arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
22.10.2024 | Berlin

Rede anlässlich des Arbeitgebertag der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA)

Meine Damen und Herren,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
lieber Herr Dulger,

ich freue mich, dass ich heute hier sprechen kann und dass wir miteinander über die großen Herausforderungen diskutieren können, vor denen wir stehen.

2024 ist ein Jahr mit vielen bedeutenden Jubiläen. Wir haben in den letzten Monaten den 75. Geburtstag der Bundesrepublik Deutschland und des Grundgesetzes gefeiert. Die Nato und der Europarat sind 75 Jahre alt geworden. Und gerade jetzt in diesen Herbsttagen jähren sich zum 35. Mal die historischen Ereignisse der Friedlichen Revolution in der DDR. Auch den 60. Geburtstag Ihres Präsidenten haben wir in diesem Jahr im Februar schon gemeinsam gefeiert. Lieber Herr Dulger, es war mir eine Ehre, dass ich bei dieser Gelegenheit sprechen konnte und die Festrede halten durfte. Noch einmal alles Gute zu diesem Jubiläum!

Ebenfalls zum 60. Mal jährte sich im vorigen Monat eine Begebenheit, die stellvertretend für eine besonders folgenreiche Entwicklung in Deutschland steht. Im September 1964 wurde am Bahnhof von Köln-Deutz die Ankunft von Armando Rodrigues de Sá gefeiert. Rodrigues war ein portugiesischer Zimmermann. Und er war im September 1964, übrigens nach den Berechnungen der BDA, der millionste Gastarbeiter, der in die Bundesrepublik kam, um hier zu arbeiten, ein besseres Leben zu finden und um hier zu Wachstum und Wohlstand beizutragen.

Es war damals ein Vertreter des Arbeitgeberverbandes der Metallindustrie, der Herrn Rodrigues begrüßte mit einem Strauß Nelken, einer Ehrenurkunde und einem Moped, Modell Zündapp Sport Combinette. Genau dieses Moped ist heute in Bonn im „Haus der Geschichte“ ausgestellt und dort zu besichtigen. Es wird dort ausgestellt, weil es eine Entwicklung bebildert, die ganz entscheidend für das Wirtschaftswunder der jungen Bundesrepublik in den 50er und den 60er Jahren war. Insgesamt etwa 14 Millionen sogenannter Gastarbeiter kamen von 1955 bis 1973 in die Bundesrepublik. Viele von ihnen kehrten später zurück in ihre Heimat. Aber noch viel mehr sind geblieben, und zwar zum Glück für unser Land. Es ist völlig klar: Ohne diese millionenfache Zuwanderung, ohne diesen millionenfachen Zuzug von Arbeitskräften aus allen Ländern wäre das deutsche Wirtschaftswunder nicht möglich gewesen.

Mit dieser Feststellung sind wir aber auch mitten in der Gegenwart. Wie schon 1964 besteht auch heute wieder ein großer Bedarf an Arbeitskräften. Trotz der wieder leicht ansteigenden Arbeitslosigkeit ist das der große Trend, der uns in diesem Jahrzehnt und wahrscheinlich den nächsten Jahrzehnten am meisten herausfordern wird. Wie damals brauchen wir auch heute wieder einfache, pragmatische Lösungen, um die Nachfrage deutscher Unternehmen nach Arbeitskräften zu decken.

Aber damit hören die Parallelen auch auf. Als Armando Rodrigues 1964 in Köln-Deutz eintraf, brummte die Wirtschaft, rauchten die Schlote und betrug das Wachstum in Deutschland 6,7 Prozent. Angeworben wurden ausländische Arbeitskräfte damals natürlich vor allem, um einfache körperliche Tätigkeiten in Industrie und Gewerbe zu verrichten. In den Jahren dieses Wirtschaftswunders wurden sie benötigt, um die bereits wachsende Wirtschaft weiter in Fahrt zu halten.

