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Symbolfoto: Olaf Scholz
Photothek
19.03.2024 | Berlin

Rede bei der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung

Sehr geehrter Herr Professor Weidmann,
sehr geehrter Herr Professor Gerken,
sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin, liebe Kaja,
sehr geehrter Herr Bundespräsident, lieber Herr Köhler,
meine Damen und Herren!

„Wir sind heute alle Kapitalisten.“ Das hat der Ökonom Branko Milanović in seinem Buch „Kapitalismus global“ geschrieben. Diese Erkenntnis hätte Friedrich August von Hayek vielleicht nicht überrascht, aber doch ein wenig gefreut. Milanović hat vor einigen Jahren nachgezeichnet, wie sich der Kapitalismus ‑ von wenigen Ausnahmen wie Nordkorea abgesehen ‑ global als das dominierende Wirtschaftssystem durchgesetzt hat. Insofern ‑ so könnte man auf den ersten Blick meinen ‑ gehören viele der großen ideologischen Debatten, die wir auch heute noch mit dem Namen Hayek verbinden, der Vergangenheit an. In Teilen ist das sicher so. Hayek war ‑ wie wir alle ‑ auch ein Kind seiner Zeit.

Doch ein zweiter Blick zeigt: Hinter dem Befund des globalen Siegs des Kapitalismus bleibt viel Raum für, sagen wir einmal, Interpretationen. Da gibt es das kapitalistische Modell chinesischer Prägung mit stark staatswirtschaftlich-dirigistischen Elementen. Da gibt es Rohstoffökonomien wie Russland, wo der Staat oder staatsnahe Oligarchen die großen Unternehmen kontrollieren und auch darüber entscheiden, was mit den Gewinnen passiert. Jetzt werden sie für die Kriegsführung eingesetzt. Wir erleben, dass Zölle und Handelsbeschränkungen keineswegs tot sind, im Gegenteil! Manchmal werden sie nur geschickter als früher etikettiert. Kürzlich habe ich bei einer Veranstaltung in New York sinngemäß gesagt: „Ich hoffe, ich bin nicht der letzte verbliebene Freihändler hier im Raum.“ Das hat natürlich für Heiterkeit gesorgt. Aber dass der Freihandel weltweit derzeit einen schweren Stand hat, das macht mir schon Sorgen. Denn wir wissen doch: Zölle und Abschottung bedeuten am Ende höhere Preise, freier Handel hingegen sorgt für mehr Innovation und niedrigere Preise.

Hayeks großes Lebensthema war die Freiheit, vor allem, aber eben nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, und genau deshalb lohnt sich die Beschäftigung mit seinen Ideen gerade heute. Zwei Flugstunden von hier verteidigen die Ukrainerinnen und Ukrainer ihr Land, ihre Freiheit gegen den andauernden russischen Angriff. Du hast darüber schon gesprochen, liebe Kaja. Auf dem Spiel stehen nicht weniger als die Grundprinzipien unserer europäischen Friedensordnung: Gewalt darf Grenzen nicht verschieben, Macht ist an Recht gebunden, Macht muss an Recht gebunden sein. Diese Prinzipien verteidigen wir, indem wir die Ukraine unterstützen. Ja, wir tun das besonnen und eng abgestimmt mit unseren Partnern in Europa und in der ganzen Welt. Vor allem aber tun wir das langfristig und verlässlich. Putin glaubt, er habe den längeren Atem als die freiheitlichen Demokratien. Nur, wenn wir ihm das Gegenteil beweisen, wird es einen gerechten Frieden in der Ukraine geben – und damit auch Frieden in Europa.

Hayek hatte schon zwei Weltkriege miterlebt. Der zweite war noch nicht vorbei, als er den „Weg zur Knechtschaft“ veröffentlichte. Er war Wissenschaftler. Ihm ging es ums Prinzip. Er selbst hat das an der Universität Köln einmal so formuliert: „Ich bin nicht […] in erster Linie an den unmittelbaren Problemen der Praxis interessiert. Der eigentliche Wirtschaftspolitiker muss sich mit dem befassen, was im bestehenden Zustand der öffentlichen Meinung politisch möglich ist. Er muss ständig Kompromisse schließen zwischen dem, was ihm eigentlich richtig erscheint, und dem, was unter den gegebenen Umständen praktikabel ist.“ Ich zitiere nur.

