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11.07.2014

Rede auf der 924. Sitzung des Bundesrates zur Einführung des Mindestlohns

 

Herr Präsident!

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

 

Heute ist ein besonderer Tag in der Geschichte der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland. Deutschland führt, wie viele andere Länder auf der Welt, einen gesetzlichen Mindestlohn ein, der für alle gilt. Das ist lange umstritten gewesen, obwohl es in der halben Welt gang und gäbe ist, selbst in Ländern und Staaten, in denen man es gar nicht vermutet: Die USA haben seit vielen Jahrzehnten einen gesetzlichen Mindestlohn, der die Entfaltung der Marktwirtschaft dort niemals beeinträchtigt hat. Das wird auch bei uns der Fall sein.

 

Der heutige Tag ist vor allem ein großer Sieg für die Moral. Darum geht es zuallererst, wenn wir über einen Mindestlohn in Deutschland diskutieren. Natürlich geht es auch ums Geld. Wer sehr wenig verdient und sich deshalb darüber freuen kann, dass der Staat durch Regeln sicherstellt, dass er in Zukunft nicht weniger als 8,50 Euro bekommt, für den ist jeder Cent, der als Erhöhung zustande kommt, wichtig.

 

Die moralische Komponente des gesetzlichen Mindestlohns dürfen wir niemals übersehen. Sie bedeutet: Es ist nicht in Ordnung, wenn jemand, der den ganzen Tag arbeitet, für seinen eigenen Lebensunterhalt am Ende noch auf öffentliche Hilfe angewiesen ist. Wir erreichen heute, dass man, wenn man schwer schuftet, so viel verdient, dass man seinen Lebensunterhalt selbst bewerkstelligen kann. Deshalb ist heute ein großer Tag für die moralische Qualität des Miteinanders und für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

 

Dass der Mindestlohn in einem längeren Prozess eingeführt wird, ist kein Problem. Natürlich kann man sich alles gleich und sofort wünschen. Aber wenn man sich eine solch bedeutsame Veränderung vornimmt, ist es in Ordnung, einen Einfädelungsvorgang zu organisieren, wie er hier vereinbart ist. Wenn die Übergangsfrist abgelaufen ist, wird es am Ende für alle Branchen ohne Ausnahmen einen gesetzlichen Mindestlohn geben, der bei 8,50 Euro beziehungsweise später höher liegt.

 

Warum ist es nach allen Branchenmindestlöhnen, die wir schon haben und zukünftig zusätzlich bekommen, wichtig, dass es einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn gibt? Weil Branchenmindestlöhne gerade da, wo die Stellung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schwierig ist, wo diese besonders wenig Möglichkeiten haben, etwas zu tun, oft nicht zustande kommen. Deswegen müssen wir diesen Schutz flächendeckend überall gewährleisten.

 

Als Gesetzgeber müssen wir eine Erfahrung immer mitkalkulieren: Die Bürgerinnen und Bürger blättern nicht täglich in den Gesetzen, sie kennen sich in den großen Tarifdatenbanken, die überall geführt werden, nicht aus oder können nachschlagen, was im Einzelnen gilt. Es ist eine der wichtigen Errungenschaften des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, dass jeder die Mindesthöhe kennt, was man verdienen muss, ob man nun in einer Imbissbude oder sonst wo arbeitet.

 

Länder, die vorangegangen sind zum Beispiel hat Großbritannien Ende der 90er Jahre einen gesetzlichen Mindestlohn so ähnlich wie wir eingeführt , haben festgestellt, dass der Mindestlohn zu etwas beigetragen hat, was bei der Rechtsbefolgung außerordentlich wichtig war: In den populärsten und am meisten gelesenen Zeitungen muss einmal im Jahr in einer Überschrift die Höhe des Mindestlohns geschrieben stehen. Ich sage deshalb ausdrücklich: Nur wenn die Bild-Zeitung einmal im Jahr die Höhe des Mindestlohns veröffentlicht, wird sie auch überall eingehalten werden. Das ermöglichen wir mit dem Gesetz, das wir heute beschließen.

 

Meine Damen und Herren,

dass es Ausnahmeregelungen für einzelne Gruppen gibt sehr junge Leute, die sich eigentlich auf einen Ausbildungsplatz konzentrieren sollen, Praktikanten , ist kein Problem; denn es gibt keine Branchenausnahmen. Das wird sich in der Praxis gut bewähren und ist vertretbar, wenn wir den weiteren Prozess sehen.

 

Nach meiner Überzeugung werden in wenigen Jahren alle Parteien, die in Deutschland Politik machen, sagen, das sei schon immer so gewesen, der Mindestlohn gehöre zum Kernbestand der Marktwirtschaft, man sei eigentlich sein Erfinder; das ist ein guter Fortschritt. Genau dies muss man anstreben; denn es spiegelt einen großen gesellschaftlichen Konsens wider. Wir werden ihn erreichen.

 

Durch bestimmte Entwicklungen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Bedeutung von Tarifverträgen in unserem Land reduziert. Als ich als junger Anwalt für Arbeitsrecht anfing, haben in vielen Branchen etwa der Gastronomie, der Bauwirtschaft, dem Einzelhandel fast überall noch allgemeinverbindliche Tarifverträge gegolten. Sie mussten von allen beachtet werden. Die Zahl der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Betriebe, für die allgemeinverbindliche Tarifverträge unmittelbar aus der Tarifbindung gelten, hat in den letzten Jahrzehnten aber abgenommen.

 

Deshalb ist es gut, dass sich in dem Gesetzespaket zur Stärkung der Tarifautonomie, das wir heute beschließen, Regelungen finden, die es erleichtern, von Arbeitgebern und Gewerkschaften getragene Tarifverträge in einer Branche allgemeinverbindlich zu machen. Das wird dazu beitragen, dass nicht der Wettbewerb um geringe Löhne darüber entscheidet, welches Unternehmen am erfolgreichsten ist, sondern der Wettbewerb um gute Dienstleistungen, um gut organisierte moderne Produktionen, um großartige Produkte. Dies ist das klassische deutsche Wirtschaftsmodell.

 

Lassen Sie mich am Schluss sagen: Wir diskutieren gegenwärtig über die Gründe dafür, dass Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern sehr gut durch die letzte Krise gekommen ist und das Beschäftigungsniveau sehr hoch ist. Dafür gibt es viele Gründe. Es liegt aber auch an einigen Entscheidungen, die schon sehr lange zurückliegen. Eine war darum geht es heute nicht , dass im Zuge der Industrialisierung das aus dem handwerklichen Milieu stammende System der Berufsausbildung auf die neuen industriellen Arbeiter- und Angestelltenberufe übertragen worden ist.

 

Eine andere Entscheidung war und ist bis heute, dass Deutschlands Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen immer einig darüber waren, dass wir die effizientesten, rationalisiertesten und modernsten Produktionstechniken und die besten Technologien einsetzen und, dass im Gegenzug die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich darauf verlassen können, dass sie wenn es angesichts der Wirtschaftslage denn möglich ist sichere Arbeitsplätze und gute Löhne haben.

 

Wir tragen dazu bei, dass dieses historische Erfolgsmodell Deutschlands auch in der Zukunft weiter bestehen kann.

Schönen Dank.

 

Es gilt das gesprochene Wort.