Auch heute und in den nächsten Jahrzehnten werden wir wieder zusätzliche Arbeitskräfte brauchen, damit wir all die Herausforderungen bewältigen können, vor denen unsere Volkswirtschaft steht. Wir brauchen sie aber nicht wie 1964, um eine sowieso schon brummende Wirtschaft mit billigen Hilfskräften weiter kräftig unter Dampf zu halten. Unsere aktuelle Lage ist eine völlig andere. Wir leben in einer anderen Welt.

Zum einen – Sie haben darüber gesprochen – hat Russlands furchtbarer Angriffskrieg auf die Ukraine auch unsere Wirtschaft schwer getroffen. Unsere günstige Energieversorgung war auf einen Schlag weggefallen. Gas und Öl wurden zeitweilig massiv verteuert. Dank energischer Maßnahmen haben wir es geschafft, dass es jetzt schon wieder viel besser ist, auch wenn wir noch nicht da sind, wo wir sein wollen. Inflation, steigende Zinsen, geopolitische Konflikte, belastete Lieferketten, das alles hat unser industriell geprägtes und exportorientiertes Land stärker herausgefordert als viele, viele andere. Es trägt auch dazu bei, dass Bürgerinnen und Bürger ihr Geld lieber erst einmal noch zusammenhalten und manche Unternehmen mit den Investitionen abwarten, die notwendig sind. Das Ergebnis haben Sie beschrieben. Die Konjunktur stagniert.

Das wird natürlich noch gefördert, wenn die Stimmung nicht immer zum Besten ist. Wir müssen aus dieser unguten Lage, in der schlechte Zahlen zu schlechter Stimmung führen und schlechte Stimmung zu noch mehr schlechten Zahlen, gemeinsam herauskommen. Deshalb bin ich mit dem schönen Film, den Sie hier zum Eingang gezeigt haben, und auch der Botschaft „Deutschland kann das“ sehr einverstanden. Ja, Deutschland kann das! Wir sind ein starkes Land.

Wir brauchen wieder mehr Wachstum. Und der Kuchen muss größer werden, und zwar für alle. Deshalb hat die Bundesregierung mit der Wachstumsinitiative, über die Sie gesprochen haben, ein sehr umfassendes Paket von Maßnahmen beschlossen, das an den entscheidenden Wachstumsfaktoren ansetzt. Ich will gern sagen: Fast jede Woche beschließt das Bundeskabinett einen Teil dieser Wachstumsinitiative. Und das ist in vielen Fällen auch im Bundestag schon entweder beschlossen oder wird demnächst beschlossen. Wir haben vor, alles bis zum Ende dieses Jahres durchzuziehen, damit man davon ausgehen kann, dass die Dinge kommen, die für das Wachstum unseres Landes wichtig sind.

Es geht dabei um den Abbau überflüssiger Bürokratie. Das ist ein ganz, ganz großes Thema, über das immer viel zu viel gesprochen wird, sodass in den letzten Jahren mehr darüber geredet wurde, als dass Dinge verändert wurden. Wir haben versucht, das zu tun. Ich komme darauf gleich noch zu sprechen.

