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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
24.01.2024 | Berlin

Rede anlässlich des Netzwerktreffens der Allianz der Chancen

Schönen Dank für die Einladung! Ich habe mich, damit ich mich mit Ihnen nett unterhalten kann, heute Morgen mit Drogen in die Lage dazu versetzt. Ich bin ein bisschen erkältet. Aspirin Complex ist aber perfekt. Insofern geht es jetzt einigermaßen.

Ich möchte mich erst einmal dafür bedanken, dass wir hier zusammenkommen können und dass wir es geschafft haben, so viele Dinge auf den Weg zu bringen, so viel Veränderung, so viel Perspektivenwechsel zustande zu bringen. Denn es ist doch eigentlich wirklich so: Wir brauchen eine Veränderung in der Arbeitswelt. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch die Unternehmen vor der Zukunft nicht fürchten. Wenn wir das erreichen wollen, dann müssen wir ganz konkrete Perspektiven beschreiben und Lebensverhältnisse so erörtern, dass man sich vorstellen kann, dass die Dinge für einen gut ausgehen.

Dann werden immer gern einige politische Stanzen gesagt. Eine davon lautet „Sicherheit im Wandel“. Sie ist aber ziemlich gut. Deshalb kann man sie wiederholen. Denn darum geht es tatsächlich. Es gibt Veränderung. Davor können wir niemanden beschützen. Aber wir alle gemeinsam können es als unsere Aufgabe begreifen, dass das keine Bedrohung ist, dass man das Gefühl hat: Es ändert sich etwas, aber ich komme in der Zukunft auch weiterhin zurecht.

Das gilt für die Arbeitswelt insgesamt, zwischen Unternehmen, für das, was sich ökonomisch in unserem Land insgesamt zuträgt, mit neuen technologischen Entwicklungen, mit weltweiten Lieferkettenbeziehungen und ökonomischen Beziehungen, aber es gilt eben auch für das, was in den einzelnen Unternehmen jeweils ganz konkret stattfindet.

Mir ist es wichtig, dass wir immer alles dazu beitragen, dass diejenigen, die in die Arbeitswelt, in die Berufswelt hineinkommen wollen, gute Perspektiven haben. Darum war eines meiner mir persönlich wichtigsten Anliegen in verschiedensten Ämtern, die ich in der Vergangenheit hatte, so etwas wie das Konzept der Jugendberufsagenturen voranzubringen. In Hamburg habe ich das als Bürgermeister ganz exemplarisch durchprobieren können, mit sehr konkreten Strukturen, die funktionieren. Es hat real etwas verändert. Das ist nicht nur ein neues Schild irgendwelcher Einrichtungen, sondern man hat dafür gesorgt, dass alle Jugendlichen tatsächlich erreicht werden, dass man sich schon in der Schule mit der Frage beschäftigt, welche Berufe es alles gibt. Denn die Umfragen in den Schulen sehen, denke ich, immer noch ziemlich genau so aus wie 1950 oder 1960. Es sind noch sehr weitreichende Berufstätigkeiten hinzugekommen, Influencer und Spieleentwickler, alles das. Aber davon einmal abgesehen, bleibt es eigentlich eine Liste, die sich von dem, was man früher schon gekannt hat, nicht groß unterscheidet.

Tatsächlich gibt es viel, viel mehr Berufe, die den jungen Leuten offenstehen und für die sie geworben und interessiert werden können. Darum ist es, denke ich, auch unverändert eine große Aufgabe, die wir überall in Deutschland haben, die Schulen und auch die Bildungsministerien davon zu überzeugen, dass sie das machen. Man muss früh einsteigen, damit gute Ergebnisse erzielt werden können. Ich will es etwas flapsig formulieren: Die ersten Versuche sind so etwas wie gehobener Bastelunterricht. Das hat mit Berufsorientierung relativ wenig zu tun. Erst dann, wenn das über Jahre hinweg weiterentwickelt wird, kann daraus etwas werden, was tatsächlich einen Unterschied macht.

Man muss manchmal auch zählen. Auch das war mir wichtig. Wie viele von denen, die nach der neunten oder zehnten Klasse die Schule verlassen, haben unmittelbar im Anschluss oder in zeitlicher Nähe einen Vertrag für eine Berufsausbildung, den sie unterschreiben können? – Es sind viel weniger, als wir immer gedacht haben. Das zeigt, warum es so wichtig ist, Wege zu beschreiben, wie wir genau diese Veränderung tatsächlich um- und durchsetzen können.

