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29.06.2012

Rede des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz anlässlich der Beratung des ESM und des Europäischen Fiskalpaktes im Bundesrat

 

Herr Präsident, 

meine Damen und Herren,

 

am Montag hat ein großes deutsches Nachrichtenmagazin seine Leser rhetorisch gefragt, ob die Rückabwicklung des europäischen Traums drohe.

 

Meine Antwort ist ein klares Nein. Erstens lassen sich Träume nicht rückabwickeln.

 

Zweitens wird sich in Deutschland wie in den anderen Ländern die Erkenntnis durchsetzen, dass die Europäische Integration dieser wahr gewordene Traum jede Anstrengung lohnt, um ihr feste Gestalt zu geben. Zu den Anstrengungen gehört es auch, Fehler zu bestimmen und vernünftige Kursänderungen zu verabreden.

 

Der Fiskalpakt und der Europäische Stabilitäts- Mechanismus müssen jetzt auf den Weg gebracht werden.

 

Deshalb werden die Länder heute zustimmen. 

 

Wichtig ist: Bund und Länder werden ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung gerecht, und zwar gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern Deutschlands und gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern aller europäischen Staaten.

 

Europa ist mehr als die Summe seiner Teile und der Euro ist nicht irgendein Zahlungsmittel. Europa ist eine große Vision und der Euro hat schon jetzt zur europäischen Integration wesentlich beigetragen. Der Euro ist die Grundlage des Wohlstands letztlich aller europäischen Staaten, Deutschlands aber im Besonderen.

 

Die Krise, die wir erleben, ist keine Währungskrise, sondern eine Glaubwürdigkeitskrise. Anleger und Märkte glauben einigen Staaten nicht mehr, dass sie die von ihnen aufgehäuften Schulden meistern und die weiterhin defizitären Staatshaushalte aus eigener Kraft sanieren können.

 

Dieses fehlende Vertrauen muss man mit klarem Willen und energischen Taten wieder herstellen.

Wenn ich schon das Wort vom europäischen Traum zitiert habe: Die Bedingungen für eine solidarische und nachhaltig wirksame Hilfe sind in dem Europa, das wir haben, anders zu organisieren als in dem Europa, von dem wir träumen.

 

Es gibt bisher keine starke europäische Regierung und es gibt nicht die Institution, die in einer solchen Krise wie der gegenwärtigen die Handlungsmöglichkeiten eines Nationalstaates hätte. Die aktuelle Debatte über die künftige Übertragung von nationalen Regierungsbefugnissen auf die EU und eine Volksabstimmung darüber legt den Finger in diese Wunde.

 

Aber diese Debatte wird nicht so schnell die Verfassung Europas ändern. Was wir jetzt brauchen, ist mangels einer starken europäischen Regierung wenigstens ein Konsens über die zentrale Frage der fiskalischen Governance, der finanzpolitischen Regierungsführung in Europa.

 

Zum Konsens darüber, dass wir Europa und seine Währung verteidigen müssen, gehört deshalb auch ein europäischer Konsens, dass es überall in Europa finanzielle Stabilität und solide Haushalte braucht. Das ist der Gegenstand des Fiskalpakts, über den wir heute abstimmen.

 

Mit dem ESM mobilisiert Europa die Kraft seiner Bürgerinnen und Bürger für die Stabilisierung der Anleihemärkte. Und deshalb ist klar: Diejenigen, die von den Spekulationen der letzten Jahre profitiert haben und diejenigen, die mit ihren Spekulationen in den Finanzmärkten dazu beigetragen haben, dass manche Staaten solch ein Schuldenproblem haben diejenigen werden auch einen Beitrag zur Bewältigung der Krise leisten müssen. Darum geht es bei der Diskussion über eine europäische Finanztransaktionssteuer.

 

Ich halte es für ein ermutigendes Zwischenergebnis, dass die Bundesregierung das auch so sieht und diese Steuer im Kreise von neun Mitgliedsstaaten voran bringen will. Der EU-Vertrag sieht dergleichen ja ausdrücklich vor. Verstärkte Zusammenarbeit heißt das sehr zu Recht.

 

Meine Damen und Herren,

wenn wir verbindliche Regeln für das Haushalten und Verschulden in allen Euro-Staaten durchsetzen, ist das ein machtvolles Zeichen, dass wir es ernst meinen mit der Konsolidierung der Haushalte und dass wir nicht auf Kosten kommender Generationen leben wollen. Denn genau das haben die Anleihemärkte einem Staat wie Griechenland nicht mehr abgekauft.

 

Die Schuldenkrise einiger europäischer Länder lässt sich lösen, wenn Europa zusammenhält, wenn Europa seine gemeinsame Kraft mobilisiert. 

