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19.06.2004

Politik für Hamburg - Rede auf dem ordentlichen SPD-Landesparteitag, Hamburg, 19. Juni 2004

Ordentlicher Parteitag der SPD-Hamburg am 19. Juni 2004
Rede des SPD-Landesvorsitzenden Olaf Scholz


- es gilt das gesprochene Wort -

Liebe Genossinnen und Genossen,

die letzten Jahre sind Jahre gewesen, in denen wir Hamburger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit vielen Umbrüchen konfrontiert wurden. Umbrüche fallen nur selten leicht das gilt auch für uns.

Das einschneidendste Ereignis in der jüngsten Geschichte der Hamburger SPD war sicher, dass wir bei der Bürgerschaftswahl 2001 die Regierungsmehrheit nicht verteidigen konnten. Ein Regierungswechsel fand statt, Herr von Beust wurde Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg. Fast 44 Jahre lang hatten uns die Menschen in Hamburg immer wieder - bei den Wahlen zur Bürgerschaft - ihr Vertrauen ausgesprochen. Entsprechend schmerzhaft war der Wahlausgang im September 2001 für uns.

Allerdings: Dieses Wahlergebnis war kein Ereignis, das plötzlich über uns herein brach. Seit Anfang der 90er Jahre nahm die Zahl derjenigen zu, die nicht mehr durch die Parteien vertreten werden wollten, die im Parlament saßen. Nicht nur wir, sondern auch die CDU-Opposition hatte einen erheblichen Wählerschwund zu verzeichnen.  Hamburg hatte es mit einem in der eigenwilligen Sprache der Wahl-forscher vagabundierenden Wählerpotential zu tun. Diese Haltung von Men-schen, diese Bewegung in der Wählerschaft und vor allem die damit verbundene Abwendung von den großen Parteien äußerte sich zum Beispiel darin, dass 1997 bei der Bürgerschaftswahl fast 20 Prozent der Stimmen auf Parteien entfielen, die schließlich nicht in die Bürgerschaft kamen. Diese 20 Prozent wählten dann bei der Bürgerschaftswahl im Jahre 2001 weitgehend die Partei des Herrn Schill. Und sogar ein geringfügig besseres Wahlergebnis als das aus dem Jahr 1997 reichte nicht, um weiter einen SPD-geführten Senat in Hamburg zu ermöglichen.

Übrigens: Die Menschen waren und sind überall immer weniger bereit, sich anhand langfristig gewachsener Traditionen politisch an eine Partei zu binden. Sie machen ihre Wahlentscheidung immer häufiger von aktuellen Entwicklungen abhängig. Das erhöht die Anforderungen an die Qualität der Politik und die Parteien. Und so sehr es unsere Arbeit mühsamer macht: Schlecht für die Demokratie ist das nicht. Und das sollten wir nicht übersehen: Die größere Bereitschaft der Wählerinnen und Wähler, ihre Parteienpräferenz zu wechseln, ist für Oppositionsparteien - und das sind wir in Hamburg - auch ein Trost: Die Zeit bis zum nächsten Regierungswechsel muss nicht unendlich lang sein!  

Wir mussten - und wir müssen auch heute noch - analysieren, wie es zu diesem Wechsel kam. Und wir müssen in Zukunft unsere Chancen nutzen. Wir wollen wieder die stärkste Partei in Hamburg  werden. Wir müssen mit den richtigen The-men das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen. Und welche Themen die  Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt bewegen, können wir nur erkennen und verstehen, wenn wir mehr als je zuvor den Menschen zuhören.

Ein letztes Wort zum hoffentlich abgeschlossenen Kapitel Ronald Barnabas Schill: Die fast 20 Prozent der Stimmen, die er 2001 bekam, hat er fast vollständig verloren.

Nach der Bürgerschaftswahl 2001  hatten wir uns sorgfältig mit dem Phänomen des rechten Populismus beschäftigt. Den gibt es nicht nur in Deutschland, sondern überall in Europa.  Wir wissen heute, dass rechter Populismus keineswegs vorwiegend dort Erfolg hat, wo es den Menschen sehr schlecht geht. Und wir wissen, dass es ihn als Phänomen in vielen Ländern zu verzeichnen gibt: in den skandinavischen Ländern, in den Niederlanden, in Österreich, Frankreich, der Schweiz und in vielen anderen europäischen Staaten. Der europäische Rechtspopulismus lebt oft von dem Wunsch der Menschen, das Rad zurückzudrehen; Vergangenes  wiederzubeleben. Diese Hoffnungen der Menschen kann man oft verstehen. Gefährlich ist Politik, die diese vergeblichen Hoffnungen für eigene Zwecke missbraucht. Und vor allem: Der europäische Rechtspopulismus speist sich aus der schlechten Eigenart, schlecht ü-ber andere Menschen zu denken und zu reden. Es gibt es keinen  rechten Populismus ohne Ressentiment. Und: Es gibt keinen rechten Populismus ohne flatterhafte Führer mit schlechten Charakter. Es gibt keinen rechten Populismus ohne Menschen wie Schill, die sogar das zerstören, was sie aufgebaut haben.

