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13.02.2012

Interview mit der Leipziger Volkszeitung


LVZ: Der jetzige Länderfinanzausgleich ist absolut bescheuert. Stimmen Sie dem Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zu?

Olaf Scholz: Nein. Zum Föderalismus der Bundesrepublik gehört Solidarität. Hamburg hat seit 1950 preisbereinigt ungefähr die Summe eingezahlt, die heute der aktuellen Verschuldung der Hansestadt entspricht. Trotzdem sind wir für einen solidarischen Finanzausgleich.

Stanislaw Tillich: Sachsen hat 1990 einen kompletten Neustart hingelegt. Heute hat Sachsen eine eigene Steuerdeckungsquote von 57 Prozent. Wir wachsen, aber sind auch weiterhin auf die solidarische Finanzhilfe angewiesen. Die Solidarpakt-Hilfe bis 2020 ist vereinbart, wir brauchen sie.

LVZ: Sind die Nehmerländer dankbar genug, oder hilft das Starke-Max-Spiel von Bayern?

Scholz: Hamburg hat sich immer als solidarisches Mitglied der Gemeinschaft verstanden. Nur etwa ein Fünftel aller in Hamburg gezahlten Steuern behalten wir. Hamburg ist keine Insel, wir sind nicht Singapur. Und deshalb ist es auch in Ordnung, dass nicht alle bei uns erwirtschafteten Steuern auch bei uns verbleiben. Wir brauchen gute Verkehrswege nach Hamburg. Wir sind darauf angewiesen, dass es überall in Deutschland gute Bildungschancen gibt. Alles das geht nur miteinander und nicht gegeneinander.

Tillich: Sachsen ist zwar noch Nehmerland, aber auf gutem Weg. Dank des Länderfinanzausgleiches konnten wir uns wirtschaftlich gut entwickeln. Der Länderfinanzausgleich ist ein Anreizinstrument. Ich verstehe, wenn der eine oder andere, der einzahlt, darüber murrt. Aber Bayern kann nicht vergessen haben, dass es bis 1986 selbst ein Nehmerland war.

LVZ: Wollen wir uns auf Dauer Länder leisten, von denen jeder weiß, die kommen wirtschaftlich allein nie zurecht?
 
Scholz: Die Diskussion über eine Länderneugliederung habe ich nie verstanden. In Europa gibt es Staaten, die kleiner sind als deutsche Bundesländer. Wichtiger als ein Streit über Länderfusionen ist, dass sich jedes Land anstrengt, um voranzukommen. Pläne für Länderfusionen würden in erster Linie zu einem jahrzehntelangen Krach über den Sitz von Behörden führen. Den brauchen wir nicht.

Tillich: Für die Zeit ab 2020 kommt es darauf an, die Ziele des Paktes neu zu formulieren. Dann muss man auch die Frage stellen, wer leistet sich von den Ländern mehr und warum tut er das. Es geht doch nicht, dass das eine Land die Studiengebühren abschafft, aber dafür die Schulden erhöht, während das andere Land Studiengebühren einführt, um gleichzeitig Schulden abbauen zu können. Wer sich mehr leisten will, muss auch von seiner eigenen Bevölkerung einen zusätzlichen Beitrag abverlangen. So einfach ist das. Grundvoraussetzung muss aber sein, dass die strukturellen Nachteile ausgeglichen sind. Wer den dritten Autobahnring will oder jedem Schüler einen Lehrer zur Seite stellen möchte, der muss dann schon selbst schauen, wie er das in seinem Land finanziert bekommt.

Scholz: Ich will, dass die Gewerbesteuer erhalten bleibt. Diese kommunale Steuer brauchen wir als Basis für die Infrastrukturentwicklung. An der Struktur der Steuerhoheit sollte nichts geändert werden. Im Übrigen wird sich die momentan aufgeregte Steuer- und Finanzausgleichs-Debatte etwas beruhigen, wenn alle begreifen, dass ab 2020 die grundgesetzlich verankerte Schuldenbremse greift. Wenn die Länder 2020 als Neuverschulder vom Markt gehen, dann wird die Frage, ob sich der eine oder andere zu viel leistet, irrelevant.

