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30.06.2009

Potenziale nutzen - Abschlüsse anerkennen

Auszug der Rede auf der Fachtagung "Brain Waste Anerkennung gestalten" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales

 

Es ist wichtig, dass es Anerkennung findet, wenn jemand bereits alle Hürden auf dem zum Teil noch viel zu steinigen Bildungsweg genommen hat. Und zwar egal, ob der Abschluss an der Uni Mannheim oder der Universität von Bangalore erworben wurde; egal ob man als Maschinenbauer in Nordrhein-Westfalen oder in Bursa in der Westtürkei ausgebildet wurde.

Heute sehen sich viele, die mit einer soliden Ausbildung zu uns gekommen sind, gezwungen, in einem Beruf weit unter ihrem Qualifikationsniveau zu arbeiten. Das Potenzial, das wir so links liegen lassen, ist gewaltig:

Von den Migrantinnen und Migranten in Deutschland sind ca. 2,8 Millionen mit einem fertigen Berufsabschluss zu uns gekommen. Ca. 800.000 von ihnen sind Akademiker, viele haben technische Berufe gelernt und rund 1,8 Millionen haben erfolgreich eine Lehre oder eine ähnliche berufsqualifizierende Ausbildung abgeschlossen.

Wir brauchen sie mitsamt ihrer Fähigkeiten. Es darf nicht sein, dass ein Ingenieur als Taxifahrer oder eine ausgebildete Ärztin als Putzfrau arbeiten muss, nur weil ihr Abschluss bei uns nicht anerkannt wird. Jeder von uns kann sich vorstellen, wie frustrierend das für den Einzelnen ist, wenn die Anstrengung und Mühe, die in die eigene Ausbildung geflossen sind, nicht gewürdigt werden. Es ist zugleich ein volkswirtschaftlicher Schaden riesigen Ausmaßes. Es ist eben Brain-Waste: Verschwendung von Verstand von Kompetenzen, wie es die von Frau Englmann vorgestellte Studie in ihrem Titel zusammenfasst.

Um die Anerkennung von ausländischen Abschlüssen ist es nicht gut bestellt in Deutschland. Wer sich bei uns darum bemüht, seine Qualifikationen anerkennen zu lassen, stößt auf einen vollkommen undurchschaubaren Dschungel an zuständigen Stellen, rechtlichen Voraussetzungen und Verfahren.
Hunderte von Stellen kommen im ganzen Land als potenzielle Ansprechpartner in Frage:
Verschiedene Landesministerien, Industrie- und Handels- sowie Handwerkskammern, aber auch Landesämter, Regierungspräsidien, Bezirksregierungen, verschiedene Landesinstitute und -betriebe, Landwirtschafts-, Ingenieur-, Bau- und Architektenkammern und das ist nur eine Auswahl. Es wundert einen daher kaum, wenn sehr viele schon daran scheitern, den richtigen Ansprechpartner zu finden. Hinzu kommt, dass sich die Regeln, nach denen die Anerkennung verläuft, von Bundesland zu Bundesland unterscheiden.

Es ist also keineswegs gewährleistet, dass die berufliche Anerkennung eines Friseurs oder eines Metallbauers durch die Handwerkskammer in Bremen auch in Bayern akzeptiert wird. Selbst die professionellen Berater in Arbeitsagenturen, Kammern und anderen Institutionen, die helfend zur Seite stehen sollen, haben den Überblick längst verloren.

Zudem gibt es keinen generellen Anspruch auf ein Verfahren zur Anerkennung oder Bewertung von Abschlüssen. Nur Spätaussiedler und EU-Bürger genießen da eine privilegierte Stellung, die allerdings auch nicht umfassend ist. Diese Situation ist nicht tragbar.

Es sind in den letzten Wochen einige Vorschläge gemacht worden, wie man da zu Verbesserungen kommen kann. Ich meine, mit kosmetischen Veränderungen kann es nicht getan sein. Wenn wir nur Stellschrauben am bestehenden System falls die heutige Situation diese Bezeichnung überhaupt verdient hat drehen, kann das niemanden zufrieden stellen. Reine Symbolpolitik ist völlig fehl am Platz.

Wir brauchen dringend ein umfassendes Anerkennungsgesetz und zwar auf Bundesebene. Wir brauchen einen Rechtsanspruch auf ein Anerkennungsverfahren und zwar einheitlich für alle Migrantinnen und Migranten, egal ob Spätaussiedler, EU-Bürger oder so genannte Drittstaatsangehörige, wie z. B. türkische, russische oder chinesische Staatsbürger am besten auch für solche, die noch nicht bei uns sind, aber planen, zukünftig auf Dauer in Deutschland zu leben.

Wenn wir wissen wollen, wie gute, pragmatische Lösungen aussehen können, müssen wir übrigens nur zu unseren Nachbarn schauen. Nach dem dänischen Anerkennungsgesetz kann jeder Zuwanderer seine Qualifikationen auf Vergleichbarkeit mit den entsprechenden dänischen Abschlüssen überprüfen lassen. Reicht es nicht zur vollen Anerkennung, wird anschließend festgelegt, welche Kurse benötigt werden, um Gleichwertigkeit zu erreichen. Herr Pedersen vom dänischen Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Innovation wird uns das im Anschluss noch einmal im Detail erklären.

