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28.08.2008

"Wir haben ein Problem mit den Bruttolöhnen" - Interview in der Passauer Neuen Presse

Niedriglöhne sind in der Vergangenheit gesunken, hohe Löhne haben zugelegt. Driftet die Gesellschaft auseinander?

Scholz
: Wir haben ein Problem mit den Bruttolöhnen. Sie steigen zu wenig. Die Lohnspreizung nimmt zu. Die Zahl derjenigen, die geringe Löhne erhalten, wird größer. Ein Mittel dagegen ist der Mindestlohn. Wer den ganzen Tag arbeitet, darf am Ende nicht auf öffentliche Unterstützung angewiesen sein. Das kann man ohne negative Effekte für den Arbeitsmarkt sicherstellen.

Nun sollen die Arbeitnehmer zusätzlich in ihr Unternehmen investieren. Wie kann das noch finanziert werden?

Scholz
: Arbeitgeber können zusätzlich zum Lohn Arbeitnehmern eine Beteiligung einräumen, um ihre Mitarbeiter an den Betrieb zu binden. Steuerliche Förderung gibt es dann, wenn das freiwillig und zusätzlich erfolgt. Wir schaffen mit den neuen Mitarbeiter-Beteiligungsfonds die Möglichkeit einer risikolosen Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter auch im Mittelstand - gerade um die wachsende Spreizung zwischen steigenden Unternehmensgewinnen und sinkenden Arbeitseinkommen einzudämmen. Wir rechnen mit einer Steigerung der Beteiligungen von zwei auf drei Millionen. Ich kann mir aber auch weit mehr vorstellen.
 
Ist der Mindestlohnstreit in der Koalition beendet?

Scholz
: Wir sind voll im Zeitplan. Der schwierige Teil, die Einigung auf die Gesetze, ist geschafft. Jetzt wird eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die prüft, welche Branchen in das Entsendegesetz aufgenommen werden sollen. Das soll bis zum Jahresende erfolgen. Acht Branchen haben sich gemeldet. Mit ihrer Aufnahme würde die Zahl der Arbeitnehmer mit Mindestlohn verdoppelt.

Die Union lehnt die Aufnahme der Zeitarbeitsbranche ab.

Scholz
: Wir haben eine klare Vereinbarung. Wenn mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt sind und ein Antrag von Arbeitgebern und Gewerkschaften vorliegt, wird die Branche in das Gesetz aufgenommen. Nach diesen Kriterien, die zweifelsfrei erfüllt sind, müsste man die Zeitarbeitsbranche aufnehmen.

Aber es gibt dort konkurrierende Tarifverträge.

Scholz
: Zwei von drei Arbeitgeberverbänden, und damit die Mehrheit der Arbeitgeber, bei der auch die Mehrheit der Beschäftigten tätig ist, möchten einen Mindestlohn. Das sind die seriösen Arbeitgeber, die die Branche vom Schmuddel-Image befreien wollen. Das ist ein starkes Argument für die Aufnahme.

Kann der Arbeitsmarkt der schwächer werdenden Konjunktur trotzen?

Scholz
: Die Arbeitslosigkeit ist auch wegen der Reformen, die Gerhard Schröder auf den Weg gebracht hat, deutlich zurückgegangen. Die positive Entwicklung wird 2008 und 2009 weiter gehen.
 
Sie reden von Vollbeschäftigung - ein Ablenkungsmanöver, bei noch mehr als drei Millionen Arbeitslosen?

Scholz
: Nein. Vollbeschäftigung muss das Ziel sein. In unseren Anstrengungen nachzulassen, würde die Akzeptanz unserer sozialen Marktwirtschaft gefährden. Jeder, der seine Arbeit verliert, soll innerhalb eines Jahres eine neue erhalten können. Dann wird Arbeitslosigkeit einen Teil ihres Schreckens verlieren. Das können wir in einem Jahrzehnt erreichen - wenn wir weiter das Richtige tun.

Wie stark kann der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung sinken?

Scholz
: Vereinbart ist, dass wir im Herbst eine Entscheidung treffen. Wenn es Spielraum gibt - und davon gehe ich aus - werden wir senken. Aber ob der besteht und wie groß der ist, ob zum Beispiel 0,1, 0,2 oder 0,3 Prozentpunkte, muss seriös gerechnet werden, wenn alle Daten vorliegen.

Die vereinbarte Durchforstung der Arbeitsmarktinstrumente liegt derzeit auf Eis?

Scholz
: Welche Instrumente man zusammenfassen und reduzieren soll, ist in Regierung und Fraktionen klar. Diskutiert wird noch über den Rechtsanspruch für Arbeitslose, den Hauptschulabschluss nachholen zu können. Das halte ich für dringend notwendig. 500 000 Arbeitslose sind ohne Schulabschluss. Fast alle sind Langzeitarbeitslose. Wir müssen ihnen eine Chance geben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in der Koalition jemand das verhindern will.

Was erwarten Sie von der Wirtschaft?

Scholz
: Die Wirtschaft muss ausbilden. Wer heute nicht ausbildet, darf sich morgen über Fachkräftemangel nicht beklagen. Die Regierung wird den Zuzug akademisch qualifizierten
Nachwuchses aus dem Ausland erleichtern. Dann haben wir an dieser Stelle keine Probleme mehr. Aber für Tätigkeiten, die durch eine betriebliche Berufsausbildung erlernt werden können, gilt etwas anderes. Es ist gaga, wenn man Lehrlinge aus dem Ausland holen will, während junge Leute in Deutschland händeringend einen Ausbildungsplatz suchen. Wir helfen der Wirtschaft gerne. Aber sie muss ihren Beitrag leisten.
  
Themenwechsel - zur SPD. Wie fasst die Partei wieder Tritt?


Scholz
: Die Führung und die ganze Partei hält zusammen. Und wir vertreten unsere Überzeugungen selbstbewusst. Im Übrigen: Obwohl wir unser Potenzial derzeit nicht ausschöpfen, profitiert die Union nicht. Wir haben also alle Chancen.

Welche Rolle kann Franz Müntefering spielen?

Scholz
: Franz Müntefering ist ein bedeutender SPD-Politiker. Er wird der SPD helfen.

Das Gespräch führte Christoph Slangen