Mit der Aufgabenbeschreibung kann ich mich durchaus anfreunden, wobei es ja auch Situationen geben kann, in denen das Richtige und das Praktikable Hand in Hand gehen. Ganz in diesem Sinne möchte ich heute gern ein paar Worte dazu sagen, wie aus meiner Sicht eine moderne Angebotspolitik, die in diese Zeit passt, ausgestaltet sein sollte.

Ganz wichtig ist, erstens: Wirtschaftliches Wachstum bleibt die Triebfeder von Wohlstand und Entwicklung weltweit. Begriffe wie „de-growth“ oder gar die Forderung, auf wirtschaftliche Entwicklung zugunsten der Umwelt zu verzichten, stoßen in den aufstrebenden Ländern Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und der Karibik auf Kopfschütteln oder bestenfalls auf taube Ohren. Das heißt nicht, dass diese Länder unsere Sorge vor dem Klimawandel und seinen Folgen nicht teilen. Im Gegenteil: Viele von ihnen sind Hauptleidtragende der Klimakrise. Aber diese Länder suchen ‑ so wie wir auch ‑ nach Wegen, Wachstum klimafreundlich zu organisieren.

Mir ist wichtig, dass wir die Möglichkeit einer positiven Perspektive für unsere Welt nie verlieren. Deshalb will ich sagen, dass unsere Welt, die heute acht Milliarden Einwohner hat und die 2050 etwa zehn Milliarden haben wird, vielleicht, wenn es gut läuft, und es sieht ein bisschen eher danach aus, als ob es gut laufen könnte, 2050 für fast alle Bürger des Planeten den Wohlstand möglich machen wird, den wir 1950 hatten. Aber man stelle sich einmal vor, wir würden die Wirtschaft 2050 so betreiben, wie wir sie 1950 betrieben haben. Es wäre kein guter Ort zum Leben, zum Atmen. Wir würden den Klimawandel nicht aufgehalten haben. Es wären schlimmste Bedingungen, und manche der Illusionen über ewig billige Preise für Kohle, Gas, Öl, Uran und was weiß ich auch immer würden schnell verpuffen. Aber wir müssen doch hoffen, dass es mindestens gelingt, dass der Wohlstand der Welt so anwächst, dass Milliarden Menschen außerhalb Europas und Nordamerikas die Möglichkeiten haben, ein Leben zu führen, das unserem nicht unähnlich ist! Das wird aber nur mit unglaublichem technologischen Fortschritt gelingen, mit Wandel, den wir jetzt organisieren, mit Technologien, die es möglich machen, dass mehr Wohlstand möglich ist, ohne dass wir das Leben auf dem Planeten erschweren.

Deshalb geht es bei der Bekämpfung der Klimakrise auch aus meiner Sicht in erster Linie um Technologien und Maschinen, um Know-how und tatsächlich auch um Kapital. All das ist hier bei uns ‑ in den klassischen Industrieländern ‑ vorhanden. Gleichzeitig sind wir auf der Suche nach neuen Energiequellen und Energielieferanten, von denen viele auch im globalen Süden beheimatet sein werden, etwa, wenn es um Wasserstoff, den wir importieren werden, wie wir heute Kohle, Gas und Öl importieren ‑ nicht nur; wir produzieren ihn auch ‑, geht. Welch ein Markt daraus entstehen kann ‑ gerade für uns als technologiestarkes Industrieland ‑, das müsste man Hayek sicher nicht erklären.

