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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
28.05.2024 | Berlin

Rede anlässlich der Jahresversammlung des Verbandes deutscher Unternehmerinnen (VdU)

ehr geehrte Frau Präsidentin Arbabian-Vogel – geehrt worden sind Sie eben schon durch den umfassenden Applaus; danke für Ihre Arbeit! –,
sehr geehrte Frau Schweizer,
Exzellenzen,
sehr geehrte Unternehmerinnen,
meine Damen und Herren,

am Wochenende haben wir mit einem großen Demokratiefest 75 Jahre Grundgesetz gefeiert. Dass wir diese Verfassung haben, ist keine Selbstverständlichkeit, schon gar nicht, dass sie so kurz nach Diktatur, Krieg und Zerstörung beschlossen wurde, mit einem unmissverständlichen Bekenntnis zur Würde aller Menschen, mit all den Werten und Prinzipien, die unser Land so lebenswert machen. Wir leben in Freiheit, Frieden und Wohlstand, weil wir unser Grundgesetz haben und weil dieses Grundgesetz seiner Zeit voraus war. Das zeigt schon dieser eine Satz: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“

Das war 1949 keineswegs die Beschreibung einer gesellschaftlichen Realität. Ehefrauen durften nur arbeiten, wenn das, wie es damals hieß, mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar war. Nicht einmal die Hälfte der Frauen war in den Nachkriegsjahren überhaupt erwerbstätig, was nicht heißt, dass sie nicht ebenfalls sehr viel gearbeitet haben. Ohne all die Hausarbeit, Sorgearbeit, Erziehungsarbeit, ohne das Trümmerwegräumen wäre das Wirtschaftswunder nie möglich gewesen. Aber diese Arbeit blieb unbezahlt und deshalb auch unsichtbar.

Vor diesem Hintergrund und in dieser Zeit den ersten branchenübergreifenden Interessenverband für Unternehmerinnen zu gründen, war revolutionär. Nicht nur unsere Verfassung war ihrer Zeit voraus, auch Käte Ahlmann war es. Die Gründerin Ihres Verbandes hatte 1931 die Carlshütte bei Rendsburg übernommen, einen der ältesten und größten Industriebetriebe in Schleswig-Holstein. Sie war eine der bedeutendsten Unternehmerinnen des 20. Jahrhunderts und beschäftigte 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und zwar in einer Zeit, in der Frauen in Führungspositionen noch eine absolute Ausnahmeerscheinung waren. Sie wollte, dass sich das ändert. Also gründete sie mit einer Gruppe engagierter Unternehmerinnen in Köln 1954 Ihren Verband. Nach der Wiedervereinigung kam eine ganze Welle von Unternehmerinnen aus Ostdeutschland hinzu. Heute engagieren sich – Sie wissen es besser als ich – 1.800 frauengeführte Unternehmen vor allem aus dem Mittelstand im VdU, die zusammen einen Jahresumsatz in Höhe von 85 Milliarden Euro erwirtschaften.

Aber wenn ich heute den Satz höre: „Wir sind doch längst alle gleichberechtigt“, dann kann ich nur sagen: „Schön wär’s! Und Zeit wäre es.“ Ja, wir sind zum Glück sehr viel weiter als 1949. Aber auch heute beschreibt der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ leider nicht die Realität, dafür umso mehr Anspruch und Auftrag an uns alle.

Deshalb ist es gut, dass sich der VdU bis heute für Gleichstellung stark macht, für mehr Frauen in vermeintlichen Männerberufen, die das ja nur deshalb sind, weil man denkt, dass das, was man da tut, irgendwie vom Chromosomensatz abhinge. Der Verband setzt sich für mehr Frauen in Führungspositionen ein, dafür, dass Gründerinnen und Unternehmerinnen genauso gut an Kapital kommen wie Gründer und Unternehmer. Für Ihren Einsatz und Ihr Engagement sage ich an dieser Stelle deshalb erst einmal vielen herzlichen Dank.

Es ist nicht hinnehmbar, dass die volle Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern im Beruf bis heute keine Selbstverständlichkeit ist. Dabei wissen wir – das ist durch jede Menge Studien und ganz viel praktische Erfahrung hinreichend belegt –: Aufsichtsräte, Vorstände, Geschäftsführungen, Verwaltungen, eigentlich alles funktioniert besser, wenn Führungsaufgaben von Frauen und Männern erledigt werden. Dennoch sind Frauen in Führungspositionen noch immer unterrepräsentiert.

Das gilt auch für den Bund als Staat. Das Ziel der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Bundesverwaltung steht inzwischen im Gesetz, und zwar bis Ende 2025. Das ist nicht weit weg. Mitte 2023 waren wir bei 45 Prozent, also schon ziemlich nahe daran. 50 Prozent bis Ende nächsten Jahres wären wirklich ein starkes Signal. Wir tun alles dafür, dass wir dieses Ziel auch tatsächlich erreichen. Denn das wäre nicht nur ein starkes Signal an alle ambitionierten Frauen, sondern auch an viele Unternehmen und Organisationen, die sich heute immer noch schwertun. Ich bin sicher: Wenn wir das schaffen, dann nur, weil wir uns dieses Ziel gesetzt haben und weil dieses Ziel ein ambitioniertes war.