Für mich jedenfalls ist das mit der Jugendberufsagentur gelungen, auch deshalb, weil am Ende alle zusammengearbeitet haben, die Jobcenter, die staatlichen Berufsschulen, die Arbeitsagentur und so weiter, dafür gesorgt haben, dass hinter einer Tür alle eng zusammenarbeiten. Andrea Nahles und ich haben in verschiedenen Ämtern, die wir hatten, immer dafür gesorgt, dass uns auch der Datenschutz nicht aufhält. Am Anfang haben wir irgendwelchen jungen Leuten dicke Packen hingelegt, und sie durften dann blind unterschreiben, dass sie damit einverstanden sind, dass sich alle alles erzählen. Mittlerweile haben wir das gesetzlich erlaubt, und insofern ist es einfacher geworden. Aber das zeigt, dass man sich an ein Problem erst einmal heranmachen muss, um es dann lösen zu können.

Ich finde jedenfalls, dass da, wo es mit den Jugendberufsagenturen besonders gut funktioniert, der Übergang von der Schule in eine Berufsausbildung viel erfolgreicher ist als anderswo. Das gilt natürlich erst recht für diejenigen, die nicht gleich etwas finden, sondern über Praktika, die sie in Betrieben leisten, und mit dem, was die Berufsschulen im ersten Jahr anbieten, in eine Berufsausbildung einmünden. Auch das finde ich sehr, sehr gut.

Auch wichtig ist mir, dass wir uns mit der Frage der Veränderung in den Betrieben beschäftigen. Der Wegebau wurde schon genannt. Aber das hat natürlich auch etwas mit ganz konkreten Perspektiven zu tun. Ich will es gern sagen: Mein Besuch bei Continental in Hannover bewegt mich noch immer. Denn tatsächlich beeindruckt es einen sehr und stimmt es einen sehr positiv, wenn man sieht, dass jemand mit 46 Jahren, mit 51 Jahren noch eine neue berufliche Perspektive in der Firma findet, in der er oder sie schon so lange Zeit arbeitet. Das ist mit unglaublich viel Stolz und mit unglaublich viel Ermutigung verbunden. Das bricht mit allen Tabus und Traditionen, die wir immer schon hatten. Ich denke, dass es deshalb auch wichtig ist, dass wir an dieser Sache arbeiten. In der Finanzkrise 2008 und 2009 habe ich als damaliger Arbeitsminister versucht, Weiterbildungsprogramme wie Sauerbier anzubieten. Ich denke, ich habe alle zehn gesehen, die in Deutschland gemacht worden sind. Das war natürlich noch nicht so flächendeckend. Insofern hat sich, denke ich, etwas geändert. Wir haben eine veränderte Wirklichkeit erreicht, die heute dazu führt, dass überall geschaut wird: Was machen wir mit denen, die schon im Betrieb sind?

Warum soll jemand, der 26 Jahre ist, warum soll eine, die 34 Jahre ist, nicht noch einmal eine Berufsausbildung machen, wenn das Leute sind, die jeden Tag zur Arbeit kommen, die das tun, die eine gute Einstellung haben, aber eben nicht das gelernt haben, was sie in der Firma tun, oder überhaupt keine Berufsausbildung hatten? Wenn wir da eine Veränderung hinbekommen, dann würde das vielen Unternehmen neue Ressourcen erschließen, die sie bisher gar nicht im Blick hatten. Es würde aber auch vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern das Gefühl schaffen, dass es, egal wie sich die Dinge verändern, immer einen Weg gibt, wie man mit seinen eigenen Talenten und Fähigkeiten dabei sein kann. Ich denke, das ist das, was sich die meisten Menschen zutiefst wünschen.

Insofern sind diese beiden Dinge für mich etwas ganz Bewegendes und haben mich auch motiviert, hierher zu kommen und über die Fragen mitzudiskutieren, die anstehen: unsere Jugendberufsagenturen, die Weiterbildung in der Arbeit und alles, was damit zusammenhängt.