Zweitens. Wachstum hier in Deutschland schaffen wir zudem, indem wir Wachstumsbremsen lösen. Schaut man auf all die Studien zum Potenzialwachstum in Deutschland, dann ist ganz klar, wo sie die größte Wachstumsbremse für Deutschland sehen: im Mangel an Arbeitskräften. Sie alle kennen die Zahlen: Die Babyboomer ‑ heute, erwachsen, Boomer genannt ‑ gehen in Rente. 13 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlassen in den kommenden 15 Jahren den Arbeitsmarkt. Dass wir trotzdem die höchste Beschäftigtenzahl aller Zeiten haben, hat vor allem mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union zu tun.

Eine moderne Angebotspolitik muss diesen Erfolg fortschreiben, und das ist möglich, zunächst natürlich, indem wir das tun, was wir hierzulande bewirken können, indem wir mit Aus- und Weiterbildung alles dafür tun, dass die Arbeitskräfte in unserem Land ihre Fähigkeiten maximal entfalten können. Das gilt für den Übergang von der Schule in die Berufsausbildung, neben dem Studium unverändert die wichtigste Ausbildung in Deutschland. Aber es gilt auch für diejenigen, die schon beschäftigt sind. Als ich während der Finanzkrise, die dem Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers folgte, Arbeitsminister in Deutschland war, habe ich für die Zeit der Beschäftigungslosigkeit während der Kurzarbeit, die ich im großen Umfang in Deutschland möglich gemacht habe, dafür geworben, Weiterbildung zu machen. Mein Eindruck war: Ich habe alle, die das gemacht haben, persönlich kennengelernt. Das spricht nicht für großen Erfolg.

Aber jetzt, wenn ich in den Betrieben herumgehe, sehe ich, dass passiert ist, was ich mir damals erträumt habe, dass die Unternehmen sich im eigenen Laden umgeschaut haben, in der eigenen Fabrik, und gesehen haben: Ich habe hier Vierzigjährige und Fünfzigjährige als Un- und Angelernte oder solche, die am Band stehen, aber Bäcker gelernt haben. Warum biete ich denen nicht die Möglichkeit, jetzt noch in meinem Betrieb selbst als Fünfundvierzigjähriger oder als Fünfzigjährige eine Berufsausbildung zu beginnen, die zu dem passt, was gebraucht wird? – Ich habe sie gesehen, die stolzen Frauen und Männer, die das gemacht haben. Das ist ein Potenzial, das noch völlig unausgeschöpft ist und das wir heben müssen.

Aber ‑ auch das will ich sagen ‑ wir müssen dafür sorgen, dass es mit der Frauenerwerbstätigkeit in Deutschland besser wird, indem wir im Umgang mit den Beschäftigungsmöglichkeiten junger Familien besser werden. Im internationalen Vergleich ist das, was wir da zu bieten haben, wirklich peinlich. Es gibt einzelne Länder in Deutschland, in denen gibt es das alles, was es auch woanders gibt und was wir wollen: ein flächendeckendes Angebot an Krippen und Kitas, Ganztagsangebote an allen Schulen in allen Jahrgangsstufen, auch gebührenfrei. Als ich Regierungschef eines Landes in Deutschland war ‑ des Staates Hamburg, eines kleinen Landes, das einen Beitrag zum deutschen föderalen Erfolg leistet ‑, habe ich eben diese Möglichkeit genutzt und gesagt: Das machen wir so! – Das hat unmittelbare Konsequenzen für die Erwerbstätigkeit. Wir sollten das nicht unterschätzen! Ich bin froh, dass wir in der letzten Legislaturperiode ein Gesetz gemacht haben, in dem wir mit einem Beitrag des Bundes die Länder dazu überredet haben, dass sie bis 2029 den Ganztag in der Grundschule einführen. Ich sage als Kommentar: immerhin.