Es geht darum, unseren Finanzstandort zu stärken. Auch das ist zentral. Auch wenn das nicht das Thema des heutigen Tages ist, will ich doch ausdrücklich sagen: Wir müssen viel dafür tun, dass unser Finanzsystem, dass der Finanzstandort in der Lage ist, das Wachstum mitzufinanzieren. Wir haben in letzter Zeit viele Initiativen gesehen. Aber entscheidend bleibt doch: Der größte Unterschied zwischen den USA und Europa – das trifft Deutschland gemeinsam mit vielen, vielen anderen Ländern – ist, dass die Wachstumsfinanzierung von Unternehmen über Kapitalmärkte hier nicht in gleicher Weise funktioniert wie dort. Es kann nicht sein, dass ein Teil der „unicorns“, die in Europa entstehen, in den USA an die Börse geht, weil die Wachstumsfinanzierung dort einfacher gelingt, übrigens in großen und zahlreichen Fällen mit Geld, das über die dortigen Finanzinstitutionen aus Europa und auch aus Deutschland kommt, um so die hier entstandenen Unternehmen zu finanzieren. Wir müssen dort also einen ganz großen Unterschied machen. Deshalb sage ich auch an dieser Stelle: Es wird eine der zentralen Aufgaben der nächsten Kommission der Europäischen Union, über die Kapitalmarktunion nicht nur zu reden, sondern die entscheidenden Weichen zu stellen, damit das klappt. Den Teil, den wir in Deutschland tun müssen, den machen wir. Es geht um Investitionsanreize, um ein bezahlbares, sicheres und nachhaltiges Energieangebot – heute und in der Zukunft.

Auch deutlich schnellere Genehmigungsverfahren haben wir mit dem Deutschlandpakt bereits möglich gemacht. Das ist vielleicht das am wenigsten bemerkte, aber, was Genehmigungsverfahren und Genehmigungspraxis betrifft, das am weitesten reichende Veränderungspaket, das in den letzten 20 bis 30 Jahren auf den Weg gebracht wurde. Es ist notwendigerweise einer Verständigung zwischen Bund und Ländern entsprungen. Denn – wie ich hier schon einmal gesagt habe –: Es hat Jahrzehnte gebraucht, damit der Bund, die Länder, die Gemeinden und die von Ihnen genannte Europäische Union es gemeinsam erfolgreich geschafft haben, so viele bürokratische Regeln und Hemmnisse für Genehmigungen aufzubauen, sodass wir uns jetzt gemeinsam unterhaken müssen, um diese Bürokratie nicht in Jahrzehnten, sondern in kurzer Zeit wieder abzubauen, damit es schnell geht in Deutschland und damit man weiß, wenn man etwas vorhat, dann kann es auch bald gelingen.

Das alles brauchen wir unbedingt. Und das muss mit voller Kraft weitergehen. Deutschland ist ein Industrieland mit vielen Betrieben des Mittelstandes, mit Handwerksbetrieben, mit Dienstleistungen. Aber es ist ein Land, in dem die Industrie immer eine große Rolle gespielt hat. Als sie in vielen anderen Ländern Stück für Stück abgebaut wurde und viele Theorien darüber entwickelt haben, dass man ja gar keine starke Industrie mehr brauche, ist das in Deutschland anders geblieben. Es ist bis heute anders und muss auch für die Zukunft anders sein. Wir wollen ein weltweit vernetztes, exportierendes, importierendes, mit Direktinvestitionen im Ausland tätiges Land sein. Aber wir selbst wollen ein starkes Industrieland bleiben.

Aber gerade der Industrie macht der Mix aus Modernisierungsdruck, Unsicherheit und Energiekosten, stotternder Weltkonjunktur, hohen Zinsen und kleinteiliger Regulierung besonders zu schaffen. Dauerhaft günstige Energiepreise, weniger Bürokratie und weniger Regulierung, mehr Investitionen, sichere Industriearbeitsplätze, darum geht es. Da müssen wir ran, und zwar gemeinsam mit Unternehmen, Industrieverbänden und auch Gewerkschaften.