Wir müssen unsere Fachkräftesicherung in Deutschland vorantreiben. Das klingt abstrakt, ist aber etwas ganz Konkretes mit jedem Tag Arbeit in den Unternehmen. Wir haben eben schon ein paar Aspekte besprochen. Es betrifft uns aber eben auch als Gesellschaft insgesamt. Deshalb gehört, denke ich, beides zusammen, zunächst einmal die Potenziale, die wir im Inland haben, zu heben, dafür zu sorgen, dass alle Talente genutzt werden und nichts liegengelassen wird. Wenn das, wie es heißt, ein Markt wird, der von den Bewerbern ausgeht, und wenn sich das umdreht, dann muss man natürlich auch schauen, wie man alle überzeugen kann, dass sie mitmachen sollten und dass sie eine Chance haben.

Ich glaube, dass es dabei auch wichtig ist, sich immer wieder sich zu sagen: Die meisten entwickeln sich bei der Arbeit ja auch weiter – für ganz junge Leute gilt das sowieso. Ich glaube, wir haben ein bisschen vergessen, dass jemand, der 16 oder 17 Jahre alt ist, eben noch nicht ganz erwachsen ist, und dass deshalb ein Unternehmen nicht jemanden am Band erwarten kann, der 25 und promoviert ist, sondern möglicherweise jemanden, der genau das für sich als Perspektive entwickelt hat.

Wir müssen unsere inländischen Potenziale also heben. Und wir müssen dafür sorgen, dass für die Arbeit, die hierzulande zu leisten ist, weiter Zuwanderung stattfinden kann. Da ist Deutschland anders als viele andere Länder mittlerweile gesetzgeberisch sehr weit vorangeschritten. Wir haben alle rechtlichen Möglichkeiten, um Arbeitskräfte aus dem Ausland hier in Deutschland einzusetzen. Für diejenigen, die aus der Europäischen Union kommen, braucht man gar nichts können, man muss sie nur gewinnen; aber da gibt es ja keine rechtlichen Hürden. Das ist ein Aspekt und ein Phänomen, das von denjenigen, die Prognosen über den Arbeitsmarkt gemacht haben, über Jahre immer irgendwie unterschätzt worden ist. Aber wenn es eine „workforce“ von über 200 Millionen in der Europäischen Union gibt, dann ist das eben in der Tat ein sehr großer Arbeitsmarkt, und da gibt es viele Möglichkeiten. Das hat für uns in Deutschland in den letzten Jahren sehr viele Probleme gelöst, die wir sonst gehabt hätten.

Aber wir brauchen jetzt eben noch mehr Arbeitskräfte, und es reicht nicht mehr, auf die Europäische Union alleine zu gucken. Deshalb kommt unser Fachkräfteeinwanderungsgesetz, unser Arbeitskräfteeinwanderungsgesetz, jetzt zum richtigen Zeitpunkt. Da gibt es eigentlich keine relevanten Hürden mehr, außer dass man es jetzt machen muss. Das ist etwas für die Unternehmen, aber auch für uns als Staat, für die Bundesagentur und für viele andere. Wir werden das ja nicht so machen wie in den 60er Jahren, wo dann große Teams aus der Bundesanstalt für Arbeit, glaube ich, in alle Welt gefahren sind, Leute sich angestellt haben, Reihenuntersuchungen gemacht wurden und dann die Leute einfach verfrachtet wurden. So geht es jetzt nicht, und so wollen wir das auch nie wieder haben. Aber es ist eben doch so, dass wir gemeinsam gucken müssen: Wie können wir diejenigen überzeugen, die hier eingesetzt werden können?

Bei meinen Besuchen in vielen Staaten in Asien, in Afrika, im Süden Amerikas stelle ich fest, dass es eine große Bereitschaft gibt, mit uns Vereinbarungen abzuschließen, die darauf hinauslaufen, dass wir in der Lage sind, Arbeitskräfte zu holen. Ich glaube, dass das im Übrigen bei der aktuellen Debatte über viele andere Themen, die sich mit irregulärer Migration beschäftigen, auch ein guter Rahmen ist. Denn wir können ja diesen Ländern ein Angebot machen, das letztendlich lautet: Diejenigen, die wir für den Arbeitsmarkt brauchen, die können wir holen und da gibt es Möglichkeiten. Dafür erwarten wir aber, dass diejenigen zurückgenommen werden, die nicht bleiben können.

