Sehr geehrter Herr Schubert-Raab,
sehr geehrter Regierender Bürgermeister Wegner,
sehr geehrte Frau Bundesministerin, liebe Klara,
meine Damen und Herren,
Carl Legien war ein Handwerker. Er war einer, der sich hochgearbeitet hat, vom einfachen Drechslergesellen zu einem der wichtigsten Gewerkschaftsführer des vergangenen Jahrhunderts. Seinen Namen kennen heute nicht mehr viele. Aber ein Abkommen ‑ darüber wurde eben schon gesprochen ‑ ist in Erinnerung geblieben, das er 1918 zusammen mit dem Großindustriellen Hugo Stinnes unterschrieben hat, Legien als Verhandlungsführer der Gewerkschaften, Stinnes als Vertreter der Unternehmen.
Das Stinnes-Legien-Abkommen markierte den Beginn einer neuen Zeit, weil die Arbeitgeber die Gewerkschaften zum ersten Mal offiziell als gleichberechtigte Tarifpartner anerkannten. Das Abkommen war ein Wendepunkt, der bis heute dafür steht, was Deutschland ausmacht und was Deutschland stark macht: Mitbestimmung und Tarifautonomie, selbstbewusste Partner, die auf Augenhöhe miteinander verhandeln. ‑ Sie sind die Basis unserer sozialen Marktwirtschaft.
Warum erzähle ich das gleich am Anfang? ‑ Weil damals etwas begann, was bis heute weiterwirkt.
Heute ist eben ein Festtag für den Zentralverband Deutsches Baugewerbe, Ihr Festtag, meine Damen und Herren. 35 000 kleine und mittelständische Unternehmen der deutschen Bauwirtschaft sind im ZDB vertreten. Drei Viertel der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe kommen aus dem Handwerk. Ob Holzbau oder Stuck-Putz-Trockenbau, ob Kälte- oder Brandschutz, ob Estrich oder Fliesen verlegt, ob Straßen oder Häuser gebaut werden: Man kann sich darauf verlassen, dass das ordentlich gemacht wird.
Jedes einzelne Handwerk steht für Qualität und für Zuverlässigkeit. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber stärken zusammen mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den sozialen Zusammenhalt, und sie stärken unsere Wirtschaft. Denn immer wieder aufs Neue gelingt es ihnen, vernünftige Lösungen zu finden, von denen beide Seiten profitieren, gerade in schwierigen Zeiten.
Was Anfang des vergangenen Jahrhunderts einmal als Frontstellung von Arbeitgebern gegen Gewerkschaften begann, hat sich zu einer Sozialpartnerschaft entwickelt, von der Sie alle, von der wir alle in Deutschland profitieren. Die Verbände des Baugewerbes sind dabei Partner, auf die wir uns alle verlassen können. Dafür sage ich herzlich: Schönen Dank!
In den vergangenen 125 Jahren hat sich in Deutschland eine Menge verändert. Kurz nach der Gründung Ihres Verbandes gab es einen regelrechten Bauboom in Deutschland, rasend schnell wachsende Städte, neue Viertel und Industrieanlagen und ein immer dichteres Schienennetz. Ich erlaube mir die Bemerkung, dass das mit den heutigen rechtlichen Regeln nicht in dem Tempo gelungen wäre.
Nach dem Zweiten Weltkrieg lag das Land in Trümmern. Es folgten Wiederaufbau und Wirtschaftswunder. Mit aller Kraft bauten unsere Eltern und Großeltern dieses Land wieder auf. Die Bevölkerung wuchs und mit ihr die Nachfrage nach bezahlbaren Wohnungen. Die Lebenserwartung stieg, auch der Wohlstand, und mit diesem Wohlstand entstand der Wunsch nach größeren Wohnungen.
Das ist bis heute so. Denn dass Deutschland schrumpfe, war eine Fehlprognose, die uns viel zu lange begleitet hat. Dass unsere Städte schon zu Ende entwickelt seien, auch das war eine Fehlprognose. Alle, die uns das voraussagten, haben sich komplett verrechnet. Wir haben heute viele wachsende Städte und Orte, an denen Familien, an denen viele Menschen zusammenkommen, arbeiten und leben wollen. Dafür brauchen wir in Deutschland viele, viele zusätzliche und vor allem bezahlbare Wohnungen.
Ich habe das mit dem Taschenrechner selbst einmal nachgerechnet ‑ ehrlicherweise muss ich sagen: auf dem Handy ‑: Eine vierköpfige Familie zahlt in einer 70-Quadratmeter-Wohnung heute im Schnitt 600 Euro Miete. Das sind die Bestandsmieten. Die Preise für Neuvermietungen aber ‑ ich will gern glauben, dass sie zwischen 20 und 25 Euro pro Quadratmeter liegen, wenn keine Förderung einfließt ‑ heißen, dass diese vierköpfige Familie 1000 Euro mehr im Monat zahlen müsste. Dann ist doch klar, dass die vielen normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land auch mehr verdienen müssten, wenn es sonst keine Aktivitäten gibt, ob Krankenschwestern oder Polizisten, Arbeiter oder die Handwerkerinnen und Handwerker. Gerade die, die diese Häuser bauen, sind die arbeitende Mitte unseres Landes, und die arbeitende Mitte muss sich doch die Miete leisten können.