Kürzlich war ich beim Pharmaunternehmen Merck in Darmstadt. Dort kann man ein Unikum treffen: die einzige weibliche CEO eines DAX-Konzerns. Eine aus 40, das klingt nach Lotterie oder schlechtem Witz. Aber das ist die Realität in Deutschland im Jahr 2024.

Zwar ist der Anteil weiblicher Führungskräfte in der Privatwirtschaft insgesamt in den letzten Jahren angestiegen, aber vor allem dort, wo wir, wie vom VdU schon früh gefordert, mit entsprechenden Gesetzen verbindliche Vorgaben gemacht haben. Seit 2021 gilt ein Mindestbeteiligungsgebot für gut 60 Unternehmen. Das ist verpflichtend. Sie müssen mindestens eine Frau in ihren Vorstand berufen, wenn er aus mehr als drei Personen besteht. Die meisten von ihnen machen das schon. Es soll auch einige gegeben haben, die den Vorstand von drei auf zwei Mitglieder reduziert haben.

Eine viel größere Gruppe von Unternehmen muss für ihre Führungskräfte lediglich selbst ein Ziel festlegen. 53 Prozent dieser Unternehmen geben schlicht eine Null für die Vorstandsebene an. Auch wenn das neuerdings begründet werden muss, hat es niemand schamhaft davon abgehalten, das zu tun. Mit anderen Worten: Da steht keine Frau, überhaupt keine. Das ist ein Armutszeugnis. Das zeigt erstens, dass es Quoten braucht – leider, so muss man ausdrücklich hinzufügen –, und zweitens: Wo verbindliche Quoten gelten, da wirken sie auch.

Frauen Karrierewege zu verbauen, ist aber nicht nur ein demokratiepolitisches und ein gesellschaftliches Problem. Wir können uns das auch als Volkswirtschaft schlicht nicht mehr leisten. Uns fehlen Arbeitskräfte, und zwar an allen Ecken und Enden. Über Jahrzehnte haben wir Wirtschaft- und Arbeitsmarktpolitik mit dem Ziel gemacht, Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Heute fehlt uns nicht die Arbeit, sondern die Arbeiterinnen und Arbeiter. Das heißt, wir müssen besser werden bei der Ausbildung, bei der Weiterbildung, bei der Fachkräfteeinwanderung.

Wir müssen aber unbedingt auch besser werden bei den Beschäftigungsmöglichkeiten junger Eltern und vor allem von Frauen. In kaum einem anderen Land ist die Teilzeitquote gerade bei Frauen so hoch wie in Deutschland. Dass gut ausgebildete Mütter zuhause ihre Kinder betreuen, obwohl sie gerne mehr Stunden in der Woche in ihrem Beruf arbeiten würden, das kann so nicht bleiben. Deshalb sage ich ausdrücklich, wenn darüber geklagt wird, dass nicht genug gearbeitet wird: Da wären neben der Begeisterungsfähigkeit für die Jugend, die nicht nur Yoga machen will, sondern etwas anpacken will, eben auch etwas zu tun, damit wir es hinbekommen, dass es tatsächlich für junge Eltern möglich ist, Beruf und Familie so gut miteinander zu vereinbaren, wie sie das gerne wollen. Dann ergibt die Klage Sinn.

Mit den Ländern haben wir uns deshalb geeinigt, dass sie ab 2026 – ich wiederhole: ab 2026 – flächendeckend in Deutschland die Ganztagsgrundschule einführen. Der Bund unterstützt die Länder dafür auch mit viel Geld, sonst wäre das nicht möglich gewesen. Aber ich kann Ihnen ausdrücklich sagen: Das waren echt harte Verhandlungen! Es gab großen Krach, immer wieder Gespräche, und die frühere Kanzlerin und ich haben die Verhandlungen ganz intensiv geführt, bis wir dann zu einem Ergebnis gekommen sind, das jetzt so aussieht, dass es mit der ersten Grundschulklasse 2026 beginnen wird.

Es gibt Länder in Deutschland, in denen das längst der Fall ist, aber es gibt auch Länder in Deutschland, in denen das gar nicht der Fall ist. Wir müssen uns wohl auf diesen langwierigen Prozess einlassen, der manchen Eltern heute nichts mehr nützen wird, weil wir sonst nicht zu Potte kommen. Aber wer sich wie die meisten hier ja auch ein bisschen im Ausland auskennt und andere Schulsysteme anderer Länder sieht, der weiß: Wir sind da schon ein Sonderfall, und es ist wichtig, dass wir diese Sonderstellung beseitigen und mehr Ganztagsangebote in Deutschland haben.

