Liebe Frau Dr. Eid,
Exzellenzen,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
verehrte Gäste,
vor allem:
sehr geehrter Herr Professor de Oliveira
und sehr geehrter Herr Dr. Moyo,
fast auf den Tag genau ein Jahr ist es her, dass der Weltgesundheitsorganisation aus Südafrika eine neue Variante des Corona-Virus namens Omikron gemeldet wurde. Wir haben das alles eben schon ausführlich gehört. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, weil hier in Deutschland zu dieser Zeit gerade die Verhandlungen über eine neue Regierungskoalition stattfanden. Die noch amtierende und die sich gerade bildende Bundesregierung suchten damals gemeinsam nach einem Weg, unserem Land eine weitere, heftige Pandemiewelle zu ersparen.
Eine deutsche Boulevard-Zeitung machte in diesen Tagen mit der Schlagzeile auf: „Die Lockdown-Macher“. Gemeint waren damit nicht primär die Politikerinnen und Politiker, sondern Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich für einen vorsichtigen Umgang mit der neuen Virus-Variante ausgesprochen hatten. Im Geheimen seien Knallhart-Maßnahmen von Experten ausgetüftelt worden, so hieß es reißerisch in der Berichterstattung.
Das war natürlich Quatsch. Aber Unterstellungen und Anfeindungen gegen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gab es ziemlich viele. Sie, sehr geehrter Herr Professor de Oliveira, und Sie, sehr geehrter Herr Dr. Moyo, haben das auf erschreckende Weise erfahren. Nach Ihren bahnbrechenden, lebensrettenden Entdeckungen schlugen Ihnen nicht etwa der gebotene Dank und die nötige Hochachtung vor Ihrer wissenschaftlichen Leistung entgegen. Vielmehr wurden Ihnen persönlich die Reisebeschränkungen und Grenzschließungen angelastet, die zahlreiche Staaten nach der Entdeckung neuer Virus-Varianten verhängten – mit gravierenden Folgen für Ihre Länder, deren Tourismus und Wirtschaftskraft.
Es war vielleicht das größte Paradox der Pandemie: Einerseits war das öffentliche Interesse an Forschungsergebnissen nie zuvor so groß. Von „Alpha-Variante“ bis „Zoonose“ gehörten ausgewiesene Fachbegriffe plötzlich zum allgemeinen Sprachgebrauch. Andererseits gab es wohl noch nie eine so große Skepsis, ja, eine so vehemente Ablehnung gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen und gegenüber den Männern und Frauen, die sie uns liefern. Dabei verdanken wir ihnen nicht nur das Wissen über das Virus und seine Varianten. Sondern wir verdanken den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern auch in Rekordzeit entwickelte Impfstoffe, Tests und Medikamente – und damit überhaupt einen Ausweg aus der Pandemie.
Es gehört zu den ganz großen Leistungen, dass sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit nicht von ihrer Arbeit haben abbringen lassen – auch Sie nicht, sehr geehrter Herr Professor de Oliveira, und sehr geehrter Herr Dr. Moyo. Ihrer wissenschaftlichen Exzellenz und Ihrem couragierten Handeln ist es zu verdanken, dass die Beta- und Omikron-Varianten des Corona-Virus frühzeitig entdeckt und gemeldet wurden. So konnte sich die Welt besser vorbereiten. So konnten Menschenleben gerettet werden. Mit Ihnen bekommt der Deutsche Afrika-Preis zwei hochverdiente Träger. Danke für alles, was Sie für unsere Welt in dieser Krise geleistet haben!
Meine Damen und Herren, mit dem Deutschen Afrika-Preis zeichnen wir heute nicht nur zwei hervorragende Wissenschaftler aus. Dieser Preis und die Geschichte seiner beiden neuen Träger gibt uns Anlass, unsere Perspektive auf Afrika zu hinterfragen, eine Perspektive, die oft noch von alten, längst überholten Denkmustern geprägt ist. Dazu gehört die Einteilung der Welt in einen reichen, vermeintlich immer fortschrittlicheren Norden, und einen angeblich armen und bedürftigen, stets hinterherhinkenden Süden. Ich denke, auch mit den heutigen Preisträgern wird deutlich: Afrika hinkt nicht hinterher.
