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19.11.2012

Rede auf dem IBA FORUM 2012

Rede auf dem IBA FORUM 2012



Sehr geehrter Herr Hellweg,

sehr geehrte Damen und Herren,

 

2013 wird ein bedeutendes Jahr für Wilhelmsburg vielleicht das wegweisendste, seit Herzog Georg Wilhelm 1672 damit begonnen hat, Stillhorn, Georgswerder und Reiherstieg-Rotehaus zusammendeichen zu lassen.

 

Am 22. März beginnt das offizielle Präsentationsjahr der Internationalen Bauausstellung, kurz darauf wird die Internationale Gartenschau eröffnet. Die IBA mit rund 70 innovativen Projekten zur Stadtentwicklung von morgen, die IGS mit einem beispiellosen Ideenreichtum von Gärtnern, Züchtern und Landschaftsarchitekten, der sich in mehr als 1.000 Bildungs- und Kulturveranstaltungen präsentiert.

 

Beide Namen zeigen es schon: Wilhelmsburg und die Elbinseln präsentieren sich international, werden für Hunderttausende Besucherinnen und Besucher sichtbar eine einmalige Chance, Wilhelmsburg als einen Lebensraum zu begreifen, als Stadt in der Metropole. Als einen Raum, in dem man gern lebt. In dem man arbeitet, in dem wohnt, in dem man einkauft, seine Freizeit verbringt, Sport treibt, Freundschaften und Hobbys pflegt.

 

Ein Lebensraum, in dem Kinder zufrieden und glücklich aufwachsen können, in dem sie in der KiTa ihr zweites Zuhause finden, ein Lebensraum, dessen Schulen sie aufs Leben vorbereiten. Ein Raum, in dem man sich sicher und wohlfühlt.

 

IBA und IGS haben schon eine Menge dafür getan, damit dieses Lebensgefühl wachsen kann.

 

Mit dem Fortschrittslaboratorium IBA 2013 und seinen drei Leitthemen Kosmopolis, Metrozonen und Stadt im Klimawandel hat sich Hamburg den Zukunftsfragen der großen Metropolen vermutlich weiter angenähert als jede andere vergleichbare Stadt. In einem Planungsgebiet mit einer Größe von rund 27 Quadratkilometren und ca. 55.000 Einwohnern war es Aufgabenstellung der IBA, im Spannungsfeld zwischen den lokalen Anforderungen und Erwartungen einerseits und den Herausforderungen einer Metropole im 21. Jahrhundert andererseits modellhafte Entwürfe für eine internationale Stadtgesellschaft, für die Gestaltung der inneren Stadtränder und für eine nachhaltige Metropole zu erarbeiten.

 

Das alles nicht bloß in grauer Theorie, sondern als handfeste, sichtbare und dauerhafte Aufwertung der Elbinseln gemeinsam mit der IGS als Einleitung eines dauerhaften Strukturwandels.

 

Auch wenn zum jetzigen Zeitpunkt vieles noch im entstehen ist, so ist doch bereits deutlich zu erkennen, dass die IBA wesentlich zu einem Wandel auf Wilhelmsburg beitragen wird und wir wichtige Erkenntnisse für ganz Hamburg gewinnen können. In unserer Zeit stehen viele Städte weltweit vor ähnlichen Aufgaben wie hier in Wilhelmsburg Stadt geplant, entwickelt und gelebt wird, ist international wegweisend!

Und inzwischen ist auch klar geworden: Dieses gespannte Augenmerk auf den Stadtteil zwischen Neuhof und Bunthäuser Spitze ist alles andere als ein Strohfeuer.

 

Nie zuvor wurde ein vergleichbares Zukunftskonzept für ein großstädtisches Quartier erarbeitet, mit einem immensen Investitionsvolumen und einem ganzheitlichen Entwicklungsansatz weit über das Jahr 2013 hinaus.

 

Ganzheitlich heißt: die Interessen aller in diesem bunten Patchwork-Stadtteil im Blick zu behalten. Auch thematisch. Es geht nicht nur um Arbeit oder allein um Infrastruktur, nicht bloß um Wohnungsbau oder um gute Bildungseinrichtungen. Es geht um alles zusammen.

Unser Bestreben ist es, dass man gern in Wilhelmsburg wohnt und arbeitet, dass alle in ihrer Vielfalt Platz finden und das Viertel attraktiv weiterentwickelt wird im Interesse derer, die schon da sind und für die, die herkommen wollen aber es vielleicht noch gar nicht wissen.

 

Stillstand hieße Rückschritt das betrifft nicht nur Wilhelmsburg. Eine Stadt ist nie zu Ende gedacht, nie zu Ende gebaut und nie fertig entwickelt.

