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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
13.11.2023 | Bremen

Rede anlässlich des Gewerkschaftstags der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG)

Was für ein Übergang: „I Want To Break Free“, und dann die Gelegenheit, ein paar Worte zu sagen. Aber in der Tat geht es schon darum, dass wir alle uns dafür einsetzen, in einer Gesellschaft zu leben, in der man Respekt genießt, in der man sich darauf verlassen kann, dass das, was man leistet, auch angemessen gewürdigt wird, und in der man etwas zu sagen hat. Darum geht es auch mit diesen und vielen anderen Worten, die wir heute gehört haben.

Ich bin sehr dankbar, dass ich heute hier auf diesem Gewerkschaftskongress sprechen kann; denn diese Gewerkschaft weiß so genau wie keine andere, was in diesem Land los ist. Es gibt Unglaubliche, die sehr viel arbeiten und sehr schwere Arbeit leisten, aber dafür nicht gut bezahlt werden.

Auch wenn das wahrscheinlich heute schon mehrfach gesagt worden ist, berührt mich unverändert, was es eigentlich bedeutet hat, dass es mit der Einführung des Mindestlohns vor einiger Zeit eine Gehaltserhöhung für sechs Millionen Bürgerinnen und Bürger des Landes gegeben hat. Das heißt, vorher haben sie weniger verdient. Als wir jetzt den Mindestlohn auf 12 Euro angehoben haben, hat es noch einmal etwa sechs Millionen gegeben, die danach ein besseres Gehalt gehabt haben ‑ kein ausreichendes und nichts, von dem man große Sprünge machen kann. Aber vorher haben sie weniger verdient.

Ich finde, wir wollen und sollten in einer Gesellschaft leben, in der alle sicher sein können, dass sie ordentlich bezahlt werden. Wir müssen alles dafür tun, dass das auch die Realität unseres Landes ausmacht.

Für mich ist das auch ein Ausdruck von Wirksamkeit gewesen. Es zeigt, dass es etwas bedeutet, was man tut, und manchmal auch, was man will. Aber es bedeutet vor allem, dass die Verhältnisse und die Lebenssituation so vieler Bürgerinnen und Bürger dieses Landes eben nicht egal sind. Das ist genau das, was wir mit vielem, was wir miteinander tun, auch ändern müssen. Da müssen wir dazu beitragen, dass die Dinge besser werden.

Der Mindestlohn ‑ das will ich klar sagen ‑ ist ein Mittel. Er ist eine Untergrenze. Aber er ist nicht das, was ein ordentlicher Tariflohn darstellt. Deshalb geht es zum einen darum, dass wir Mindestlöhne angemessen erhöhen. Aber zum anderen müssen wir auch dafür Sorge tragen, dass Tarifbindung in diesem Land eine größere Bedeutung hat als heute.

Yasmin hat es angesprochen, und ich will dazu auch nicht schweigen: Aus meiner Sicht ist das, was mit der jetzt anstehenden Erhöhung passiert, nicht in Ordnung.

Wir haben gesagt ‑ die NGG war die Gewerkschaft, die mit als Erste dafür gekämpft hat, dass es einen Mindestlohn in Deutschland gibt ‑: Wir wollen einmal das Prinzip durchbrechen, dass das sozialpartnerschaftlich in der Mindestlohnkommission verhandelt wird ‑ aber natürlich nicht mit der Idee, dass dann entgegen aller Tradition von Sozialpartnerschaft bei der ersten Entscheidung nach dieser gesetzlichen Mindestlohnerhöhung eine Mehrheitsentscheidung gegen die Gewerkschaften stattfindet. Das können wir nicht auf sich beruhen lassen.

Weil Tarifbindung wichtig ist, will ich auch sagen: In der Tat arbeiten wir daran, das, was wir uns vorgenommen haben, umzusetzen. Das heißt, dass wir auch entsprechend sicherstellen wollen, dass bei öffentlichen Aufträgen und Vergaben berücksichtigt wird, dass die Löhne auch so sind, wie es sich aus Tarifverträgen ergibt. Deshalb werden wir an dem Vergabegesetz arbeiten und die versprochenen Veränderungen auch durchsetzen.

