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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
05.09.2023 | München

Rede anlässlich der Eröffnung der IAA Mobility

Sehr geehrte Frau Müller, vielen Dank für die vielen lieben Worte,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Söder,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Reiter, lieber Dieter,
meine Damen und Herren,

das Wochenende hat mir ganz persönlich noch einmal gezeigt: So schön Joggen ist, für manche Strecken nimmt man doch besser das Auto. Umso passender ist es, heute hier bei Ihnen auf der Internationalen Automobilausstellung IAA Mobility zu sein.

IAA 2023, das bedeutet 135 Jahre Zukunftsbranche Mobilität. Denn es war im Rahmen der Kraft- und Arbeitsmaschinenausstellung im Jahr 1888, dass der Benz Patent-Motorwagen Nummer 3 zum ersten Mal hier auf den Straßen Münchens vorgeführt wurde, und zwar, wie es die „Münchener Neuesten Nachrichten“ damals schrieben, mit vorzüglichem Erfolg. Das seltsame Gefährt sei allgemein angestaunt worden und die liebe Jugend habe es in dichten Scharen verfolgt.

Sie alle wissen, wie es weiterging. Nach dem Gewinn der Goldmedaille der Ausstellung wurde aus dem Concept Car rasch das erste serienmäßig gebaute Benzinautomobil der Welt. Die deutsche Automobilindustrie war geboren.

Deutlich unbekannter ist allerdings, dass sich vor 135 Jahren noch eine zweite Revolution ereignete, und zwar keine 300 km von hier entfernt, in Coburg in Oberfranken. In der Elektroabteilung seiner Maschinenfabrik entwickelte der Unternehmer Andreas Flocken seinerzeit mit dem Flocken Elektrowagen nämlich das wahrscheinlich erste vierrädrige Elektromobil der Welt. Die lokale Presse sagte auch diesem Automobil eine erfolgreiche Zukunft voraus. Das Gefährt sei einfach und praktisch konstruiert und dürfte nach Fertigstellung großes Interesse hervorrufen. Es hat dann zwar deutlich länger gedauert, bis sich die E-Autos als Technologie durchsetzten. Dafür aber ist das Interesse daran und ihr Zukunftspotenzial heute umso größer.

Noch etwas zeigt diese Geschichte: Auch die E-Mobilität hat tiefe Wurzeln hier in Deutschland. Von diesen tiefen Wurzeln, von 135 Jahren Erfahrung im Autobau, profitiert die Automobilwirtschaft in Deutschland bis heute. Welche Kraft darin steckt, das können wir hier auf dieser beeindruckenden Messe bewundern.

Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt: Mobilität bleibt ein Zukunftsversprechen, nicht nur für unser Land, sondern weltweit. Wir leben in einer Welt mit nun acht Milliarden Menschen, zur Mitte des Jahrhunderts mit voraussichtlich zehn Milliarden Menschen, in der zentrale Errungenschaften des Fortschritts endlich nicht mehr nur den Bewohnern der wohlhabendsten Länder vorbehalten sind. Die Länder, die sich im Zuge der Globalisierung größeren Wohlstand erarbeitet haben, und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dort haben kein geringeres Recht und keinen geringeren Anspruch auf die Möglichkeiten der Moderne als wir. Das ist eine gute Nachricht für die Mobilitätsbranche. Denn die Geschäfte werden Ihnen nicht ausgehen. Fortbewegung ist ein universelles menschliches Bedürfnis.

Gleichzeitig sind wir uns darin einig, dass wir uns in Zukunft so fortbewegen müssen, dass unser Planet und unsere Umwelt nicht darunter leiden. Dem riesigen, weiter steigenden Bedarf müssen wir ein nachhaltiges Angebot gegenüberstellen. Dass Sie das können, ist eine der ermutigendsten Botschaften unserer Zeit. Hieran zeigt sich, wozu menschlicher Erfindergeist in der Lage ist.

Deshalb möchte ich Ihnen heute und an dieser Stelle dafür Danke sagen. Danke für die Entschlossenheit Ihrer Branche, die notwendigen Schritte in Richtung einer nachhaltigen Zukunft zu gehen! Schönen Dank!

Denn zentraler Treiber des Aufbruchs, den wir gerade gemeinsam unternehmen, das sind Sie, Zulieferer und Hersteller, mit Ihren mehr als 750 000 hoch qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern allein hier in Deutschland. Ich bin davon überzeugt, dass niemand E-Mobilität attraktiver macht als die Hersteller leistungsfähiger, schöner und ‑ das möchte ich an dieser Stelle auch sagen ‑ erschwinglicher E-Autos.

