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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
28.01.2024 | Berlin

Rede anlässlich der Europadelegiertenkonferenz der SPD

Liebe Katarina,

du bist eine starke Stimme für Europa! Wir haben hier plakatiert „Deutschlands stärkste Stimmen für

Europa“. Irgendein Virus hat mir mitgeteilt, es müsste bei der Stimme noch ein bisschen nachhelfen. Ich

hoffe aber, dass ich trotzdem verständlich bin und die Gelegenheit habe, ein paar Worte zu sagen. In

Bezug auf Europa, auch in Bezug auf den Europawahlkampf und was dort ansteht. Aus meiner Sicht ist

das eine ganz zentrale Wahl! Denn das, was wir hier in Deutschland erleben - das stark werden rechter

Populisten, von Parteien, die gegen Europa Wahlkampf machen, die ihre Stimmen damit werben wollen,

dass sie sagen, das mit der Europäischen Union hat keine Perspektive -, das haben wir ja auch in vielen

anderen Ländern Europas erlebt. Ja, und es kann schon sein, dass das Ergebnis dieser Europawahl ist,

dass in vielen Ländern dort starke Stimmenergebnisse für rechte Populisten herauskommen. Und

dagegen gibt es ein sicheres Mittel, wenn man in Deutschland einen Beitrag leisten will: Katarina Barley

und die SPD wählen! Die Nationalisten handeln gegen das nationale Interesse. Das war schon immer so,

aber in dieser Frage ist es so offensichtlich, und es muss auch immer wieder gesagt werden: Das

stärkste nationale Interesse, das wir in Deutschland haben, ist eine starke Europäische Union.

Und wir? Wir als das bevölkerungsreichste Land, das wirtschaftsstärkste Land mitten in der Europäischen

Union, wir haben eine Aufgabe darin, dafür zu sorgen, dass es vorangeht mit Europa. In unserem

Interesse, aber auch im Interesse ganz Europas. Das ist das, was wir tun müssen. Ja, es gibt überall in

Europa Politiker, bevor sie den Abflug nach Brüssel machen und dann dort auf irgendwelchen Räten sich

beteiligen - ob es nun Ministerräte oder der Rat sind, an dem ich teilnehme - die dort erst mal ihren

Fernsehsendern mitteilen, was sie alles da durchsetzen werden. Sich ganz nett verhalten, das ist

jedenfalls meine Erfahrung, meistens auf den Sitzungen. Nicht alle, nicht immer, aber doch ganz oft. Und

dann kommen sie wieder zurück und sagen, was sie alles durchgesetzt haben. Ich sage euch, es gibt ein

Land, wo dessen Politiker und Politikerinnen das nicht machen dürfen. Das sind wir. Wegen unserer

Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Europa ein Erfolgsprojekt wird. Und wir Sozialdemokraten stehen genau

dafür ein.

Die Welt ändert sich. Und sie hat sich so geändert, dass gerade in den reichen Ländern, im Westen

Europas, in Nordamerika und an manchen anderen Stellen der Welt die Unsicherheit größer geworden

ist, was die Zukunft mit sich bringen wird. Übrigens, weil die Welt sich mehr oder weniger zum Besseren

verändert hat. Denn wenn jetzt Milliarden Menschen in Asien wirtschaftlichen Wohlstand spüren, wenn

dort hunderte Millionenstädte entstehen - von denen nicht alle alle aufsagen können -, die aber alle

beitragen zu wirtschaftlicher Kraft Asiens. Wenn das gelingt mit dem Süden Amerikas, mit Afrika, dann ist

das eine andere Welt als die, in der die diejenigen, die ein bisschen älter sind, noch aufgewachsen sind

und die wir in den letzten 100 und 200 Jahren gekannt haben. Das Stück Sicherheit, dass es Dinge gibt,

die nur wir können, in Europa und im Norden Amerikas, das ist verloren gegangen. Und unterschätzt mal

nicht, wie sehr das dazu beiträgt, dass das Unsicherheitsgefühl sich verbreitet? Und deshalb muss man

darauf eine Antwort geben. Unsere Antwort ist Zweierlei. Erstens: Wir sorgen dafür, dass wir dem, was

wir in Europa an Politik machen, die Grundlage dafür legen, dass wir technologisch und wirtschaftlich in

einer Welt von 10 Milliarden Einwohnern, die wir schon 2050 haben werden, immer weiter vorne dabei

sind.

