Herr Scholz, bei unserer Leserin Annemie Frenk (42, Single, 2 Kinder) wird das Geld knapp. Sie arbeitet in einem Callcenter. Und fragt: „Herr Bundeskanzler, ich höre ständig in den Nachrichten, die Inflation gehe zurück – wo denn? Ich kaufe im Supermarkt nur noch Angebote, Fisch haben wir gestrichen, damit noch Obst und Gemüse auf den Tisch kommen kann. Was tun Sie gegen die Wucherpreise?“
Die Preise sind vor zwei Jahren massiv gestiegen als Folge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, dem Wegfall der Energielieferungen und der allgemeinen Unsicherheit. Inzwischen hat sich die Inflationsrate zwar wieder auf dem üblichen Niveau eingependelt – aber insbesondere bei Lebensmitteln spürt man, dass vieles mehr kostet. Umso wichtiger sind höhere Löhne. Im Jahr 2022 haben wir den Mindestlohn von 12 Euro durchgesetzt, sechs Millionen Beschäftigte haben davon direkt profitiert – und insgesamt sind Löhne gestiegen. Ich bin überzeugt, dass der Mindestlohn weiter steigen sollte – Frau Frenk weist ja zurecht auf die Preissteigerungen hin. Ich denke, er sollte schnell auf 14 und dann weiter auf 15 Euro die Stunde steigen. Jeder muss sich sein Leben leisten können.
Um 33 % sind die Lebensmittelpreise im Schnitt seit 2021 gestiegen! Lässt sich das nur mit verteuerter Produktion erklären?
Die höheren Energiepreise und die Schwierigkeiten in der Lieferkette wirken sich leider massiv aus. Ob manche Hersteller zusätzlich die schwierige Lage ausnutzten, um höhere Preise am Markt durchzusetzen, ist schwer zu sagen. Es ist Aufgabe der Wettbewerbsbehörden, dies immer wieder zu prüfen.
Heike Dethleff (47) aus Dortmund arbeitet als Krankenschwester: „Seit 26 Jahren ist das mein Traumberuf. Aber jetzt kündige ich, ich kann nicht mehr. Extraschichten, Personalmangel… So viel wurde versprochen, auf dem Balkon geklatscht, aber alles wird nur schlimmer.“ Tatsächlich überlegt jede 3. Pflegekraft, hinzuwerfen. Wie bringen Sie Heike und all die anderen dazu, im Job zu bleiben?
Erstmal mein Respekt für Frau Dethleff und alle, die sich für einen Pflegeberuf entscheiden und ihn mit vollem Herzen ausüben! Das ist ein anstrengender und fordernder Beruf. Bei der Bezahlung haben wir einiges verbessert, aber es muss auch um bessere Arbeitsbedingungen gehen, damit Frau Dethleff und ihre Kolleginnen und Kollegen bleiben. Darum kümmern wir uns.
Wie genau? Auch in den Pflegeheimen fehlen ja 100.000 Arbeitskräfte, Tendenz stark steigend. Wie soll menschenwürdige Pflege da noch funktionieren?
Wir müssen vier Dinge tun: 1. Die Arbeitsbedingungen verbessern, damit möglichst viele lange im Beruf bleiben. Da hilft auch die geplante Krankenhausreform, die Druck von Beschäftigten nimmt, indem sie das Geld, das bereits im Gesundheitssystem ist, gezielter einsetzt. 2. Für faire Gehälter sorgen, auch durch bessere Tarifverträge. 3. Den Pflegeberuf aufwerten, also Pflegekräften mehr Kompetenzen zugestehen – da gehen andere Länder mit gutem Beispiel voran. Und 4. werden wir zusätzlich Fachkräfte aus anderen Ländern holen müssen.
Brigitte W. aus München ist 75, hat über 40 Jahre gearbeitet, einen Sohn großgezogen: Ich kriege 1022,42 Euro Rente, sogar noch 100 Euro Betriebsrente. Aber allein meine Wohnung kostet 730 Euro Miete! Nach Abzug aller Kosten bleiben mir 267,28 Euro zum Leben. Vor 10 Monaten habe ich staatliche Unterstützung beantragt – noch kein Bescheid. Wie kann das sein?
Ihr Unmut ist nachvollziehbar. Man muss sich auf die Rente verlassen können. Das ist für 75-Jährige genauso wichtig wie für junge Leute. Gerade wer viel und lange gearbeitet hat, braucht da Sicherheit. Und wer all die Jahre wenig verdient hat, erhält zusätzlich Grundrente.
... und wartet dann ein Jahr auf seinen Bescheid?
Das geht so nicht, und muss sich ändern. Niemand sollte so lange warten müssen – nirgendwo in Deutschland.
Jede 5. Frau über 65 ist im Land armutsgefährdet!
Genau deshalb werden wir noch dieses Jahr im Bundestag ein Gesetz beschließen, in dem das Rentenniveau für die nächsten Jahrzehnte garantiert wird. Das ist eines unserer zentralen Versprechen.
Mit Marie Heims (36) aus Bremen geht‘s an den Anfang des Lebens: „Meine Tochter ist in der 8. Klasse, es gibt keine Woche ohne Unterrichtsausfall! Die Klassen sind übervoll, der Putz fällt von den Wänden. Warum sind Schulen nicht, was sie sein sollten: die Kathedralen unserer Zeit!?“
Schulen sollten zu Palästen werden. Das finde ich schon sehr lange – und in meiner Zeit als Hamburger Bürgermeister habe ich viel dafür getan, die Schulen der Stadt auf Vordermann zu bringen. Das ist eine wichtige Aufgabe von Kommunen und Ländern. Wir brauchen große Anstrengungen überall im Land, was den Bau neuer und die Sanierung bestehender Schulen angeht. Dafür ist es wichtig, dass das vor Ort auch mit Priorität angegangen wird. Und gegen Unterrichtsausfall hilft nur eines: mehr Lehrerinnen und Lehrer einstellen.
