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15.11.2012

Mehr Führungsverantwortung für Frauen im Finanzsektor hilft nur die Quote?

Mehr Führungsverantwortung für Frauen im Finanzsektor hilft nur die Quote?

 

Sehr geehrte Frau Vizepräsidentin,

sehr geehrte Frau Sailer-Schuster,

sehr geehrter Herr Melsheimer,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

Hamburg ist ein großer Finanzplatz in Deutschland und wird es weiterhin sein. Ich weiß mich in dem Punkt einig mit Herrn Melsheimer, der das vorgestern erst in einem Interview bekräftigt hat.

 

Ich weiß mich mit ihm und vermutlich den meisten von Ihnen auch einig darin, dass wir uns in keiner Sicherheit wiegen können, weder was die weitere Entwicklung der Schuldenkrise betrifft noch die Wellen, in denen die Schiffsfinanzierer ich sage es seemännisch zurzeit rollen und die HSH-Nordbank stampft. Da sieht auch die Politik nicht ruhig vom Land aus zu, sondern greift ein, wo es nötig ist.

 

In der Stadt arbeiten insgesamt fast 50.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kredit- und Versicherungsgewerbe. Ich muss nicht betonen, wie sehr die Weiterentwicklung und Stärkung des Finanzplatzes Hamburg dem Senat am Herzen liegt.

 

Und wenn ich eben gesagt habe: seemännisch, dann beruht das keineswegs auf Unkenntnis dessen, dass in der Finanzbranche ohne die Sachkenntnis von Frauen nur wenig zusammenliefe. 

 

Wir alle wissen: Ob die so genannte Realwirtschaft funktioniert, steht und fällt überall mit ihren Finanzierungsbedingungen. Es freut mich, dass Sie Hamburg durch die Wahl als Tagungsort Ihr Vertrauen aussprechen.

Sie fordern mehr Führungsverantwortung für Frauen im Finanzsektor und fragen: Hilft nur die Quote? Ich denke: Sie hilft.

 

Gleich nach mir Herr Melsheimer  hat sie angekündigt wird die denkbar kompetenteste Kronzeugin für diese These, Frau Viviane Reding, uns ausführlich erläutern, was sich und was sie in Brüssel soeben bewegt  hat. 5.000 börsennotierte Unternehmen in Europa werden, das sage ich voraus, sehr davon profitieren, wenn künftig mindestens 40 Prozent ihrer Aufsichtsräte weiblich sind.

 

Auf eine Quote ist man, ist frau nicht stolz, eine Quote nutzt man. Wie eine Gehhilfe, die sie ja ist: eine kräftige Stütze, die laufen hilft, wenn einem zu viele Beine gestellt werden. Wo man eine Quote braucht, haben vorher Personalverantwortliche über einen sehr langen Zeitraum hinweg ihre Aufgabe nicht erfüllt.

 

Elf Jahre hat die Politik den Unternehmen Zeit gegeben. Sie ist deren eigenem Vorschlag einer Selbstverpflichtung gefolgt. Doch die Zahl der Unternehmen, die ihren Frauenanteil in der Führung sichtbar erhöht haben, ist überschaubar. Ein positiver Trend ist nur mit sehr viel gutem Willen zu erkennen.

 

Dabei kennt sie doch jeder, die erfolgreichen Frauen. Namen müssen nicht genannt werden, denn Sie kennen die Namen am besten. Auch weil es immer dieselben Namen sind, die die Erfolgsgeschichten schreiben.

 

Doch die gute Nachricht ist: Die Zeit, da Frauen zwischen Beruf und Privatleben, zwischen Kindern und Karriere wählen mussten, geht langsam, aber unweigerlich zuende. Viele Frauen, die Topjobs bestens ausfüllen, nehmen sich offenbar auch ein Privatleben. Und die Freiheit, eine Quote zu fordern oder diese abzulehnen.  