Als Bundesregierung setzen wir dabei vor allem auf drei Wege: Wir investieren, wir fördern, und wir machen Tempo. ‑ So viel wie jetzt hat der Bund noch nie in den Bau von bezahlbarem Wohnraum investiert. Über die KfW ergänzen wir die Kreditförderung für Familien und den klimafreundlichen Neubau, zum Beispiel mit einem Programm, das speziell den Bau von kleineren Wohnungen anstoßen soll. Dazu wird Klara Geywitz sicherlich gleich noch mehr sagen.
Mit dem Wachstumschancengesetz werden wir nochmals erleichterte Abschreibungsmöglichkeiten für den Wohnungsbau schaffen. Das Paket liegt zwar immer noch im Bundesrat, aber, Herr Regierender Bürgermeister, wir beide sind zuversichtlich, dass es uns gelingen wird, dass es in veränderter Form jetzt beschlossen wird. Wichtig ist, dass wir damit ein Zeichen setzen, dass Unternehmen den Impuls bekommen, mehr in unserem Land zu investieren.
Dazu kommt der Deutschlandpakt. Bei der Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung werden Bund und Länder eine Menge Bürokratie abbauen und die Wirtschaft entlasten. Viele Wirtschaftsverbände waren eng beteiligt. Auch deshalb wird der Deutschlandpakt echte Verbesserungen bringen. Über 100 Einzelvorhaben werden jetzt in großem Tempo durchgesetzt, damit Deutschland schneller wird und mit dem Tempo vorankommt, das notwendig ist.
Dazu kommt auch noch das Bürokratieentlastungsgesetz, das der Justizminister gerade vorgestellt hat und das wir im Kabinett beschlossen haben. Auch das wird unsere Wirtschaft um Milliarden entlasten.
Außerdem ist es, wie ich finde, höchste Zeit, dass wir unsere Vorbehalte dagegen überwinden, auch neue Stadtteile zu bauen. In den nächsten Jahren entstehen an vielen Orten in Deutschland ganz neue Stadtteile, die den Druck aus dem Wohnungsmarkt herausnehmen, in Hamburg, München und Köln, aber auch in Augsburg, Duisburg und in Freiburg. Dort war ich zum Beispiel Ende Februar beim Spatenstich für den neuen Stadtteil Freiburg-Dietenbach. Mich hat beeindruckt, wie ein junger Oberbürgermeister mit seiner Stadt vorangeht und das Problem beim Schopf packt. 16 000 Freiburgerinnen und Freiburger werden hier ein neues Zuhause finden. Die Hälfte der Wohnungen wird öffentlich gefördert. Ich bin davon überzeugt, dass wir viele Dietenbachs in Deutschland brauchen.
Zugleich ist es wichtig, dass wir nicht das eine tun und das andere lassen. Beides muss parallel stattfinden, Neubau und Nachverdichten, mehr Bauland ausweisen und Innenentwicklung, Umbau und Aufstocken. Das alles werden wir zusammen mit den Ländern erleichtern, damit Wohnungen näher an Gewerbe herangebaut werden können, damit keine teuren Extrastellplätze für Autos mehr nötig sind, wenn Häuser umgebaut werden oder ein neues Dachgeschoss bekommen. Es gibt unglaublich viele Vorschriften, die man vereinheitlichen, vereinfachen und sogar abschaffen kann. Unser gemeinsames Ziel lautet, Bauen schneller, einfacher und billiger zu machen. Die Bauministerinnen und Bauminister der Länder und Klara Geywitz durchforsten dafür akribisch alle Vorschriften. Etliches haben sie schon auf den Weg gebracht, was die Kosten senkt und das Bauen unbürokratischer möglich macht.
Als Nächstes brauchen wir einen Durchbruch des seriellen Bauens. Dabei reden wir nicht über Plattenbausiedlungen alter Machart, auch wenn das manche gerne behaupten. Serielles Bauen heißt einfach, dass die Grundstruktur eines Hauses immer wieder gebaut werden kann, wenn sie einmal genehmigt worden ist, am besten sogar bundesweit. Ja, wir sind ein föderaler Staat, aber wir können auch aufeinander vertrauen. Wenn die Feuerpolizei und die Baubehörde eines Landes einen Typ genehmigt hat, dann können doch 15 weitere Länder denken: „Das geht auch bei uns; das wird schon richtig sein“, damit man nicht jedes Mal von vorn anfängt, mit den irren Kosten, die das jeweils bedeutet. So sparen wir nicht nur eine Menge Geld, sondern, was jetzt ja auch wichtig ist, auch eine Menge Zeit. Treiben Sie das bitte mit voran, meine Damen und Herren! Denn es ist doch klar: Wenn die Kosten im Wohnungsbau wieder stimmen, wenn mehr und schneller gebaut wird, dann profitieren am Ende alle davon.
