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26.10.2000

Rede im Bundestag am 26.10.2000

Rede im Bundestag am 26.10.2000 Entwurf eines Gesetzes über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge und zur Änderung und Aufhebung arbeitsrechtlicher Bestimmungen
Auszug aus
Plenarprotokoll 14/127

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Vizepräsidentin Petra Bläss: Nächster Redner ist der Kollege Olaf
Scholz für die SPD-Fraktion.

Olaf Scholz (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren hier über ein wichtiges Gesetzesvorhaben, das sich mit einem zentralen Thema beschäftigt: Wie können wir mit der Arbeitsmarktpolitik Flexibilität und soziale Sicherheit miteinander in Einklang bringen? (Heinz Schemken [CDU/CSU]: Und Teilzeit für Minister!) Ich glaube, es besteht kein großer Erklärungsbedarf hinsichtlich der Notwendigkeit, dass wir für die Weiterentwicklung des Arbeitsmarktes mehr Flexibilität benötigen. Aber es bestehen - das ist sehr deutlich geworden - unterschiedliche Auffassungen darüber, wie Flexibilität aussehen soll. Wenn ich mir das Maß der Flexibilität bei F.D.P. und CDU/CSU, so wie es hier zum Ausdruck gekommen ist, ansehe, muss ich feststellen, dass dies mehr dem Bild des 19. Jahrhunderts entspricht als den Erfordernissen der Gegen wart. (Beifall bei der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Herr Scholz, das haben Sie doch nicht nötig! Sie wissen es doch besser!) Man trifft eine politische Aussage, wenn man sagt, bestimmte Dinge sollten nur auf freiwilliger Basis gewährt werden. Warum dehnen Sie diese Diskussion nicht auf das Bundesurlaubsgesetz und ähnliche Regelungen aus, bei denen Sie auch sagen könnten, es sei doch selbstverständlich, dass ein Arbeitnehmer Urlaub hat; wenn er danach fragt, erhält er ihn meistens auch. Wir haben aus guten Gründen dafür gesorgt - auch mit Ihnen zusammen -, dass es dafür gesetzliche Regelungen gibt. Wir haben den Eindruck gewonnen, Sie halten die Teilzeitentwicklung für ganz sinnvoll, wollen aber keine Rechtsansprüche in diesem Zusammenhang gewähren. Wir haben eine andere Vorstellung:

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Eines dirigistischen Staates!)

Wir haben das Bild einer modernen Bürgergesellschaft vor Augen und diese ist nicht autoritären Beziehungen organisiert. Sie ist so organisiert, dass es Rechtsansprüche wechselseitiger Art gibt, und diese müssen geregelt werden. Das ist der große gesetzgeberische Fortschritt, der hier zum Ausdruck kommt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN - Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Sie glauben an die Allmacht der Bürokratie! Das unterscheidet uns!)

Wir werden damit auch den Anforderungen gerecht, die die Europäische Union an uns gestellt hat. Die Europäische Union hat viele Beschlüsse zur Entwicklung der sozialen
Sicherheit gefasst. Aber in all den Beschlüssen - egal, ob sie in Dublin, in Essen oder auf dem großen Gipfel in Lissabon gefasst worden sind - ist immer auf den Doppelaspekt
hingewiesen worden, nämlich dass Flexibilität mit Sicherheit verbunden werden muss, dass die Interessen der Unternehmer und der Arbeitnehmer in Einklang gebracht werden müssen und dass man sich gewissermaßen sicher bewegen können muss. Dies alles wird durch das jetzige Gesetz möglich gemacht.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Scholz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meckelburg?

Olaf Scholz (SPD): Ich gestatte die Zwischenfrage.

Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Ich muss diese Zwischenfrage einfach stellen, um bei dem jetzigen Schaulaufen ein gewisses Maß an Fairness herzustellen. Es ist interessant, wer Zwischenfragen zulässt und wer nicht.

(Heiterkeit bei der CDU/CSU - Zurufe von der SPD: Buh!)

