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15.12.2025 | Berlin

Olaf Scholz im Interview mit der taz

taz: Herr Scholz, wir haben Ihnen ein Foto mitgebracht von einem Termin in Ihrem Wahlkreis. Sie stehen da mit einer Herde Wasserbüffel auf einer Wiese. Wie geht es den Tieren?

Olaf Scholz: Gut. Sie haben eine schöne Weide und gute Landwirte, die sich um sie kümmern.

taz: Sie haben es zuletzt ähnlich gemacht wie die Wasserbüffel. Sie haben im letzten halben Jahr stoisch zugeschaut und geschwiegen. Warum wollen Sie sich jetzt wieder einmischen?

Scholz: Ein halbes Jahr ist um. Aber alle können sicher sein, dass ich mich stets so äußern werde, wie es angemessen ist, wenn man die Ehre hatte, dem eigenen Land als Kanzler zu dienen. Es geht um das Wohl des Landes. Und ich will auch der Regierung helfen, erfolgreich zu sein. Das fällt mir auch nicht sonderlich schwer. Ich wusste immer, dass ich, sofern es meine Gesundheit zulässt, länger ehemaliger Kanzler sein würde als Kanzler.

taz: Friedrich Merz lobt sich dafür, wie viel Geld seine Regierung in Verteidigung und Infrastruktur investiert. In der Opposition hatte er jede Änderung der Schuldenbremse blockiert.

Scholz: Es war gut, dass nach der Bundestagswahl noch der letzte Bundestag die Verfassung geändert hat, um ein Sondervermögen von 500 Milliarden für die Infrastruktur und eine Kreditaufnahme zugunsten der Bundeswehr zu ermöglichen. Das Gesetz habe ich gern selbst unterschrieben. Und es ist übrigens auch gut, dass die SPD in der Regierung dafür sorgen kann, dass die Fortschritte der letzten Jahre nicht rückabgewickelt werden.

taz: Fortschrittliche, also progressive Politik steht derzeit enorm unter Druck. In unseren Augen ist das eine Politik, die das Gemeinwohl stärkt, nachhaltig ist und sozial gerecht. Stimmen Sie zu?

Scholz: Deshalb bin ich im Alter von 17 Jahren Sozialdemokrat geworden.

taz: Weshalb ist progressive Politik für Sozialstaat, Klimaschutz und Umverteilung gerade so sehr in der Defensive?

Scholz: Wir sehen in allen Ländern des Nordens, in Nordamerika oder Europa oder Russland, große Unsicherheit über die Zukunft. Die ökonomischen Verschiebungen, die mit dem Aufstieg des Globalen Südens und vor allem Asiens und Chinas einhergehen, sind in volkswirtschaftlichen Statistiken spürbar – aber auch im persönlichen Leben. Dazu kommen technologische Innovationen und die vielen Fragen, die sich mit den Herausforderungen des Klimawandels verbinden. Und es geht um Anerkennung und Respekt. Viele haben das Gefühl, ihre Arbeit und Leistung würden nicht anerkannt. Die Meritocracy Trap, die Behauptung, alle Privilegien beruhten auf individueller Leistung, spaltet die USA, ist aber auch bei uns zu spüren. Deshalb ist es kein Zufall, dass dort und überall in Europa rechtspopulistische Strömungen und Parteien im Aufwind sind.

taz: Sie machen das ganz große Bild auf, aber schauen wir doch mal nach Deutschland. Warum dringt die SPD nicht durch?

Scholz: Immerhin hat sich meine Partei in diese Regierung hineingekämpft und die letzte geführt.

taz: Und wo bitte macht die SPD gerade progressive Politik?

Scholz: Wir haben in Deutschland den Mindestlohn eingeführt, der auch in dieser Legislatur stark steigen wird. Da geht es genau um Respekt für Arbeit, die vorher zu schlecht bezahlt wurde. Und wir setzen uns für ein stabiles Rentenniveau ein. Die SPD ist die Partei, auf die man sich verlassen kann. Wer in einem Warenlager arbeitet, in einer Fabrik oder in einem Supermarkt, muss im Rückblick auf das Berufsleben sagen können: Das war ein gelungenes Leben.

taz: Ist das nicht eigentlich konservative Politik, nämlich die Erhaltung des Status quo? Die Reformdebatten führen dagegen neoliberale und rechte Parteien.

Scholz: Wer nicht für eine Verschlechterung der Rente ist, ist kein moderner Politiker? Es ist doch progressiv, sich für gesellschaftlichen Zusammenhalt einzusetzen! Ein weiteres Beispiel für progressive Politik ist das Staatsbürgerschaftsrecht, das wir in der letzten Legislaturperiode reformiert haben, so dass Einbürgerungen schon nach fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts in Deutschland beantragt werden können und Mehrstaatigkeit generell möglich ist. Mehr als ein Viertel unserer Bevölkerung hat einen Zuwanderungshintergrund. Da ist Staatsbürgerschaft zentral für unsere Demokratie. Wir sollten jetzt dafür sorgen, dass sich viele entschließen, die Staatsbürgerschaft unseres Landes anzustreben. Deutschland hätte im Übrigen größte ökonomische Schwierigkeiten, ohne all die Arbeitskräfte aus anderen Ländern, die in den vergangenen Jahrzehnten zu uns gekommen sind. Sie haben ganz nebenbei dazu beigetragen, dass wir heute geringere Rentenbeiträge zahlen als zu Zeiten Helmut Kohls. Und: Deutschland hat die Nutzung der Kernenergie beendet und die Nutzung der erneuerbaren Energien und klimafreundlicher Technologien beschleunigt; das ist progressive Politik. Und nun müssen wir als Progressive darüber diskutieren, wie wir zu – klimafreundlichem – Wachstum kommen.