicht leisten.
"FAZ": Wozu dann so kompliziert? Einfacher wäre es, das Steueraufkommen beim Bund zu bündeln, der anschließend den Ländern ihren Anteil etwa nach der Einwohnerzahl zuweist.
Olaf Scholz: Klingt einfach, würde aber riesige Ungerechtigkeiten schaffen. Die Wirtschaftskraft und damit die Finanzkraft eines Landes muss sich in seinen Einnahmen widerspiegeln nur eben solidarisch.
"FAZ": Was sollen eigentlich die Millionen für politische Führung?
Olaf Scholz: Dieses Rädchen dient zur Feinsteuerung der Mittelverteilung.
"FAZ": Wie wichtig sind die geplanten Huckepack-Anleihen mit dem Bund aus Sicht der Länder?
Olaf Scholz: Manche versprechen sich davon Zinsersparnisse. Für die höher verschuldeten Länder ist das von besonderer Bedeutung. Unabhängig davon müssen wir uns rechtzeitig darauf einstellen, dass sich der Markt verändern wird, wenn die Länder vom Jahr 2020 an keine neuen Schulden mehr machen dürfen. Dann werden allenfalls fällige Kredite verlängert. Wir müssen die Märkte für die öffentlichen Anleihen aber liquide halten. Dafür dürfen sie nicht zu klein sein.
"FAZ": Wer haftet wie bei den Gemeinschaftsanleihen?
Olaf Scholz: Nach außen wird gemeinsam gehaftet, nach innen haftet jeder für sich.
"FAZ": Am Donnerstag beginnt der SPD-Parteitag in Berlin. Wird der Länderfinanzausgleich da eine Rolle spielen?
Olaf Scholz: Einige werden auf die Bedeutung eines solidarischen Finanzausgleichs hinweisen. Ich hoffe, dass der ein oder andere sagt: Der Hamburger Bürgermeister hat dazu eine gute Vorarbeit geleistet.
Das Interview führtenEckart Lohse und Manfred Schäfers.