Sehr geehrte Frau Löwisch,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Söder,
liebe Schülerinnen und Schüler der DJS,
liebe ehemalige DJSler,
meine Damen und Herren!
Ein Geständnis vorweg: Mein Tag beginnt mit einer Zeitung. Und zwar am liebsten auf Papier. Und er endet auch mit der Zeitung, die Online-Ausgaben kann ich ja schon abends auf dem Tablet lesen. Ich lese nicht nur den Politikteil, sondern fast alles. Denn das ist ja das Beste an einer gut gemachten Zeitung: Nicht nur das bestätigt zu sehen, was man schon weiß, sondern zu entdecken, worauf man noch nicht gestoßen ist.
Wenn also jemand fragt: Wofür brauchen wir Zeitungen, Zeitschriften, Radio, Podcasts, Talkshows oder Nachrichtensendungen, wo doch jede Information im Internet zu finden ist – noch dazu umsonst?
Wofür brauchen wir noch Journalistinnen und Journalisten, wo doch jede und jeder mit dem Handy Videos aufnehmen kann und sie online stellen kann? Wo KI wissenschaftliche Aufsätze schreiben und Nachrichten passgenau auf die Vorlieben des Empfängers zuschneiden kann?
Dann antworte ich: Wir brauchen Sie als Orientierung! Damit wir nicht versinken – in einem Meer aus Informationen und Desinformationen.
Wir brauchen Sie vor allem jetzt. Denn gesicherte Informationen sind absolut essenziell für die politische Debatte – und für die öffentliche Debatte erst recht. Deshalb ist es ein Problem, wenn einige behaupten, dass „die Politik“ und „die Medien“ zu ein und derselben Sauce gehörten.
Dabei ist ja genau das Gegenteil richtig: Kritische Distanz halten zu denen, über die sie berichten, das zeichnet gute Journalistinnen und Journalisten aus. Eine Distanz, die den Blick weitet und das unabhängige Urteil schärft. Als Politiker sage ich: Das respektiere ich und das schätze ich. Denn ich glaube, diese kritische Distanz ist ein wesentlicher Bestandteil guter Berichterstattung, wie sie hier an der DJS seit 75 Jahren gelehrt wird.
Aber zurück zur Sauce. Ich glaube, es geht da um Entfremdung. Ein Gefühl der Entfremdung gegenüber vermeintlichen und tatsächlichen Eliten, zu denen Politik und Journalismus gleichermaßen gezählt werden.
Für die Politik kann ich sagen: Sie ist daran nicht immer ganz unschuldig. Wenn persönliche Ambitionen das Ringen um inhaltliche Lösungen überlagern; wenn die schnelle Schlagzeile wichtiger scheint, als das Webersche „Bohren harter Bretter“; wenn Streit nicht der Sache dient, sondern der eigenen Profilierung – dann wenden sich Bürgerinnen und Bürger schnell mal kopfschüttelnd ab.
Und dann verführt die Politik den Journalismus, nicht über die Sache selbst zu berichten, sondern über die Performance, über Typen und Egos, Gewinner und Verlierer. Journalismus beschränkt sich dann auf Theaterkritik.
Nun soll es aber heute einmal nicht um den Blick der Medien auf die Politik gehen, sondern umgekehrt, um den Blick eines Politikers auf den Journalismus und die Medien. So jedenfalls verstehe ich die Einladung an mich, diese Festrede zu halten.
Die Frage, die ich mir stelle, und die sicher auch viele von Ihnen beschäftigt: Wie kommt es, dass das Vertrauen „der Öffentlichkeit“ in die deutschen Medien und die Politik seit Jahren abnimmt?
Dabei muss man eigentlich noch eine andere Frage voranstellen. „Was ist eigentlich diese ominöse Öffentlichkeit – wo finde ich die?“ Eins zumindest scheint klar: Die Zeiten, in denen Tagesschau, Wetten dass, Sportstudio oder Tatort das große Lagerfeuer war, um das sich die Nation versammelt hat, die sind allesamt vorbei. Und sie kommen auch nicht wieder. Zu vielfältig sind nicht nur die Angebote und Kanäle. Statt des einen großen Lagerfeuers gibt es heute sehr viele kleinere.