 

Das hat zum Einen mit unserer Gesellschaft zu tun, die sich verändert. Wir leben und arbeiten flexibler und mobiler als noch vor wenigen Jahren, unsere Ansprüche an Beschäftigungsmöglichkeiten, Verkehrsverbindungen und Kultur, generell an Bequemlichkeit und Service sind gewachsen. Eine moderne Stadt muss all das bieten, nicht zuletzt in Konkurrenz mit vergleichbaren Städten und Ballungsräumen, weil nur ein attraktiver Standort Firmen anlockt und damit Arbeitsplätze.

 

Zum Anderen erleben wir den globalen Trend zur Stadt. Schon jetzt hat Hamburg als fünftgrößte Handelsstadt der Welt 1,8 Millionen Einwohner, in wenigen Jahren werden es voraussichtlich 1,9 Millionen sein, vielleicht sogar mehr. Mehr als fünf Millionen leben in der Metropolregion. Für uns ist das eine glückliche Lage, um die uns viele anderen Städte und Kommunen in Deutschland beneiden, weil es ihnen anders geht.

 

Hamburgs Bevölkerungswachstum kommt vorwiegend nicht durch die Geburtenrate, sondern durch Zuzug zustande. Immer mehr Studierende zieht es zu uns, ebenso Familien, Fachleute aus Zukunftsbranchen wie der Windenergie und Biotechnologie, Deutsche und Ausländer.

 

Gleichzeitig kann sich Hamburg selbst aber nicht ausdehnen jedenfalls nicht in die Breite, denn da gibt es unverrückbare Stadtgrenzen. Wir müssen uns also etwas überlegen, wie wir schon jetzt das Hamburg von morgen organisieren.

 

Wir müssen uns fragen: Welche Infrastruktur brauchen wir, wie müssen die Autobahnen aussehen, wie sollen Busse, U‑ und S‑Bahnen getaktet werden, damit weiter alles reibungslos läuft? Was braucht der Hafen, um auch künftig weltweit mitspielen zu können und viele tausend Arbeitsplätze zu sichern? Woher kommen Strom und Wärme? Und wie schaffen wir bezahlbaren Wohnraum für alle?

 

Sie sehen: Die Trends sind global, aber die Entscheidungen, wie wir unser Leben gestalten, werden hier bei uns getroffen.

 

Die Stadt wächst nämlich nicht von allein. Sie wird von uns gestaltet. Und es ist ein gutes Zeichen, dass inzwischen kaum ein Thema so lebhaft diskutiert wird wie Stadtentwicklung. Das ist gut so.

 

Planungen funktionieren heute nicht mehr so wie in den 50er‑ und 60er-Jahren ganz ohne Bürgerinnen und Bürger, und es wäre auch schade um die vielen Anregungen und verschiedenen Blickwinkel, die für eine Entwicklung im Interesse aller nötig sind.

Die selbstbewusste, engagierte Mitarbeit von Ihnen, den Wilhelmsburgerinnen und Wilhelmsburgern, belegt, wie sehr Sie sich mit Ihrem Stadtteil und mit Hamburg verbunden fühlen.

 

Hamburg hat seit jeher eine stolze Tradition bürgerschaftlichen Engagements, und ich zähle darauf, dass Ihre Beteiligung nicht mit der Eröffnung von IBA und IGS endet.

Es ist Ihr Stadtteil, und es kommt auf jede einzelne Meinung an. Selbst die Stimmen, die grundsätzlich erst einmal gegen alles sind, liefern mitunter wertvolle Hinweise darauf, wo der Schuh drückt.

 

Zugleich finde ich es auch lohnenswert, über neue Beteiligungsformen nachzudenken, zum Beispiel per Internet, zum Beispiel über Social-Media-Kanäle wie Facebook und Twitter. Public information management nennt man das heute neudeutsch. Hamburger Initiativen wie Demos Monitor und NextHamburg machen vor, wie sogenannte E-Partizipation im 21. Jahrhundert gehen kann.

 

Dennoch und auch das muss gesagt werden ist es in der Demokratie die Politik, die am Ende entscheidet. Nur sie ist dafür legitimiert, und zwar von allen Hamburgerinnen und Hamburgern, denen sie gleichermaßen verpflichtet ist. Umgekehrt stehen Politik und Verwaltung in der Verantwortung, ernsthafte Mitwirkung zu ermöglichen und zu respektieren. Das ist unser Anspruch.

