"Die Zeit": Herr Scholz, wir haben uns ein Wahlkampfmotto für Sie ausgedacht ...
Olaf Scholz: Danke!
"Die Zeit": "Keine Experimente!" Wie finden Sie das?
Olaf Scholz: Super, aber ist schon vergeben.
"Die Zeit": Ihr großes Wahlplakat zeigt Sie kopflos was ist die Botschaft?
Olaf Scholz: Erkannt haben Sie mich ja trotzdem. Die Botschaft steht unter dem Kinn: Hamburg weiter vorn. Die Wähler entscheiden am 15. Februar, ob sie die letzten vier Jahre insgesamt in Ordnung fanden und meinen, ich soll weiter Bürgermeister sein. Und sie werden mich auf den Plakaten auch noch komplett sehen.
"Die Zeit": Ein immer wieder gehörtes Urteil über Sie lautet: Olaf Scholz macht Politik mit Hirn, aber nicht mit Herz. Stört Sie das?
Olaf Scholz: Das empfindet kaum einer so, ich auch nicht. Ich mache Politik mit Verstand. Und mit dem Herzen.
"Die Zeit": Ein anderes Urteil lautet: Olaf Scholz ist uncharismatisch.
Olaf Scholz: Jaja. Niemand kann aus seiner Haut, und ich kann nicht aus meiner Haut. Die verlangt von mir, dass ich seriöse Politik mache, in der es um das geht, was getan werden muss, damit wir eine gute Zukunft haben.
"Die Zeit": Der Stadt geht es gut, dem Haushalt auch, die Regierungspartei steht bei 43 Prozent. Regieren Sie Hamburg so, wie Angela Merkel Deutschland regiert?
Olaf Scholz: Ich regiere Hamburg und kümmere mich um die Probleme der Stadt. Die Bürger erwarten, dass das im Mittelpunkt steht.
"Die Zeit": Was Angela Merkel will, weiß niemand genau, und mit Ihnen geht es uns ähnlich. Was wollen Sie, was die CDU nicht auch will?
Olaf Scholz: Es geht nicht nur um das Wollen. Es geht auch um das Machen. Wir haben durch eine erhebliche Verschiebung von Mitteln dafür gesorgt, dass die Bildungsmöglichkeiten derjenigen, die hier aufwachsen, viel besser sind als vor vier Jahren. Wir haben Kitas und Krippen gebührenfrei gemacht und die Studiengebühren abgeschafft. Und wir haben dafür gesorgt, dass genügend Wohnungen gebaut werden. Das war zuvor in einer wachsenden Stadt zehn Jahre lang vergessen worden. Bei alldem geht es um den Zusammenhalt der Gesellschaft.
"Die Zeit": Wohnungsbau, gute Bildung, gute Kinderbetreuung: Das will die CDU auch. Ist der Unterschied nur, dass Sie es besser können?
Olaf Scholz: Wir haben es gemacht, und das war vorher anders. Es spricht also wenig dafür, dass zum Beispiel mit dem Satz "Wir sind auch für Bildung" wirklich das Gleiche gemeint ist.
"Die Zeit": Wir haben den Eindruck, dass Sie politische Konflikte lieber zudecken als austragen. Im Streit um die Kitas hätten Sie sagen können: Wir wollen, dass jedes Kind kostenlos betreut wird, und das finden wir im Zweifel wichtiger als die Qualität der Betreuung. Stattdessen reagieren Sie auf den Protest der Erzieherinnen, indem Sie kurz vor der Wahl den Etat symbolisch erhöhen.
Olaf Scholz: Wir geben wesentlich mehr Geld für Krippen und Kitas in Hamburg aus. Eine Steigerung von rund 400 auf über 660 Millionen Euro ist keine Kleinigkeit. Und wir haben ein gründlich durchdachtes Konzept zur weiteren Verbesserung der Krippen- und Kitaqualität in den nächsten Jahren. Es ist plausibel und ehrlich, weil es nicht suggeriert, von einem Tag auf den anderen könnte man alles erreichen, was man sich da noch wünschen kann.
"Die Zeit": Wo immer die Opposition ein Thema anspricht, hat die Regierung plötzlich Geld übrig: Polizei, Bäume, Kitas. Ist das Ihr Prinzip?
Olaf Scholz: Nein. Wir haben immer Probleme gelöst, die sich uns gestellt haben, egal, ob jemand sie angesprochen hat oder nicht.