Aber das Wichtigste an Potenzial, das wir nutzen müssen, ist die Fachkräfte- und Arbeitskräftezuwanderung, um uns vor dem Arbeitermangel in Deutschland zu beschützen. Ich habe es eben schon gesagt: In der Vergangenheit mussten wir nicht viel können. Wir hatten ja die Freizügigkeit in der Europäischen Union mit mehr als 400 Millionen Bürgerinnen und Bürgern, mit mehr als 200 Millionen Erwerbstätigen, und sie hat dazu geführt, dass alle Prognosen der Neunzigerjahre nicht gestimmt haben. Statt dass die Zahl der Beschäftigten zurückgegangen ist, ist sie um Millionen ‑ um sechs Millionen ‑ gestiegen. Wir haben heute den höchsten Stand an Erwerbstätigen in der Geschichte Deutschlands: 46 Millionen, eine sehr, sehr große Zahl. Aber ich habe ja schon über die Boomer geredet. Wir brauchen mehr Arbeitskräfte, und die Europäische Union ist nicht mehr eine ausreichende Ressource für die Anforderungen des deutschen Arbeitsmarktes, wie übrigens diejenigen berichten können, die woandersher gekommen sind. Unsere Offenheit und die Kraft unserer Volkswirtschaft hat Auswirkungen in den Ländern des Balkans, in vielen Ländern Ost- und Mitteleuropas, aus denen Arbeitskräfte in großer Zahl nach Deutschland gekommen sind, viele aus Polen, Millionen.

Jetzt müssen wir weiter schauen. Deshalb haben wir es in einer Zeit angestrengter Debatten geschafft, Entscheidungen zu treffen, die vielleicht die richtigen, mutigen Entscheidungen sind, nämlich die Offenheit zu verteidigen, die unsere wirtschaftliche Kraft in den letzten Jahren mit ermöglicht hat. Mit dem Arbeitskräfteeinwanderungsgesetz, das wahrscheinlich das modernste auf der ganzen Welt ist und mithalten kann mit Regelungen in Kanada, den USA, Australien, Neuseeland und wo auch immer, kann unser Land seine Erfolgsgeschichte fortschreiben.

Deshalb ist übrigens die plausibelste Statistik des Bundesamtes, dass wir 2070 90 Millionen Einwohner haben werden und nicht 84 Millionen, und die plausibelste Vorhersage ist nicht die pessimistische, der wir jeden Tag begegnen, sondern dass wir als offene Volkswirtschaft unser Mangelproblem, was Arbeitskräfte betrifft, bewältigen werden und wir deshalb Wachstum und Produktionspotenziale haben werden, die heute mit der statistischen Methode, nur die Vergangenheit in die Zukunft zu rechnen und sich Neues nicht vorstellen zu können, nicht erkannt werden können.

Doch, wir haben es gemacht, und jetzt bauen wir noch alles aus, was man im Doing braucht: digitale Konsulate ‑ was Anfang nächsten Jahres der Fall sein wird ‑, eine bessere Praxis hierzulande, Vereinfachung von Vorschriften. Wir wollen nicht, dass Deutschland nicht wachsen kann, weil es nicht zusätzliche Arbeitskräfte von außerhalb gibt.

Gleichzeitig haben wir es aber geschafft, die Perspektive zu öffnen, dass das auch politisch getragen werden kann. Es war ein nicht immer, aber am Ende doch gewollter Vorgang, dass das Arbeitskräfteeinwanderungsgesetz und das neue Staatsangehörigkeitsrecht in der gleichen Zeit fertig geworden sind wie auf der anderen Seite unsere Regelung zum Management der irregulären Migration.

Denn eine Gesellschaft, die offen ist, muss ihren Bürgerinnen und Bürgern auch versprechen, dass sie die Sache im Griff hat. Man kann zum Beispiel, wenn man offen für Arbeitskräftezuwanderung ist, nicht gleichzeitig sagen, es kann jeder kommen und sagen „Ich bleibe auch hier, ich bin Flüchtling“, wenn es nicht stimmt.

Deshalb mussten wir diesen Teil verändern, und wir haben es gemacht. Das war ‑ wenn ich dir das gestehen darf ‑ in einem föderalen Staat sehr, sehr schwierig. Denn für alles das, wofür in deinem Land die Regierung direkt verantwortlich ist, ist in Deutschland 16-mal jemand verantwortlich, nämlich eines der Länder, 401 Landkreise und kreisfreie Städte, 11 400 Gemeinden, 560 Ausländerbehörden.