Bis 2035 fehlen 68.000. Wo holen Sie die her?
Die Hochschulen müssen die Ausbildungskapazitäten dringen erhöhen. Und wir dürfen uns nichts vormachen: Ohne engagierte Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger wird es nicht gehen, die Lücke zu füllen.
Auch Versicherungsangestellte Hanna Lemker (36) sorgt sich um ihr Kind: „Max ist 8, geht in eine Berliner Grundschule. In seiner Klasse sind 23 Kinder, nur 4 deutscher Herkunft. Viele sprechen kaum Deutsch. Das sind doch keine fairen Lernvoraussetzungen!“
Deshalb sollen Kinder schon im Kita-Alter einen Sprachtest machen, um herauszufinden, wie es um ihre Kenntnisse steht. Und dann braucht es für sie spezielle Sprachförderung, damit sie später in der Schule gut mitkommen können.
Thema Wohnungsnot. Sarah Kreilke (34) lebt mit Mann Paul und Sohn Edgar (2) in einer 1,5-Zimmer-Wohnung in Leipzig: „Wir wünschen uns 70 Quadratmeter, ich bin biologisch-technische Assistentin, mein Mann Informatiker. Wir könnten bis 1600 Euro Miete warm bezahlen – finden aber seit zwei Jahren nichts.“
In vielen Städten, insbesondere in Großstädten, mangelt es an Wohnraum. Deshalb bin ich vor drei Jahren mit dem Ziel angetreten, den Wohnungsbau richtig anzukurbeln. Da sind wir leider längst noch nicht, weil die Preise für Energie und Baumaterial sowie die Zinsen wegen des Krieges durch die Decke gegangen sind. Das Ziel bleibt aber richtig: Wir brauchen viel mehr Wohnungen, mehr Bauland und ganze neue Stadtteile. Und es braucht mehr Tempo – deshalb haben wir viele Vorschriften abgeschafft, die schnelles Bauen behindert haben.
Rentnerin Marion (75) aus Berlin: „Ich bin Witwe, die Kinder groß – ich möchte meine Wohnung einer jungen Familie überlassen. Aber die Miete für eine neue kleine kann ich mir heutzutage nicht mehr leisten!“
Da beschreibt Ihre Leserin ein Phänomen unserer Zeit. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass bezahlbare Wohnungen entstehen! Die Förderung des bezahlten Wohnraums haben wir daher auf über 20 Milliarden Euro angehoben.
Viele junge Leute können nicht mit dem Studieren anfangen, weil ihnen eine Bleibe fehlt!
Genau das wollen wir ändern. Die Bundesregierung investiert, wie gesagt, Rekordsummen in den sozialen Wohnungsbau und hat die Mittel für zinsvergünstigtes Bauen erhöht. So stützen wir zugleich die Baukonjunktur in schwierigen Zeiten. Allmählich gehen die Zinsen wieder etwas zurück, das ist eine gute Nachricht. Und für alle, die noch in der Ausbildung stecken, haben wir letztes Jahr das Programm „Junges Wohnen“ auf den Weg gebracht. Da geht es um den Bau neuer Wohnheimplätze.
Zum Wohnen gehört Heizen – Stichwort Wärmewende. Dazu Leserin Heidi Janssen (59) aus Osterholz: „Unsere Ölheizung war hin. Zwei Beraterfirmen waren da, am Ende sollte die empfohlene Pellet-Heizung 36.000 Euro kosten! Wir möchten das Klima schonen, aber wer soll das bezahlen?“
Ein ganz sensibles Thema, das weiß ich aus vielen Gesprächen. Vielleicht kurz zum Rahmen: Bis 2045 müssen wir klimaneutral sein in Deutschland. Das wird sich auch darauf auswirken, wie wir heizen. Denn die Preise für Erdöl und Erdgas werden massiv steigen. Wenn die alte Heizung kaputt geht, stehen deshalb viele vor der Frage, worauf sie künftig setzen: auf Fernwärme, auf Wärmepumpe oder auf Pelletheizungen zum Beispiel. Wer klimaschonend heizen will, kann umfassende Förderprogramme nutzen.
Herr Scholz, ein kurzer Zwischenruf von Melanie Peters (42) aus Bochum: „Wenn ich durch das Ruhrgebiet fahre, fahre ich durch eine Schlaglochhölle. Bleibt das jetzt so?“
Unsere Infrastruktur wurde zu lange auf Verschleiß gefahren. Da wird jetzt massiv investiert, zumindest vom Bund auf seinen Straßen. Was Jahrzehnte versäumt wurde, holen wir jetzt nach, allen voran bei der Bahn.
Lieber Herr Scholz, umzingelt von all diesen Krisen: Was ist Ihre Vision für Deutschland?
Ich möchte ein Deutschland, das füreinander einsteht und sich nicht gegeneinander hetzen lässt. Es braucht Respekt für die Leistung aller Bürgerinnen und Bürger – niemand sollte sich für etwas Besseres halten. Ein sicheres und friedliches Deutschland in einem stabilen Europa ist mein Ziel. Unser Land ist stark. Wir haben allen Grund, zuversichtlich zu sein. Und wir dürfen hoffen, dass wir gestärkt aus den aktuellen Krisen hervorgehen werden.
Sie wünschen sich mehr Zuversicht?
Ja, mehr Zuversicht, gemeinsam anpacken und nach vorn gucken. Es geht so vieles, wenn wir zusammenhalten!