"Die Zeit": Der Wahlkampf ist dank Ihnen ziemlich konfliktarm geworden.
Olaf Scholz: Ich mache eine Politik, die pragmatisch ist, unideologisch und darum bemüht, auch für diejenigen überzeugend zu sein, die bei anderen Wahlen andere Präferenzen haben als die SPD, die aber bei der Bürgerschaftswahl die SPD wählen oder direkt den Bürgermeister Olaf Scholz.
"Die Zeit": Wenn man nicht über Alternativen spricht, scheinen alle Entscheidungen alternativlos zu sein. Manche Bürger wünschen sich dann gleich eine Alternative für Deutschland.
Olaf Scholz: Ich versuche, das Wort "alternativlos" zu vermeiden.
"Die Zeit": Das derzeit emotionalste Wahlkampfthema ist der Verkehr. CDU und Grüne wollen eine Stadtbahn, Sie wollen Busbeschleunigung und U-Bahn-Ausbau. Unter Erwachsenen müsste man sich eigentlich darauf verständigen können, dass jedes dieser Konzepte Vor- und Nachteile hat. Stattdessen erklären zwei Volksparteien den Wählern, die jeweils eigenen Pläne seien alternativlos.
Olaf Scholz: Der Verkehr in einer großen Stadt ist nichts für Ideologen, die sich auf ein einziges Verkehrsmittel konzentrieren. In Hamburg sind weit über 700.000 Autos zugelassen. Diese Stadt ist nicht als ehemaliger Regierungssitz eines Fürsten mit großen Prachtstraßen versehen, die schon immer breit waren, weil man dort Militäraufmärsche abhalten wollte. Trotzdem muss der Verkehr fließen. Wir müssen die Qualität des öffentlichen Nahverkehrs erhöhen, auch für die Anforderungen, die wir in den zwanziger oder dreißiger Jahren vermuten. Wir tun auch etwas für Fahrradfahrer. Aber wir sind niemals in die Falle getappt, zu sagen: Das eine gegen das andere.
"Die Zeit": Ihre Partei hat, wie die CDU, in der Vergangenheit eine Stadtbahn für Hamburg gefordert. Und genau wie die CDU hat Ihre Partei dieses Projekt im entscheidenden Augenblick verhindert. Die CDU gibt inzwischen zu, dass das ein Fehler war. Und Sie?
Olaf Scholz: Es wird in Hamburg keine Stadtbahn geben, egal, wer Verantwortung in dieser Stadt hat. Hundert Kilometer Stadtbahn, wie sie die CDU vorschlägt, das sind 200 Kilometer dauerhaft beseitigte Fahrbahn. 50 Kilometer Stadtbahn quer durch die Innenstadt, wie es sich die Grünen vorstellen, sind fast 100 Kilometer beseitigte Fahrbahn. Und es handelt sich bei der Stadtbahn nicht um eine niedliche Straßenbahn. Das sind Züge, für die man Schneisen mitten durch die Stadt ziehen muss, die dann nur schwer überwunden werden können und die den Stadtraum teilen. Das möchte wirklich niemand.
"Die Zeit": Die Pläne der SPD sind also alternativlos?
Olaf Scholz: Nein, denn man kann auch falsche Alternativen wählen.
"Die Zeit": Dass es schon einen kleinen Aufstand gibt, wenn man bloß ein paar Busspuren neu schafft oder umgestaltet ...
Olaf Scholz: ... das ist auf alle Fälle ein Aspekt. Wenn man sieht, dass der Umbau einer Kreuzung breit diskutiert wird, auch in den Medien, dann kann man sich kaum vorstellen, dass es harmloser zugeht, wenn man ganze Straßenzüge halbiert.
"Die Zeit": Herr Scholz, warum ist Rot pur für Hamburg besser als Rot-Grün?
Olaf Scholz: Es geht darum, die Grundlagen des wirtschaftlichen Erfolgs in Hamburg zu sichern, und darum spricht alles für ein sehr starkes Mandat für die SPD.
"Die Zeit": Haben wir das richtig verstanden: Eine rot-grüne Regierung wäre eine Gefahr für die Hamburger Wirtschaft?
