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27.05.2011

Keiner hat den Zugriff auf Wahrheit und Wirklichkeit gepachtet

Ich gebe zu: Als ich die Einladung bekommen habe, hier bei Ihrer Feier zu sprechen, habe ich mich als erstes gefragt: Warum laden die Dich ein? Wollen die den Ersten Hamburger Bürgermeister, der ein paar salbungsvolle Worte zum Medienstandort Hamburg spricht? Wollen die den Politiker, der schon manchen Strauß mit ihnen ausgefochten hat? Oder hatten die einfach nur noch einen Platz im Programm und brauchten nach Edmund Stoiber einen Sozialdemokraten, um öffentlich-rechtlich ausgewogen zu sein?

Ich weiß es nicht, weil ich nicht nachgeforscht habe. Ich habe zugesagt, weil ich einmal im Leben die Chance haben will, bei Panorama ungeschnitten zu reden...

Um mit dem Wichtigsten und Angenehmsten zu beginnen:

Fünf der sechs ARD-Politmagazine werden in diesem Jahrzehnt 50 Jahre alt. Panorama als ältestes macht den Anfang. Herzlichen Glückwunsch zu diesem runden Geburtstag und zu dem ordentlichen Stück Mediengeschichte, das Sie und Ihre Vorgänger in Deutschland geschrieben haben.

Panorama und andere waren lange Jahre stilprägend für die Art und Weise, wie im deutschen Fernsehen mit politischen Vorgängen umgegangen wurde. Investigativ, unbequem, kritisch zugleich einordnend, orientierend und aufklärerisch.

Insbesondere 70er Jahren gehörten die Politmagazine zur staatsbürgerlichen Erziehung. Damals war unser Land immer noch im gesellschaftlichen Aufbruch. Kritik an den öffentlichen Verhältnissen gehörte zum guten Ton. Meine Generation hat unter anderem von Panorama und Monitor gelernt, sich über die Zustände in unserem Land zu empören. Wir sind auch durch die Berichterstattung mutiger Reporterinnen und Reporter politisiert worden.

Seitdem ist viel passiert: Dass Kongresse zur Lebensqualität ganze Debatten prägen können, dass der Sozialstaat ausgeweitet wird und dass Parteien auf der Bundesebene noch an der absoluten Mehrheit kratzen das alles ist vorbei. Das ist natürlich auch an den Politmagazinen nicht spurlos vorbeigegangen. Ihr gesellschaftlicher Humus wird trockener.

Die Kräfte schwinden überschrieb die Journalisten-Zeitschrift Message kürzlich einen Aufmacher über die Politmagazine. Symptome einer Midlife-Crisis werden sichtbar.

Und ich muss ganz persönlich gestehen. Auch ich habe nicht mehr das brennende Gefühl, kein Politmagazin verpassen zu dürfen. Natürlich sehe ich die Sendungen anders, seit ich auch darin vorkomme.  Aber da ist mehr. Dem will ich verbunden in kritischer Solidarität heute etwas nachforschen: Warum haben die Politmagazine soviel von ihrer ehemaligen Durchschlagskraft eingebüßt? Und wichtiger noch: Wie sorgen wir dafür, dass sie wieder relevanter werden.

Wir alle wissen, dass sich die mediale Landschaft geändert hat: Neue Medien und Medienangebote sind dazu gewachsen, erst das private Fernsehen, dann das Internet. Plötzlich gab es den Heißen Stuhl, Daily Talks und Big Brother. Und im Netz werden Dissertationen geschreddert und diplomatische Geheimprotokolle zu Tausenden eingestellt. Das Angebot an Informationen sinnvollen genauso wie nutzlosen ist unüberschaubar geworden. Unverarbeitbar. Im Fernsehen ist der virtuose Slalom um die Informationsprogramme herum, deshalb für viele geübter Alltag an der Fernbedienung.

Man könnte die häufigen Wechsel des Sendeplatzes der Politmagazine schon fast als subversive Gegenstrategie begreifen: Wenn man nicht mehr weiß, wann Panorama läuft, kann man es auch nicht mehr gezielt umgehen. Der Zufallskontakt zwischen Zuschauer und Sendung wird wahrscheinlicher.

In den heutigen Mediengewittern hat sich aber auch die Haltung vieler gegenüber dem geändert, was sie dort zu sehen bekommen. Unser Weg führt schnurstracks von Platon zur Postmoderne oftmals leider unter Umgehung des vernünftigen öffentlichen Gesprächs, das wir doch alle gemeinsam beschwören.