Wir sind heute, als Deutschland, nach einer Statistik, die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt mit nur

etwas über 80 Millionen Einwohnern. Das ist ziemlich beeindruckend! Aber wenn wir unseren Wohlstand

sichern wollen, dann können wir das nur gemeinsam als Europäische Union mit diesen 10 Milliarden. Und

dazu gehört dann die zweite Perspektive. Die zweite Perspektive, für die wir kämpfen müssen, jetzt und

in dieser Zeit: Dass wir als eine Union von Ländern, bei denen nicht wenige erst in den 50er und 60er und

manche in den 70er Jahren ihre koloniale Phase beendet haben, Anschluss finden zu den Ländern des

globalen Südens. Dass wir auf Augenhöhe mit ihnen verhandeln. Dass wir Freunde und Partner werden.

Und ich glaube, dass ich sagen kann: Die Politik, die die deutsche Regierung jetzt entfaltet hat, das, was

wir gemeinsam versucht haben, in Europa voranzubringen, das ist eine neue Nord-Süd Politik, wie Willy

Brandt sie einst angefangen hat. Und es ist die Grundlage für Wohlstand und Sicherheit in der Zukunft.

Wir brauchen eine starke Europäische Union, die Partner ist in der Welt!

Deshalb müssen wir natürlich dafür sorgen, dass das mit den wirtschaftlichen Grundlagen auch stimmt.

Einmal, wenn es um die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Europa geht. Ein

gemeinsamer Markt heißt ja, dass nicht alles gut geregelt sein kann, aber die Rechte der Beschäftigten

nicht, denn die sind ja die Grundlage dafür, dass das funktioniert. Und genau dafür stehen wir als SPD.

Aber wir müssen auch die Grundlage dafür legen, dass der wirtschaftliche Wohlstand bei uns stattfinden

kann. Und da erwarten die Bürgerinnen und Bürger keine Diskussion, wie sie so gerne etwas abfällig

über Europa geführt wird, über bestimmte Vorschriften, was jetzt die Krümmung von Bananen und

sonstigen Dinge betrifft. Sondern was wir wirklich brauchen, das ist doch ein Fortschritt bei der

Infrastruktur, der digitalen Infrastruktur, bei den Eisenbahnnetzen, bei den Straßennetzen, bei dem, was

wir an Wissenschaftslandschaft haben, bei unseren Fähigkeiten im Rahmen der Digitalisierung. Und ich

will ausdrücklich sagen: Es ist nicht gut, dass alles, was an moderner Entwicklung im großen Maßstab mit

Sozialen-Media-Plattformen stattgefunden hat, dass das in wenigen Ländern der Welt konzentriert ist und

in Europa keine so großen Player in dieser Art entstanden sind.

Und deshalb geht es jetzt ums Ganze. Künstliche Intelligenz ist eine Kompetenz, die es in Europa gibt.

Die ist übrigens ganz stark in Deutschland gibt und wir werden es nicht wieder so gehen lassen wie die

letzten Male. Künstliche Intelligenz muss auch eine Kompetenz, eine Technologie aus Europa und aus

Deutschland sein!

Dann gibt es ja immer wieder Theorien, woran das alles liegt: Die Chinesen ganz autoritär. Die

Amerikaner mit viel Marktliberalismus. Aber die Wahrheit ist auch manchmal ganz praktisch anders. Da

sind große Märkte mit vielen Einwohnern und wir sind schon über 400 Millionen. Wir wollen, dass die

Europäische Union noch weiter wächst und wenn alle die Bedingungen erfüllen - die Länder des

westlichen Balkans, dass Moldau, dass die Ukraine perspektivisch Georgien - dabei sein können. Aber

eins ist doch ganz klar: Wenn es trotzdem fragmentiert bleibt, können wir die Power nicht ausspielen, die

in dieser großen Zahl auch tatsächlich liegt. Das ist der Grund dafür, dass wir bestimmte Dinge nicht

hingekriegt haben in Europa. Und deshalb müssen wir das europäische Projekt vollenden, damit

europäische Unternehmen wachsen können!