 

Meine Damen und Herren, 

ich freue mich, dass die Zahl weiblicher Führungskräfte in Spitzenpositionen in Deutschland mittlerweile auf 19,4 Prozent angestiegen ist. Aber ich bin mir auch bewusst, dass der überwiegende Teil weiblicher Aufsichtsratsmitglieder im DAX 30 von der Arbeitnehmerseite gestellt wird. Unter den Anteilseignern sind nur 7,4 Prozent weiblich - und ich bin gespannt, wie viele es nach den Aufsichtsratswahlen 2013 sein werden.

 

Wir alle können die Zahlen inzwischen herunterbeten: Der Anteil weiblicher Vorstandsmitglieder ist bei den 290 größten börsennotierten Unternehmen zwischen 2005 und 2010 gerade mal auf acht Prozent gestiegen - einen weiblichen Finanzvorstand hatten sogar nur sechs Prozent der Unternehmen. Noch bescheidener ist die Zahl bei den Vorstandsposten: Hier sind nur zwei Prozent Frauen.

 

Ist das gerecht? Ausbildungsstand oder Qualifikation von Frauen rechtfertigen dieses Ungleichgewicht in keiner Weise. Die Mehrheit der Führungskräfte hat nach wie vor eine juristische oder wirtschafts-wissenschaftliche Ausbildung. Der Anteil weiblicher Hochschulabsolventinnen liegt in diesen Bereichen sogar über dem ihrer männlichen Kollegen. Damit widerspricht die Wirklichkeit dem in Artikel 3 des Grundgesetzes niedergelegten Gleichheitsgrundsatz. Maßnahmen des Staates im privatwirtschaftlichen Sektor sind deshalb dringend erforderlich.

 

Nur zwei Prozent, ist das wirtschaftlich vernünftig? Wissenschaftliche Studien weisen inzwischen sehr ernsthaft nach, dass Unternehmen mit einer hohen Zahl von Frauen an der Spitze wirtschaftlich erfolgreicher sind als jene, in denen Männer weitgehend unter sich bleiben. 

 

Vielleicht hat die Finanzkrise sogar die Schwächen männlich dominierter Führungsriegen besonders  zutage befördert: Aus Mut zum Risiko wurde viel zu oft Lust am Risiko, und nicht selten schlug Antriebsstärke um in Selbstüberschätzung. 

 

Ich will mich nicht auf das Glatteis begeben, über vermeintlich typisch männliche, beziehungsweise weibliche Charakter- und Führungseigenschaften zu philosophieren. Sicher scheint mir, dass das Faktische, Objektivierende, Machbar-machende einmal als männliche Domäne galt. Inzwischen sind es häufig die Frauen, die diese Fähigkeiten mitbringen und sich in Führungspositionen unverzichtbar machen.

 

Meine Damen und Herren,

Sie wissen, dass die Freie und Hansestadt über den Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Einführung einer Mindestquote in den Bundestag eingebracht hat. Diese Mindestquote will die Steine, mit denen Unternehmen sich selbst behindern, aus dem Weg räumen. Mir persönlich wäre es lieber, die Unternehmen regelten das selbst. Ich bin kein Freund übermäßiger staatlicher Regulierung.

 

Aber wo Unternehmen ihren Aufgaben nicht aus eigenem Antrieb gerecht werden können oder wollen, muss der Staat unterstützend eingreifen. Und nach den Erfahrungen der letzten Dekade glaube ich nicht mehr daran, dass die Unternehmen in ihrer Mehrzahl personalpolitisch das Versäumte schnell genug aufholen werden, um im globalen Wettbewerb um qualifizierte Führungskräfte zu bestehen.

 

Vierzig Prozent Frauen und Männer in Aufsichtsräten börsennotierter und mitbestimmter Unternehmen dieses Ziel verfolgt Hamburg gemeinsam mit zwei Bundestags-Fraktionen, die sich unserer Initiative angeschlossen haben. Unser Gesetzesvorschlag lässt noch einmal zehn Jahre Zeit, Leitungsgremien stufenweise angemessen zu besetzen.

 

Allerdings werden wir Unternehmen, welche diese Zeit ungenutzt verstreichen lassen, diesmal sanktionieren. Gremien, die zu ungleich besetzt sind, können dann ihre Aufwendungen nicht mehr steuerlich absetzen. Außerdem wollen wir die Namen der Unternehmen, die sich der Quote widersetzen, veröffentlichen und ihnen eine Berichtspflicht auferlegen.