Ein zweiter Punkt, an dem wir ansetzen: Frauen gründen bislang seltener Unternehmen als Männer. Derzeit liegt der Anteil der Gründerinnen bei 37 Prozent, bei Start-up-Gründungen noch darunter; dort ist nur an jedem fünften Unternehmen eine Gründerin beteiligt. Ein Grund dafür: Frauen haben weniger Zugang zu Wagniskapital. Das ist empirisch ziemlich gut belegt. Sie erhalten seltener Venture Capital, und wenn sie es bekommen, dann ist es weniger als bei ihren männlichen Mitbewerbern. Um Anreize für Gründerinnen zur Start-up-Gründung zu erhöhen, haben wir zum Beispiel die Exist-Förderrichtlinien angepasst. Gemischte Teams werden nun eher gefördert, Hochschulen erhalten für Coaching und Begleitung gemischter Teams mehr Geld, und es gibt mehr Anreize für Professorinnen, die sich als Mentorinnen einbringen.

Wir beobachten außerdem, dass Frauen bei technisch orientierten Gründungen seltener vertreten sind. Damit sich das ändert, setzen wir schon in der Schule an und fördern Mädchen und Frauen in Mint-Fächern, weil es eben noch nie gestimmt hat, dass Mädchen kein Mathe können – hier wissen es ziemlich viele sehr genau –, dass Frauen nichts mit Technik am Hut haben, dass Informatik nur etwas für Männer ist. Auch wenn sich die Gerüchte hartnäckig halten, sie stimmen nicht, und wir tun etwas dagegen.

Natürlich kann der Staat solche gesellschaftlichen Stereotypen nicht allein bekämpfen und einfach wegverordnen. Natürlich sind unsere Förderung und Unterstützung nur ganz kleine Schritte. Aber sie gehen in die richtige Richtung. Denn wir brauchen jede und jeden, die und der hier bei uns mit anpacken will, und wir müssen alles dafür tun, dass das auch möglich wird.

Als Industrieland leben wir von unseren Ideen. Gute Autos und Maschinen bauen inzwischen auch viele andere auf der Welt. Wir wollen trotzdem ganz vorne dran sein, und wir müssen unverändert den Ehrgeiz haben, bessere zu bauen. Es sind Ideen und Innovationen, die gerade dem deutschen Mittelstand auf dem Weltmarkt so oft den entscheidenden Vorsprung verschaffen. Deshalb fördern wir auch den Aufbau von Zukunftstechnologien wie Halbleiter, Batterietechnik, KI und Biowissenschaften in Deutschland, und da ist in den vergangenen Monaten eine Menge passiert. Die ausländischen Investitionsprojekte für Neuansiedlungen sind in Deutschland 2023 um 37 Prozent gestiegen. Ich werde diesen Satz noch hundertmal sagen, bis er das erste Mal in der Zeitung steht. In kaum einem anderen großen Industrieland investieren Unternehmen und Staat so viel in Forschung und Entwicklung wie in Deutschland, und zugleich gehen wir auch an die strukturellen Versäumnisse heran, die unser Wachstum ausbremsen.

Eine moderne Angebotspolitik muss Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen, Bürokratie abbauen, in die Infrastruktur investieren – analog und digital –, für sichere und bezahlbare Energie sorgen und – nicht zuletzt – für genügend gut qualifizierte Arbeitskräfte. Da sind wir dran, und zwar in allen Bereichen, und ich hoffe, dass wir darüber gleich auch gerne noch ausführlicher sprechen können.

Liebe Frau Schweizer, Käte Ahlmann war nicht nur eine erfolgreiche Stahlunternehmerin und die Gründerin dieses Verbandes, sie war auch Ihre Großmutter. Wenn die Unternehmerinnen in den ersten Verbandsjahren bei ihr im Wohnzimmer saßen, haben Sie als junge Abiturientin zugehört. Sie haben erzählt, dass Käte Ahlmann Ihnen mehr über Wirtschaft beigebracht hat, als Sie später während Ihres gesamten Studiums gelernt haben. Aber nicht nur das, Sie hat Ihnen auch Worte mit auf den Weg gegeben, die Sie Ihr Leben lang begleiten. Die möchte ich zum Schluss zitieren, weil sie auf den Punkt bringen, was wir allen Mädchen und jungen Frauen mitgeben sollten: „Man muss wissen, was man kann, und das auch einsetzen. Dann kann man unendlich viel erreichen.“

Verehrte Unternehmerinnen, Sie alle wissen, was Sie können und setzen das ein. Sie sind die Vorbilder, die Ihnen selbst früher vielleicht gefehlt haben. Herzlichen Glückwunsch zu allem, was Ihr Verband in den vergangenen 70 Jahren für unser Land erreicht hat. Machen Sie weiter, bis Anspruch und Wirklichkeit in unserer Gesellschaft nicht mehr auseinanderfallen in dem schönen Satz: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Mich haben Sie dabei an Ihrer Seite. Schönen Dank!