Und nur ein Thema will ich ganz kurz und an dieser Stelle nennen. Das ist die Banken- und

Kapitalmarktunion. Das klingt so technisch. Aber es ist echt wichtig! Und ich will das einfach nur mal

sagen: Es wird erzählt, haben wir auch heute gehört und zwar zu Recht, dass in den letzten Jahren das

wirtschaftliche Wachstum der USA vielfach größer war wie das der Europäischen Union. Und ich kann

nur sagen, es gibt dafür eine einfache Ursache: Das ist uns nicht gelungen ist, diese Banken- und

Kapitalmarktunion zu schaffen. Das ist nicht gelungen ist, das viele Geld, das in Europa da ist, in Start-

Ups, in Unternehmensgründung, dort, wo sie stattfinden, zu investieren. Das viele Geld, das in Europa

existiert, zu sammeln, zu bündeln und zu einer Kraft zu machen. Was ist eigentlich los, wenn manche

Start-Ups Geld bekommen, schon aus europäischen Mitteln. Aber das sind Unternehmen, die haben ihr

Geld gesammelt, in amerikanischen Fonds angelegt, und die machen dann Start-Up Investitionen in

Europa. Das müssen wir doch hier hinkriegen. Und deshalb, finde ich, muss, damit das mit dem

wirtschaftlichen Wachstum und den Arbeitsplätzen klappt, dies ein zentrales Thema sein.

Leider ist, wie so oft, das Pferd von hinten aufgezäumt worden und alle haben sich Gedanken gemacht

über Einlagensicherung und sonstige Dinge. Aber das eigentlich Entscheidende ist, dass die Banken

europaweit agieren können müssen. Und da steht in unserem Wahlprogramm ein Satz, der mir wichtig

ist! Wir haben durchgesetzt, das ist jetzt so etwas gibt wie eine globale Mindestbesteuerung in

Deutschland. Und diese auch in Europa auf den Weg gebracht, nachdem das international etwas

geworden ist. Hat übrigens niemand geglaubt, dass das klappt, als ich das als Finanzminister mal auf den

Weg gebracht habe. Hat aber doch geklappt. Global. Aber was viel wichtiger ist: Da stehen jetzt

15 Prozent! Das ist nur ein Mindeststeuersatz, den man erheben kann, wenn andere weniger Steuern

nehmen. Aber die Frage ist: Ist das nicht ein Orientierungssatz für eine Basis-Körperschaftssteuer, die

nach einheitlichen Kriterien in Europa erhoben werden kann? Und ist das nicht möglicherweise auch die

Grundlage dafür, dass das mit der Banken- und Kapitalmarktunion klappt? Weil das kann ja nicht sein,

dass die Banken dann alle ihren Sitz haben in einem Land mit ganz wenig Steuern. Und wenn es denn

schiefgeht, sollen alle europäischen Steuerzahler sie raushauen. Das ist ja wohl nicht der Weg, der

funktioniert!

Nur eine Anregung, aber aus meiner Sicht ein Zeichen dafür, warum wir gebraucht werden. Und ich will

es noch in einer Hinsicht sagen: Europa hat jetzt eine große Herausforderung zu bewältigen, eigentlich

die ganze Welt, aber Europa besonders, weil bei uns, auf unserem Kontinent, findet ein grausamer Krieg

statt. Das größte Land Europas, Russland. Das Land mit dem größten Territorium hat das Land mit dem

zweitgrößten Territorium in Europa angegriffen. Um es sich ganz oder teilweise einzuverleiben. Und

Katarina Barley hatte völlig recht mit dem, was sie gesagt hat: Das darf nicht mehr passieren, dass der

Stärkere sagt „Ich hole mir, was ich haben will“, egal, was das Recht ist!

Es waren Helmut Schmidt und Willy Brandt, die mit der KSZE und der OSZE ein Prozess auf den Weg

gebracht haben, der genau diese Prinzipien für Europa vereinbart hat: Dass nicht mit Gewalt Grenzen

verschoben werden! Dass wir das hinter uns lassen. Übrigens in Zeiten, in denen Kalter Krieg herrschte.