Noch diesen Monat treffen sich auf meine Einladung hin viele im Kanzleramt, um daran zu arbeiten, dass es gelingen kann, dass wir in der Industrie Arbeitsplätze schaffen. Mir ist besonders wichtig, dass das nicht etwas wird, bei dem sich lauter Pressetermine aneinanderreihen, sondern etwas, bei dem miteinander gesprochen wird. Es geht um Konsense und nicht um das Gegenteil. Es ist notwendig, dass wir an einem Konsens über diese Frage arbeiten. Denn in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage kann selbst das beste Paket nichts werden, wenn die erste Kommentierung ist: „Na ja, schon mal in die richtige Richtung, aber da geht noch mehr!“ und wenn die zweite und dritte ist: „Das und das fehlt.“ Es muss dann auch die Botschaft ausgehen: Das sind die Maßnahmen, die wir ergreifen müssen, damit es vorwärtsgeht und wir Wachstum haben. Das muss dann auch gemeinsam gesagt werden können, denn nur so schaffen wir veränderte Bedingungen, aber auch eine veränderte Stimmung, die für die Wirtschaft genauso wichtig ist. Was dort besprochen wird, muss dann natürlich auch in die Tat umgesetzt werden. Das ist mein Versprechen an die Industrie und auch an die Millionen Beschäftigten in dem Bereich.

Aber es ist nicht die ganze Geschichte. Die ganze Geschichte ist, dass wir unser Land, unser gesamtes Wirtschaftsmodell modernisieren müssen, völlig unabhängig von Putins Krieg und all seinen Folgen. Für diese Modernisierung brauchen wir mehr qualifizierte Arbeitskräfte. Wir brauchen mehr Arbeitskräfte, weil unsere Erwerbsbevölkerung schnell altert und schrumpft, wenn wir nicht gegensteuern.

Vielleicht auch das noch einmal an dieser Stelle – Sie werden es beim Arbeitgeberverband genau wissen, aber ich glaube, dass es noch gar kein allgemeines Wissen ist, das sich in unserem Land herumgesprochen hat –: In den meisten europäischen Volkswirtschaften wird die Erwerbsbevölkerung dramatisch zurückgehen. Das ergibt sich aus der Demografie nicht nur bei uns, sondern auch in diesen Ländern. Deutschland kann das eine, nicht Englisch sprechende Land sein – ich sage es im Hinblick auf Migration –, in dem es gelingt, das zu verhindern, weil wir Handlungsmöglichkeiten ausnutzen, damit die Erwerbsbevölkerung in Deutschland hoch bleibt. Aber es ist die große Herausforderung der europäischen Volkswirtschaften. Und sie ist sehr, sehr groß, denn alle Berechnungen über Produktivitätspotenziale, über Wachstumsmöglichkeiten gehen davon aus, dass man keine schrumpfende Erwerbsbevölkerung als Zukunftsherausforderung hat. Deshalb müssen wir das lösen. Es ist die eine große Voraussetzung für Wachstum in der Zukunft.

Wir brauchen mehr Arbeitskräfte, weil in den kommenden Jahren viel mehr Beschäftigte in Rente gehen, als nachwachsen werden. Wir brauchen mehr Arbeitskräfte, weil sonst überall in der Wirtschaft, in der Verwaltung und im Gesundheitswesen schon 2030 in unserem Land bis zu fünf Millionen Erwerbstätige fehlen werden. Aber wir brauchen nicht nur einfach mehr Arbeitskräfte, so wie es zur Zeit des Wirtschaftswunders der Fall war. Wir brauchen heute vor allem auch qualifizierte Arbeitskräfte. Wir brauchen Fachkräfte. Wir brauchen viele, viele kluge und kreative Köpfe und tüchtige und zupackende Hände – so viele, wie wir nur irgend gewinnen können für uns hier in Deutschland! Das steigert die Produktivität und auch die Innovationskraft.

Und wir brauchen Investitionen unserer Unternehmen in Digitalisierung, in künstliche Intelligenz, in Ausrüstung, denn auch das sorgt für Produktivitäts- und Innovationssprünge. Die richtigen Anreize für solche Investitionen zu setzen, das ist deshalb ein zentraler Aspekt meiner Wirtschafts- und Industriepolitik. Masse und Durchschnitt, das können sicherlich andere besser – vor allem, das können andere aufgrund der Rahmenbedingungen billiger. Im globalen Wettbewerb erfolgreich dabei sein, das können wir als Volkswirtschaft nur mit hochmoderner Industrie und Technologie, mit hervorragend ausgebildeten und gut bezahlten Arbeitskräften. Dann schaffen wir es auch, dass die Marke „Made in Germany“ in Zukunft weltweit weiter glänzt! – Mehr Arbeitskräfte für solch eine hochproduktive Volkswirtschaft – was brauchen wir dafür? Ich will da einige zentrale Schlaglichter besprechen:

