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06.07.2008

"Wir brauchen mehr Ältere in den Unternehmen" - Interview in der Welt am Sonntag

Welt am Sonntag: Herr Minister, die Arbeitslosenzahlen sinken. Können die steigenden Energie- und Rohstoßpreise dennoch zu einer Gefahr für den Arbeitsmarkt werden?

Olaf Scholz: Sicher wirkt sich auch die Weltkonjunktur auf uns aus. Aber aufgrund der sozialdemokratischen Reformpolitik ist unsere Wirtschaft stabil genug, das auszuhalten. Im Übrigen haben wir, beginnend mit Helmut Schmidt und vor allem in den letzten zehn Jahren, die Energieeffizienz in Deutschland stetig erhöht. Das ist eine der Grundlagen unserer robusten Konjunktur.

Wenn das so ist, könnten Sie doch den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung weiter von 3,3 auf 3,0 Prozent senken, oder?

Scholz: Ich halte nichts von abstrakten Diskussionen. Im September werden wir die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben der Bundesagentur einschätzen und prüfen, welche Spielräume für eine weitere Beitragssenkung bestehen. Noch fehlen die Daten für eine seriöse Entscheidung.

Zwar haben wir weniger Arbeitslose, doch die Zahl derer ohne irgendeine Ausbildung ist beängstigend hoch.

Scholz: Ja, zu hoch: 500 000 Arbeitslose haben keinen Schulabschluss, die Hälfte der Langzeitarbeitslosen ist ohne Berufsabschluss. Wir müssen also dafür sorgen, dass alle einen Schulabschluss haben. Darum setze ich mich dafür ein, dass jeder lebenslang das Recht hat, seinen Hauptschulabschluss nachholen zu können.

Muss dann etwa eine Reinigungsfirma ihren Fensterputzer für die Zeit des Schulbesuchs freistellen?

Scholz: Der von mir vorgeschlagene Rechtsanspruch richtet sich an Arbeitslose. Ich fände es aber gut, wenn diese arbeitsmarktpolitische Reform eine bildungspolitische Debatte darüber auslöste, ob nicht jeder jederzeit einen allgemeinen Bildungsabschluss nachholen können sollte. Das wäre ein Signal an alle, dass man mit eigener Leistung sein Leben verbessern kann und dass man dabei nicht wie heute auf unüberwindbare Hürden stößt.

Bilden die Betriebe heute genügend junge Leute aus?

Scholz: Weil die Zahl der Schulabgänger sinkt, ist das Lehrstellenangebot in diesem Jahr wohl erstmals größer als die Zahl der Bewerber. Aber auch nur deshalb. Die ganze Wahrheit ist, dass es eine große Zahl von Altbewerbern gibt, die nach wie vor keine Chance bekommen. Uns fehlen pro Jahr 100 000 bis 200 000 Ausbildungsverträge. Vor diesem Hintergrund ist es unverantwortlich, von Ausbildungsunfähigen zu sprechen. Wir dürfen niemanden aufgeben.

Also tut die Wirtschaft zu wenig?

Scholz: Viele tun zu wenig. Den Mangel an Fachkräften mit einer normalen Berufsausbildung können wir schnell beheben, indem wir diejenigen, die dazu bereitstehen, ausbilden. Darum müssen wir mit den Ländern eine gemeinsame Kraftanstrengung für eine bessere Qualifizierung von jungen Leuten hinbekommen. Wir müssen mit den Ländern über Schulabbrecher reden, über die Zahl der Ausbildungsverträge und über die Durchlässigkeit unseres Bildungssystems.

Über Letzteres redet die SPD seit Jahrzehnten. Dennoch studieren in Deutschland weniger Arbeiterkinder als in anderen Ländern.

Scholz: Trotz unserer Erfolge, trotz gestiegener Akademiker- und Studentenzahlen, trotz des Ausbaus der Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen ist die Durchlässigkeit des Bildungssystems immer noch Thema. Zum Beispiel ließe sich der Mangel an Ingenieuren schnell beheben, wenn wir denjenigen, die eine Lehre und drei Jahre Berufserfahrung oder die einen Meisterbrief haben, den Hochschulzugang ermöglichen. Ich möchte, dass in den Hochschulgesetzen aller 16 Länder steht: Wer einen Meister hat, der darf studieren.

Die SPD hat vorgeschlagen, die Erwerbsminderungsrente für all jene zu erhöhen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht bis 67 arbeiten können. Was halten Sie davon?

Scholz: Wir haben dafür gesorgt, dass die Finanzen unserer Rentenversicherung wieder stabil sind. Darum können wir heute sagen, dass der Beitrag zur Rentenversicherung von heute 19,9 Prozent im kommenden Jahrzehnt nicht überschritten wird. Diesen Erfolg sollten wir nicht gefährden. Wir setzen auf Aktivierung und Vermittlung in Arbeit. Das war die richtige Grundentscheidung der Reform der Erwerbsminderungsrente. Daran halten wir fest. Und: Wir müssen uns Gedanken machen über Arbeitsbedingungen, die es allen ermöglichen, lange erwerbstätig zu sein.

Sie wollen also den Dachdecker, der nicht mehr aufs Dach kann, im Büro beschäftigen?

Scholz: Wir müssen altersgerechtes Arbeiten möglich machen. Wir brauchen mehr Ältere in den Unternehmen. Keiner glaubt, dass man mit Anfang 60 noch arbeiten kann, wenn er keinen kennt, der das tut. Klar ist: Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland wird sinken, daher werden wir alle brauchen.

Weder die Rente mit 67 noch die Hartz-Reformen sind bei SPD-Anhängern beliebt. Sie haben der Partei sogar geschadet.

Scholz: Nein, im Gegenteil. Die meisten, die in Betracht ziehen, SPD zu wählen, wollen von uns eine pragmatische Politik.

Die Umfragen sagen etwas anderes.

Scholz: Die Umfragen sind nicht gut. Aber jetzt ist keine Wahl. Ich bin überzeugt, dass am Wahltag ausreichend viele Bürger eine Partei wählen, die für den Sozialstaat eintritt und Wirtschaftskompetenz hat. Und das sind wir.

Sie sagen sich also: Wir machen die richtige Politik. Jetzt müssen wir nur noch daraufwarten, bis es die Menschen begreifen.

Scholz: Nein, das ist nicht meine Haltung. Wir sind an einem Punkt, an dem alle die Erfolge der Agenda 2010 sehen. Wir können selbstbewusst sagen: Das waren wir! Und wir müssen nun die nächsten Aufgaben wie bessere Bildungs- und Ausbildungschancen anpacken. Wir müssen dafür sorgen, dass jeder durch eigene Anstrengung sein Leben verbessern kann.


Das Gespräch führten Günther Lachmann und Andreas Thewalt