Ich habe am Anfang den Blick bewusst und viel mehr, als manche sich das denken, darauf gerichtet, dass viele nicht so viel verdienen. Auch ein Blick in die Statistiken zeigt einem das Gleiche, was man immer wieder erfährt, wenn man in die Betriebe hineinguckt und weiß, was real verdient wird.

Bevor ich Abgeordneter wurde, habe ich viele Jahre als Anwalt für Arbeitsrecht gearbeitet und Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschaften vertreten. In den vielen Jahren, in denen ich das gemacht habe, habe ich mir ein sehr klares Bild darüber verschafft, wie Löhne und Gehälter wirklich sind und wie sich die Arbeitsbedingungen real zutragen. Für mich ist daher ganz zentral, dafür zu arbeiten, dass wir immer im Blick haben, wie es wirklich ist. Dazu gehört für mich, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, um ein besseres Zurechtkommen möglich zu machen.

Ich bin sehr froh, dass wir bei den vielen krisenhaften Herausforderungen, die wir jetzt hatten, viele Entscheidungen getroffen haben, die sich unmittelbar auch auf diejenigen ausgewirkt haben, die im unteren Bereich der Lohnskala berufstätig sind.

Wir haben gesagt, wir wollen dafür Sorge tragen, dass die Sozialversicherungsbeitragsbelastung in diesem Einkommensbereich reduziert wird. Wer sehr wenig verdient, hat manchmal eine Nettogehaltserhöhung von 50 Euro durch die Entscheidung bekommen, dass wir die Zone mit geringeren Beiträgen für die gleiche Leistung bis auf 2000 Euro ausgedehnt haben.

Wir haben dafür Sorge getragen, dass es steuerliche Erleichterungen gibt, die auch in diesem Bereich gelten.

Wir haben dafür Sorge getragen, dass jemand, der trotzdem nicht genug verdient, einen besseren Zugang zu Wohngeldleistungen haben und sie beantragen kann und dass auch mehr das bekommen.

Des Weiteren haben wir dafür Sorge getragen, dass es neben dem Wohngeld eine Möglichkeit gibt, besser zurechtzukommen, wenn man seine eigene Familie ernähren muss. Deshalb haben wir entschieden, dass das Kindergeld für das erste, zweite und dritte Kind auf 250 Euro angehoben wird. Der Kinderzuschlag wird ebenfalls auf diese Größenordnung angehoben.

Alles zusammen sind die größten Verbesserungen der Einkommenssituation für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im unteren Bereich, die es in den letzten 20, 30 Jahren gegeben hat. Ich finde, das waren richtige Entscheidungen, nicht nur wegen der krisenhaften Zeiten.

Wir werden da weitermachen ‑ entlang der Dinge, die wir zu bewältigen haben, und der Aufgaben, die wir zu lösen haben. Gleichzeitig sind wir aber auch herausgefordert, uns mit den vielen großen Krisen zu beschäftigen. Einige haben das bereits angesprochen. Wir sind losgegangen, als die Coronapandemie noch im Gange war. Kaum einer erinnert sich daran, aber im Winter 2021 war das noch ein Thema.

Wir sind weitermarschiert, als der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann. Dieser Krieg, der bis heute fortgesetzt wird, führt dazu, dass in Europa, in unserer unmittelbaren Nähe, jeden Tag Kinder, Ältere, Familien, Frauen und Männer sterben, weil jemand Bomben und Raketen auf das Land der Ukraine wirft, damit er es erobern kann. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, habe ich eine Zeitenwende genannt ‑ eine Zeitenwende, weil die Verständigung, die wir in Europa hatten, dass Grenzen nicht mit Gewalt verschoben werden, mit dem russischen Angriffskrieg aufgekündigt worden ist. Das ist der Grund, warum wir die Ukraine unterstützen.