Wir sehen natürlich, dass dabei viele neue Unternehmen neben die etablierten Hersteller treten, attraktive Angebote zu einem konkurrenzfähigen Preis machen und manchmal Marktanteile gewinnen. Zwei Bemerkungen will ich dazu machen.

Erstens: Faire Konkurrenz belebt das Geschäft. Sie ist im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie war, ist und bleibt die Triebfeder für Innovationen.

Deshalb ‑ das ist meine zweite Bemerkung ‑ sollte uns Konkurrenz anspornen, also nicht schrecken. In den 80er-Jahren hieß es: Jetzt überrollen japanische Autos alle anderen Märkte. Zwanzig Jahre später waren es Autos made in Korea. Heute sind es vermeintlich chinesische Elektroautos. Ja, auch außerhalb Deutschlands werden gute Autos gebaut und entwickelt. Schön, dass so viele internationale Hersteller und Zulieferer hier in München sind. Willkommen!

Zugleich steht doch die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Autolandes Deutschland völlig außer Frage. Ich wüsste kaum einen anderen Standort weltweit, der auf so engem Raum ein solches Know-how in Sachen des Automobilbaus, eine solche Dichte an Zulieferern, an mittelständischen Weltmarktführern und auch so viel anwendungsbezogene Forschung in Sachen des Automobils aufzuweisen hat wie Deutschland. Deswegen ist es kein Zufall, dass in Europa fast jedes zweite und in China fast jedes fünfte Auto von deutschen Herstellern kommt. Es ist auch kein Zufall, dass Tesla sein Werk für Europa in Brandenburg errichtet hat und nun noch weiter ausbaut und dass sich Ford ‑ das Unternehmen produziert schon bald 100 Jahre hier in Deutschland Autos ‑ entschieden hat, E-Autos für den europäischen Markt zukünftig in Köln herzustellen. Das alles ist Ausdruck der Leistungsfähigkeit unseres Landes.

Meine Damen und Herren, die Mobilitätswende ist eine große Aufgabe, aber sie ist eine Teamaufgabe. Ich komme heute zu Ihnen als überzeugtes Mitglied dieses Teams: Klimaneutrale Mobilität in Deutschland und aus Deutschland. Für uns als Bundesregierung bedeutet das: Wir schaffen jetzt die Voraussetzungen, damit Deutschland bis 2045 klimaneutral wird und zugleich starkes Industrieland bleibt. Allein der Bund wird deswegen im kommenden Jahr mehr als 110 Milliarden Euro investieren, um die Modernisierung unserer Industrie und den Klimaschutz voranzubringen. Das sind zum einen Investitionen in Höhe von 54 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt für die Erneuerung der Schienen, für bessere Straßen und neue Brücken, für Glasfaserleitungen und vieles mehr. Zum anderen sind das die Ausgaben des Klima- und Transformationsfonds in Höhe von 58 Milliarden Euro, und zwar für Programme, mit denen beispielsweise ein flächendeckendes Ladesäulennetz, der Wasserstoffhochlauf, die Transformation von Industrieprozessen, die energetische Gebäudesanierung oder die Mikroelektronik gefördert werden.

Damit diese Mittel auch schnell ankommen, bauen wir Bürokratie ab und beschleunigen alle nötigen Verwaltungsverfahren. Dabei schauen wir übrigens auch nach Brüssel. Gemeinsam mit den europäischen Partnern, insbesondere mit der französischen Regierung, wollen wir eine Initiative für Bürokratieentlastung, bessere Rechtsetzung und moderne Verwaltung in Europa ergreifen.

Drei Felder, auf denen wir Tempo machen, will ich hier herausheben.

Erstens: die Ladeinfrastruktur. Unser Ziel ist klar: Laden muss so einfach oder noch einfacher werden als tanken. Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir im Jahr 2030 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen haben. Dieses Ziel ist nicht neu. Neu ist, dass wir es auch umsetzen. Seit wir Ende 2021 damit angefangen haben, ist die Anzahl der öffentlichen Ladepunkte schon um mehr als die Hälfte auf über 90 000 gestiegen. Doch das ist erst der Anfang. Wir werden als erstes Land in Europa in den nächsten Wochen ein Gesetz auf den Weg bringen, mit dem die Betreiber von fast allen Tankstellen dazu verpflichtet werden, Schnelllademöglichkeiten mit mindestens 150 Kilowatt für E-Autos bereitzustellen. Damit gehört Reichweitenangst bald endgültig der Vergangenheit an.