Ja, Schill hatte etwas aufgebaut: eine unseriöse, bis ins menschenverachtende gehende Politik. Er konnte diese unseriöse Politik aufbauen mit Versprechungen an Menschen, die von den bestehenden Parteien enttäuscht waren. Und die jetzt sicherlich noch enttäuschter sind. Diese Menschen und ihr Vertrauen zurückzugewinnen das wird ein hartes Stück Arbeit. Wir müssen uns gemeinsam vom Landes-vorstand bis zu den Distrikten um diese Bürgerinnen und Bürger bemühen. Gut, dass viele diesmal nicht Schill, sondern CDU gewählt haben. Besser wäre es, wenn das nächste Mal viele der Bürgerinnen und Bürger - manche dann vielleicht das erste Mal wieder nach zehn Jahren - der SPD vertrauen.

Bereits im Dezember 2001 kurz nach der Wahl hatten wir  eine viel beachtete Konferenz zum Thema Rechtspopulismus veranstaltet. Einer der Teilnehmer der mittlerweile führende Populismus-Experte Professor Decker hat bei dieser Konfe-renz eine bemerkenswerte Feststellung getroffen. Schon im Dezember 2001 war seine Meinung:  "Wahrscheinlich hat die Partei von Herrn Schill mit der Bürgerschaftswahl 2001 ihren Höhepunkt schon hinter sich". So ist es auch gekommen - und das ist gut.

In Hamburg ist übrigens das gleiche vor sich gegangen, was sich in Österreich und den Niederlanden ereignet hat.  Der Niedergang der rechten populistischen Partei schlägt nicht auf das Konto der in die Opposition  geratenen Sozialdemokratischen Partei. Nein, er nützt zunächst einmal dem konservativen Koalitionspartner. Das ist mit Schüssel und Haider in Österreich so. Das ist mit  Balkenende und der Partei des verstorbenen Pim Fortuyn in den Niederlanden so.  Oder eben mit Ole von Beust und Ronald Schill hier in Hamburg.

Offenbar sehen viele Wählerinnen und Wähler es heute so, dass es nicht in Ordnung war,  einen wie Schill zum zweiten Bürgermeister zu machen. Aber die Menschen haben nicht den Schluss gezogen, den wir erhofft haben und den wir für richtig halten:  Dass die Skandale der letzten zwei Jahre nämlich die logische Konsequenz aus der falschen Entscheidung waren, sich mit Schill einzulassen.
Wählerinnen und Wähler haben nicht Beust und Schill gleichermaßen abgestraft. Sie haben lediglich in dem Einen den Bösen gesehen, in dem anderen den Guten. Und diesen Guten haben sie gewählt. Viele Menschen waren solidarisch mit dem Bürgermeister, als Schill ihn erpresste. Sie waren zurecht solidarisch, wir waren es ja auch! Viele fanden es richtig, das Schill rausgeschmissen wurde. Sie hatten recht, wir fanden das auch! Und in dieser Solidarität haben viele leider vergessen, dass es der Bürgermeister selbst war, der seine Karriere dem Bündnis mit Schill  verdankte.

Liebe Genossinnen und Genossen, diese kurze Geschichte des Rechtspopulismus in Hamburg ist ähnlich verlaufen wie in den Niederlanden und in Österreich. Allerdings - das ist auch sehr wichtig -  haben wir jetzt die Chance, auf diesen Ereignissen aufzubauen. Die neue Regierung wird jetzt ihre Fehler, ihre Unzulänglichkeiten und ihre Untätigkeit nicht mehr auf einen unsicheren, unberechenbaren Kantonisten in der Regierung abwälzen können. Der Bürgermeister kann sich nicht mehr lächelnd aus der Bredouille mogeln. Die Fehlentscheidungen von Frau Dinges-Dierig, die gebrochenen Versprechen von Frau Schnieber-Jastram, die schlechte Wirtschaftspolitik von Herrn Uldall oder die Skandale von Herrn Kusch: Das sind jetzt die Probleme des ersten Bürgermeisters und wir dürfen ihn da nicht rauslassen! Gerade wer die jüngsten, jede soziale Ausgewogenheit vermissenden Entscheidungen des CDU-Senates sieht, kann auch sagen: Es ist nicht egal, wer diese Stadt regiert. Die CDU und der Bürgermeister von Beust vergreifen sich an den solidarischen Traditionen unserer Stadt!