Die dänischen Regelungen waren eines der Vorbilder für die Eckpunkte eines deutschen Anerkennungsgesetzes, die im Bundesministerium für Arbeit und Soziales erarbeitet wurden. Wir wollen unseren Nachbarn nacheifern und ich wage sogar zu behaupten, dass wir sie an einigen Stellen überrunden können. Mit unseren Eckpunkten liegt ein guter Vorschlag auf dem Tisch. Dahinter sollten wir nicht zurückbleiben.

Die wichtigsten Grundpfeiler meines Vorschlags möchte ich Ihnen gern kurz erläutern. Zur Zeit wird bei der Anerkennung zwischen solchen Berufen unterschieden, die man nur ausüben darf, wenn man bestimmte Qualifikationen nachweisen kann, und solchen, die allen offen stehen. Das zukünftige Anerkennungsverfahren muss für alle Abschlüsse zur Verfügung stehen, egal auf welche Berufe sie vorbereiten. Und die Anerkennung muss nach bundeseinheitlichen Standards erfolgen und dann auch überall gleichermaßen gelten in Bremen wie in München oder hier in Berlin.

Der Bund kann das zwar nicht für alle Berufe regeln, aber doch für den weit überwiegenden Teil. An den wenigen Stellen, wo wir es nicht selbst können, werden wir die Länder auffordern, mitzuziehen.

Ich will, dass wir jedem zusichern können: Wer seine Unterlagen vorlegt, weiß binnen weniger Monate, ob seine Qualifikation voll anerkannt wird. Im besten Fall hat man dann die Bestätigung in der Hand, dass die eigene Ausbildung genauso viel zählt wie die der deutschen Kollegen. Man bekommt dann eine Urkunde, die dem inländischen Abschluss entspricht. Das ausländische Zeugnis ist dann für den weiteren Weg in Deutschland nicht mehr nötig. Wenn man merkt, es reicht doch nicht zur vollen Anerkennung, darf das auch nicht einfach mit einem Schulterzucken quittiert werden. Dann muss die bisherige Ausbildung zumindest zum Teil anerkannt werden können. Im Anschluss daran werden ein Kurs, ein Lehrgang oder eine andere Maßnahme angeboten, mit denen die noch fehlende Qualifizierung nachgeholt wird um dann am Ende auf diesem Weg den vollwertigen Abschluss zu bekommen. Oder wenn man die nötigen Fähigkeiten schon hat, weil man sie auf anderem Wege erworben hat kann man sich für eine Prüfung entscheiden, um das nachzuweisen. So kommen auch Kompetenzen zum Zuge, die nicht notwendigerweise Teil des formalen Abschlusses im Ausland waren. Beide Wege ob über Kompetenzprüfung oder Anpassungsmaßnahmen brauchen eine gezielte Vorbereitung und Begleitung, damit sie auch zum Ziel führen.

Um einen Erfolg möglich zu machen, halte ich es daher für notwendig, dass die Agenturen für Arbeit und die Job-Center entsprechende Kurse fördern. Und zwar solche, die den individuellen Bedarf mit passenden Förderangeboten ausgleichen helfen und insbesondere fachsprachliche Kenntnisse verbessern.

Essenziell wird es sein, den Dschungel der Ansprechpartner zu lichten. Wer sich um die Anerkennung seines Abschlusses bemüht, braucht einen Ansprechpartner vor Ort, der über Verfahren und Fördermöglichkeiten informiert, der hilft, die notwendigen Unterlagen zusammenzustellen und die zuständige Anerkennungsstelle benennt: Wir brauchen ein echtes Coaching auf dem Weg zu einem vollwertig anerkannten Berufsabschluss.

Der eine oder andere wird sich noch einmal zusätzlich anstrengen müssen. Aber es geht nicht an, dass vielen nicht einmal die Möglichkeit gegeben wird, mit ihren Qualifikationen in Deutschland etwas anzufangen. Ich werde mich dafür stark machen, dass wir so schnell wie möglich ein Recht auf ein Anerkennungsverfahren bekommen. Die jetzige Situation ist ein Skandal.

Die Signale der Unterstützung, die mich aus der Wirtschaft, von den Kammern und aus den Ländern erreichen, stimmen mich zuversichtlich, dass wir die heutige Lage gemeinsam ändern werden. Über viele wichtige Fragen und Details werden Sie sich im Laufe des Tages noch genauer austauschen können. Ich bin gespannt auf die Ergebnisse.

Sie werden sich mit Sicherheit bei unserer weiteren Arbeit für ein Anerkennungsgesetz als sehr hilfreich erweisen.

 

Weitere Informationen zu der Tagung finden Sie auf der Internetseite des Bundesminsteriums für Arbeit und Soziales.