Parallel sorgen wir dafür, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger ihre eigene Tankstelle zu Hause haben; denn das ist doch eines der schlagenden Argumente für die E-Mobilität. 700 000 private Ladestationen sind in Deutschland bereits in Betrieb, die wir über die KfW gefördert haben. 300 000 weitere sind in Planung. Und auch hier machen wir weiter Tempo: Mit dem im August beschlossenen Solarpaket haben wir die Einrichtung privater Fotovoltaikanlagen zum Beispiel auf Balkonen ganz erheblich vereinfacht. Und damit wir das auch direkt dem Wechsel zur klimaneutralen Mobilität zugutekommen lassen können, setzen wir im Herbst ein KfW-Programm auf, das die Installation von privaten Ladestellen in Kombination mit Solaranlagen und Speichern fördert. Damit wird die Tankstelle zu Hause noch attraktiver. Mit Strom volltanken kostet dort dann nur noch wenige Euro, wenn überhaupt.

Das bringt mich dann direkt zum zweiten Punkt: Strom. Die Entscheidung für ein E-Auto fällt umso leichter, wenn diese Entscheidung nicht nur ökologisch verantwortungsvoll ist, sondern sich auch wirtschaftlich rechnet. Schon jetzt kostet Benzin im Vergleich zu Strom auf 100 Kilometern knapp das Dreifache. Ein durchschnittliches E-Auto amortisiert sich damit oft schon nach fünf Jahren. Ab da fährt man also nicht nur sauberer, sondern auch billiger. Ich will, dass diese Zeitspanne weiter sinkt. Daran haben Sie als Hersteller natürlich über die Preise einen wichtigen Anteil. Aber auch der Staat leistet seinen Beitrag, vor allem, was günstigeren Strom angeht. Heute liegen die Strompreise zum Glück wieder unter dem Niveau von vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, auch dank unserer Energiepreisbremse.

Dauerhaft und strukturell aber drückt nur der noch weitere beherzte Ausbau der erneuerbaren Energien die Strompreise. Dieser Ausbau geht rasant voran: Bei den Fotovoltaikanlagen liegen wir bei über 30 Fußballfeldern pro Tag. Das ist fast doppelt so viel wie noch vor einem Jahr. Auch bei der Windenergie kommt endlich richtig Tempo auf: Allein im Juli wurden 95 Windräder neu in Betrieb genommen, und deutlich über 200 sind genehmigt worden. Damit sind wir bei den Genehmigungen auf Kurs, um mehr als die vier bis fünf pro Tag bauen zu können, die wir brauchen, um bis 2030 80 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien herzustellen. Das zeigt: Es geht, und es geht viel schneller, als die meisten erwartet haben.

Den dritten Punkt will ich gern „Sicherheit in geopolitisch aufregenden Zeiten“ nennen. Wir alle haben in den vergangenen Jahren gesehen, wie schnell und massiv aus politischen auch wirtschaftliche Herausforderungen werden können. Im Kreis der wirtschaftsstarken Demokratien, den G7, haben wir gemeinsam beschlossen, diesen Herausforderungen mit Entschlossenheit und Augenmaß zu begegnen ‑ mit „derisking“ und nicht mit „decoupling“. Es geht nicht darum, jahrelang gewachsene Lieferbeziehungen zu kappen oder sich aus wachsenden Märkten zu verabschieden. Aber zugleich sorgen wir gemeinsam mit Ihren Unternehmen dafür, dass wir uns breiter aufstellen und risikoreiche Abhängigkeiten in strategisch wichtigen Bereichen beenden.