Mit dem Fiskalpakt sorgen wir für solide Haushaltspolitik in Europa. Zugleich müssen wir etwas tun für das Wachstum in Europa, damit nicht nur die Haushalte konsolidiert werden, sondern gleichzeitig auch die Grundlagen für künftiges Wirtschaften, für Arbeit und Beschäftigung geschaffen werden.

 

Dafür steht der Pakt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung, der als Gemeinsames Papier der Bundesregierung und der Fraktionen vorliegt.

 

Da geht es auch um eine gute Zukunft für Millionen junger Europäerinnen und Europäer. Jugendarbeitslosigkeit ist in etlichen europäischen Ländern das größte Übel von allen und die Gemeinschaft muss dahin kommen, dass perspektivisch niemand zurückbleibt. Das darf nicht nur eine Absichtserklärung bleiben, sondern es müssen konkrete Schritte folgen.

 

Meine Damen und Herren,

der Fiskalpakt ist richtig und was wir hier miteinander vereinbart haben, ist vernünftig. Es respektiert die Haushaltsautonomie der Länder und die Budgethoheit unserer Länderparlamente. 

 

Der Bund haftet gegenüber der Europäischen Union für die Einhaltung des Fiskalpakts. Er übernimmt die Verantwortung dafür, dass die nationalen Verpflichtungen aus dem Fiskalpakt eingehalten werden. Das muss er auch, eben weil es eine nationale Verpflichtung ist.

 

Länder- und kommunale Haushalte werden auch weiterhin nicht in Brüssel verabschiedet und verantwortet. 

 

Der Bund übernimmt auch, und das ist absolut folgerichtig, das Defizitrisiko zum Beispiel der Sozialversicherungen, das in die Defizitberechnung des Gesamtstaates mit einfließt.

 

Lassen Sie mich das am Beispiel der Krankenkassen erläutern: Wenn der Bund derzeit erwägt, die aktuellen Überschüsse der gesetzlichen Krankenkassen für Beitragssenkungen zu verwenden, so kann er das ja tun, rechtlich spricht nichts dagegen. Aber durch eine solche Reduzierung der aktuellen Überschüsse steigt zunächst abstrakt, aber trotzdem faktisch das Risiko, dass in Zukunft auch durch Zutun der Krankenkassen ein Defizitverstoß über die 0,5-Prozent-Grenze erfolgt. Diesem Umstand wird dadurch Rechnung getragen, das ist jetzt wörtlich gemeint, dass dann auch der Bund die Folgen zu begleichen hätte.

 

Eigentlich nicht mehr betonen muss ich, dass die Länder sich zu nachhaltiger Konsolidierung bekennen. Die Länder sind wie bisher verpflichtet, das Neuverschuldungsverbot ab 2020 einzuhalten, das sich aus der Schuldenbremse des Grundgesetzes ergibt. In Hamburg haben wir es in die Hamburger Verfassung aufgenommen. Trotzdem müssen den Ländern die damit verbundenen Spielräume bleiben und die bleiben ihnen jetzt auch.

 

Die Schuldenbremse des Grundgesetzes fordert den Ländern nicht erst 2020, sondern jetzt schon ab, dass sie ihre Haushalte auf die Zeit ohne Neuverschuldung einstellen. Das bedeutet für die meisten auch jetzt schon, dass sie sich finanzpolitisch sehr anstrengen müssen.

 

Zum Ziel der Haushalte ohne Neuverschuldung gehört auch die Ausgabe gemeinsamer Anleihen von Bund und Ländern, auf die wir uns ebenfalls verständigt haben. Der Bund wird diese nach unserem Vorschlag mit uns im so genannten Huckepackverfahren emittieren, die ersten schon 2013. Das bedeutet, der Bund begibt die Anleihen. Im Innenverhältnis haften die Länder für die Anleihen, jeweils nach ihren Anteilen. 

 

Auf diese Weise bleibt der Markt für Anleihen groß genug, obwohl die Länder ab 2020 aus dem Markt für Neuverschuldung aussteigen.

 

Dies ist kein trojanisches Pferd, das den Ländern eine leichtere Verschuldung ermöglichen soll, wie es teilweise, bewusst oder unbewusst, missverstanden wurde. Vielmehr wird gerade weil 2020 mit der Neuverschuldung Schluss sein wird diese Situation dazu führen, dass die Märkte für Länderanleihen nach und nach quasi austrocknen, und zwar gerade für die Länder, die sich um eine geringe Neuverschuldung bemühen. Paradoxerweise wird es zum Problem werden, dass die Länder nicht mehr genug Schulden haben werden. Die gehören nämlich auch zu einem funktionierenden Anleihemarkt.

 

Genau das werden gemeinsame Anleihen verhindern. Sie sind also tatsächlich ein ebenso vernünftiges wie geeignetes Instrument, um den Weg bis zur Schuldenbremse zu flankieren und ab 2020 die Einhaltung eines vollkommenen Verzichts auf neue Schulden zu ermöglichen.