Für mich ist es sehr bedrückend zu sehen, dass dieser Krieg so lange dauert. Klar, Putin hat geplant, in zwei bis vier Wochen ein ganzes Land zu erobern. Man muss ihn auch sehr wörtlich nehmen; denn er hat ja alles, was er jetzt macht, angekündigt. Er hat gesagt, die Ukraine und Belarus ‑ das hat sogar der dortige Diktator gehört ‑ gehören eigentlich zu Russland, und das will er sich einverleiben. Das ist die Realität, und darum geht es. Deshalb ist auch klar, dass wir verstanden haben, was das für uns nicht nur mit Blick auf die Ausrichtung unserer Verteidigungs- und Sicherheitspolitik und die Unterstützung der Ukraine, sondern auch in ökonomischer Hinsicht bedeutet.

Nach den unglaublich vielen Programmen, die notwendig waren, um die ökonomischen und sozialen Folgen der Coronapandemie zu bewältigen, mussten wir jetzt sehr viele Entscheidungen treffen, deren wichtigstes Ziel ist zu verhindern, dass die Ökonomie, die Wirtschaft in Deutschland aufgrund des Krieges, den Russland führt, und der Entscheidung Russlands, zum Beispiel die Energieversorgung in Deutschland einzustellen und die Gaslieferungen nicht mehr fortzusetzen, zusammenbricht. Wir haben es geschafft, das zu bekämpfen. Wir sind durch den Winter gekommen, ohne dass es flächendeckend Fabrikschließungen gegeben hat, ohne dass die Wohnungen kalt geworden sind und ohne dass es eine lang anhaltende zehnjährige Wirtschaftskrise als Folge dieser Entscheidung gegeben hat. Niemand hätte uns das zugetraut. Das ist, wie ich finde, eine große Gemeinschaftsleistung in Deutschland.

Zu den Maßnahmen, die wir ergriffen haben, gehört selbstverständlich, dass wir alles dafür tun, damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das auch bewältigen können. Ein paar Maßnahmen habe ich bereits genannt. Eine möchte ich noch einmal herausheben, weil sie von den Gewerkschaften auch genutzt wurde. Wir haben die Möglichkeit geschaffen, Sonder- und Einmalzahlungen steuer- und abgabenfrei tätigen zu können, damit in dieser drängenden Zeit bei den Bürgerinnen und Bürgern netto mehr ankommt. Ich bin froh, dass die Gewerkschaften diese Gelegenheit genutzt haben und viele dieser Vereinbarungen zustande gekommen sind.

Zu den Konsequenzen dieses Krieges gehört auch, dass uns noch klarer geworden ist, wie sehr die Energiepreise für unsere wirtschaftliche Entwicklung von großer Bedeutung sind. Damit jetzt nicht alles schlecht läuft, haben wir ‑ ich habe das eben schon gesagt ‑ einen Kreditfonds, einen Stabilisierungsfonds mit bis zu 200 Milliarden Euro aufgesetzt, um die Energiepreise zu subventionieren und zu ermöglichen, dass man angesichts der Tatsache, dass die Preise für Gas, Öl und Kohle durch die Decke gegangen sind und vieles nicht mehr weitergegangen wäre, zu Hause seine Rechnungen noch bezahlen kann. Auch das hat uns durch diese Krise geholfen.

Das muss uns auch eine Lehre sein, um zu verstehen, dass eine Sache richtig bleibt: Wir müssen diese Abhängigkeiten sehr schnell und sehr zügig reduzieren. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass wir unsere Energieversorgung auf erneuerbare Energien aufbauen. Das ist billiger, das ist stabiler. Diese Versorgung kann auch niemand per Beschluss irgendwo in einer Regierungszentrale einstellen.

