arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Detail

Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
04.12.2023 | Berlin

Rede anlässlich des deutsch-brasilianischen Wirtschaftsforums

Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Lula,
sehr geehrter Herr Minister Haddad,
sehr geehrter Herr Minister Habeck, lieber Robert,
sehr geehrter Herr Kramer,
meine Damen und Herren,

kurz nach deiner erneuten Wahl zum Präsidenten, lieber Lula, hast du auf Twitter – das nennt sich jetzt X – zwei deiner Lieblingsbücher empfohlen. Darunter war ein Buch der brasilianischen Schriftstellerin Ana Maria Gonçalves. Darin steht der schöne und, wie ich finde, sehr wahre Satz – ich werde jetzt gar nicht erst versuchen, ihn im Original widerzugeben –: Er sagte, dass diejenigen, die Freunde haben, verdientermaßen auch alles andere haben.

Lieber Präsident Lula, ich freue mich, dich hier in Deutschland als Freund begrüßen zu können. Unsere Regierungskonsultationen heute haben gezeigt, dass unsere Freundschaft ein starkes Fundament auch für die Zukunft ist. Wir wollen mehr internationale Zusammenarbeit und mehr Handel, um unsere globale Wirtschaft zu stärken. Wir wollen, dass internationales Recht eingehalten wird, und zwar von allen Staaten. Zugleich machen wir uns für eine inklusive, multilaterale Ordnung, für die Bekämpfung von Armut und für funktionierenden Klimaschutz stark.

Deshalb bin ich froh darüber, dass du seit dem 1. Dezember die G20-Präsidentschaft innehast und dass Brasilien 2025 die Weltklimakonferenz ausrichten wird. Du kannst dich dabei auf Deutschlands volle Unterstützung verlassen. Deutschland und Brasilien sind Wirtschaftspartner. Ebenso wichtig aber ist, dass wir zugleich auch Wertepartner sind. Wir sind starke, lebendige Demokratien und blicken ähnlich auf die großen Veränderungen, die wir weltweit erleben.

In den vergangenen drei Jahrzehnten hat die Globalisierung rund eine Milliarde Frauen, Männer und Kinder vor allem in Asien, Afrika und natürlich auch in Lateinamerika und der Karibik aus der Armut geführt. Das ist ein enormer Erfolg. Diese Regionen wachsen wirtschaftlich und demografisch. Neue Industrien entstehen. Die Nachfrage nach Rohstoffen und Konsumgütern steigt. Um es klar zu sagen: Darin sehe ich keine Bedrohung. Die Frauen und Männer in diesen aufstrebenden Ländern und Regionen haben denselben Anspruch und dasselbe Recht auf Wohlstand wie die Bürgerinnen und Bürger Europas und Nordamerikas. Zugleich wissen wir alle: Wenn sich Wachstum weiterhin auf fossile Energieträger stützt, dann hält unser Planet das nicht aus.

Deshalb ist doch ganz klar, worin die gemeinsame Aufgabe besteht, die vor uns liegt. Es geht darum, gute Arbeitsplätze für die Zukunft zu sichern und Wirtschaftswachstum zu ermöglichen, ohne dadurch unseren Planeten zu zerstören. Dafür braucht es saubere Technologien, wie sie die deutsche Wirtschaft bietet. Dafür braucht es zugleich in großem Umfang privates Kapital. Deshalb freue ich mich darüber, dass heute so viele brasilianische und deutsche Unternehmerinnen und Unternehmer hier sind. Wir alle spüren die Aufbruchstimmung in Brasilien. Wir alle spüren den Willen deiner Regierung, etwas zu bewegen, und zwar mit dem gebührenden Respekt gegenüber allen, die hart arbeiten, und mit dem nötigen Engagement für eine starke Demokratie.

Am Wochenende haben wir bei der Weltklimakonferenz in Dubai Bilanz gezogen, wie weit wir bei den Pariser Klimazielen gekommen sind. Klar ist: Wir müssen uns beeilen, um das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen. Darin ist die Wissenschaft ziemlich klar. Wir wollen daher zum einen den Ausbau erneuerbarer Energien weltweit verdreifachen und zum anderen die Energieeffizienz verdoppeln, beides bis 2030.

Darin liegt auch eine Chance für unsere Zusammenarbeit. Unter den großen Volkswirtschaften der Welt ist Brasilien seit Anfang des Jahres diejenige mit dem höchsten Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung. Das ging zuletzt vor allem auf einen massiven Ausbau von Solar- und Windenergie zurück. In Deutschland ist der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromproduktion in den vergangenen zwei Jahren von gut 40 Prozent auf rund 60 Prozent gewachsen.