Wir haben in drei großen Runden mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder über ihre und unsere Kompetenzen verhandelt. Was uns betrifft, kann ich sagen: Wir haben die weitreichendsten Gesetzesveränderungen der letzten 25 Jahre für den Umgang mit der irregulären Migration beschlossen, die man sich überhaupt vorstellen kann. Alles, was man vernünftigerweise wollen kann, ist gemacht und beschlossen worden.

Man sieht es ‑ wenn ich mir diesen Witz erlauben darf ‑ am Trennungsschmerz von Herrn Söder und dem Oppositionsführer. Denn sie bringen immer noch einmal Punkte, aber es sind keine vernünftigen mehr. Manche hat sogar das Verfassungsgericht schon für verfassungswidrig erklärt. Ich glaube, wir haben eine Grundlage geschaffen, diese Offenheit, weil wir das Management beherrschen können, auch verteidigen zu können. Denn das gehört aus meiner Sicht immer dazu, dass es eine gute Verwaltung gibt und einen Staat, der funktioniert, auf den man vertrauen kann.

Ein bisschen ist im Realen noch zu tun. Vielleicht ein Vorschlag für die Leute mit Trennungsschmerz: Wenn man wieder einmal etwas Neues vorschlagen will, dann sollte man sich erst dann wieder melden, wenn die Digitalisierung der eigenen Ausländerbehörden abgeschlossen ist oder aber, wenn die Verwaltungsgerichtsverfahren, die diejenigen anstrengen, die Asyl beantragen, überall kurz sind. Das geht nämlich. In Rheinland-Pfalz sind es dreieinhalb Monate, in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern um die 20. Es gibt sogar Länder mit 40 Monaten. Das wollen wir natürlich ändern.

Ich komme zurück zum Thema. ‑ Warum sage ich das? Angebotspolitik heißt, in diesem Fall dafür zu sorgen, dass wir genügend Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt haben. Wir haben die Weichen dafür gestellt, und deshalb dürfen wir zuversichtlich sein.

Ein zweiter Teil ist aus meiner Sicht für die Frage wichtig, wie man Wachstum verbessern kann, und das ist Bürokratieabbau. Ich befürchte, Herr Hayek hat sich nicht vorstellen können, was man noch alles an Bürokratie abbauen kann ‑ so viel war noch nicht zusammen. Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten überall sehr viel Mühe gegeben ‑ auf allen Ebenen der Politik in Europa, in Deutschland, in den 16 Ländern, in den Landkreisen ‑, es immer schwieriger zu machen. Meine These ist: Wir haben heute einen Zustand erreicht, wo an vielen Stellen niemand mehr die Gesetze, die wir beschlossen haben, noch exekutieren kann. Das ist spätestens ein Warnsignal, dass es so nicht weitergeht. Jedenfalls müssen wir mehr Tempo erreichen, indem wir auch ganz viel an Vorschriften verändern, die dem bisher im Wege stehen. Ich jedenfalls habe mir das vorgenommen. Wir haben in unserem föderalen Staat eine Vereinbarung mit den Ländern in über 100 Gesetzesvorhaben geschlossen, damit das klappt.

Letzte Ausführung zu diesem Thema der Angebotsbedingungen und der Wachstumsbremsen, die wir lösen müssen: Was ist die eine Ursache für den Erfolg der deutschen Volkswirtschaft bei den Exporten? Es ist Forschung und Entwicklung. Das wird aus meiner Sicht völlig unterschätzt. Aber wenn man sich die großen europäischen Länder anschaut ‑ nicht die kleinen; darunter sind super Beispiele ‑, dann wird man außer Deutschland kein einziges finden, das mehr als drei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Forschung und Entwicklung ausgibt: nicht Großbritannien, nicht Frankreich, nicht Spanien, nicht Italien usw.

Das ist auch der Grund, warum die volkswirtschaftlichen Statistiken in der Welt so verschoben sind: Platz eins die USA, Platz zwei China, Platz drei Japan, Platz vier Deutschland. Irgendwo zwischen Japan und Deutschland oder vielleicht sogar vor China und den USA müsste die Europäische Union liegen, hätte sie insgesamt so viele Forschungsaufwendungen wie in einigen Ländern und auch wie bei uns. Das ist die Ursache.