Erstens: Wenn wir darüber reden, dass wir in Deutschland gut ausgebildete Fachkräfte auch aus dem Ausland benötigen, dann muss uns eines immer klar sein: Diesen qualifizierten Frauen und Männern steht heute die ganze Welt weit offen. Deshalb müssen wir uns noch viel mehr anstrengen, um solche Fachkräfte nach Deutschland zu holen und sie für uns zu gewinnen. Mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz geht das in Deutschland endlich. Und wir haben das sehr entschlossen vorbereitet. Mit diesem Gesetz machen wir grundsätzlich klar: Wer qualifiziert ist und wer hier bei uns in Deutschland anpacken will, der ist hochwillkommen!

Damit geeignete Arbeitskräfte dem deutschen Arbeitsmarkt zügig zur Verfügung stehen, beschleunigen wir endlich alle nötigen Prozesse. Schon im kommenden Jahr werden unsere konsularischen Abteilungen digital arbeiten können, sodass auch Visaanträge digital gestellt werden können. Ich wünsche mir, dass alle die neu gewonnene Flexibilität, im Ausland Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu rekrutieren, nutzen, zum Beispiel auch über die neue Möglichkeit von Zeitarbeitsfirmen – eine alte Forderung der Arbeitgeberverbände, auf die wir uns in der Regierung geeinigt haben – mit guten Rahmenbedingungen. Das wird jetzt endlich möglich. Ich glaube, dass wir dann auch im ganz praktischen Doing dafür sorgen müssen, dass wir diese Möglichkeiten jetzt nutzen. Nutzen Sie sie! – Wir tun im Übrigen auch etwas, indem wir selbst dafür werben, so mit unserer Plattform „Make it in Germany“, um die Regelungen bekannt zu machen.

Der zweite Punkt: Wir müssen – und auch das ist wichtig – die Zahl der Arbeitsstunden, die in Deutschland geleistet werden, ausweiten. Hier sind noch lange nicht alle Möglichkeiten ausgereizt. Wir sind noch längst nicht da, dass wir dabei alle Möglichkeiten ausgereizt haben. Im vorigen Jahr haben 31 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland in Teilzeit gearbeitet. Bei den Männern waren das nur 13 Prozent, bei den Frauen war das die Hälfte, etwa 50 Prozent. Schaut man nur auf die Beschäftigten in Vollzeit, dann stellt man fest: Die arbeiten in Deutschland im Schnitt 40,4 Stunden pro Woche, also nicht weniger als der europäische Durchschnitt und mehr als zum Beispiel Niederländer und Franzosen, Dänen oder Ungarn. Auch viele, gerade jüngere Frauen, die in Teilzeit arbeiten – im Schnitt 22 Stunden pro Woche –, wollen gerne mehr arbeiten und auch mehr verdienen. Aber Beschäftigung in Vollzeit ist für viele kurzfristig nicht so einfach machbar, weil sie Kinder und Beruf irgendwie jongliert bekommen müssen. Unser Land ist immer noch nicht gut aufgestellt, wenn es um die Unterstützung junger Familien geht. Deshalb müssen wir genau daran etwas ändern.