 

Unser, wie ich finde, ausgewogener und praktikabler Gesetzesvorschlag geht wesentlich auf die Arbeit der Hamburger Justizsenatorin Jana Schiedek zurück. Dass ich ihn so hartnäckig vorantreibe, liegt auch daran, dass ich persönlich die Diskrepanz zwischen Versprechen und Tun allzu oft erlebt habe. Deshalb erhöhen wir den Druck auf die Unternehmen, schränken dabei aber ihre Handlungsfähigkeit und Rechtssicherheit nicht ein. 

 

Wir werden mit der Quote weder die Einzigen und noch die Ersten in Europa sein, sondern in guter Gesellschaft mit Frankreich, Spanien, Belgien, Italien, Island und den Niederlanden. Ich bin mir dabei auch der eigenen Personal-Verantwortung bewusst: Wir sind in Hamburg sehr ernsthaft dabei, die Gleichstellung im Öffentlichen Dienst voranzutreiben und die Aufsichtsräte von Unternehmen mit städtischer Beteiligung mit ausreichend Frauen zu besetzen. 

 

Sehr geehrte Damen,

ich habe es begrüßt, als Sie sich vor zwei Jahren zum Frauen-Finanzforum zusammenschlossen - unabhängig davon, ob Sie nun die Quote, wie wir Sie möchten, befürworten oder ihr eher skeptisch gegenüber stehen. Wir alle wissen, wie schwierig es gerade im Finanzsektor für Frauen ist, in die Führungsetagen aufzusteigen. Ihre Initiative leistet einen wichtigen Beitrag, die gläserne Decke zu durchbrechen. Ich bin zuversichtlich, dass dies gelingen wird. Die Zeit ist auf unserer Seite, auch da wird mir Frau Reding mit Blick auf eine europäische Frauenquote zustimmen.  

 

Meine Damen und  Herren,

trotz Quote und Kita-Ausbau: Es gibt kein politisches Mittel, mit dem ich die Faktoren, welche verhindern, dass sich Frauen aussichtsreich auf Führungspositionen bewerben, beseitigen kann. Die Balance zwischen Arbeit und Privatleben muss jede und jeder für sich selber finden.

 

Das gilt nicht nur für Frauen. Die Doppelbelastung oder sagen wir: Doppel-Aufgabe zwischen Karriere und Kindern kennen auch Männer inzwischen ganz gut. Wer eine Führungsposition innehat, an den werden besondere Anforderungen gestellt. Wer ihnen gerecht werden will, muss seine privaten Bedürfnisse gelegentlich zurückstellen - völlig missachten aber sollte er sie nicht. Wir müssen aufhören, Familie und Kinder als Karriere-Gegner zu betrachten. Denn gerade durch sie erfahren Frauen wie Männer jenen Rückhalt, der sie stark macht und der ihnen eine  Freiheit und Unabhängigkeit gibt. 

 

Die Politik kann und will es niemandem abnehmen, für sich persönlich einen Weg zu finden, der ein erfolgreiches und gutes Leben ermöglicht. Deshalb ist es umso überflüssiger, wenn die Debatte immer noch ideologisch geführt wird wobei die Ideologen inzwischen großenteils im konservativen Lager sitzen und dieses spalten. Vielleicht wäre es, an Stelle der Einführung eines Betreuungsgeldes, zielführender gewesen, endlich ausreichend Kita-Plätze zu schaffen. 

 

Bei der Quote geht nicht um private Lebensmodelle und Vorlieben. Die Quote ist ein zeitlich begrenztes Instrument zur Beschleunigung einer notwendigen Entwicklung. Gut ausgebildete und hoch motivierte Frauen müssen in verantwortliche Positionen gelangen. Dafür ist nicht ewig Zeit, wenn wir in der globalisierten Wissensgesellschaft wettbewerbsfähig bleiben wollen.

 

Ich wünsche dem Frauen-Finanzforum 2012 wegweisende Diskussionen und Ihnen allen mehr Führungsverantwortung.

 
Es gilt das gesprochene Wort.