Ein zentrales Beispiel sind Technologien wie Halbleiter. Sie wissen das besser als ich, denn der Halbleitermangel im letzten Jahr war der Flaschenhals der Autoindustrie. Deswegen bin ich sehr froh, dass sich in den vergangenen Monaten so viele Firmen aus der ganzen Welt für Investitionen in Deutschland entschieden haben. Über 80 Milliarden Euro für Zukunftsbranchen wie die Halbleiterproduktion, die Batteriefertigung und Cleantech: Das schafft nicht nur tausende gute zukunftssichere Arbeitsplätze, sondern das stärkt dauerhaft die wirtschaftliche Sicherheit unseres Landes. Deutschland ist gerade dabei, zu dem europäischen Halbleiterstandort zu werden ‑ auch für die Autoindustrie. Die 30 Milliarden-Euro-Investition von Intel in Magdeburg ist die größte Einzelinvestition in der Geschichte Europas. Hinzu kommen die neuen Fabriken von Infineon in Sachsen, von Wolfspeed und ZF im Saarland, und zuletzt der Einstieg von TSMC zusammen mit Bosch, NXP und Infineon in die Chipproduktion in Dresden, wo es mit Global Foundries bereits einen großen Produzenten für die Chips gibt, die viele Ihrer Unternehmen brauchen.

Auch bei der Batteriefertigung gehen wir in riesigen Schritten voran. Von der Produktionskapazität, die wir im Jahr 2030 in Deutschland brauchen, sind bereits heute zwei Drittel im Aufbau oder in konkreter Planung. ACC, Northvolt, CATL und alle großen deutschen Automobilhersteller investieren massiv in neue Batteriefabriken, landauf und landab.

Erlauben Sie mir dazu übrigens auch noch eine Anmerkung, weil ich weiß, dass das derzeit hier in Bayern und für BMW ein Thema ist: Ich werbe dafür, dass Bürgerinnen und Bürger solche Investitionsentscheidungen als große Chance für ihre Gemeinden betrachten. Deswegen hoffe ich, dass die Bürgerbefragung im Landkreis Straubing-Bogen im Sinne der nachhaltigen Mobilität ausgeht. Das schafft gute Arbeitsplätze für die nächsten Jahre und Jahrzehnte.

Es geht aber nicht nur um Halbleiter oder Hochleistungsbatterien: Auch unsere traditionellen Stärken machen wir zukunftsfest. ThyssenKrupp, Salzgitter, ArcelorMittal, die Stahl-Holding-Saar: Alle wollen hier in Deutschland grünen Stahl herstellen, und wir fördern das. Auch das ist ein wichtiger Beitrag zu nachhaltigen Autos „Made in Germany“.

Meine Damen und Herren, ich will hier ganz deutlich sagen: Solche Investitionen zu unterstützen ist eine bewusste Stärkung unserer technologischen Souveränität und des Automobilstandortes Deutschland. Mit diesem Geld sichern wir technologischen Vorsprung und gute, zukunftsfähige Arbeitsplätze. Das werden wir fortführen, so wie das auch unsere weltweiten Wettbewerber tun.

Ein anderer wichtiger Aspekt ist die verlässliche Versorgung mit strategisch wichtigen Rohstoffen. Viele von Ihnen treffen hier bereits Vorsorge. Wir flankieren das zum Beispiel durch Rohstoffpartnerschaften mit anderen Staaten. Hier in Deutschland schaffen wir gleichzeitig die Voraussetzungen dafür, dass wir einen immer größeren Teil des eigenen Rohstoffbedarfs ressourcenschonend und klimafreundlich mit dem decken, was schon bei uns vorhanden ist und was sich recyceln lässt.

Die eigentliche Antwort auf einseitige Abhängigkeiten lautet aber: mehr Diversifizierung ‑ nicht weniger, sondern mehr Absatzmärkte, nicht weniger Handel, sondern mehr Handel mit unterschiedlichen Partnern. Deshalb, liebe Frau Müller, werden wir in der Europäischen Union mit allem Nachdruck für Freihandelsabkommen werben. Und das trägt Früchte. Es gibt wohl kaum einen Zeitpunkt in der Vergangenheit, an dem gleichzeitig mehr Abkommen verhandelt und vorangebracht wurden wie heute. Mit Kenia und Neuseeland sind die Verhandlungen schon abgeschlossen, und ich bin zuversichtlich, dass wir bald auch gute Nachrichten aus den Verhandlungen mit Australien, dem MERCOSUR, Mexiko und Indonesien melden können.

Meine Damen und Herren, die erste Mobilitätsrevolution ging vor 135 Jahren hier von München aus, und auch die zweite Revolution, die Revolution hin zu klimaschonender Mobilität, ist hier auf der IAA zu Hause. Wir gehen diesen Weg als Team, mit 135 Jahren Erfahrung im Rücken und in dem Wissen, dass Ihre Innovation, Ihr Erfindergeist und Ihr Know-how auch künftig die Welt bewegen.

Haben Sie schönen Dank!