Ob Kindertagesstätte (Kita) oder Grundschule: Ganztagsbetreuung ist eben noch längst nicht überall der Normalfall oder wenigstens verfügbar. Und genau das müssen wir ändern. Wenn die Versorgung mit Kitas und Ganztagsschulen besser passen würde, dann wäre in vielen Fällen auch eine Arbeitszeit von 25, 30 oder 32 Stunden und vielleicht auch Vollzeitarbeit gut möglich. Deshalb arbeiten wir auch als Bundesregierung daran, die Betreuungs- und Ganztagsangebote deutlich zu verbessern – nicht nur ihre Platzzahl, nicht nur ihre Qualität, sondern auch ihren zeitlichen Umfang. Am Bund und an der Bundesregierung wird das nicht scheitern. Vier Milliarden Euro stellen wir allein in den kommenden zwei Jahren für die frühkindliche Bildung und ihren Ausbau bereit. Wir haben mit den Ländern eine Vereinbarung über den Ausbau der Ganztagsgrundschulen in ganz Deutschland als flächendeckendes Angebot getroffen. Und das ist ein Schritt dafür, dass wir in Deutschland die Bedingungen schaffen, dass die jungen Familien so viel arbeiten können, wie sie wollen, und dass es nicht an äußeren Rahmenbedingungen scheitert, die ganze Arbeitskraft zu nutzen.

Ähnlich großes Potenzial wie bei den Beschäftigten in Teilzeit liegt bei denen, die sich in den kommenden Jahren ihrem Renteneintritt nähern. Das ist bekanntlich eine besonders breit aufgestellte Generation. Einige, die dazugehören, sind hier heute im Saal. Deshalb ist es eine gute Nachricht, dass ein Drittel aller Beschäftigten ab 55 Jahren sagt: Wir würden gerne nach Rentenbeginn irgendwie noch weiterarbeiten. Die Bundesregierung wird ihren Teil dazu beitragen, dass es auch wirklich so kommt. Es darf nicht sein, dass der Wunsch, im Rentenalter noch weiterzuarbeiten, am Ende an Bürokratie scheitert – oder weil es sich nicht rechnet. Deshalb werden wir die sogenannten Vorbeschäftigungsverbote bei der befristeten Beschäftigung abschaffen, damit mehr Unternehmen von dieser Möglichkeit und diesem Wunsch ihrer Beschäftigten Gebrauch machen können. Wir erleichtern es Unternehmen, Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, wenn sie die Regelaltersgrenze erreichen. Es ist, glaube ich, ein ganz, ganz großer Fortschritt, den wir hier miteinander zustande gebracht haben, dass das jetzt gehen wird, denn ich glaube, man muss die Möglichkeiten für Weiterbeschäftigung nutzen, ohne dass man die Leute dazu zwingt. Denn auch das gilt, da will ich mich nicht verbergen: Eine Anhebung der Regelaltersgrenze halte ich nicht für richtig. Aber ich halte es für richtig, dass wir es attraktiver machen weiterzuarbeiten, wenn man möchte. Und das kommt jetzt.

Es gibt viele Dinge, die wir noch miteinander besprechen können. Ich glaube, es ist jedenfalls sehr, sehr wichtig, dass wir jetzt die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass es auf diese Weise mehr Dynamik bei Arbeit und Beschäftigung in unserem Land gibt.

Ein Thema will ich noch ansprechen. Wir werden vielleicht auch noch ein paar Worte darüber wechseln können. Das ist die Frage: Wie bekommen wir es eigentlich hin, dass die Sozialversicherungsbeiträge nicht eine zusätzliche Herausforderung werden? Sie wissen: Es gab dramatische Diskussionen in den 90er Jahren über das, was uns heute droht. Das alles ist nicht eingetreten, und zwar aus einem Grund, über den wir schon gesprochen haben: Arbeit und Beschäftigung haben sich massiv ausgeweitet. Und das hat auch die Sozialversicherungssysteme für die Zukunft stabilisiert und sicher gemacht. Ich glaube – und das muss ja hier auf diesem Arbeitgebertag auch klar gesagt werden –, das ist die Grundlage dafür, dass wir die Stabilität unserer Volkswirtschaft, aber auch unserer sozialen Sicherungssysteme für die Zukunft auch weiter gewährleisten können.