In Zeiten, in denen Deutschland sehr viel für Verteidigung ausgegeben hat. Selbst wenn wir die 2 Prozent

jetzt jedes Jahr ausgeben - was wir tun -, dann ist das noch weniger, als was damals der Fall war.

Aber es ist aus dieser Kombination von Verständigung, gemeinsamer Sicherheit und eigener Stärke doch

etwas gelungen in Europa. Und genau das müssen wir jetzt wieder erreichen. Aber das, was jetzt

dazugehört - im Sinne von Willy Brandt, im Sinne von Helmut Schmidt - das ist, dass wir an der Seite der

Ukraine stehen! Wir tun das mit Bedacht. Und wir tun das international abgestimmt. Wir finden nicht, dass

es ein Vorzug deutscher Politik sein sollte, Alleingänge zu veranstalten. Das Gegenteil ist richtig. Aber wir

sind jetzt an einer ganz entscheidenden Stelle. In den USA wird intensiv darüber diskutiert - im Kongress

-, ob die Wünsche des Präsidenten akzeptiert werden, für dieses Jahr Geld für die Unterstützung der

Ukraine zu bewilligen. Schon seit letztem Jahr ist der amerikanische Präsident aktiv bemüht, das

hinzukriegen, und unverändert ist er zuversichtlich, es am Ende zu schaffen. Und wir drücken ihm alle

Daumen. Und in Europa haben viele Länder ihre Solidarität bekundet. Aber was sie vorgesehen haben

an militärischer Unterstützung für die Ukraine, das hält sich bisher in Grenzen. Wir haben mit dem

Haushalt, den der Bundestag nächste Woche beschließen wird, über 7 Milliarden Euro vorgesehen. Das

ist sehr viel Geld. Aber es ist gegenwärtig mehr als die Hälfte - mehr als die Hälfte! - was alle

europäischen Staaten zusammen tun. Und was wäre das für eine Situation, wenn den USA das nicht

gelingt, was wir alle hoffen, dass es einen Beschluss des Kongresses gibt für die Unterstützung der

Ukraine?

Darum habe ich auch ganz klar gesagt: Ich möchte, dass wir in Europa darüber sprechen, wie alle ihre

Beiträge erhöhen und ausweiten. Es kann nicht sein, dass Deutschland einen so großen Anteil hat. Wir

sind, wie Helmut Schmidt gesagt hat, nur eine Mittelmacht. Und es muss unser Beitrag sein, dass wir viel

tun. Aber es muss auch der Beitrag aller anderen sein, auch viel zu tun. Das ist die Aufgabe, die jetzt

ansteht! Frieden ist das, was wir uns wünschen für die Ukrainerinnen und Ukrainer und was sie sich

selber am allermeisten wünschen. Und dass das gelingen kann verlangt eine Sache unbedingt vor allen

anderen: Die klare Botschaft an den russischen Präsidenten, dass er nicht darauf rechnen kann, dass

unsere europäische und auch nicht die amerikanische Unterstützung für die Ukraine nachlässt.

Ich glaube, er hofft jetzt ganz dringend, dass irgendein Wunder passiert. Deshalb riskiert er das Leben so

vieler russischer Soldaten, investiert so viel Geld seiner eigenen Volkswirtschaft in diesen furchtbaren

und völlig sinnlosen Eroberungskrieg. Aber wenn unsere Botschaft klar ist, dass dieses Kalkül - er muss

das nur abwarten - falsch ist, dann ist der Frieden auch schneller möglich, als man heute denken mag!

Die Europawahl ist für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes eine Chance, ein klares Votum gegen

Rechts abzugeben. Die Europawahl ist eine Chance, das zu tun, indem man demokratische Parteien und

nicht die Rechten wählt. Und die beste Idee, das zu tun, ist, die älteste demokratische Partei und die

Partei, die am längsten Europa als Perspektive in ihren Programmen hat, zu wählen. Das ist das beste

Votum für ein starkes und ein demokratisches Europa.

Schönen Dank!