Darauf müssen Politik und Medien gleichermaßen reagieren, wenn sie Öffentlichkeit herstellen und nicht nur schrumpfende Teile davon erreichen wollen. Und ich finde, das muss der Anspruch sein. Denn es ist gefährlich, Teile unserer Gesellschaft aus dem Blick zu verlieren, deren Tag eben nicht mit der Tageszeitung beginnt und mit den Tagesthemen endet. Die keine Lokalzeitung mehr abonnieren.
Nicht umsonst bin ich als Bundeskanzler und auch der Ministerpräsident inzwischen zu finden auf TikTok, Instagram, WhatsApp und X unterwegs oder nehme Fußball-Podcasts auf. Beim Singen und Tanzen mache ich nicht mit, das unterscheidet mich von Markus Söder. Da habe ich eine klare rote Linie gezogen.
Auch viele von Ihnen in den Redaktionen, in den Verlagshäusern und auch an der DJS testen immer wieder neue Formate und Outlets. Dabei stehen Sie dann in mehr oder weniger direkter Konkurrenz zu circa fünf Milliarden Nutzerinnen und Nutzern sozialer Medien weltweit, die posten, Content produzieren, influencen, kommentieren und bloggen.
Der Unterschied aber ist: Sie sind Journalistinnen und Journalisten! Sie geben Orientierung, die wir gerade in den sozialen Medien jeden Tag dringender brauchen. Meine Bitte ist: Nehmen Sie diese Rolle wahr, denn das kann niemand so gut wie Sie. Sie haben die nötige Ausbildung.
Bei aller berechtigten Sorge um die Finanzierung unabhängiger Qualitätsmedien glaube ich aber auch, dass dort künftig noch mehr das Geschäft der Medien zu finden sein wird. Mit relevanten Inhalten lässt sich auch in Zukunft Geld verdienen, davon bin ich zutiefst überzeugt. Auf TikTok präsent zu sein, ist erstmal leicht. Es genügt ein Smartphone, eine App und eine Aktentasche. Aber einen komplexen politischen Inhalt so herunterzubrechen und einen Dreh zu finden, der auch auf dieser Plattform funktioniert, ist ungleich schwieriger.
Einen Podcast aufzunehmen, ist kein Hexenwerk. Aber eine Unterhaltung so zu gestalten, dass sie Substanz hat und nicht nur Geschwätz ist, das ist die hohe Kunst. Eine Kunst, die Sie hier an der DJS gelernt haben oder gerade lernen. Das wird für den Journalismus, davon bin ich überzeugt, in Zukunft noch wichtiger sein. Gleichzeitig aber muss Journalismus besser sein denn je, um oben zu schwimmen im Meer aus Information und Desinformation. Denn es ist ja nicht damit getan, nur neue Kanäle zu bespielen und neue Zielgruppen zu gewinnen. Es geht natürlich auch um die Qualität der Inhalte – das ist und bleibt zentral.
Aus meiner eigenen Erfahrung als passionierter Zeitungsleser kann ich Ihnen sagen: Es gibt sie, die glücklichen Leser-Zeitungs-Beziehungen, auch heute noch. Auch ein Sozialdemokrat kann bei der Lektüre einer Zeitung mit eher konservativer Ausrichtung froh sein.
Sapere aude – den Mut haben, sich des eigenen Verstandes zu bedienen! Kant hat das zum Leitsatz menschlicher Aufklärung erhoben. Aber damit das Selberdenken möglich ist, brauche ich eine Breite an Informationen und einen Ort, wo ich diese finde. Wer gezielt nur nach einer speziellen Nachricht zu einem Thema sucht, der landet bei Google oder ChatGPT. Und wer nur eine Meinung wahrnehmen möchte, im Zweifel die eigene, der landet in der Echokammer des eigenen Milieus.
Der Unterschied zu einer gut gemachten Zeitung oder einer professionellen Nachrichtensendung aber ist, dass ich die dortige politische Tendenz vielleicht nicht toll oder richtig finde. Aber dass ich eben nicht noch woanders hinschauen muss, um das Gefühl zu haben: Ich bin rundum gut informiert. Ich kann mir eine eigene Meinung bilden. Selbst denken. Was medial vorkommt und was nicht – diese Kuratierung – ist deshalb von fundamentaler Bedeutung. Sie strukturiert unsere Welt.