Es ist die Wahrheit: Wir werden in einer innovativen Gesellschaft mit vielen Disruptionen von den Dingen, die wir vor 20 Jahren konnten, nicht mehr viel Einkommen erwarten dürfen. Es müssen Sachen sein, die wir noch nicht kennen und erst entwickeln müssen.

Dafür ist es zum einen notwendig, Wachstumsbremsen zu lösen, zweitens gilt es, Wachstum gerade in Zukunftsbranchen möglich zu machen ‑ und dafür müssen wir die nötigen Investitionen tätigen. Da kann der Staat helfen ‑ das muss er auch in Zeiten der Transformation ‑ und das durch Anreize unterstützen. Aber es bleiben privatwirtschaftliche Investitionen im Mittelpunkt.

Das ist auch mein dritter Punkt, und damit bin ich gar nicht so weit weg von Hayek. Denn anders als manchmal dargestellt, wollte Hayek keinen Laissez-faire-Staat. Hayek wollte, dass der Staat für öffentliche Güter sorgt, für Schulen und Straßen und die Landesverteidigung. Und wenn er noch leben würde, würde er die digitale Infrastruktur sicherlich einbeziehen.

Klar ist: Der Staat hat dabei nie der bessere Unternehmer zu sein. Seine Aufgabe besteht darin, Leitplanken zu setzen und Planungssicherheit zu ermöglichen ‑ gerade in Zeiten wie diesen, gerade mitten innerhalb der größten Veränderung unserer Wirtschaft seit der industriellen Revolution. Denn es reicht ja nicht nur zu proklamieren: Bis 2045 sind wir klimaneutral, den Rest macht ihr schon.

Unternehmen wollen wissen, woher sie rund um die Uhr Strom bekommen, wie viel die Energie künftig kostet und wann ein Wasserstoffnetz in Deutschland steht. Deshalb haben wir zurückgerechnet und gefragt: Wann genau muss was getan werden, damit Deutschland 2045 klimaneutral wirtschaften kann? Was braucht es, damit schon 2030 80 Prozent unseres Stroms aus erneuerbaren Energien kommen?

Auf der Basis haben wir dann all die Planungsbeschleunigungsgesetze gemacht, haben wasserstofffähige Flüssiggasterminals gebaut, haben die Grundlagen für ein Wasserstoffnetz gelegt ‑ übrigens mit über 20 Milliarden Investitionen rein privatwirtschaftlich betrieben ‑, haben mit den Versorgern eine Kraftwerkstrategie vereinbart, die eine verlässliche Stromversorgung sicherstellt, auch wenn mal keine Sonne scheint und kein Wind weht.

Vielleicht muss man das einmal übersetzen: Wir setzen auf die erneuerbaren Energien, wissen aber genau, dass es, selbst wenn wir 120 Prozent Windstrom und Solarstrom haben, Momente gibt, in denen das nicht reicht, und dann müssen sonst unwirtschaftliche Kraftwerke einspringen können. Genau diese haben wir jetzt auf den Weg gebracht, damit das Gesamtsystem funktioniert.

Das wirkt. Ein Blick auf die aktuellen Preise und die Futures für Strom und Gas reichen aus, um das festzustellen. Noch vor wenigen Monaten, und gefühlt in den Köpfen immer noch, haben wir hier in Deutschland hitzige Diskussionen über einen staatlich subventionierten Industriestrompreis von sechs Cent pro Kilowattstunde geführt. Heute bewegen sich die Strompreise am Spotmarkt bereits wieder in dieser Größenordnung. Die Terminmärkte rechnen mit einem weiteren Absinken. Auch deshalb bin ich froh, dass wir das damals nicht gemacht haben, einen dauersubventionierten Strompreis einzuführen.