 

Dafür finden hier in Wilhelmsburg weitere monatliche Planungswerkstätten ab Dezember statt. Sie bieten den Raum für Diskussionen darüber, wie der Stadtteil in fünf, zehn oder 20 Jahren aussehen soll. Hier kann sich jede und jeder mit eigenen Vorstellungen und Kompetenzen einbringen, und auch künftig sollen die Stadtwerkstätten ein normaler Baustein der Stadtplanung und ‑entwicklung sein.

 

Vor zwei Wochen hat das Hamburger Abendblatt über das gemeinsame Zukunftsbild berichtet, das Bewohner und Stadtplaner von Georgswerder entworfen haben. Das Ergebnis klingt schon mal nicht schlecht: Künstler öffnen ihre Ateliers, wenn Markttag ist, heißt es da. Mehrere Händler, ein Friseur und ein Bäcker haben sich an der Plaza im Ortskern angesiedelt. Hamburger kommen mit dem Fahrrad, machen einen Ausflug auf den 40 Meter hohen Energieberg mit Blick auf den Hamburger Hafen. An dessen Fuß forschen Wissenschaftler nach neuen Umwelttechnologien.

 

Und das Abendblatt schreibt weiter: Geht es nach jetzigen Bewohnern im Norden der Elbinsel Wilhelmsburg, könnte ein ganz normaler Tag im Jahr 2025 in dem beinahe vergessenen Ortsteil Georgswerder genau so aussehen.

 

Meine Damen und Herren,

 


das brauchen wir: Mut und Fantasie zur großen, zur sich weiterentwickelnden Stadt! Worauf es dabei entscheidend ankommt, ist der richtige Blickwinkel: Wenn wir es schaffen, auf die Stadt und den Stadtteil aus der Perspektive berufstätiger Eltern zu schauen, dann bin ich sehr zuversichtlich für die Zukunft.

 

Wenn wir wollen, dass alle gern in Wilhelmsburg leben, dann müssen wir so planen und entwickeln, dass Wilhelmsburg auch all das bietet, was von einer Stadt mit mehr als 50.000 Einwohnern zu Recht erwartet wird.

 

Eine solche Stadt braucht ein Zentrum, das sich mit Einkaufs- und Kundenzentrum, S‑Bahnhof inklusive schneller Cityverbindung über die U‑4‑Verlängerung zur Station Elbbrücken und Bürgerhaus in Wilhelmsburgs Mitte entwickelt.

 

Eine solches Zentrum wird zum Scharnier, welches

das Reiherstiegviertel mit dem Wilhelmsburger Osten verbindet, Spreehafen und Hauland, West und Ost, Nord und Süd.

 

Dadurch entsteht ein attraktiver Lebensraum, in dem man gerne lebt.

 

Das übergeordnete Ziel für Wilhelmsburg lautet: Aufwertung ohne Verdrängung.

 

  • Für dieses Ziel bauen wir neue Wohnungen, damit gerade nicht durch Wohnungsknappheit die Mieten auf eine für Normal‑ und Geringverdiener unerschwingliche Höhe steigen verbunden mit einem vernünftigen Anteil an Sozialwohnungen. Schon jetzt steht fest: Das ehrgeizige Ziel, 6.000 neue Wohnungen pro Jahr zu bauen, können wir erreichen. Die Zahl der Baugenehmigungen in ganz Hamburg wird dieses Jahr den Wert schon mal um einiges übertreffen.

 

  • Gleichzeitig bringen wir die kleinen wie die großen Verkehrsprojekte voran: Die Verlegung der Reichsstraße mit ordentlichem Lärmschutz macht aus zwei von drei Trennlinien nur noch eine und schafft neuen Raum, auch Platz für neuen Wohnraum. Insgesamt können hier in den kommenden bis zu 3.700 Wohnungen neu entstehen. Dazu gehört ebenso die stärkere Verknüpfung der öffentlichen Verkehrsmittel mit Carsharing‑ und Fahrradangeboten. Fahrradstadt Wilhelmsburg ist schon ein feststehender Begriff geworden.

 

  • Umweltfreundlicher Verkehr wiederum unterstützt die Energiewende sie muss an vielen Orten gleichzeitig stattfinden. Das Klimaschutzkonzept Erneuerbares Wilhelmsburg setzt dafür Maßstäbe. Die Klimaneutralität aller IBA-Bauprojekte war ein erster Schritt. Das langfristige Ziel heißt klimaneutrale Elbinseln. Angesichts der Herausforderungen der Energiewende stellen wir mit der IBA die richtigen Fragen und zeigen zukunftsweisende Projekte.

