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27.08.2008

Rede anlässlich der feierlichen Enthüllung der Bronzeskulptur Mensch und Maß XXVIII

Rede anlässlich der feierlichen Enthüllung der Bronzeskulptur Mensch und Maß XXVIII



Es gilt das gesprochene Wort!
 

Sehr geehrter Herr Mausbach,
sehr geehrter Herr Otto,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gäste,  

herzlich willkommen in Berlin, herzlich willkommen im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.  

Ich freue mich sehr, Sie zur feierlichen Enthüllung der Bronzeskulptur "Mensch und Maß XXVIII" von Waldemar Otto hier im Hof der Süderweiterung unseres Hauses begrüßen zu dürfen.   Die Kunst das ist Ihnen allen bekannt hat in diesem Ministerium wie in vielen anderen öffentlichen Gebäuden auch ihren festen Platz.  

"Kunst am Bau" heißt das dazu gehörende Schlagwort und es meint:   Der Staat engagiert sich als Förderer von Kunst und Kultur gerade auch durch die Finanzierung der künstlerischen Ausgestaltung von öffentlichen Gebäuden wird er seiner kulturellen Verantwortung gerecht.   Hier sind es Werke von Thom Barth, Daniel Buren, Peter Chevalier und Carsten Nicolai oder die ausdrucksstarke Bildreihe der "Stiere" von Felix Droese, die den Blick des Betrachters fangen wollen.  

Sie tun das in einem Gebäude, das mit seiner wechselhaften, ja problematischen Geschichte selbst und hier zitiere ich den Architekten Josef Paul Kleihues  "eine politische wie auch eine architekturhistorische und künstlerische Herausforderung" darstellt.  

Auch deshalb wollen die Kunstwerke dieses Hauses nicht nur einfach Wände und Räume schmücken, sondern zur Reflexion über die Vergangenheit ebenso einladen wie dazu, über die aktuellen Aufgaben dieses Ministeriums, die sich mit den Begriffen "Arbeit" und "Soziales" verbinden, nachzudenken.  

Meine Damen und Herren,   "Kunst am Bau", das provoziert bei aller Zustimmung im Grundsatz manchmal doch auch kritisches Nachfragen:   Darf die Politik das, so heißt es dann, sich als Financier gleichsam zum Herrn über die Kunst aufschwingen?  

Und: Was ist das für eine Kunst, die so zahm daherkommt, dass sie sich das Wohlgefallen der Mächtigen sichert?   Haben sich Politik und Gesellschaft mit dem widerständigen Anspruch der Kunst arrangiert?   Oder ist Kunst längst Teil des großen Systems und erfüllt affirmative Aufgaben?  

Meine Damen und Herren, so einfach ist es nach meiner Überzeugung nicht.   Kunst erhebt nach wie vor vehement den Anspruch, über das Politische und Soziale hinaus Wirklichkeit zu revolutionieren. Sie darf und sie kann gar nicht anders.   Und in der Tat gelingt es ihr immer wieder, ihren Blick auf die Gesellschaft in provozierend neue, oft verstörende, aber zugleich auch zukunftsorientierte Realitätsentwürfe zu verwandeln.  

Kunst entsteht im politischen und gesellschaftlichen Raum keine Frage.   Aber in demokratischen Gesellschaften nicht unter kontrollierten Bedingungen, sondern als autonomer Impuls.   Als "Gegenentwurf zur Gesellschaft" so lautet ein bekanntes Diktum von Adorno will und fordert die Kunst ein Recht auf Eigensinn und Extreme, ein Recht auf Zweckfreiheit und Unsinniges, ein Recht auf Widersprüche und Verwirrung, auf Versuch und Irrtum.  

Das wiederum heißt nicht, dass Kunst und Politik nicht zueinander kommen dürfen.   Im Gegenteil: Dort, wo es um die grundlegenden Fragen geht, dort wo die Sinnfragen sich stellen, sind sie sogar aufeinander angewiesen.  