Das wollen wir mit den vielen Gesetzen schaffen, die wir gemacht haben. Mit dem gleichen Tempo, mit dem die Flüssiggasterminals an den norddeutschen Küsten entstanden sind, sollen jetzt die Offshore-Windkraft, die Onshore-Windkraft, die Biomasse, die Wasserkraft und das Stromnetz ausgebaut werden, damit wir am Ende dieses Jahrzehnts tatsächlich 80 Prozent erneuerbare Energien erreichen und damit eine stabile bezahlbare Energieversorgung in Deutschland möglich machen, die global wettbewerbsfähig ist.

Damit das bis dahin jeder hinbekommt, werden wir jetzt neben der unmittelbaren Bekämpfung der unglaublichen Preissteigerungen, die wir nach dem russischen Angriffskrieg gesehen haben, auch etwas dafür tun müssen, damit die Preise bezahlbar bleiben. Wir haben deshalb vorgeschlagen, alle politischen Kosten und alle Kosten, die von außen auf die Strompreise wirken, für die Unternehmen, um die es geht und die hohe Kosten aufgrund der Stromrechnungen haben, wegzunehmen. Wir haben entschieden, dass die Stromsteuer für das produzierende Gewerbe auf das Minimum, das EU-rechtlich zulässig ist, gesenkt wird. Alle Betriebe, auch diejenigen, die von den bisherigen Regelungen profitiert haben, profitieren dann besser als bisher, auch viele weitere, bei denen das bisher nicht der Fall war. Das ist eine massive, unverändert milliardenschwere Entlastung zulasten des Steuerzahlers, aber zugunsten einer vernünftigen wirtschaftlichen Entwicklung. Das ist genau der richtige Vorschlag, wie ich finde.

Wir haben auch entschieden, dass wir die Voraussetzung dafür schaffen wollen, dass die Betriebe, die ganz viel Strom verbrauchen, weiter dabei unterstützt werden, das zu schaffen, und zwar mit Dingen, die hier nicht jeder auswendig aufsagen kann, aber die trotzdem ziemlich aufwendig sind wie Strompreiskompensation und Super-Cap. Aber es sind Regelungen, die dazu beitragen, dass es wirklich alle schaffen können. Genau das ist das Ziel unserer Entscheidungen.

Lasst mich das auch benennen, weil es um ein Thema geht, das für die Zukunft wichtig ist. Viele sind sich nicht sicher, ob das gut ausgeht. Wir sind die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wir haben mit 46 Millionen Erwerbstätigen den höchsten Beschäftigungsstand in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. So viele hat es noch nie gegeben. Das muss man sich immer klarmachen. In dieser Situation müssen wir natürlich schauen, wie das in 10, 20 und 30 Jahren sein wird. Aus meiner Sicht gibt es darauf eine klare Antwort: Das wird uns nur gelingen, wenn wir technologisch vorne dabei sind, wenn wir die Veränderungen durchführen, die jetzt notwendig sind, um zum Beispiel CO2-neutral zu wirtschaften, um von der Digitalisierung zu profitieren. Wir müssen dies so voranbringen, dass es für unsere Volkswirtschaft dazu beiträgt, dass wir eine gute Zukunft haben.

Meine Sicht ist: Das kann man mit den Maßnahmen schaffen, über die ich hier gesprochen habe, und wenn alles sehr viel schneller geht. Das ist eine der Entscheidungen, die wir gerade unter dem Thema Deutschlandpakt getroffen haben, mit dem wir auch sicherstellen wollen, dass es jetzt nicht mehr so ist, dass eine Windkraftanlage sechs Jahre zur Genehmigung braucht oder eine Fabrik, die neu errichtet wird, ein sehr langfristiges Projekt ist. Das alles wird schneller, zügiger, als es heute der Fall ist.

Ich habe mir den Chemiepark in Leuna angeschaut. Für alle, die noch nicht dort waren: Dies war eine interessante Besichtigung. Dabei habe ich festgestellt, wie er errichtet worden ist: Anfang der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts auf der grünen Wiese, in zwei Jahren, mit Techniken, die es bis dahin nur im Labor gab, und dann 10 000 Beschäftigten. Wer könnte sich heute vorstellen, dass es bis dahin überhaupt ein Genehmigungsverfahren gegeben hätte?