Noch ist die Lage gerade im Wohnungsneubau nicht so wie in den anderen Bereichen im Hochbau, bei der Gebäudesanierung und im Tiefbau. Aber vieles spricht dafür, dass sich der Wohnungsbau jetzt stabilisieren könnte. Die Inflation ist deutlich gesunken. Mit ihr sinken auch die Bauzinsen. Unser Arbeitsmarkt ist bemerkenswert robust. In Deutschland sind so viele Frauen und Männer beschäftigt wie noch nie, im Baugewerbe mit über 2,6 Millionen so viele wie seit 20 Jahren nicht. Dank steigender Löhne wächst auch die Kaufkraft, und die Baupreise könnten nach Jahren der Steigerung in diesem Jahr endlich wieder sinken. Die Baumaterialien ‑ nicht alle, aber viele ‑ sind schon wieder günstiger geworden.
Ich habe es schon gesagt: Wir fördern, wir investieren, und wir machen Tempo, aber nicht nur bei den Wohnungen, sondern auch bei den Windrädern und Solarparks, bei Brücken und Straßen und bei sauberen Kraftwerken. Für ein modernes und fortschrittliches Land brauchen wir eine Infrastruktur, die zuverlässig und einwandfrei funktioniert. Das gilt für die Energiewende, für die Wärmewende und auch für die Modernisierung von Schienen, Straßen und Brücken. Von den enormen Investitionen soll besonders die Bauwirtschaft profitieren, und zwar dauerhaft. Allein in diesem Jahr investiert die Bundesregierung über 26 Milliarden Euro in die Verkehrsinfrastruktur, vor allem in Schienen und Brücken.
Aber mindestens genauso wichtig ist, dass jetzt wirklich mit Deutschlandtempo losgelegt wird. Deshalb sind Bauprojekte, die unsere Volkswirtschaft voranbringen, seit dieser Legislaturperiode von ‑ das ist ein Rechtsbegriff ‑ überragendem öffentlichen Interesse. Das war ein Durchbruch. Denn jetzt geht es einfacher mit voller Kraft voran. Nach vielen Jahren des Zögerns bauen wir die nachhaltige Energieversorgung unseres Landes auf und aus. Darauf können sich die Unternehmen, darauf können sich die Bürgerinnen und Bürger verlassen. Wie bei Ihnen steht auch bei uns ganz oben auf der Agenda: Deutschland braucht bezahlbare und sichere Energie. ‑ Genau dafür sorgen wir mit ebendiesen Investitionen, die im großen Umfang stattfinden.
Genauso wichtig wie bezahlbare und sichere Energie sind die Frauen und Männer, die wissen, wie man Häuser, Straßen, Brücken, Kraftwerke und Windräder baut, die Handwerkerinnen und Handwerker in diesem Land. Sie sind diejenigen, die die Zukunft bauen. Vor zwei Wochen habe ich zum Münchner Spitzengespräch die Vertreter von BDA, BDI, DIHK und ZDH getroffen. Allen war klar, dass das wichtigste Wachstumshemmnis für Deutschland heute und in den nächsten Jahren ein möglicher Arbeitskräftemangel ist. Die gute Nachricht dabei lautet: Die große Herausforderung heißt heute nicht mehr Arbeitslosigkeit. ‑ Die weniger gute Nachricht lautet: Auch Arbeiterlosigkeit ist ein Problem. ‑ Sie ist ein Problem, das wir lösen müssen und das wir lösen werden, wenn wir an einem Strang und in die gleiche Richtung ziehen.
Frühzeitige Berufsorientierung an den Schulen hilft, damit weniger Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss die Schule abbrechen und damit mehr eine gute Orientierung haben. Jugendberufsagenturen helfen, damit diejenigen, die eine Ausbildung suchen, auch mit den Unternehmen zusammenkommen.
Ein paar der jungen Handwerker, die im Nationalteam Deutsches Baugewerbe bei den EuroSkills im vergangenen Jahr angetreten sind, habe ich eben kurz treffen können. Sie haben gezeigt: Deutschland ist spitze. ‑ Sie sind ein Aushängeschild für die hohe Qualität unserer dualen Ausbildung. Sie sind die Botschafterinnen und Botschafter unserer nächsten Fachkräftegeneration. Deshalb von hier aus auch: Viel Erfolg auch bei den WorldSkills 2024 in Lyon!
Wer heute eine Ausbildung beginnt, ein Handwerk lernt und als hochqualifizierte Fachkraft unser Land voranbringt, der findet andere Bedingungen vor als Carl Legien Ende des vorletzten Jahrhunderts. Der Achtstundentag, der Anspruch auf Tarifverträge, die Mitbestimmung durch Betriebsräte, alles, was er und Hugo Stinnes miteinander verhandelten, kommt uns selbstverständlich vor. Damals war es bahnbrechend neu. Es ist gut, dass dieser kluge Weg vor mehr als 100 Jahren eingeschlagen wurde. Wir in Deutschland profitieren noch immer davon. Denn am Ende geht es um ein möglichst gutes Leben für alle, heute genauso wie damals.
Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute und dem Verband noch ein langes Leben und viele Aufgaben!
Schönen Dank.