Diese Verträge, diese Migrationspartnerschaften, versuchen wir jetzt überall abzuschließen. Meine Überzeugung ist: Das wird auch ein großer Beitrag sein für die Beschäftigung in Deutschland und dafür, dass es eben anders ausgeht, als einige uns sagen. Die volkswirtschaftlichen Prognosen sagen immer: Wir werden ein Wachstumsproblem haben, weil wir nicht genug Arbeitskräfte haben. Diese volkswirtschaftlichen Prognosen hat es auch schon vorher gegeben, und sie hatten falschgelegen, denn wir hatten ja aus den besagten Gründen viele zusätzliche Arbeitskräfte. Deutschland hat den höchsten Stand an Erwerbstätigkeit, den wir je hatten. Das ist das Ergebnis der letzten Jahre und nicht nur der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt durch die Unternehmen, sondern eben auch der Tatsache, dass viele dazugekommen sind und hier ihr Talent einsetzen und mitarbeiten. Das ist ein guter Fortschritt. Jetzt müssen wir pragmatisch dafür sorgen, dass wir die neuen gesetzlichen Möglichkeiten einsetzen, damit das auch tatsächlich funktioniert, und dazu gehört eben die Zuwanderung von Arbeitskräften zusammen mit der Begrenzung der irregulären Migration.

Was uns noch wichtig ist – und darüber sollten wir hier auch sprechen –, ist die Frage: Was ist mit denjenigen, die als Flüchtlinge beziehungsweise Geflüchtete in Deutschland sind? Das sind sehr viele, und da gibt es viele Möglichkeiten. Auch das hat sich geändert: Wir haben die Zeiträume, die man hinter sich bringen muss, um erwerbstätig sein zu können, wenn man sich hier in Deutschland als Flüchtling aufhält, massiv reduziert. Da gibt es praktisch kein Hindernis; denn es wird wohl kaum jemand sagen, dass er jemanden, der angekommen ist, jetzt gleich, also bevor sechs Monate vergangen sind, direkt beschäftigen wird. Da müssen wir also, glaube ich, nicht mehr viel machen.

Jetzt kommt es aber darauf an, dass man die Möglichkeiten auch nutzt und dass man diejenigen, die hier in Deutschland sind und die eine Perspektive haben, hier zu bleiben, auch mit Beschäftigungsmöglichkeiten versieht. Das ist das, was wir uns mit dem Job-Turbo vorgenommen haben, sowohl für Flüchtlinge allgemein als auch ganz besonders für die vielen Hunderttausend, die aus der Ukraine gekommen sind, worunter viele Arbeitskräfte sind. Da haben wir ja eine ganz merkwürdige Ausgangssituation: Wenn wir die Umfragen zugrunde legen, dann sind 80 Prozent davon mehr oder weniger qualifiziert. Das ist nicht alles in die Systeme, in die Erfassungsregime aufgenommen worden, aber wenn wir beim ifo-Institut nachfragen, dann erfahren wir: Da sind hohe Qualifikationen vorhanden. Das ist also eine Gruppe von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die mit dem, was sie können, auf dem deutschen Arbeitsmarkt gut eingesetzt werden können.

Wir haben jetzt zwei Jahre lang vielen Sprachkurse angeboten, und diese Sprachkurse sind auch von vielen wahrgenommen worden. Sicherlich ist das nicht bei jedem schon ein solches Deutsch wie das, das hier von uns gerade miteinander versucht wird, aber es ist doch so, dass es für den Arbeitsmarkt reichen müsste. Ich will auch sagen: Die Arbeitskräfte, die wir in den 60er und 70er Jahren geholt hatten, hatten gar keine Sprachkurse gemacht, und die sind trotzdem in die Fabriken gegangen. Da sind wir jetzt doch ein bisschen betulich geworden, wenn es darum geht, Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen.

Ich möchte Sie also ausdrücklich aufrufen mitzuhelfen, diejenigen aus der Ukraine, die jetzt hier in Deutschland leben, in Lohn und Brot zu bringen; denn das ist für die Akzeptanz in der Bevölkerung, aber auch für die Perspektiven der Ukrainerinnen und Ukrainer, die sich hier befinden und sich hier aufhalten, von großer Bedeutung. Deshalb bin ich der Bundesagentur, Andrea Nahles und dem Bundesarbeitsministerium sehr, sehr dankbar, dass sie alles dafür tun, dass wir diese Dinge voranbringen und dass das in enger Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und mit Unternehmen funktionieren kann.

Mehr will ich nicht sagen, auch weil ich es physisch gar nicht mehr kann. Ich hoffe aber, dass wir noch ein bisschen gut diskutieren können. Ich bin Ihnen sehr dankbar für diese großartige Initiative. Ich habe gehört: Das ist eine, die funktioniert. Das soll dann so sein.

Schönen Dank!