Es ist kein Zufall, dass mit Ihnen, Herr Professor de Oliveira, und mit Ihnen, Herr Dr. Moyo, ein Bioinformatiker und ein Virologe ausgezeichnet werden. Seit Jahren findet auf diesem Gebiet Spitzenforschung in Afrika statt. Auch das ist ein Beweis für den Fortschritt der Staaten Afrikas. Und es ist auch gut für Europa, wenn Afrika seine Ressourcen entfaltet. Schließlich sind keine zwei anderen Kontinente so eng, so schicksalhaft miteinander verbunden wie Afrika und Europa.
Ja, der Kolonialismus hat tiefe Spuren hinterlassen. Davon zeugen die – teils in Unkenntnis, teils in infamer Ignoranz – mit dem Lineal am Reißbrett gezogenen Grenzen afrikanischer Staaten, die Völker und Kulturen zerschneiden. Davon zeugen Ortsnamen und Verkehrssprachen, Städte, Häfen und Verkehrswege, die über Jahrhunderte hinweg letztlich einem Zweck dienten: Afrikas Reichtum möglichst effektiv nach Europa zu schaffen.
Der richtige Umgang mit diesem Erbe kann aus meiner Sicht nur darin bestehen, uns viel differenzierter als bisher, mit viel mehr Neugier, Respekt und ehrlichem Interesse mit unserem engsten Nachbarkontinent zu beschäftigen – ein Kontinent, der von Tunis bis zum Kap der Guten Hoffnung, von Dakar bis zum Horn von Afrika ja ein Kaleidoskop völlig unterschiedlicher Völker, Sprachen und Kulturen, Geschichtsverläufe, sozialer und politischer Organisationsformen ist. Man sollte meinen, gerade wir Europäer sollten dafür ein ganz besonderes Verständnis haben – schließlich gleichen sich Afrika und Europa auch in dieser Vielschichtigkeit und Vielstimmigkeit mehr als andere Kontinente.
Ich weiß, liebe Uschi Eid, für dieses Verständnis werben Sie und die Deutsche Afrika-Stiftung jeden Tag mit vollem Einsatz und Engagement. Dafür auch an dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön!
Meine Damen und Herren, die Welt des 21. Jahrhunderts wird keine Welt mit nur einem oder zwei starken Machtzentren sein. Sie wird multipolar sein: eine Welt, in der auch Afrika aufgrund seiner Demografie, seiner wachsenden Wirtschaftskraft, seines – durch die Vielzahl der Länder und Staaten – großen Einflusses im multilateralen Gefüge und seiner kulturellen Bedeutung zu einem globalen Gravitationszentrum wird.
Auch andere haben diesen Bedeutungszuwachs Afrikas längst erkannt – und nutzen ihn auf ihre Weise, etwa wenn man Investitionen aus China oder militärische Aktivitäten aus Russland betrachtet. Das aber ist natürlich nicht, worum es geht. Deshalb war es mir ein großes Anliegen, früh in meiner Amtszeit – Sie haben freundlicherweise darauf hingewiesen – den Kontakt mit afrikanischen Kolleginnen und Kollegen zu suchen und gleich nach Niger, Senegal und Südafrika zu reisen. Darum habe ich den Vorsitzenden der Afrikanischen Union und den Präsidenten Südafrikas zum G7-Gipfel nach Deutschland eingeladen. Und deshalb habe ich mich während der VN-Generalversammlung und ganz besonders intensiv auch in den vergangenen Wochen – bei der Klimakonferenz in Ägypten und beim G20-Gipfel in Bali – mit meinen afrikanischen Kollegen ausgetauscht.
Dass vom G20-Gipfel ein so starkes Signal der Geschlossenheit gegen Russlands Angriff auf die Ukraine ausging, der zugleich ein Angriff auf fundamentale Prinzipien der UN-Charta ist, war auch ein Ergebnis dieser engen Abstimmung zwischen Afrikanern und Europäern. Darin spiegelt sich übrigens eine weitere Gemeinsamkeit zwischen unseren beiden Kontinenten: Wir gehören nicht zu denen, die für sich allein groß und mächtig genug sind, um in einer regellosen Welt zurechtzukommen. Deshalb müssen wir all unsere Energie darauf richten, die Stärke des Rechts gegenüber dem Recht des Stärkeren zu verteidigen und darüber hinaus neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit entwickeln.