Tillich: Das wäre eine vernünftige Regel, wenn sich alle Länder tatsächlich auch daran hielten. Wir beide wissen, dass Hamburg und Sachsen vernünftig arbeiten. Aber andere bilden sich immer noch ein, sich teure Vergünstigungen zu Lasten anderer Länder gönnen zu können. Manche SPD-regierten Länder sollten sich ein Beispiel am SPD-regierten Hamburg nehmen.

Scholz: Wir sind kein Beispiel. Die Schuldenbremse bindet alle.
 
LVZ: Griechenland wird von der EU zurzeit drastisch kontrolliert. Täte ähnliches nicht auch manchem armen aber spendablen Bundesland gut?

Scholz: So sollte man nicht aufeinander gucken. Föderalismus beruht auf fairem Umgang.

Tillich: Die nächsten zwei bis drei Jahre werden der Lackmus-Test für das verfassungstreue Verhalten der Länder, wenn es um die Einhaltung der Schuldenbremse geht. So stabil wie in Hamburg ist die Steuer-Struktur aber in vielen anderen Gegenden, insbesondere in Ostdeutschland, noch lange nicht. Deshalb brauchen wir ein zweites steuerliches Stabilisierungselement für den nächsten Länderfinanzausgleich. Die extreme Abhängigkeit von der Gewerbesteuer muss aufgelöst werden. Die Einkommenssteuer ist bei uns anders als in Hamburg bei weitem nicht so sprudelnd.

Scholz: Dafür gibt es ja den von uns gemeinsam geschätzten Länderfinanzausgleich.

LVZ: 2020 wird es einen neuen Länder-Solidarpakt geben, auch mit Bayern?

Tillich: Nur keine Provokationen. Es wird auch nach 2020 mit Sicherheit einen Länderfinanzausgleich geben, eine Anschlussregelung für den klassischen Solidarpakt I und II zugunsten der ostdeutschen Länder brauchen wir, so hoffe ich, dann aber nicht mehr.

Scholz: Ja. Wenn alle dabei vernünftig bleiben, dann geht das auch. Hamburg wächst. Das Wachstum müssen wir begleiten können. Dazu brauchen wir beispielsweise ein großes Wohnungsbauprogramm. Wir haben wachsende Schülerzahlen und brauchen folglich mehr Lehrer.

Tillich: So unterschiedlich ist die Entwicklung in Deutschland: Wir haben mit Dresden und Leipzig die beiden Geburtenhauptstädte Deutschlands, gleichzeitig leert sich der ländliche Raum. Für Sachsen wünsche ich mir, dass wir nach 2020 so gut wie Hamburg dastehen und zum Geberland werden können. Irgendwann möchte man eben aus dem Hotel Mama ausziehen.

LVZ: Nach 2020 wird es also einen solidarischen Finanzausgleich geben und die Zahl der Bundesländer wird auf immer und ewig festgeschrieben sein?

Scholz: Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern schließen gerade einen erneuerten Staatsvertrag über die Metropolregion Hamburg. So etwas ist viel vernünftiger, als fruchtlose Debatten um die Länderneugliederung.

Tillich: Ich halte nichts von einer Debatte um Länderfusionen. Es geht schließlich um Identitäten. Aber eines erwarte ich schon: Alle Länder müssen sich an die Schuldenbremse halten, sonst ist Schluss mit der Solidarität.

LVZ: Schleswig-Holstein ist eines der Arme-Schlucker-Länder der Gemeinschaft. Wenn Kiel aber so viel wie Dresden aus dem Länderfinanzausgleich erhielte, wäre man im Norden überglücklich. Ist das auf Dauer verträglich?

Scholz: Für die Entwicklung in Schleswig-Holstein bin ich optimistisch. Und: Es gibt die Zusammenarbeit im Norden.

Tillich: Sachsen ist im Vergleich zu Schleswig-Holstein wirklich nicht bevorzugt beim Länderfinanzausgleich, aber wir müssen eben den Neuaufbau ab 1990 schultern. Als Ministerpräsident von Sachsen muss ich wirklich kein schlechtes Gewissen haben. Wir haben mit den uns anvertrauten Mitteln keine Schulden bezahlt, sondern mit sichtbarem Erfolg in die Entwicklung des Freistaates Sachsen investiert.

 

 

Das Gespräch führten Dieter Wonka und Frank Lindscheid.