Gleiches gilt übrigens für die Rufe, die jetzt manch einer wiedererhebt, man müsse nun den Sozialstaat schrumpfen, die Renten kürzen oder Arbeitnehmerrechte abbauen. Neu ist das alles nicht ‑ falsch bleibt es trotzdem. Hayek selbst spricht sich explizit für einen Sozialstaat aus. Denn in der Marktwirtschaft sei jeder Bürger einem gewissen Maß an Unsicherheit ausgesetzt. Eine Mindestsicherung sei notwendig, damit jede Bürgerin und jeder Bürger immer wieder aufs Neue die Möglichkeit habe, sich an Arbeit und Wissensproduktion zu beteiligen.

Was zu Hayeks Zeiten galt, gilt heute umso mehr. Wir stehen im Wettbewerb um die besten und klügsten Köpfe weltweit. Eines unserer wichtigsten Argumente dabei ist auch unser Sozialstaat mit seinem bezahlbaren Gesundheitssystem und seiner kostenlosen Bildung. Wir reden auch hier und heute über die größten Veränderungen unserer Zeit und über die Verunsicherung, die sie bei vielen Bürgerinnen und Bürgern hinterlassen.

Was es heißt, wenn Populisten und Extremisten diese Verunsicherung ausnutzen, kann man in vielen westlichen Gesellschaften beobachten ‑ welches Risiko diese Populisten und Extremisten auch für die wirtschaftliche Entwicklung darstellen, ebenso. Deshalb ist Sicherheit ‑ das schließt soziale Sicherheit ein ‑ in diesem Wandel so wichtig, und deshalb achten wir bei allem, was wir tun, auch auf soziale Ausgewogenheit.

Deutschland ist ein starkes Land mit einer robusten Wirtschaft und einem gut funktionierenden Arbeitsmarkt, gerade weil unser gesellschaftlicher Zusammenhalt stark ist, gerade weil wir eine Tradition starker Sozialpartner haben. Dieser innere Zusammenhalt, diese gesellschaftliche Solidarität, ist gefährdet, wenn die Bürgerinnen und Bürger den Eindruck gewinnen, gesellschaftliche Veränderungen wie die Transformationen gingen für sie und ihre Angehörigen nicht gut aus.

Eine moderne Angebotspolitik für die heutige Zeit bedeutet daher, dass jede und jeder, der arbeitet und sich anstrengt, davon leben können muss. Darum war zum Beispiel die Anhebung des Mindestlohns so wichtig, von der in Deutschland volle sechs Millionen Beschäftigte profitiert haben, und deshalb setze ich mich übrigens auch ‑ das will ich gerade hier sagen ‑ für mehr Tarifbindung und Sozialpartnerschaft ein. Ich finde auch die Arbeit von Gewerkschaften richtig und wichtig, auch wenn ich zum aktuellen Tarifkonflikt im Bahnbereich sage: Irgendwann sollte man einmal zum Ergebnis kommen.

Hayek hat das mit den Gewerkschaften durchaus anders gesehen ‑ das muss gesagt werden ‑ und sie dafür kritisiert, diejenigen, die auch für Löhne unterhalb von Tarifverträgen arbeiten würden, von der Arbeit fernzuhalten. Aber ein solches Argument hinterfragt sich oder wird ohne Bedeutung, wenn nicht Massenarbeitslosigkeit, sondern Arbeitskräftemangel herrscht, was unser Thema der nächsten Jahrzehnte sein wird.

Das ist ‑ das darf nicht verschwiegen werden ‑ nicht die einzige Stelle, wo wir uns heute, sozusagen beim Blick in den Rückspiegel, anders entscheiden würden als Friedrich August von Hayek. Dass er, eigentlich ein Mahner gegen Tyrannei, in späteren Jahren einen Militärdiktator wie Augusto Pinochet in Wirtschaftsfragen beraten hat, ist für uns Heutige sicher schwer zu verstehen.

Umso wichtiger finde ich, dass wir uns in dieser Zeit klar und deutlich auf eines verständigen. Kapitalismus allein bedeutet noch keine Freiheit. Zur wirtschaftlichen Freiheit gehört immer auch die politische Freiheit dazu.

Und nun freue ich mich auf das Gespräch. Schönen Dank.