Liebe Genossinnen und Genossen, das ist eine unserer Chancen in der Opposition. Wir müssen den Menschen zeigen, wo der Unterschied ist zwischen uns und denen. Wir müssen zeigen, dass es nach wie vor große Unterschiede zwischen den Parteien gibt. Wir müssen die Chance nutzen, uns und unsere Politik als Alternativen darzustellen.

Das gilt umso mehr, als es uns bei der Bürgerschaftswahl in diesem Jahr nicht ge-lungen ist, den Regierungswechsel herbeizuführen. Dass wir eine schwierige Ausgangslage hatten, das war und ist uns allen bekannt. Wir haben gut gekämpft, das war schon sehr beeindruckend. Und ich möchte mich ausdrücklich bei allen bedanken, die mitgeholfen haben, einen so engagierten und auch harten Wahlkampf zu führen; insbesondere bei Thomas Mirow. Thomas, Du hast Dich wirklich mit Deiner ganzen Person eingesetzt.

Liebe Genossinnen und Genossen, solche Umbrüche, wie sie sich mit dem Gang in die Opposition nach langer, langer Regierungszeit verbinden, machen auch personelle und inhaltliche Überprüfungen und Neuaufstellungen nötig.  Wir haben das gemacht. Wir haben uns nicht gedrückt vor den Themen, bei denen die Menschen kritische Fragen an die sozialdemokratische Politik hatten Fragen, die wir zu lange überhört oder nicht beantwortet hatten. Das war die Frage der Inneren Sicher-heit, und das war die Frage der Bildungspolitik. Wir haben uns nach der verlorenen Bürgerschaftswahl genau mit diesen Fragen auf eine Weise auseinandergesetzt, die viele innerhalb und außerhalb unserer Partei beeindruckt hat. Wir haben durch sachliche  Debatte ohne Zeitdruck, durch Diskussionen in den Distrikten und in den Kreisen eine Neupositionierung erarbeitet. Niemand hätte uns geglaubt, dass wir gelernt haben, wenn diese Neupositionierung nur eine Sache der Führung gewesen wäre. Nein, die Verankerung des Erneuerungs-Prozesses ist wichtig für unsere Zukunft. Liebe Genossinnen und Genossen, was wir da gemeinsam an Positionen zur Inneren Sicherheit und der Bildungspolitik entwickelt haben, das ist ein gutes Fundament für eine glaubwürdige sozialdemokratische Politik in unserer Stadt.

Wir haben als Hamburger SPD eine große Aufgabe vor uns: Wir müssen alles tun, um uns wieder bei den Menschen und in den Vierteln zu verankern. Wir müssen erreichen, dass sich die Menschen uns gegenüber wieder öffnen, dass sie sich für uns interessieren. Und im Gegenzug müssen wir uns den Menschen gegenüber öffnen. Wir werden unsere Politik noch mehr als bisher erläutern, erklären müssen. Nicht wie in einer Vorlesung, sondern im Gespräch mit den Menschen, an den Info-Ständen, in den Stadtvierteln. Die Bürgerschaftsfraktion will jetzt raus aus dem Rathaus und rein in die Stadtteile das ist ein guter Ansatz!

Die Öffnung der Partei nach innen und außen ist vorangekommen. Wir haben Struk-turen geschaffen, die es früher hier so nicht gegeben hat. Wir haben die Themen-initiativen gegründet, in denen sich Experten der Diskussion gestellt haben zu Themen der Arbeitswelt, zum Thema Kinder und Familie, zum Thema Gerechtig-keit. Wir haben die Sozialdemokratische Gesellschaft für Kommunalpolitik gegründet, um unsere Kommunalpolitiker zu professionalisieren. Wir haben das Kulturforum als eine selbstständige Organisation, getragen von Sozialdemokraten aber auch vielen andern, die nicht Mitglieder unserer Partei sind. Wir haben das Wirtschaftsforum gegründet, um ein enges Verhältnis zwischen Hamburger Wirtschaft und Hamburger SPD zu haben.