"Die politische Konkurrenz um die knappe Ressource ,Sinn‘ hat die Entfernung zwischen Politik und Kultur verringert."
So hat es Jürgen Habermas bereits vor zwei Jahrzehnten formuliert.   Diese neue Intimität zwischen Kultur und Politik ist ein zweischneidiges Ding. Sie birgt die Gefahr der Vereinnahmung, zugleich aber auch aufklärerisches Potenzial und die Chance auf sozialen Fortschritt.   Denn Kunst ist Aufbruch und immer ein fundamentales Risiko für das Bestehende. Man muss sie riskieren.  

Und genau dieses Riskieren, dieser Aufbruch, ist ein unverzichtbarer Teil der Zukunftsfähigkeit unseres demokratischen und sozialen Rechtsstaats!  

Meine Damen und Herren,   dass der Mensch das Maß aller Dinge sei, wie der griechische Sophist Protagoras vor zweieinhalb Jahrtausenden forderte, darf heute kaum mehr uneingeschränkt gelten.   In Zeiten der entfesselten Atomkraft, des blindwütigen Raubbaus an den Schätzen unserer Natur, der noch immer fortschreitenden Zerstörung von Ökosystemen, des von Menschen verursachten Klimawandels und des technologischen Eingriffs in die genetische Ausstattung von Pflanzen, Tieren und Menschen muss es uns heute mehr denn je darum zu tun sein, das rechte Maß zu finden und Maß zu halten.   Wer von Maß spricht, der spricht von Grenzen und Verhältnissen auch und gerade auch davon, sich in ein Verhältnis zu seiner Umwelt zu setzen.  

Wer gestaltet wen? Der Mensch seine Umwelt? Oder umgekehrt die Umwelt den Menschen?   Um diese und vergleichbare Fragen drehen sich die bronzenen Skulpturen, die Waldemar Otto in den Jahren zwischen 1997 und 2001 schuf und unter dem Titel "Mensch und Maß" zu einer herausfordernden Werkgruppe vereinte.   Dass sich der Mensch dabei gerade auch durch Arbeit, durch sein tätiges Eingreifen und Umgestalten in ein Verhältnis zu seiner materiellen und sozialen Umgebung setzt, stellt für mich einen besonderen Bezug dieser Werkgruppe zu den Themen dieses Hauses her.  

Sichtbar wird aus dieser Perspektive allerdings auch: Arbeit ist eine historische Kategorie.   Über Jahrhunderte galt Arbeit als Mühe und Qual, auch als göttliche Strafe und Fluch. Erst die protestantische Arbeitsethik, deren Entstehung und deren Wirkungsmacht Max Weber so präzise bestimmt hat, bringt den Wertewandel entscheidend voran.   Von nun an gilt Arbeit "als Quelle des Wohlstands und der Zivilität, als Kern menschlicher Existenz und Selbstverwirklichung, als Inbegriff menschlicher Naturbeherrschung und Basis tugendhaften Zusammenlebens" (Jürgen Kocka).  

Gerade in Deutschland gilt: Wir definieren uns über das, was wir tun. Wir sehen in unserer Arbeit nicht nur einen "Job", sondern einen "Beruf".   Über Arbeit vermitteln sich Stolz und Würde, Respekt und Selbstwertgefühl.   Und diesem Ethos, das aus meiner Sicht auch in den Skulpturen Waldemar Ottos künstlerischen Ausdruck findet, ist die Politik dieses Hauses verpflichtet.   Gemeint ist eine moderne Politik für Arbeit, die ihren Teil dazu beiträgt, Arbeit zu schaffen, Arbeit gut und human zu gestalten und gleiche Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben zu eröffnen.  

Gemeint ist eine moderne Sozialpolitik, die die großen Lebensrisiken verlässlich absichert, gerechte Teilhabe gewährleistet und den Bezug zur Freiheit immer im Blick behält.   Der Mensch nicht als Maß aller Dinge, aber der Mensch als teilhabender und teilnehmender Bürger das ist ein Maßstab, das ist mein Maßstab für Politik.   Dafür will und werde ich politisch handeln.   Vielen Dank! 


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