Wenn ich von einer schicksalhaften Verbindung zwischen Afrika und Europa spreche, dann geht es mir daher nicht nur um unsere Vergangenheit und Gegenwart. Ich denke an eine echte afrikanisch-europäische Zukunftspartnerschaft, deren erste Konturen wir beim Gipfel zwischen Afrikanischer und Europäischer Union im Februar umrissen haben. Auf der Suche nach gleichgerichteten Interessen, die eine solche Partnerschaft ausmachen, wird man schnell fündig. Da ist natürlich das Feld, auf dem sich unsere beiden heutigen Preisträger bewegen: Pandemien wie Covid sind nur ein Beispiel dafür, dass sich all die großen globalen Krisen unserer Zeit nur gemeinsam lösen lassen. Schließlich hat das Virus trotz aller Eindämmungsmaßnahmen vor keiner Landesgrenze Halt gemacht.
Im Umgang mit Corona wird auch deutlich, wie sehr wir Europäer von den Erfahrungen Afrikas profitieren können. Kaum eine andere Region der Welt kann auf so viel Erfahrung mit Impfkampagnen zu Infektionskrankheiten zurückblicken wie Afrika. Umgekehrt haben wir gemeinsam mit der Afrikanischen Union, mit der EU und mit dem Unternehmen BioNTech dafür gesorgt, dass zum Beispiel in Südafrika oder Ruanda neue mRNA-Impfstoffe produziert werden können. Zugleich ist Deutschland zweitgrößter Unterstützer der internationalen Impfkampagne, in deren Rahmen inzwischen auch Millionen Menschen in Afrika geimpft werden.
Dieser Ansatz – afrikanische und europäische Interessen in gemeinsames Handeln umzumünzen – lässt sich auch auf andere Felder übertragen. Unsere allzu große Abhängigkeit von Energie aus Russland hat uns Deutschen doch gezeigt, wie elementar wichtig vielfältige Liefer- und Handelsbeziehungen sind.
Afrika mit seinen großen Rohstoffvorkommen und seinem riesigen Potenzial an erneuerbaren Energien und bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff, der Energie der Zukunft, ist unser Wunschpartner, wenn es um Diversifizierung und den Weg in eine klimaneutrale Zukunft geht. Und europäische Unternehmen, die auf Nachhaltigkeit und menschenwürdige Produktionsbedingungen Acht geben, können vor Ort in Afrika für Wertschöpfung und gute Arbeitsplätze sorgen.
Afrika ist zudem der jüngste und der am schnellsten wachsende aller Kontinente. Wenn es uns gelingt, Afrikas Jugend gut auszubilden, dann bringt das unglaubliche Entwicklungschancen – zuallererst natürlich in Afrika selbst, aber auch für ein alterndes Europa, das schon heute auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen ist. Sicherheit für unsere beiden Kontinente lässt sich aus meiner Sicht ohnehin nur im afrikanisch-europäischen Schulterschluss schaffen. Zu sehr ist hier unser Schicksal verknüpft, etwa auch, wenn es um Geißeln wie den Terrorismus, Drogenhandel oder organisierte Kriminalität geht. Die nationale Sicherheitsstrategie, an der wir zurzeit arbeiten, wird das widerspiegeln.
Und wenn ich von Sicherheit spreche, dann schließt das Nahrungsmittelsicherheit, aber zum Beispiel auch Rohstoffsicherheit ein. Nicht zuletzt arbeiten wir an einer immer tieferen politischen und wirtschaftlichen Integration unserer Kontinente. Dafür stehen die Europäische und die Afrikanische Union. Europa hat allergrößtes Interesse, den Weg hin zu einer transkontinentalen afrikanischen Freihandelszone mit aller Kraft zu unterstützen. Und unsere Unternehmen kann ich nur auffordern, von Anfang an die Chancen zu nutzen, die diese visionäre Entwicklung birgt.
Meine Damen und Herren, eine afrikanisch-europäische Zukunftspartnerschaft, die aus gleichgerichteten Interessen gemeinsames Handeln macht, entsteht natürlich nicht allein auf Regierungsebene. So wichtig Absprachen zwischen Staaten sind -persönliche Begegnungen zwischen unseren Gesellschaften – in der Kultur, in der Wissenschaft oder der Wirtschaft – können sie nicht ersetzen. Auch deshalb sind wir heute Abend hier. Auch für solche Begegnungen steht der Deutsche Afrika-Preis.
Herr Professor Oliveira und Herr Dr. Moyo, Sie sind uns Inspiration und Ansporn, den Blick zu weiten, alte Denkmuster zurücklassen und neue Partnerschaften zu suchen. Ich gratuliere Ihnen herzlich zum Deutschen Afrika-Preis 2022!