Ich will besonders eingehen auf unser Verhältnis zu den Gewerkschaften. Es ist ein gutes Verhältnis. Wir arbeiten - trotz inhaltlicher Differenzen in manchen Punkten eng und gut zusammen. Die Volksentscheide gegen den Verkauf der Hamburger Krankenhäuser und für eine bessere Kita-Politik haben gezeigt: Wir sind starke Partner. Wir können dem Senat gemeinsam Beine machen. Mit den Gewerkschaften gibt es regelmäßige Treffen und intensive Gespräche. Gewerkschafter sind an führender Stelle in Bürgerschaftsfraktion und Landesorganisation vertreten. Ich glaube, wir sollten jetzt einen Schritt weiter gehen. Wir sollten einen Gewerkschaftsrat gründen. Das ist gut für die Verankerung der sozialdemokratische Partei bei den Menschen in der Arbeitswelt, und das ist gut auch für den traditionellen Kontakt zwischen unseren beiden Organisationen. 

Traditionelle Kontakte pflegen ist das eine. Neue Kontakte knüpfen das andere. Wir leben in einer Zeit, in der immer weniger Menschen bereit sind, sich an Institutionen und Organisationen zu binden. Das spüren die Sportvereine, die Kirchen, die Gewerkschaften und die Parteien. Und deshalb ist es wichtig, dass wir immer wieder auch neue Interessenten ansprechen. Wir machen das. Unser Jugendbüro hat jungen Leuten Angebote gemacht, unverbindlich mit Politik in Kontakt zu treten. Das gleiche gilt für den School-Band-Battle, den größten Wettbewerb von Schüler-Bands in Hamburg. Das ist ein Projekt unserer Jusos. Das gilt für den Projektwettbewerb thinkUp, wo wir mit Schülerinnen und Schülern deren Ideen umsetzen. Das kann eine Aktion sein für Kinder im Irak, das kann eine Hilfsaktion für Obdachlose in der Stadt sein. Diese Projekte haben uns gezeigt, wie viel Potenzial besonders in jungen Menschen steckt.

Die Mentoring-Programme für neue Mitglieder und die Mentoring-Programme für Frauen haben viele begeistert mitgemacht. Nicht wenige sind gleich in der aktiven Politik unserer Partei hängen geblieben. Wir brauchen mehr davon.
 
Wer daran zweifelt, dass viel Potenzial und Interesse in unserer Partei steckt, der sollte sich die Aktion mitmachen ansehen. Wir haben nach der Wahl im Jahr 2001 eine ganze Reihe neuer Arbeitskreise und Arbeitsgemeinschaften gegründet. Wir haben allen Parteimitgliedern angeboten, da einzusteigen. Und wir hatten eine Resonanz, die uns alle überrascht hat: Über 2000 haben gesagt: Ja, ich will mitmachen. Das zeichnet eine lebendige Partei aus dass sie etwas zu bieten hat.

Unser größter Erfolg in der letzten Zeit war sicher die Volksinitiative zur Schaffung eines Rechtsanspruches auf eine ganztägige Betreuung der Kinder, wo das für Kinder und Eltern notwendig und wünschenswert ist. Kinder müssen in den Mittelpunkt der Politik unseres Landes kommen. Sie sind unsere Zukunft und für sie muss alles getan werden. Wir haben das in Hamburg durchgesetzt, darauf sind wir stolz. Wir haben 170 000 Unterschriften gesammelt. Ein Zeichen dafür, was wir können. Darauf sind wir auch zurecht stolz.

Und eines sagen wir dem Bürgermeister gleich mit: Wir werden nicht hinnehmen, wenn er diesen unverzichtbaren Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder Hamburgs durch Sparen bei den Kitas finanzieren will!

Es gab noch einen Volksentscheid. Den für ein neues Wahlrecht. Liebe Genossinnen und Genossen, wir haben ein anderes Wahlrecht mit 50 Wahlkreisen gewollt. Das, was da beschlossen wurde, ist sehr kompliziert. Und täglich melden sich jetzt Bür-ger bei uns, die ganz erschrocken jetzt begreifen, wofür sie da gestimmt haben. Aber der Volksentscheid gilt. Wir sind für die Möglichkeit von Volksentscheiden. Dann müssen wir auch die akzeptieren, die uns nicht gefallen.  