Ich finde, das muss uns nicht dazu führen, dass wir jetzt nicht mehr hinschauen. Aber dass es schneller geht, ist doch angesichts der Tatsache, dass der Chemiepark immer noch da ist, ein Zeichen, das wir erkennen sollten. Ich bitte mitzuhelfen, dass wir Deutschland schneller machen.

Wir sind herausgefordert. Ich habe über die Herausforderungen gesprochen, die wir alle sofort im Kopf haben: Corona, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und jetzt auch noch der furchtbare, brutale Überfall der Hamas auf israelische Bürgerinnen und Bürger. Ich will wirklich sagen, dass die Bilder, die wir alle sehen konnten, die Barbarei, die Erniedrigung, die Dehumanisierung von Menschen, die nicht nur getötet, sondern auf schlimmste Weise misshandelt und erniedrigt worden sind, etwas sind, was ich mir nicht habe vorstellen können. Aber es ist passiert und war geplant. Es kam nicht plötzlich, sondern es ist geplant gewesen, genau das zu tun.

Deshalb will ich als Kanzler unseres Landes und als Kanzler eines Landes, das geschichtlich verantwortlich ist für die Schoah und den Tod von Millionen Juden in Europa ist, sagen: Wir stehen an der Seite Israels. Es hat das Recht, sich zu verteidigen.

Weil wir das tun und weil dies die Werte sind, um die es geht, setzen wir uns natürlich dafür ein, dass humanitäre Hilfe nach Gaza gelangen kann, dass Staatsangehörige anderer Länder, dass Kranke dort herauskommen können, dass es auch nicht passiert, dass es Übergriffe in der Westbank gibt. Wir setzen uns dafür ein, dass alles getan wird, dass die Geiseln freigelassen werden.

Natürlich haben wir auch eine klare Perspektive; denn ein dauerhafter Frieden wird nur möglich sein, wenn Israel und ein palästinensischer Staat friedlich nebeneinander existieren können. Die Zweistaatenlösung ist etwas, was wir immer vertreten haben. Das tun wir auch jetzt, in dieser Situation, weil es um eine Perspektive geht. Aber dabei ist klar: Eine Organisation wie die Hamas, die wir in Deutschland zu Recht als terroristisch eingestuft haben, deren Ziel die Ermordung von Juden ist, die Vertreibung der israelischen Bürgerinnen und Bürger aus dem Gebiet, in dem sie heute leben, ist nicht die Grundlage für ein Zweistaatenmodell. Das ist eine Terrororganisation, und sie muss bekämpft werden.

Herausgefordert sind wir auch in anderer Hinsicht. Eben sind ein paar Plakate hochgehalten worden, mit denen für eine „SPIEGEL“-Ausgabe geworben wurde. Ich will darauf gern eingehen, weil das ein Thema ist, das uns alle umtreibt. Ich bin sehr dankbar, dass ich die Gelegenheit habe, ein paar Worte dazu zu sagen.

Deutschland ist ein Land, dessen Wohlstand und Wirtschaftskraft ohne Millionen von Bürgerinnen und Bürgern, die über viele Jahrzehnte nach Deutschland eingewandert sind, nicht existieren würde. Manche erinnern sich noch an die Debatten Ende der 90er-Jahre, vor der Jahrtausendwende, als diskutiert worden ist, wie es mit unserer Sozialversicherung weitergeht, welche Rentenbeiträge, welche Krankenversicherungsbeiträge wir zahlen werden. Damals sind uns Zahlen vorgerechnet worden, mit denen wir jetzt bei 25 bis 30 Prozent Rentenbeitrag für Arbeitgeber und Arbeitnehmer zusammen wären. Wir sind weit darunter. Ähnliches kann man für die anderen sozialen Sicherungssysteme sagen.

Es ist aus dem Grund, den ich eben geschildert habe, nicht so gekommen. Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland ist nicht gesunken, wie es sich all die klugen Statistiker ausgerechnet hatten, sondern sie ist um Millionen gestiegen. Wir haben mehr Erwerbstätige in Deutschland, als es je in der Geschichte dieses Landes der Fall gewesen ist.