Gleichzeitig muss es aber darum gehen, dass wir uns nie vor den Aufgaben drücken, vor denen wir tatsächlich stehen. Eine dieser Aufgaben ist zum Beispiel, immer wieder zu schauen, ob die Systeme, die wir haben, so effizient sind, wie es möglich ist, und ob das dazu führen kann, dass die Beiträge nicht steigen, ohne dass es Leistungskürzungen gibt. Ich finde zum Beispiel, dass die anstehende Krankenhausreform ein sicheres Instrument dazu ist, genau diese Aufgabe zu lösen, also zu verhindern, dass die Beiträge steigen, ohne dass es zu Leistungseinschränkungen kommt. Genau das muss das sein, was uns auch in der Zukunft als Aufgabe bevorsteht.

Letzte Bemerkung zu zwei Themen, die Sie angesprochen haben – ich befürchte, dass wir bei dem einen nicht ganz einer Meinung sind, aber doch irgendwie zueinanderkommen werden:

Erstens zum Bürgergeld: Da, glaube ich, sind wir alle beieinander. Wir sind als Menschen dazu geboren zu arbeiten. Das ist meine feste Überzeugung, übrigens auch meine philosophische Überzeugung – auch wenn das neulich jemand in der Öffentlichkeit kritisiert hat. Ich glaube, es gehört zu unserer Humanität dazu, dass wir arbeiten und dass wir uns anstrengen. Das ist etwas, das tief in unserer Kultur verwurzelt ist. Und das sollte auch so bleiben. Weil das so ist, werden wir jetzt auch bei der Bürgergeldreform Dinge ändern – Sie haben das angesprochen –, weil das ja kein bedingungsloses Grundeinkommen ist, etwas, bei dem man hingehen und sagen kann: Ich habe keine Lust zu arbeiten, ich nehme das Geld. Das ist keine Wahlfrage! Deshalb haben wir uns fest entschlossen, dass wir hier etwas verändern.

Die Gesetze sind auf den Weg gebracht. Und wir versuchen, es leichter zu machen, dass wir diejenigen in Arbeit bringen, bei denen das heute nicht gelingt und die vielleicht auch nicht mitwirken. Das gilt nicht für die übergroße Zahl der Bürgergeldempfänger, wie wir wissen. Aber auch der Teil, der sich gewissermaßen entzieht, hat eben eine klare Botschaft verdient: Das finden wir nicht richtig! Deshalb werden wir jetzt viele der Erleichterungen und Lockerungen, die in der Coronazeit beschlossen worden sind, wieder rückgängig machen, damit klar ist: Das Bürgergeld ist eine Leistung, solange man nicht wieder Arbeit hat. Aber das Ziel müssen Arbeit und Beschäftigung sein. Auch das ist für uns ganz zentral.

Da, wo wir vielleicht nicht immer ganz einer Meinung sind – obwohl, doch! Ich verfolge die Politik ja schon länger, und erstmals habe ich gehört: Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist für den Mindestlohn – ein bisschen vereinzelt, aber das habe ich herausgehört. Und sie ist auch dafür, dass wir ein gutes Verfahren haben, wie er wieder regelmäßig angepasst wird. Ich will nicht darum herumreden: Aus meiner Sicht wäre es gut gewesen, wenn beim letzten Mal eine andere Entscheidung herausgekommen wäre. Das habe ich gesagt. Und dazu stehe ich auch, denn das ist aus meiner Sicht die eigentliche Perspektive, dass auch die Mindestlohnkommission ihre Kraft und Legitimation aus der sozialpartnerschaftlichen Verständigung zieht. Die ist nämlich die Grundlage dafür, dass Deutschland einen solchen Wohlstand in Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Beschäftigten in den letzten Jahrzehnten erarbeitet hat. Und wenn das wieder gelingt, dann wird ja alles gut.

In diesem Sinne schönen Dank fürs Zuhören!