Liebe Genossinnen und Genossen, wenn wir über Umbrüche reden, dann sind auch die großen Umbrüche gemeint, die unser Land heute durchlebt. Es sind Umbrüche, die für viele Menschen schmerzhaft sind auch für unsere Partei. Das Europawahlergebnis hat uns das noch einmal sehr deutlich gezeigt.
Zu den Umbrüchen gehört auch die Neuaufstellung Deutschlands in der internationalen Politik. Hier können wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stolz sein. Wir haben  Deutschlands Stellung in der internationalen Politik  gestärkt. Nicht mit Säbelrasseln und Hipp-Hipp-Hurra das machen die anderen! sondern mit konsequenter und besonnener Politik.

Deutschland ist in den letzten Jahren zu einem Staat in Europa geworden, der sich für Frieden einsetzt und dafür sorgt, dass die internationale Friedensordnung auch gilt. Zu einem Staat, der aber auch bereit ist, Verantwortung zu übernehmen. Das war so bei unseren Entscheidungen für die Friedensmaßnahmen im Kosovo und in Mazedonien. Das war bei unserer Entscheidung für das Mandat in Afghanistan so - nach dem 11. September 2001.  Aber das ist und das will ich ausdrücklich sagen - genau so gewesen bei unserer Entscheidung  gegen einen Krieg im Irak. Es war und ist die historische Leistung der Bundesregierung und des Bundeskanzlers, dass der Weltsicherheitsrat nicht den Wünschen anderer gefolgt ist und eine Resolution für eine militärische Intervention unterstützt hat. Damals ging es um Chemiewaffen, um Massenvernichtungswaffen im Irak. Es gab weder bei uns noch anderswo Er-kenntnisse darüber, dass es solche Waffen in größerem Umfang gibt. Heute, nach dem Krieg und weit vor einem Frieden, wissen wir: Das Hauptargument für den Krieg im Irak war eine Erfindung.

Und wir alle sollten eines deutlich machen: Wenn wir die Bundestagswahl im Jahre 2002  verloren hätten, dann hätten Edmund Stoiber und Angela Merkel jetzt das Sagen. Und dann würden heute deutsche Soldaten im Irak sein, verwundet und getötet werden. Genossinnen, Genossen, es ist auch unser Ver-dienst, dass es nicht so weit gekommen ist!

Nicht nur, dass wir den Tod vieler deutscher Soldaten zu beklagen hätten. Auch die moralische Position unseres Landes wäre gefährdet so gefährdet wie die anderer Staaten oder Regierungen, die heute ihre Entscheidung für einen Krieg  entgegen der Traditionen der internationalen Friedensordnung sicher gern rückgängig machten. Liebe Genossinnen und Genossen, es ist gut, dass wir Verantwortung hatten, als über Krieg und Frieden entschieden wurde. Es ist gut, dass eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung die wichtigen Entscheidungen und Weichenstellun-gen unserer Zeit zu treffen hat. Es ist gut, dass wir in dieser schweren Zeit regieren.

Das gilt - das will ich ausdrücklich sagen - auch für die Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Die aktuelle, die notwendige Politik in diesem Bereich fällt nicht leicht. Nicht den Menschen in Deutschland und nicht den Politikerinnen und Politikern, die Verantwortung haben. Und diese Politik fällt auch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, unserer Partei, nicht leicht. 

Deutschland, das Land des Wirtschaftswunders, erlebt und erträgt eine lange Phase  wirtschaftlicher Stagnation. Und wir blicken beunruhigt! - auf  ein Phänomen, das seit Anfang der 80er Jahre größer und bedrohlicher geworden ist. Nämlich auf eine kontinuierlich steigende Massen- und Langzeitarbeitslosigkeit. Wir haben vieles unternommen, um gegenzusteuern, um mit dieser Situation klarzukommen.

Aber welcher Druck etwa auf den Beiträgen für die sozialen Sicherungssysteme liegt, das kann jeder feststellen, der sich einmal die Bilanz der Ära Kohl anguckt: Von anfangs 30 Prozent auf 42 Prozent sind die Beitragspunkte gestiegen. In unserer Regierungszeit ist es uns mit vielen Schwierigkeiten gelungen, einen weiteren Anstieg zu verhindern. Wir haben uns 1998 vorgenommen, eine Absenkung auf un-ter 40 Prozent hinzubekommen. Das haben wir angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit nicht erreichen kön-nen. Trotzdem: Ich glaube es geht nicht ohne diese Reformen.  Wir müssen an-ders als Kohl den Mut und die Kraft zur Korrektur des Sozialstaates haben. Und wenn ich sage die Kraft, dann meine ich auch die Überzeugungskraft. Wir müssen die Menschen davon überzeugen, dass die Alternative zu sozialdemokratischer Reformpolitik die konservative Abrissbirne ist. Wenn wir es nicht schaffen, den Sozialstaat zu reformieren, dann werden die Konservativen ihn niedermachen!