Schon heute ist Brasilien unser mit Abstand wichtigster Wirtschaftspartner und der bedeutendste Investitionsstandort auf dem Kontinent. Mehr als 1.000 deutsche Unternehmen sind in Brasilien engagiert. Sie erwirtschaften etwa zehn Prozent des industriellen Bruttoinlandsprodukts und sichern 250.000 Arbeitsplätze in Brasilien.

Deutschland wiederum ist Brasiliens wichtigster Handelspartner in der Europäischen Union. Unsere Auslandshandelskammern in São Paulo und in Rio de Janeiro zählen zu den größten und ältesten weltweit. Ich möchte, dass wir dieses enorme Potenzial noch weiter ausschöpfen. Deshalb sind wir heute hier. Deshalb war es mir wichtig, sofort nach deiner Amtseinführung Anfang des Jahres nach Brasilien zu reisen und an unsere traditionell hervorragenden Beziehungen anzuknüpfen. Deshalb haben wir heute eine Partnerschaft für eine sozial gerechte und ökologische Transformation vereinbart.

Für viele Ihrer Unternehmen und für unsere Bürgerinnen und Bürger ist eine sichere, bezahlbare Energie- und Rohstoffversorgung unerlässlich. Nachdem Russland die Ukraine angegriffen hat, haben wir unsere Lieferketten und unsere Energieversorgung hier in Deutschland auf eine breitere Basis gestellt. Klar ist: Auch in Zukunft werden wir Energie aus anderen Ländern importieren – schon, weil wir für die Elektrifizierung großer Teile unserer Industrie und des Verkehrs mehr Strom als heute brauchen.

Hinzu kommt die Versorgung mit Wasserstoff, über die wir vor wenigen Wochen eine Einigung mit den Netzbetreibern erzielt haben. Unser Ziel ist, dass ein Wasserstoffkernnetz bis 2032 alle industriellen Zentren unseres Landes mit den Häfen und Kraftwerken verbindet. Dabei setzen wir auf zuverlässige Partner wie Brasilien. Brasilien hat dafür beste Voraussetzungen. Ich habe Brasiliens Potenzial für erneuerbare Energien gerade schon erwähnt.

Gleiches gilt für unsere Zusammenarbeit bei anderen Rohstoffen, und auch hier haben wir ein gemeinsames Ziel: die faire Aufteilung der Wertschöpfung. Deutschland tritt dafür ein, dass mehr Wertschöpfung in der Rohstoffverarbeitung in den Ländern erfolgen sollte, in denen die Rohstoffe abgebaut werden. Kooperation und nachhaltige Nutzung statt Extraktivismus, so lautet unser Angebot.

Deutsche Unternehmen haben hier viel anzubieten: innovative Technik und nachhaltige und hocheffiziente Lösungen, ob bei der Industrie 4.0, im Maschinenbau, im Verkehr oder bei der Digitalisierung. Ich sage Ihnen, liebe brasilianische Freunde: Nutzen Sie dieses Know-how und dieses Potenzial!

Als Bundesregierung wollen wir das flankieren. Wir stellen Exportkredit- und Investitionsgarantien für Projekte bereit, zu günstigeren Bedingungen als bisher. Auch davon profitiert die deutsch-brasilianische Zusammenarbeit.

Natürlich wollen wir auch den ganz großen Hebel nutzen, den wir als Regierungen haben, um die Wirtschaftsbeziehungen zwischen uns zu vertiefen. Sie wissen schon, worauf ich hinauswill. Viel zu lange schon diskutieren wir über das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur oder Mercosul, wie man bei Ihnen in Brasilien sagt. Die Einigung im Jahr 2019 war ein erster Schritt. Jetzt geht es darum, das Abkommen über die Ziellinie zu bringen, und deshalb werbe ich für Pragmatismus auch auf Seiten der EU und – diese Metapher werden unsere brasilianischen Gäste bestimmt verstehen – um Zug zum Tor.

Es lohnt sich. Denn zusammen werden wir eine der größten Freihandelszonen der Welt bilden – mit rund 780 Millionen Einwohnern. So setzen wir ein deutliches Zeichen für offene Märkte, faire Standards, gute Arbeitsplätze und regelgebundenen Handel. Gerade in Zeiten eines weltweit erstarkenden Protektionismus wäre dieses Signal kaum zu überschätzen.

Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Lula, meine Damen und Herren, wir haben alles, was es für eine noch viel engere Partnerschaft zwischen unseren beiden Ländern braucht: den politischen Willen, Unternehmen, die eng miteinander verbunden sind, Volkswirtschaften, die sich ergänzen, geteilte Werte und einen gemeinsamen Blick auf die Welt. Womit wir das verdient haben? Ana Maria Gonçalves würde vermutlich sagen: mit unserer Freundschaft. Denn wer Freunde hat, wie Brasilien und Deutschland es sind, der verdient auch alles andere.

Schönen Dank.