Platon berichtet in seinem berühmten Höhlengleichnis davon, dass wir vor uns Abbilder einer Wirklichkeit sehen, die uns selbst nicht zugänglich ist. Wir sitzen gefesselt am Höhlenboden und sehen im Feuerschein vor uns an der Wand die Schatten der wahren Welt hinter uns. Weil wir uns aber nicht umdrehen können, halten wir die Schatten für die wahre Welt.

Ein bisschen so funktioniert auch das Fernsehen zumindest hat man das lange Zeit gedacht: Wir bekommen dort Realitäten gespiegelt, die uns selbst vielfach nicht zugänglich sind und halten diese für real. Kein Wunder, dass es das Höhlengleichnis zwischenzeitlich auch zu einiger Prominenz in der Medienphilosophie gebracht hat.

Das Fernsehbild als Widerschein der Wirklichkeit. So haben wir damals Panorama gesehen und die Faust in der Tasche geballt, angesichts der Ungerechtigkeiten, von denen wir damals erfahren haben. Aber das war eben auch die Zeit, in der Medientheoretiker auch dachten, dass wir uns zu Tode amüsieren könnten (Neil Postman) und deswegen das Fernsehen dieses Leben aus zweiter Hand abschaffen müssten (Jerry Mander).

Heute wissen wir selbstverständlich, dass das Fernsehen nicht bloß die Realität reflektiert, sondern etwas Eigenes erschafft. Wir regen uns auch nicht mehr auf, wenn wir dabei unterhalten werden. Und das Fernsehen abschaffen will schon gleich keiner mehr.

Wir wissen: Wir sehen auf dem Fernsehschirm keine Schatten der Wirklichkeit, sondern flüchtige Höhlenmalereien der Redaktion, aus deren Skizzenhaftigkeit sich jeder Betrachter selbst sein Bild machen muss.

Das gilt auch für Panorama und andere Nachrichtenmagazine. Und das ist auch völlig in Ordnung. Daran, dass der Blick von außen auf anderes fällt als der Blick von innen, muss sich jeder Politiker gewöhnen, der mit Medien zu tun hat.

Schließlich ist es ja eh so, dass der Journalist immer dann Unrecht hat, wenn er die eigene Partei kritisiert. Seine Recherche ist hingegen vortrefflich, wenn er sich der Konkurrenz widmet. Schadenfreude ist in der Politik genauso unschön wie weit verbreitet.

Das alles kann man aushalten: Schwierig wird es, wenn der alte Platon durch die Hintertür wieder ins Bild schlüpft und die Malerei der Redaktion wieder zum Abbild der Politik verklärt werden, nach dem Motto: Jetzt zeigen wir Euch mal wieder, wie die da wirklich sind, was die da wirklich machen und wie die Euch und uns nicht ausreichend ernst nehmen.

Und schwierig wird es natürlich auch, wenn sich Redaktionen in die völlige postmoderne Beliebigkeit verabschieden nach dem Motto: Das ist halt meine Sicht, ihre ist eine andere. Ist doch schön, dass wir das beide sagen können. Das Anything goes führt meist zum Stillstand der Debatte.

So einfach darf es sich heute niemand machen. In der Mediengesellschaft gibt es einerseits keine Kanzel mehr, von der aus ewige Wahrheiten und unumstößliche Ansichten verkündet werden. Alles steht täglich zur Disposition. Gerade deshalb sind wir aber andererseits darauf angewiesen, dass wir uns in der Gesellschaft auf ein gemeinsames Bild unserer Zeit einigen und zumindest in den grundlegenden Beschreibungen nicht völlig auseinander gehen. Wir brauchen einen Weg zwischen Platon und Postmoderne.

Wir leben in einer Zeit, in der keiner den Zugriff auf die Wahrheit und die Wirklichkeit gepachtet hat. Kein Politiker und kein Panorama-Redakteur. Auch dann nicht, wenn er uns aus der Seele spricht.

Wir bieten unsere Interpretation der Geschehnisse an und legen sie zu dem großen Mosaik dazu, das wir gemeinhin unsere Öffentlichkeit nennen.

Ich begreife die demokratische Öffentlichkeit als ein großes Gespräch zur Zeit, in dem unterschiedliche Interpretationen und Interessen, Meinungen und Mutmaßungen aufeinandertreffen.

Der zwanglose Zwang des besseren Arguments entscheidet darüber, welcher These wir glauben schenken. Diese Idee hat Kraft, selbst wenn sie nicht befolgt wird.

