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12.02.2012

Interview mit der Welt am Sonntag


Welt am Sonntag: Herr Bürgermeister, am Freitag haben Sie den Bezirksamtsleiter von Mitte, Markus Schreiber, von seinen Aufgaben entbunden. Was hat Sie dazu bewogen, nun doch vor Abschluss der Untersuchung zum Fall Chantal zu handeln?

 

Olaf Scholz: Markus Schreiber hat den Senat um seine Abberufung gebeten. Diesem Wunsch habe ich entsprochen. Er übernimmt damit die politische Verantwortung für die Versäumnisse im Jugendamt des Bezirks Hamburg-Mitte. Markus Schreiber hat dazu eine persönliche Erklärung abgegeben.

 

Welt am Sonntag: Das ist eine sehr formale Beschreibung. Es scheint klar, dass der von Ihnen ausgeübte Druck entscheidend war. Was hat der Tod der elfjährigen Chantal in einer Pflegefamilie für Sie persönlich bedeutet?

 

Olaf Scholz: Es ist das dramatischste und berührendste Ereignis meiner bisherigen Amtszeit, und es geht mir ans Herz. Dass jetzt fünf Mädchen gestorben sind in den vergangenen Jahren, ist etwas, das niemanden von uns gleichgültig lassen kann. Ich werde nicht zulassen, dass irgendjemand jetzt nach einem erneuten Todesfall zur Tagesordnung übergeht.

 

Welt am Sonntag: Die Opposition hat spekuliert, es könnten nicht die richtigen Konsequenzen aus dem Fall Chantal gezogen werden, weil die SPD Mitte sich um Kreischef Johannes Kahrs und Bezirkschef Schreiber schart und Konsequenzen verhindert. Sind diese Kritiker nun eines Besseren belehrt?

 

Olaf Scholz: Ich finde parteitaktisches Argumentieren bei diesem Thema sehr schwierig, weil es dem Kind, das gestorben ist, nicht gerecht wird und der Größe des gesamten Problems auch nicht. Über eines sollte sich aber jeder klar sein: Ich bin der Bürgermeister dieser Stadt, und ich nehme auf überhaupt nichts Rücksicht, was einer guten Entwicklung unserer Stadt entgegensteht - und auch auf niemanden.

 

Welt am Sonntag: Sie regieren Hamburg jetzt fast ein Jahr, wie würden Sie Ihren Regierungsstil charakterisieren?

 

Olaf Scholz: Das überlasse ich gerne anderen. Eines ist mir aber wichtig: Politik ist eine ernsthafte Angelegenheit. Man muss deshalb keine Spaßbremse sein. Aber man darf den Ernst der Sache nicht der Show unterordnen. Außerdem ist es wichtig, im Gespräch mit den Bürgern zu bleiben. Für mich gehört es zu einem guten Regierungsstil, dass ich überall in der Stadt präsent bin. Das gilt für Veranstaltungen, zu denen ich eingeladen werde oder zu denen ich selbst einlade. Ich werde in dieser Wahlperiode mehrmals in allen Hamburger Stadtteilen gewesen sein, um mit den Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen.

 

Welt am Sonntag: Hat Sie im Amt etwas überrascht?

 

Olaf Scholz: Nein. Ich kam ja nicht von einem fremden Planeten nach Hamburg. Ich bin hier

aufgewachsen. Dies ist meine Stadt.

 

Welt am Sonntag: Sie gelten als Senatschef, der vieles an sich zieht. Mancher Senator scheint nur noch eine Statisten- oder Referentenrolle zu spielen.

 

Olaf Scholz: Nein, das ist nicht so. Jedes Senatsmitglied kümmert sich von morgens bis abends intensiv um seinen Arbeitsbereich. Wir arbeiten im Senat sehr kollegial zusammen. Alle gehen fair miteinander um und arbeiten gemeinsam für das Wohl der Stadt. Außerdem sind auch die Senatorinnen und Senatoren viel in der Stadt unterwegs. Sie bringen die Erfahrungen und Erkenntnisse aus den Gesprächen mit in ihre Arbeit ein.

 

Welt am Sonntag: Sie sind, anders als Ihre Vorgänger im Amt des Bürgermeisters, auch Vorsitzender der Regierungspartei SPD, das gibt ihnen enorme Macht. Wollen Sie beide Ämter behalten?

