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16.01.2009

"Qualifizieren statt entlassen"

Interview mit der Passauer Neuen Presse

 

250 000 Arbeitsplätze, die sonst in der Krise wegfallen würden, werden laut Arbeitsmarktforschern gerettet. Wie ist ihre Erwartung?

 

Scholz: Die Schätzung ist plausibel. Wir haben ein wirksames Paket beschlossen.

Sie sprachen im vergangenen Jahr oft von Vollbeschäftigung. Ist sie auf den St. Nimmerleinstag verschoben?


Scholz: Nein. Wir hatten im letzten Jahr die besten Werte auf dem Arbeitsmarkt seit 16 Jahren: weniger als drei Millionen Arbeitslose. Wir haben es selbst in der Hand, Vollbeschäftigung zu erreichen. Wenn wir die Bürger jetzt richtig qualifizieren, wird es Arbeitslosigkeit als Massenphänomen um die Mitte des nächsten Jahrzehnts nicht mehr geben.Vollbeschäftigung heißt für mich, dass niemand länger als ein Jahr auf einen Job warten muss. Und damit wir auch in der Krise wenigstens in diese Richtung arbeiten, stellen wir noch einmal neue Arbeitsvermittler bei der Bundesagentur ein.

Wie viele Arbeitslose mehr werden es am Ende 2009 sein?


Scholz: Das weiß niemand. Wir haben jetzt alles getan, um den Anstieg so niedrig wie möglich zu halten.

Die Bundesagentur hat bis zu 17 Milliarden Euro Rücklagen.Wie lange hält das Geld?


Scholz: Die Reserven reichen aus, um die Aktivitäten in diesem und im nächsten Jahr zu bezahlen. Das Geld muss jetzt schnell eingesetzt werden. Sollte es irgendwann Ende des nächsten Jahres nicht mehr reichen, wird der Bundeshaushalt mit einem Kredit helfen. So könnten die Maßnahmen weitergeführt werden, ohne den Arbeitslosenversicherungsbeitrag zu erhöhen.

Wie wird sich die Kurzarbeit entwickeln?


Scholz: Zeitweilig werden mehrere Hunderttausend Kurzarbeiter registriert sein. Wir sind auf jeden Ansturm vorbereitet. Jedes Unternehmen soll prüfen, ob es auf Entlassungen verzichten und mit Kurzarbeit die Krise überbrücken kann. Wir werden die Bedingungen vereinfachen. Wir sorgen dafür, dass Kurzarbeit sich für Arbeitgeber besser rechnet, indem wir 2009 und 2010 die Sozialversicherungsbeiträge zur Hälfte übernehmen. Kurzarbeit statt Entlassen und Qualifizieren statt Entlassen sind die Rettungsschirme für Arbeitsplätze.

Sie hoffen, dass Unternehmer auch wegen des Fachkräftemangels Mitarbeiter nicht so schnell an die Luft setzen?


Scholz: Ja. Der Fachkräftemangel wird sich in den nächsten Jahren verschärfen. Wer sich jetzt von seinen Fachkräften trennt, könnte es im Aufschwung bereuen. Wer entlassen wird, kommt später nicht unbedingt zurück. Wenn Firmen Kurzarbeit nutzen, um Mitarbeiter zu qualifizieren, helfen wir - dann übernimmt die Bundesagentur sogar die kompletten Sozialversicherungsbeiträge. So bindet man Mitarbeiter.

NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers wollte Unternehmen notfalls teilverstaatlichen - was halten Sie davon?

 

Scholz: Wir leben in einer Marktwirtschaft. Die braucht Regeln, damit uns Exzesse erspart bleiben. Aber von Direktbeteiligungen des Staates an Unternehmen halte ich nichts. Es ist nur sinnvoll, Unternehmen mit Bürgschaften zu helfen. Wenn gesunde Unternehmen wegen der Finanzmarktlage Schwierigkeiten bei der Kreditfinanzierung haben, müssen wir etwas tun. Aber der Staat soll nicht Unternehmer werden. Merkwürdigerweise fordern jetzt diejenigen Staatsbeteiligungen, die in der Vergangenheit gegen vernünftige Regeln opponiert haben. Da verlieren einige die Nerven.

 

Fünf Branchen plus die Zeitarbeit sollen jetzt Mindestlöhne erhalten. Wer kann auf Gehaltszuwachs hoffen?

 

Scholz: Etwa 1,8 Millionen Arbeitnehmer zusätzlich werden durch Mindestlöhne oder eine Lohnuntergrenze geschützt. Insgesamt werden es dann mehr als drei Millionen Arbeitnehmer in Deutschland sein. All diejenigen, die unter den Mindestlöhnen liegen, werden mit einer Lohnsteigerung rechnen können. Ich gehe davon aus, dass es mehrere Hunderttausend sein werden.

Bei der Zeitarbeit werden Sie die Lohnuntergrenze festlegen. Worauf läuft es hinaus?

 

Scholz: Der Bundesarbeitsminister legt sie im Benehmen mit dem Bundeskabinett fest. Sorgen machen uns die vielen, die für drei oder vier Euro arbeiten müssen. Das wird es nicht mehr geben. Es wird eine vernünftige Lohnuntergrenze geben. Die ist auch nicht schwer zu bestimmen. Die bestehenden großen Tarifverträge im Bereich der Zeit- und Leiharbeit liegen nämlich nah beieinander. Ich habe deshalb lange gehofft, dass die Tarifvertragsparteien sich auf einen einheitlichen Mindestlohntarif verständigen. Das ist nur aus politisch motiviertem Widerstand eines Arbeitgeberverbandes gescheitert. Der Tarifvertrag von AMP mit den Christlichen Gewerkschaften wird ab Sommer im Osten Stundenlöhne von 6,15 Euro und im Westen 7,35 Euro betragen. Der Vertrag von IGZ und BZA mit dem DGB sieht im Osten 6,36 Euro und im Westen 7,31 Euro vor.

Wie viele Zeitarbeiter werden eine Lohnerhöhung erhalten?

 

Scholz: Wir rechnen allein in dieser Branche mit mehr als 100 000.

Ihr privater Wagen - ein rotes BMW-Coupé - ist 16 Jahre alt. Nutzen Sie jetzt die Verschrottungsprämie?


Scholz: Es hält noch. Aber vielleicht werde ich ja schwach. Letztes Jahr habe ich schon mal in Prospekte geschaut.
 

Gespräch: Christoph Slangen