 

  • Die Bildungsoffensive Elbinsel geht weiter. Nicht nur mit Ganztagsbetreuung an fast allen Grund  und Stadtteilschulen und der Abschaffung der Studiengebühren, sondern auch mit direkter Ansprache all derer, die den Übergang von der Schule in den Beruf nicht ohne Hilfe schaffen. 2011 waren noch 1.600 dieser Hamburger Jugendlichen faktisch verloren gegangen. In diesem Jahr haben mithilfe der neuen Jugendberufsagentur fast ausnahmslos alle Schulabgängerinnen und Schulabgänger einen Anschluss bekommen.


Auch speziell auf den Elbinseln ist die Entwicklung sehr positiv: Der Anteil der Abiturienten hier ist in den vergangenen Jahren von 23 % auf 29 % gestiegen, während die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss von 25 % auf jetzt noch 15 % zurückgegangen ist.

Wir tun alles dafür, um auch diese Zahl zu senken. In der Bildungsoffensive Elbinseln arbeiten bis zu 100 verschiedene Einrichtungen der Elbinseln daran, die Bildungs-, Beratungs- und Erziehungsangebote in Wilhelmsburg und auf der Veddel durch entwickelte Kooperationen zu verbessern für alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen. Attraktive Bildungsangebote sind der Dreh- und Angelpunkt für die Zukunftsfähigkeit und die Attraktivität des Stadtteils. Nicht zu vergessen auch Schulprojekte wie die Kooperation von städtischer Schule und Waldorfschule in Wilhelmsburg.

  • Dass die Attraktivität wächst, merken manche jetzt schon: Die Nachfrage durch Immobilieninvestoren kommt langsam in die Gänge und stärkt Wilhelmsburgs Wirtschaftskraft. Gerade die Investoren brauchen Planungssicherheit und die geben wir ihnen mit dem Bekenntnis zu Wilhelmsburg auch nach IBA und IGS.

 

  • Neben den Investitionen im Wohnungsbau entsteht bis 2013 erstmals auch ein größerer Dienstleistungsstandort, die Mitte Wilhelmsburg, dazu kommen weitere IBA-Projekte, die auf die Kreativwirtschaft und das örtliche Gewerbe abzielen wie etwa die Veringhöfe und der Welt-Gewerbehof.

 

  • Und nicht zuletzt dürfen wir uns auf die Weiterentwicklung des Inselparks als Volkspark des 21. Jahrhunderts freuen. Hier entsteht ein Freizeitgelände, das Wilhelmsburg als Ganzes aufwertet.

Meine Damen und Herren,

 


entscheidende Fragen vertragen selten eine Entweder-oder-Perspektive. Die Welt ist nicht schwarz oder weiß. In Wilhelmsburg wie in ganz Hamburg ist eine Verknüpfung von Interessen und Qualitäten gefragt. So wie wir alle Verkehrsmittel möglichst nahtlos aneinander anschließen lassen wollen, so sollen die Kompetenzen aller, die hier leben, zu einem gemeinsamen Ganzen zusammenfließen.

 

Heute Nachmittag hat sich Frau Prof. Löw in ihrem Vortrag bereits mit der Frage beschäftigt, ob die zunehmende Pluralisierung und Individualisierung der Gesellschaft Planung im öffentlichen Interesse überhaupt noch erlaubt. Ihr Fazit lautete: Vielfalt ist ein Kennzeichen moderner Gesellschaften. Und: Nicht die Vielfalt ist das Problem, sondern die notwendige Reorganisation des Denkens und Handelns in Vielfalt.

 

Wilhelmsburgs Vielfalt ist einmalig Sie alle sind Wilhelmsburg!

 

Es ist kein Zufall, dass der Neubau der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt ausgerechnet hier in Wilhelmsburg steht: Der Imagewandel Wilhelmsburgs ist längst im Gange und bietet allen Grund für ein gesundes Selbstbewusstsein.

 

Hier gibt es die besten Perspektiven auch im Wortsinn. Vom Klütjenfelder Hauptdeich aus hat man einen einmaligen Panoramablick über den Spreehafen: vorn die alten Hausboote, dahinter die Lichter des Hafens und der City auf der anderen Seite der Elbe.

 

Noch steht der alte Zollzaun auf dem Deich, mit einigen wenigen Durchgängen. Mit der Aufhebung der Freizone im Hamburger Hafen zum 1. Januar 2013 wird er endlich fallen.

Was könnte ein passenderes Symbol für Wilhelmsburgs Zukunft sein als diese vergleichsweise kleine Rückbaumaßnahme?

 

Wilhelmsburgs Perspektiven reichen weit über den Stadtteil hinaus. Für die Diskussion heute und in den kommenden Monaten wünsche ich mir einen möglichst breiten Blick auf das, was in Wilhelmsburg steckt unvoreingenommen und ohne Scheuklappen.

 

Vielen Dank.

 

Es gilt das gesprochene Wort.