Olaf Scholz: Ich weiß, dass in der Wirtschaft viele der Meinung sind, dass die Wirtschaftspolitik des jetzigen Senats sehr erfolgreich ist. Das konnte man bei der Handwerkskammer und der Handelskammer hören, das habe ich auch beim Unternehmensverband Nord so gehört. Der Chef des Industrieverbands hat der SPD eine absolute Mehrheit gewünscht.
"Die Zeit": Das sind die Ansichten der Verbände. Glauben Sie selbst, dass Rot-Grün eine Gefahr für die Hamburger Wirtschaft wäre?
Olaf Scholz: Es macht keinen Sinn, über Regierungen zu spekulieren, die nicht gebildet sind.
"Die Zeit": Sie selbst haben schon vor einiger Zeit angekündigt, dass die Grünen die Ersten seien, mit denen Sie über eine Koalition reden würden.
Olaf Scholz: Ich finde, dass die Bürgerinnen und Bürger wissen müssen, was die Parteien vorhaben. Ich werbe für ein starkes Mandat für die SPD. Und falls es nicht alleine reicht, fragen wir als Erstes die Grünen. Das habe ich schon vor vier Jahren gesagt.
"Die Zeit": Frau Suding verkündet, nach den neuesten Umfragen werde auch eine sozialliberale Koalition zur realistischen Option.
Olaf Scholz: Ich glaube nicht, dass die FDP erneut den Sprung in die Bürgerschaft schafft. Im Übrigen empfinde ich die SPD schon als Erben der sozialliberalen Tradition.
"Die Zeit": Das heißt?
Olaf Scholz: Wir sind selber Sozialliberale.
"Die Zeit": Sie sind die sozialliberale Koalition in einer Partei?
Olaf Scholz: (nickt)
"Die Zeit": Herr Scholz, sagen Sie doch mal was Nettes über Ihre politischen Gegner. Wer von denen kann Ihnen das Wasser reichen?
Olaf Scholz: Ach, ich finde, es ist Ihre Aufgabe, sich darüber Gedanken zu machen.
"Die Zeit": Können wir Sie dann bitten, mal etwas Unfreundliches über einen Ihrer Genossen zu sagen?
Olaf Scholz: Nee. Wir haben 11.000 Mitglieder, ich mag alle.
"Die Zeit": Wir haben vor einigen Wochen über die Machenschaften Ihres Genossen Johannes Kahrs berichtet. Warum duldet die Hamburger SPD diese Art von Politik in ihren eigenen Reihen?
Olaf Scholz: Johannes Kahrs ist ein mehrfach direkt gewählter Bundestagsabgeordneter, die Bürgerinnen und Bürger seines Wahlkreises schätzen ihn, er hat eine gute Verankerung in Hamburg-Mitte.
"Die Zeit": Mehr fällt Ihnen dazu nicht ein? Einer Ihrer Genossen verspricht politisch unerfahrenen Einwanderern politische Karrieren, wenn sie andere Einwanderer in die Partei holen, um ihn und seine Seilschaften zu unterstützen. Wenn seine Leute die parteiinternen Abstimmungen gewonnen haben, bricht er seine Versprechen gegenüber besagten Genossen. Und Sie finden, dazu sei nichts weiter zu sagen?
Olaf Scholz: Was sich wann wo zugetragen hat, kann ich nicht beurteilen. Aber als demokratischer Politiker bin ich zutiefst überzeugt, dass es ein ganz furchtbarer Zustand wäre, wenn der Vorsitzende der Hamburger SPD alle Kandidatenlisten persönlich aufstellt.
"Die Zeit": Nun benötigen wir noch die Antwort, die Sie auf die naheliegende Frage vorbereitet haben, ob Sie die ganze nächste Legislatur in Hamburg bleiben.
Olaf Scholz: Gern: Meine Arbeit als Bürgermeister macht mir Spaß. Ich hoffe, dass die Bürger mir erneut ein sehr gutes Mandat dafür geben, um in den nächsten Jahren weitermachen zu können. Und ich kann mir gut vorstellen mit aller gehörigen Demut, weil es ja noch eine lange Zeitspanne ist , als Bürgermeister Olympische Spiele in Hamburg zu eröffnen. Das wäre dann 2024.
"Die Zeit": Das war jetzt eine nachvollziehbare Antwort, aber es war kein klares Ja.
Olaf Scholz: Ach ...
Das Interview führten Frank Drieschner und Marc Widman. Es erschien am 22. Januar in der Printausgabe der "Zeit" und am 29. Januar online.