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25.03.1999

Rede im Bundestag am 25.3.1999

25.3.1999 - Bundestag
Auszug Plenarprotokoll 14/30
Deutscher Bundestag
Stenographischer Bericht
30. Sitzung
Bonn, Donnerstag, den 25. März 1999

Aktuelle Stunde betr. Haltung der Bundesregierung auf die jüngste Kritik aus der BfA zur Praktikabilität der Neuregelungen der Scheinselbständigkeit


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Vizepräsidentin Anke Fuchs: Jetzt hat der Kollege Olaf Scholz, SPD- Fraktion, das Wort.

Olaf Scholz (SPD): Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Diskussion, die wir gerade führen, leidet unter anderem darunter, daß sich ganz viele mit der Rechtssituation in unserem Lande nicht auskennen.

(Birgit Schnieber-Jastram [CDU/CSU]: Diese Papiere sind die Rechtssituation!)

- Die ist ganz einfach.

(Lachen bei der CDU/CSU)

Hintergrund für die Debatten, die wir jetzt führen, und Hintergrund für die Gesetzesänderung ist die gemeinsame Feststellung aller Parteien im Bundestag und weit darüber hinaus gewesen, daß die Gesetze zur Abgrenzung von selbständiger und abhängiger Beschäftigung, die wir in unserem Lande schon lange haben, immer weniger beachtet werden. Der größte Teil derjenigen, die sich jetzt öffentlich und laut beschweren, beklagt sich darüber, daß jetzt herauskommt, daß er in der Vergangenheit Gesetze nicht beachtet hat. Das ist die Wirklichkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Alle Untersuchungen - auch die, die Ihnen zur Verfügung stehen - gehen davon aus, daß in den letzten Jahren zwischen einer und zwei Millionen Menschen nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt worden sind, obwohl sie das von Gesetzes wegen gemußt hätten. Die eigentliche von uns vorgenommene Veränderung liegt darin, daß wir dem schon geltenden Gesetz zu mehr Wirksamkeit verholfen haben.

Woran liegt das alles? Es liegt daran, daß die Sozialversicherungspflicht und der Schutz abhängiger Menschen in der Bundesrepublik Deutschland an dem Arbeitnehmerstatus hängt. Das ist nicht überall so. Zum Beispiel besteht in der Schweiz eine Sozialversicherungspflicht für jedes Einkommen. Aber in der Bundesrepublik Deutschland ist diese Pflicht an den Arbeitnehmerstatus, an die abhängige Beschäftigung geknüpft. Eine Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerstatus und Selbständigkeit war nie leicht. Damit mußte man sich immer ein bißchen auskennen. Die Beurteilung dieser rechtlichen Abgrenzung fiel denjenigen, die sich auskannten, noch nie schwer; vielmehr ist in diesem Zusammenhang ein ganz anderes Problem aufgetaucht: Es dauerte ein paar Jahre, bis die Sozialversicherung in einem Prozeß nachweisen konnte, daß jemand ein Gesetz nicht so beachtet hat, wie er es hätte tun sollen.

In den entsprechenden Gesetzen ist eine Abgrenzung zwischen Arbeitnehmerstatus und Selbständigkeit vorgesehen. Aber wenn Sie ins Bürgerliche Gesetzbuch schauen, dann werden Sie feststellen, daß es dort keine Definition von abhängiger Beschäftigung und von selbständiger Tätigkeit gibt, obwohl sie große und bedeutsame Folgewirkungen auf unsere Gesetzeslage hat. Dies ist der Hintergrund, mit dem wir uns beschäftigen.

Ich sage Ihnen: Wir ändern kein einziges Gesetz. Wir wollen lediglich erreichen, daß es den Sozialversicherungen etwas leichter fällt, die Beachtung der Gesetze durchzusetzen. Diese Veränderung haben wir beschlossen.

(Beifall bei der SPD)

Darum wäre es auch ausgesprochen hilfreich, wenn sich die Zeitungen, in denen jetzt alle möglichen Fälle beurteilt werden, eine korrekte Rechtsberatung zulegen würden. Wenn sie das täten, würden sie bei der Beurteilung vieler Fälle feststellen, daß man eigentlich schon immer Sozialversicherungsbeiträge hätte zahlen müssen.

Wir haben hier auch Beispiele für eine arbeitnehmerähnliche Selbständigkeit kennengelernt. Die Firma Eismann hat uns während des Anhörungsverfahrens mit Briefen bombardiert. Parallel dazu hat der Bundesgerichtshof in einem mehrjährigen Verfahren entschieden, daß die Rechtstreitigkeiten der bei der Firma Eismann beschäftigten sogenannten Selbständigen vor den Arbeitsgerichten auszutragen sind.

(Dirk Niebel [F.D.P.]: Dann hätten wir keinen Gesetzesbruch, oder?)

Sie sehen also, daß wir hier nur helfen wollen, den Gesetzen Geltung zu verschaffen.

Ich möchte noch eine Ergänzung dazu machen: Wenn es sich so verhält, wie ich es schildere, dann kann die Gesetzeslösung nicht nach dem Motto funktionieren: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.

(Dirk Niebel [F.D.P.]: Sie ersaufen alles! Wenn Sie es nur naß machen würden, wäre es gut!)

Wenn es tatsächlich so viele Gesetzesbrüche gegeben hat, dann werden jetzt viele gezwungen, die Gesetze zu befolgen. Das ist das Ziel unseres Gesetzes Lassen Sie mich zum Abschluß noch auf folgendes hinweisen: Es gibt einen Unterschied zwischen der Selbständigkeit in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht und der Selbständigkeit in arbeitsrechtlicher Hinsicht. Aber dieser Unterschied ist nur klein. Die Fälle, die genannt worden sind, können nicht auf die hier beschriebene Weise gelöst werden. Wenn jemand seine Beschäftigten zu Unrecht als Selbständige angestellt hat und sie auf Grund der neuen Regelung nicht weiterbeschäftigen will, dann steht jedem der Betroffenen der Weg zu den Arbeitsgerichten offen.

(Dirk Niebel [F.D.P.]: Und den Arbeitgebern der Weg zum Konkurs!) Dort wird festgestellt werden, daß die Beschäftigten viele Jahre lang Arbeitnehmer waren. Damit genießen sie dann Kündigungsschutz, der in diesem Lande für Betriebe ab fünf Beschäftigte wieder gilt. Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)