Wer aus diesem Diskurs aussteigen will, dem bleibt nur der Ausstieg aus dem Gespräch. Legendär ist das Telegramm, dass der damalige Bundestagspräsident Hermann Ehlers 1953 an den NWDR-Intendanten Werner Pleister geschickt hat: Sah eben Fernsehprogramm. Bedaure, daß Technik uns kein Mittel gibt, darauf zu schießen.

Ich will kein Gewehr. Ich will ein Gespräch. Und gerade deswegen ärgere ich mich, wenn dieses Diskursive aus der Öffentlichkeit vertrieben wird. Daran haben Politiker wie Journalisten ihren Anteil. I

Jeder Politiker kennt das: Man gibt ein langes und umfangreiches Interview, antwortet sogar aufrichtig und ehrlich und dann finden sich davon nur einzelne Passagen im Bericht und das in einem Kontext, der wenig mit den ursprünglichen Fragen zu tun hat.

Ich kenne Kollegen, die mittlerweile fragen, wie viel Sekunden sie in dem Beitrag haben. Dann liefern sie ein Statement, das keinen Wimpernschlag länger ist und nichts weiter. Andere beantworten lediglich schriftliche Fragen schriftlich.

Und auch wenn sie aus einer Sitzung kommen und zur nächsten müssen, dann können Sie kein differenziertes Gespräch mit einem Reporter führen. Die wenigsten Themen sind heute undifferenziert seriös zu besprechen. Deshalb lernen heute alle Spitzenpolitiker lächelnd an den Kamerateams vorbeizugehen, die Helmut Schmidt einmal der Wegelagerei bezichtigt hat.

Schön ist das alles nicht. Auch nicht gesprächsorientiert. Manchmal begehen wir Politiker da putative Notwehr und bringen das öffentliche Gespräch um, bevor es uns durch Verzerrung schadet. Und manchmal tun wir das auch unnötig, keine Frage. Wir müssen wechselseitig viel Vertrauensarbeit leisten.
 
Journalisten und Politiker sind keine Partner, dürfen es auch nicht sein. Aber wir haben eine gemeinsame Verantwortung dafür, dass unsere Öffentlichkeit nicht weiter an demokratischem Gehalt verliert. Dazu brauchen wir Augenhöhe und Waffengleichheit. Eigentlich ist es ganz einfach: Wir Politiker suchen nicht nach den Gewehren. Und Sie, die Journalisten, legen das im Mantel verborgene Schneidemesser beiseite. Weder beschießen wir uns, noch zerschneiden wir unseren Gesprächsfaden. Stattdessen reden wir miteinander, hören uns zu und bleiben überzeugbar auch wenn es der in der Konferenz bereits abgenickten These des Beitrags oder der Sprachregelung des Pressesprechers widerspricht.

Ich habe der Panorama-Redaktion schon einmal den Vorschlag gemacht: Lassen Sie uns das Visier aufklappen: Fünf Minuten, ungeschnitten, live zu jedem Thema. Ich bin sofort dabei. Ich freue mich darauf, auf diesen Grill gelegt zu werden. Was ich nicht mag ist das Köcheln auf kleiner Flamme, bei dem aus einer differenzierten Betrachtung nach Wochen plötzlich etwas anderes wird.

Wir brauchen kritischen Journalismus. Er bildet das Vertrauen in die Institutionen, die seiner Prüfung standhalten. Wir brauchen Journalisten, die Missstände aufspüren, Themen durchdeklinieren und die politisch Verantwortlichen zur Rede stellen. Erst sie machen eine Demokratie lebendig und funktionstüchtig. Aber das geht weder mit absolutem Wahrheitsanspruch noch mit spielerischer Leichtigkeit. Das ist harte Arbeit.

Nehmen Sie den Namen Ihrer Sendung ernst: Panorama bedeutet Rundblick. Aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger müssen darauf vertrauen können, dass ihre Journalisten auch wirklich auf den Gipfel steigen und nicht vorher auf dem Grat zwischen Platon und Postmoderne ausrutschen.

In der Midlife Crisis trauern ja viele dem jugendlichen Übermut nach. Ich empfehle ihnen: Vertrauen sie der Kraft ihrer Erfahrung. Werden sie gelassener und lassen Sie sich gelegentlich auch einmal von uns überzeugen. Die Wahrheit liegt da draußen.

Ich wünsche Ihnen von Herzen viel Erfolg auf diesem schwierigen Weg. Wir brauchen Sie in Bestform!