 

Olaf Scholz: Auf absehbare Zeit ja. Beide Aufgaben ergänzen sich gut. Durch diese Doppelfunktion lassen sich viele Weichen zum Wohle der Stadt stellen, weil man darauf hinwirken kann, dass alle gut zusammenarbeiten.

 

Welt am Sonntag: Wenn Sie einmal zurückblicken: Was waren die größten Erfolge des ersten Jahres, welche Fehler gab es?

 

Olaf Scholz: Die größten Erfolge waren ganz klar der Krippenausbau, die Senkung der Kita-Gebühren, der Start des Wohnungsbauprogramms und die Vereinbarung mit den Energieversorgern zur Energiewende in Hamburg. Und: Wir konnten gemeinsam mit der EU die HSH Nordbank wieder auf einen guten Weg bringen. Sehr bedeutsam für Hamburg ist es auch, dass die Fahrrinnenanpassung der Elbe nun in Kürze beginnen kann, da wir auch hier die Bedenken der EU ausräumen konnten.

 

Welt am Sonntag: Dennoch wird mit den Arbeiten, anders als von Ihnen angekündigt, wohl in diesem Jahr nicht mehr begonnen.

 

Olaf Scholz: Wir haben schon bei anderen wichtigen Dingen in den letzten zwölf Monaten erfahren: Es ist gut, die Nerven zu behalten. Übrigens: Auch beim großen Ziel, den Haushalt zu konsolidieren, sind wir einen großen Schritt vorangekommen.

 

Welt am Sonntag: Der Rechnungshof hat Ihnen aber bereits vorgeworfen, nicht konkret genug zu sagen, wo Sie sparen wollen. Niemand versteht bisher wie das "Pay as you go" funktioniert, weil bisher keiner wirklich zu zahlen scheint.

 

Olaf Scholz: Der Rechnungshofpräsident hat vor allem den Paradigmenwechsel gelobt, den wir in der Haushaltspolitik eingeleitet haben. Wir konsolidieren den Haushalt über die Begrenzung des Ausgabenwachstums - und nicht, indem wir dem hektischen Hin und Her beim Steueraufkommen folgen. Mancher macht sich vielleicht noch Illusionen, aber die Schuldenbremse, die 2020 greift, wird uns allen noch viel abverlangen.

 

Welt am Sonntag: So pauschal haben die Hamburger das schon häufig gehört. Sie haben ihnen aber nicht gesagt, wo es wehtun wird.

 

Olaf Scholz: Spätestens wenn wir unseren ersten eigenen Haushalt vorlegen, wird das konkret werden. Die Beratungen beginnen im Sommer. Im Übrigen hat es auch in unserem ersten Jahr schon allerlei Wünsche gegeben, die wir nicht erfüllt haben. Wir haben die Steuermehreinnahmen in diesem Jahr nicht für neue Ausgaben verwendet, sondern zur Haushaltskonsolidierung. Wir wollen nicht der Verführung erliegen, lange nichts zu tun, und dann irgendwann dramatische Sparbeschlüsse zu fassen. Wir werden durch die für alle Ressorts zu beachtenden Ausgabenpfade und durch daraus resultierende Tausende von Einzelentscheidungen dafür sorgen, dass wir mit unserem Geld auskommen.

 

Welt am Sonntag: Der Berliner Finanzsenator Ulrich Nußbaum hat aufgrund der Schuldenbremse Länderfusionen gefordert. Sehen Sie das auch als nötig an?

 

Olaf Scholz: Nicht so sehr. Wenn Länder zusammengeschlossen werden, bedeutet das nicht automatisch mehr Sparsamkeit. Ich bin auch dagegen, dass wir uns ablenken und mit institutionellen Konflikten aufhalten, während wir reale Probleme haben, die wir doch besser lösen sollten. Luxemburg ist auch klein und spielt eine wichtige Rolle in Europa.

 

Welt am Sonntag: Uns fällt gerade auf, dass Sie bisher nicht auf die Frage nach möglichen Fehlern im ersten Jahr geantwortet haben. Gab es keine?

 

Olaf Scholz: Das überlasse ich anderen. Die Opposition kann dazu bestimmt etwas sagen.

 

Welt am Sonntag: Kann es sein, dass die so kategorische Entscheidung gegen eine Stadtbahn sich als Fehler erweist? Hamburg wächst, und fast alle Experten sagen, dass die von Ihnen angestrebte Busbeschleunigung langfristig nicht reicht, um die wachsenden Verkehre zu bewältigen.