 

Auch für den Bund bringt dies also langfristig Vorteile, nämlich dadurch, dass Deutschland als Ganzes finanzpolitisch stabil bleiben wird. 

 

Meine Damen und Herren,

in der Verständigung zwischen Bund und Ländern hat der Bund seine Verantwortung für die Kommunen akzeptiert. Das ist vernünftig. Denn wenn der Fiskalpakt auf das gesamtstaatliche Finanzierungssaldo abstellt und der Bund dafür einsteht, dass es 0,5 Prozent des Sozialprodukts nicht übersteigt, müssen ihn die Finanzierungsprobleme der Kommunen interessieren.

 

Ich bin optimistisch und vertraue darauf, dass wir Bund und Länder auch das verhandelte neue Bundesleistungsgesetz, das in der nächsten Legislaturperiode in Kraft treten soll, miteinander hinbekommen. Es wird die bisherige Eingliederungshilfe ablösen.

 

Diese Thematik geht den Bund genauso an wie die Länder. Er hat jetzt zum allerersten Mal erklärt, dass er das so sieht wie die Länder und Kommunen schon seit einiger Zeit. Und wie es die Behindertenverbände schon immer gefordert haben: Entlastung der Kommunen, bessere Bedingungen für behinderte Bürgerinnen und Bürger.

 

Die Kommunen müssen ihre Aufgaben bewältigen können. Und wenn ich sage: Aufgaben bewältigen, dann ist das ist keine leere Formel. Genau hier reden wir über ein gutes Beispiel, auch wenn kaum jemand außerhalb von Verwaltung und Politik weiß, worum es bei der Eingliederungshilfe geht, leider. Sie ist nämlich eine sehr wichtige Aufgabe mit hoher praktischer Bedeutung: Sie sorgt für eine Teilhabe der Bürger-innen und Bürger mit Behinderung, und es geht 

darum, den Inklusionsgedanken mit Leben zu füllen.

 

Behinderte sollen nicht einfach an die Sozialhilfe verwiesen werden, sondern wir müssen hier eine eigenständige gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrnehmen. Deshalb ist es richtig, sie aus dem Sozial-Gesetzbuch XII heraus zu lösen. Und dass der Bund hierzu ein Bundesleistungsgesetz schafft. Der Gedanke dahinter ist, eindeutig ja zu sagen zur Teilhabe als gesellschaftlicher Aufgabe und in diesem wichtigen Bereich für stabile, belastbare und eindeutige Regelungen zu sorgen.

 

Insofern geht  es hier überhaupt nicht um eine willkürliche oder einseitige Auferlegung von 

Risiken, sondern um sehr vernünftige bürgerfreundliche Erwägungen.

 

Ein weiterer wesentlicher Punkt sind die so genannten Entflechtungsmittel für die ehemaligen Gemeinschaftsaufgaben, die durch die Föderalismusreform abgeschafft worden sind. Wir haben jetzt die Zusage des Bundes, dass der bisher anhaltende Streit über die Entflechtungsmittel bis zum Herbst beendet wird. Auch über die Höhe der Zahlungen wird zu reden sein. Wir wollen und müssen im Hochschulbau ebenso wie in der kommunalen Verkehrsfinanzierung mehr Luft bekommen durch eine Verlängerung bis in die 20er Jahre hinein. Weniger als bisher darf es nicht sein.

 

Auch dass der Bund zusätzliche Mittel für den Krippenausbau zur Verfügung stellt und die Kommunen erneut bei der Grundsicherung im Alter entlastet werden, ist ein gutes Ergebnis.

 

Meine Damen und Herren, 

das gesamteuropäische Ziel einer Gesundung der Haushalte und einem Wiedererstarken der Gemeinschaft  wird nicht durch den Euro gefährdet, sondern durch Schuldenmachen und durch schlechtes Wirtschaften.

 

Aber wir wissen auch, dass keiner von uns Anlass hat, mit allzu großer Gebärde auf Andere zu zeigen. Verschuldung wird auch in Deutschland noch für lange Zeit ein wichtiges Thema bleiben.

 

Wir müssen in unserem eigenen Land einen Weg finden, wie wir mit hoher Verschuldung auch nach 2020 umgehen können. Perspektivisch gibt es deshalb weitere wichtige Vorhaben, die die Finanzarchitektur in Deutschland stärken.

 

Zum Beispiel liegt der Hamburger Vorschlag zur Schuldentilgung nach 2020 auf den Tischen. 

 

Aber worauf auch immer wir uns konkret einigen: 

Die Finanzarchitektur muss gestärkt werden, in Europa und auch in Deutschland. Hilfen zur Verteidigung und Stabilisierung unseres gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraums

in Europa, und eine Neuregelung des Solidarverbundes zwischen Bund und Ländern, sind ohne einander sinnlos. Wir müssen beide zu Stande bringen. Heute gehen wir einen weiteren Schritt dahin.

 
 
Es gilt das gesprochene Wort.