Eine Bemerkung aus meiner Sicht: Es wird jetzt gerne davon gesprochen, dass wir den Pfad deutscher Sozialstaatlichkeit, dass wir  die Tradition der Gewährleistung von Sicherheit vor zentralen Risiken wie Krankheit, Alter, Arbeitslosigkeit durch die Sozialversicherungen verlassen sollten. Ich glaube das ist ein Irrweg. Der Sozialstaat, die soziale Sicherheit der Menschen, darf nicht Beute großer Künstler  werden, die an einem Tag  ein neues Bild, ein neues System schaffen. Sondern wir müssen uns bekennen zu den Sozialstaats-Traditionen, die wir haben. Im Wettstreit zwischen Bismarck und den Sozialdemokraten im vorletzten Jahrhundert ist ein spezifischer deutscher Pfad von Sozialstaatlichkeit entstanden. Diesen  gilt es heute durch mutige Reformen für die Zukunft zu sichern aber auch gegen Angriffe zu verteidigen.

Genossinnen, Genossen, wir brauchen Kraft und wir brauchen Mut. Ich bin sicher, ohne mutige Reformen und ohne mutige Schritte geht es nicht. Ich bin aber auch sicher, dass es sich lohnt, den Weg  zu gehen. Und ich glaube, dass es uns gelingen kann zu zeigen, dass dies der vernünftigere Weg vernünftiger in jedem Fall als das Infragestellen der sozialen Sicherungssysteme, wie wir es bei der Union im wach-senden Maße feststellen.

Diese Entwicklung in der CDU ist bemerkenswert. Und sie zeigt ganz deutlich wie beim Thema Krieg oder Frieden wo die Unterschiede sind zwischen uns und de-nen. Nehmen wir das Konzept der Kopfpauschale in der Krankenversicherung. Jeder Mensch soll 200 Euro monatlich für seine Krankenversicherung bezahlen. Das ist für ein Rentnerehepaar ein Beitrag von 400 Euro im Monat. Ja, da sollen dann irgendwelche Zuschüsse kommen. Aber viele könnten sich eine Krankenversicherung dann nicht mehr leisten. Diese Menschen müssten als Bittsteller zu irgendeinem Amt gehen, damit sie weiterhin krankenversichert sind. Das ist ein Radikalismus, wie ihn die Menschen nicht wollen. Da ist ein merkwürdiger wirtschaftlicher Radikalismus in der CDU mehrheitsfähig geworden,  den wir bloßstellen sollten. Wir müssen zeigen, dass wir den Sozialstaat zukunftsfähig organisieren können.  Dann können wir auch dafür werben, dass wir die Partei sind, die zu wählen sich lohnt.

Genossinnen und Genossen, unsere Partei hat eine lange Tradition. Wir sind die erste große demokratische Partei unseres Landes gewesen, wir haben das Modell einer großen Mitgliederpartei nicht nur für Deutschland überhaupt erst erfunden. Wir haben immer für Demokratie, Frieden und Gerechtigkeit gestritten. Wir haben schon ganz andere und schwerere Prüfungen als die heutigen bestanden. Wir werden auch die heutigen Aufgaben lösen.

Genossinnen und Genossen,

ich durfte vier Jahre Vorsitzender der Hamburger SPD sein.
Das ist eine große Ehre.

Ich bedanke mich bei allen, die mir dabei geholfen haben. Ich bedanke mich vor allen anderen bei allen Mitarbeiterinnen und  Mitarbeitern, die ihre Arbeit immer voller Engagement und mit vielen Überstunden geleistet haben.

Mathias Petersen wird heute zum Vorsitzenden der Hamburger SPD gewählt. Mathi-as, ich wünsche Dir Glück und eine gute Hand. Ich bin sicher, dass es Dir zusammen mit Michael Neumann und all unseren Mitstreitern gelingen wird, die SPD wieder nach vorne zu führen.

In diesem Sinne Euch allen Vielen Dank!