 

Olaf Scholz: Nein, die Entscheidung gegen die Stadtbahn ist richtig. Das System ist erst rentabel, wenn das Streckennetz eine gewisse Länge erreicht. Und ein so großes Netz für einen vierten Verkehrsträger in Hamburg zu bauen - das können wir nicht bezahlen. Wir verlängern stattdessen die U4 bis zu den Elbbrücken, wollen eine eigene S-Bahnstrecke für die Linie S4 bis nach Ahrensburg und Bad Oldesloe bauen und werden das Bussystem beschleunigen.

 

Welt am Sonntag: Gilt die Entscheidung gegen die Stadtbahn für alle Zeit? Oder legen Sie das Thema auf Wiedervorlage?

 

Olaf Scholz: Es ist aus meiner Sicht weder realistisch, dass wir das in den nächsten Jahren finanzieren können, noch ist es nötig. Wir haben eine U-Bahn, eine S-Bahn und die Busse. Wir bauen das Angebot an Mietfahrrädern aus. Wir erhöhen die Zahl der Park-and-Ride-Plätze und fördern Carsharing. Wir werden die Übergänge zwischen den einzelnen Verkehrssystemen verbessern. Das Problem beim Thema Stadtbahn ist, dass es zu lange zu uninformiert und zu ideologisch diskutiert worden ist. Soll eine Stadtbahn rentabel sein, muss man 40 Kilometer Strecke bauen. Das würde zwei Milliarden Euro kosten. Das wird sich die Stadt weder in diesem noch im nächsten Jahrzehnt leisten können.

 

Welt am Sonntag: In Ihrem Busbeschleunigungsprogramm ist kaum von zusätzlichen Busspuren die Rede. Es erscheint so, als duckten Sie sich vor den Konflikten der Verkehrspolitik weg. Busse können doch nur schneller fahren, wenn Autos länger warten müssen.

 

Olaf Scholz: Die Beschleunigung der Busse, die ab 2020 übrigens emissionsfrei fahren sollen, ist auch mit einem Ausbau von Busspuren und mit Ampel-Vorrangschaltungen für Busse verbunden, die natürlich auch Folgen für den Autoverkehr haben können. Die Detailplanungen sind im Gange. Ich glaube, ein modernes Bussystem mit emissionsfreien Fahrzeugen, vermutlich mit Wasserstoff-Elektroantrieb, wird mit der theoretischen Effizienz einer Stadtbahn mithalten können. Die Wette ist jedenfalls offen.

 

Welt am Sonntag: Ein geerbtes, aber ungelöstes Problem ist die Elbphilharmonie. Wie wollen Sie den Knoten durchschlagen?

 

Olaf Scholz: Nicht per Presseerklärung, sondern durch Handeln. Man kann bei diesem großartigen Projekt doch sagen: Wäre besser und länger geplant worden und hätte man später mit dem Bau begonnen, dann wäre es jetzt fertig und wir hätten weniger dafür bezahlt. Wir prüfen jetzt, wie die weitere Kooperation mit Hochtief aussehen kann, und wir sind dabei ordentlich vorangekommen.

 

Welt am Sonntag: Ist eine Trennung von Hochtief auch ein denkbares Szenario?

 

Olaf Scholz: Wir bereiten uns sehr sorgfältig vor. Das heißt: Wir denken die Fragestellungen in alle Richtungen durch. Eines ist jedenfalls klar: Wenn der eine oder andere der Stadt jetzt nahe legt, einen dreistelligen Millionenbetrag mal eben so auf den Tisch zu legen, dann ist das nicht zielführend und problematisch. Das sehen die Steuerzahler auch so. Viele Hamburger sind empört über den Umgang mit öffentlichem Geld beim Bau der Elbphilharmonie. Wir müssen sehr sorgfältig mit diesem Geld umgehen, sonst bekommen wir ein Akzeptanz- und letztlich auch ein Demokratieproblem.

 

Welt am Sonntag: Können Sie sagen, wann die Elbphilharmonie fertig sein wird?

 

Olaf Scholz: Wenn ich jetzt ein festes Datum nennen würde, dann würde das die Steuerzahler wahrscheinlich mehrere zig Millionen Euro kosten.

 

 

Das Gespräch führten Jörn Lauterbach und Jens Meyer-Wellmann.