Eine Ihrer Kolleginnen von der ZEIT hat vor einigen Wochen ein Stück darüber geschrieben und das hat mir zu denken gegeben. Sie schrieb darin mit Blick auf die deutschen Medien zu Themen wie Russlands Krieg in der Ukraine oder der Corona-Pandemie: „Suggeriert wird ein Konsens, den es in Deutschland nicht gibt.“
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin überzeugt, Corona-Einschränkungen waren nötig. Sie haben vielen Leuten ihr Leben gerettet. Und Deutschland ist aus gutem Grund der mit Abstand größte Unterstützer der Ukraine in Europa.
Aber auch ich stelle immer wieder fest, dass mir bei Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern im ganzen Land oft völlig andere Fragen gestellt werden als in Interviews. Statt Fragen nach bestimmten Waffensystemen höre ich dort Sorgen vor einer Ausweitung des Kriegs und manchmal auch Fragen, ob unsere Unterstützung nicht schon zu weit geht. Bei Weitem nicht alle, die so denken, sind radikal.
Aber das sind Sorgen, die öffentlich – wenn überhaupt – dann nur als Äußerungen aus dem extremen politischen Spektrum wahrnehmbar sind. Dann aber muss es uns nicht wundern, wenn Leute sich überhört fühlen. Wenn in einer Studie ein Viertel der Befragten sagt: Themen, die mir wichtig sind, werden in den Medien „gar nicht ernst“ genommen. Dann ist das ein alarmierender Befund.
Zwei Vorschläge möchte ich beisteuern, die vielleicht Abhilfe schaffen können.
Erstens: Ich weiß, Sie müssen zuspitzen und vereinfachen, damit komplexe Sachverhalte verständlich bleiben. Das ist nicht nur ihr Job. Das ist absolut notwendig. Aber ich verrate Ihnen vermutlich kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage: Manches gerät mir dann doch zu simpel. In einer Zeit wachsender Komplexität, kann Berichterstattung nicht weniger komplex werden, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren.
Und deshalb mein Appell für mehr Meinungsvielfalt in einem Blatt. Mehr Fakten statt Nudging. Mehr Inhalte statt Kampagnen. Mehr Information statt Haltung. Das täte unserem Land gut.
Zweitens: Um die ganze Breite der Bevölkerung anzusprechen, muss sich auch in den Redaktionen etwas verändern. In den Lokalredaktionen, aber auch in der Hauptstadt.
In Berlin berichten oft Männer über Männer. Die Debatte über Frauen in Führungspositionen hält an – auch in den Verlagen und den Sendern. Es gibt noch immer zu wenig ostdeutsche Stimmen, die deutschlandweit gehört werden. Bei der Vielfalt in den Redaktionen ist, vorsichtig gesagt, noch Luft nach oben.
Wir als Bundesregierung förderten deshalb das Projekt „Stark für Vielfalt“ der Neuen Deutschen Medienmacherinnen und haben auch die Initiative #dukannstjournalismus der DJS unterstützt. Denn nicht alle jungen Leute sind mit deutschen Zeitungen großgeworden, hören morgens den Deutschlandfunk oder schauen abends mit ihren Eltern die Fernseh-Nachrichten.
Aber gerade diese Leute brauchen wir, wenn wir möglichst alle in unserem Land erreichen wollen. Einem Land, in dem 25 Prozent einen Migrationshintergrund haben. Wenn wir Meinungsvielfalt in den Blättern und Sendungen wollen, wenn wir wollen, dass Qualitätsjournalismus eine Zukunft hat. Ich glaube fest an diese Zukunft.
Künstliche Intelligenz kann Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Arbeit unterstützen. Aber sie kann gerade die Guten nicht ersetzen. Einfache Nachrichten schreiben, den Wetter- und Börsenbericht, das mag wohl bald die KI erledigen. Die dpa-Meldung auf acht Zeilen eindampfen.
Aber ausgewogen kommentieren und einordnen, investigativ recherchieren und porträtieren? Wie dieser Beruf geht, das kann man seit 75 Jahren hier an der DJS auf hervorragende Weise lernen. Das ist wichtig, denn die Bürgerinnen und Bürger – und auch ich – wir verlassen uns auf Sie.
Ohne eine freie, unabhängige und vielfältige Presse wird es nicht nur schwierig mit dem Selberdenken. Ohne eine freie, unabhängige und vielfältige Presse gibt es keine Demokratie.
Seit 75 Jahren sorgt die DJS zuverlässig für den besten Nachwuchs unserer freien Presse.
Deshalb sage ich heute nicht nur: Herzlichen Glückwunsch! – Sondern auch: Alles Gute und herzlichen Dank!