Wir werden unseren Wohlstand nur sichern können, wenn wir auch weiter einen Zuwachs an Erwerbstätigen haben und wenn es uns gelingt, die 13 Millionen Frauen und Männer um die 60 Jahre, die demnächst als sogenannte Boomer in Rente gehen, zu ersetzen. Das wird nicht nur mit besseren Berufsausbildungsangeboten, mit Studienplätzen, mit Weiterbildung, mit besseren Bedingungen für junge Familien gelingen, damit Frauen und Männer arbeiten und sich um ihre Kinder kümmern können, sondern auch mit besseren Chancen für ältere Arbeitnehmer, die Ende 50 oder Anfang 60 sind und ihren Job verlieren. Das wird auch in Zukunft nur möglich sein, wenn es uns gelingt sicherzustellen, dass Fachkräfte, dass Arbeitskräfte aus anderen Ländern nach Deutschland kommen und hier mit anpacken, damit es in den Krankenhäusern klappt, damit es in den Fabriken klappt, damit es in den Pflegeeinrichtungen klappt und damit es auch in Hotellerie und Gastronomie klappt. Wir wollen, dass genau das auch in Zukunft möglich ist.

Deshalb haben wir das modernste Fachkräfteeinwanderungsgesetz der Welt geschaffen. Das gibt es vergleichbar an keiner zweiten Stelle in der Welt. Selbst klassische Einwanderungsländer können uns in dieser Frage nicht mehr überbieten. Jetzt sorgen wir dafür, dass dieses schon beschlossene Gesetz aus dem Sommer dieses Jahres auch mit viel Bürokratieabbau einfacher umsetzbar wird, als es gegenwärtig oft der Fall ist. Aber es ist da, und wir senden damit die Botschaft: Das genau wollen wir erreichen.

Wir haben diese Botschaft um ein Gesetzesvorhaben ergänzt, das demnächst zur Abstimmung ansteht. Denn wir wollen ja aus dem Fehler, den Deutschland gemacht hat, als die vielen, die man Gastarbeiter genannt hat, in den 60er- und70er-Jahren gekommen sind, eine Lehre ziehen. Die Arbeitskräftemigration nach Deutschland in dieser Zeit ist damals mit der Idee erfolgt: Alle gehen bald wieder. ‑ Hier sitzen einige, die vielleicht dabei waren, als man ihnen gesagt hat: Ihr seid ja bald wieder weg.

Ich kann nur sagen: Auch von denen, die da gekommen sind, haben viele gedacht, es ist eine Episode in ihrem Leben. Aber es ist ganz anders gewesen. Nur, aus der Tatsache, dass das so ist, haben wir noch nicht genügend Schlüsse gezogen. Wer zu der Zeit in die USA, ein klassisches Einwanderungsland, eingewandert ist, der wollte als Erstes eine Arbeitserlaubnis ‑ die heißt ja Greencard und ist nicht wie bei uns; es ist aber das Gleiche ‑ und dann schnell die Staatsbürgerschaft haben.

Dass wir jetzt sagen: „Wir wollen auch, dass diejenigen, die gut integriert sind, die einen Arbeitsplatz haben, die die deutsche Sprache können, die hier dabei sind, so wie in anderen Ländern zum Beispiel nach fünf Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen können“, das ist eine Botschaft, die über das hinausgeht, was wir sagen, nämlich dass wir das Ganze jetzt modernisieren wollen. Es ist die Botschaft: Wir wollen, dass, wer hierherkommt, wer hier arbeitet, wer sich hier integriert, in unserer Demokratie bitte auch mitentscheiden darf. Es kann auch nicht sein, dass so viele, die jeden Tag zur Arbeit gehen, nichts zu sagen haben, wenn in Deutschland gewählt wird. Das machen wir.

Was wir auch machen, ist: Wir stellen das individuelle Grundrecht auf Asyl nicht infrage. Ich wehre mich gegen all diejenigen, die das Asylrecht rückgängig machen wollen. Wir müssen es verteidigen. Es ist in einer bitteren Zeit eingeführt worden. Als die Nazis hier geherrscht haben, sind Millionen Deutsche geflohen. Viele haben ihr Leben nur retten können, weil sie ins Ausland gekommen sind und irgendwo Schutz gefunden haben, übrigens auch viele derjenigen, die später politische Verantwortung in Deutschland hatten.

Einige erinnern sich vielleicht noch an die furchtbaren Geschichten von Schiffen, die in Hamburg und Bremen abgelegt haben, mit Flüchtlingen aus Deutschland, die versucht haben, irgendwo von Bord zu gehen, um ihr Leben zu retten, und dann in Kuba, in den USA, an anderen Orten nicht heruntergekommen und wieder zurückgefahren sind. Viele davon sind dann in den KZs gelandet und doch noch gestorben. Deshalb gibt es in Deutschland das Asylrecht, und wir haben es zu beschützen. Jemand, der politisch verfolgt ist, der vor einem Krieg flüchtet und um sein Leben läuft, der muss auch in Deutschland Schutz finden können.

Wenn wir wollen, dass es eine reguläre Migration von Arbeitskräften und Talenten gibt, und wenn wir wollen, dass wir das individuelle Asylrecht schützen, dann muss auch klar sein, dass diejenigen, die sich hier auf diesen Schutz berufen, aber die Schutzgründe nicht vortragen können, keine Perspektive haben, dass sie trotzdem für immer bleiben können. Das geht eben nicht gleichzeitig. Deshalb ist es wichtig, dass wir die irreguläre Migration reduzieren. Deshalb ist es wichtig, dass wir das Management der irregulären Migration besser in den Griff bekommen.

Das fängt mit ganz banalen Sachen an, die erst mal gar nichts mit Gesetzen zu tun haben. Wenn jemand, der abgelehnt wird, vor Gericht dagegen vorgeht, dauert das in der ersten Instanz in Rheinland-Pfalz vier Monate und in einem anderen Bundesland 40 Monate. Dafür gibt es keine Gründe.

Deshalb sage ich: Diese Dinge zu ändern und für ein effizienteres Management in dieser Frage zu sorgen, das ist die Grundlage dafür, dass wir das aufrechterhalten können, was wir wichtig finden, nämlich einen individuellen Schutz für diejenigen, die vor Verfolgung und vor dem Krieg fliehen müssen, und auch die Möglichkeit einer geordneten Zuwanderung von Arbeitskräften nach Deutschland. Beides gehört zusammen. Wer sich vor einer dieser drei Aufgaben drückt, der gefährdet jeweils die anderen.

In dem Sinne bin ich sehr dankbar, dass das Thema Pappplakat noch einmal angesprochen wurde und ich die Gelegenheit hatte, ein paar Worte dazu zu sagen.

Ich will zu dem zurückkommen, was uns hier versammelt. Ich bin überzeugt, dass die Demokratie nicht funktioniert, wenn sie nicht auch aus der Perspektive derjenigen gedacht wird, die arbeiten. Der Philosoph Axel Honneth hat vor einiger Zeit ein, wie ich finde, ganz nettes Buch über den arbeitenden Souverän geschrieben. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir nicht dieser Soap Opera folgen, die man manchmal sehen kann, in der sich lauter blendende Leute irgendwie in supertollen Berufen mit vier Fremdsprachen und sehr guten Gehältern über ihre neuesten Lebensentscheidungen austauschen, sondern dass wir sagen: Arbeit ist etwas Reales. Das ist schwer. Dazu gehört, dass es auch ordentliche Arbeitsbedingungen gibt. Das geht nicht ohne Gewerkschaften. Das geht nicht ohne Mitbestimmung. Das geht nicht ohne Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ich stehe dafür, dass das für Deutschland auch in Zukunft der Fall sein wird.

Schönen Dank.