- Das ist ein internes Problem der Fraktion.
Herr Scholz, finden Sie nicht, dass Sie einen zu großen Popanz um den von Ihnen so großartig und glorreich verkündeten Rechtsanspruch auf Teilzeit arbeit machen - Sie haben gesagt, dass Sie Bürgerrechte durchsetzen wollen; ich habe ja Verständnis dafür, dass eine entsprechende Regelung für Kleinbetriebe beschlossen werden soll -, wenn Sie bedenken, dass nur 13 Prozent der Beschäftigten - der Minister hat vorhin darauf hingewiesen, dass 87 Prozent der Beschäftigten nicht in den Genuss der neuen Regelung kommen werden - einen solchen Rechtsanspruch haben werden?

(Zurufe von der SPD: Der Betriebe!)

- Ob das nun 13 Prozent der Betriebe oder der Beschäftigten sind, können wir noch im Ausschuss klären. Was wollen Sie den 87 Prozent sagen, die die neue Regelung gar nicht nutzen können, nachdem Sie so großartig von einem Bürgeranspruch geredet haben?

Olaf Scholz (SPD): Zunächst einmal: Es geht, wie wir wissen, nach den Statistiken, die zugrunde gelegt worden sind, um 87 Prozent der Betriebe und nicht um 87 Prozent der Beschäftigten; denn die Betriebe können eine unter schiedliche Struktur aufweisen. Wir sind keine Menschen, die mit Gesetzen über die Welt herfallen. Wir glauben vielmehr, dass es notwendig ist, vernünftig abzuwägen. Wir sind der Meinung: Erstens. Größere Unternehmen haben größere Spielräume, um die entsprechenden Anpassungsentscheidungen zu treffen, die sich im Zusammenhang mit der Durchsetzung von Teilzeitinteressen ergeben. Zweitens. Die größeren Unternehmen sind nach unserer Meinung der geeignete Ort, um herauszufinden, ob sich die neue Teilzeitregelung auch auf kleinere Betriebe ausdehnen lässt. Im Übrigen glaube ich, dass es so etwas wie eine meinungsbildende Wirkung gibt: Wenn die neue Teilzeitregelung, die rechtlich verankert ist, in den größeren Unternehmen gut funktioniert, dann werden auch die kleineren Unternehmen den Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit als selbstverständlich empfinden und ihn durchsetzen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir stehen unter Handlungsdruck, weil zwei Richtlinien der Europäischen Union umgesetzt werden müssen. Die Umsetzung der einen Richtlinie, nämlich die zur Teilzeitarbeit, ist schon seit Anfang dieses Jahres überfällig. Die Richtlinie über die Befristung von Beschäftigungsverhältnissen muss im nächsten Jahr umgesetzt werden. Insofern ist es gut und sinnvoll, dass wir uns im Rahmen der von mir skizzierten Beschlüsse bewegen wollen. Die Regelung des Rechtsanspruches auf Teilzeitarbeit, die hier mehrfach diskutiert und nun beschlossen worden ist, ist auch deshalb wichtig, weil sich die Europäische Union ein großes Ziel gesetzt hat, nämlich die Beschäftigungsquote zu erhöhen. Wir haben eine zu niedrige Beschäftigungsquote in Europa. Bedauerlicherweise ist die Bundesrepublik Deutschland - das muss ich Ihnen angesichts Ihrer langen Regierungszeit sagen - im Hinblick auf die Beschäftigungsquote das Schlusslicht. Es ist eine unserer wichtigsten Auf gaben, dafür zu sorgen, dass mehr Menschen Beschäftigung finden und dass mehr Menschen arbeiten. Aber das funktioniert nur, wenn wir für einen geeigneten Rahmen sorgen und Regelungen schaffen, durch die Familienleben und Arbeitsleben vereinbar werden und die den Anforderungen, die an die Menschen gerichtet werden, gerecht werden. Damit würden wir einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Beschäftigungsquote leisten. Das sollten wir unbedingt zustande bringen. Wir stellen einen Handlungsrahmen zur Verfügung, der es den einzelnen Betrieben ermöglicht, Teilzeitarbeit - wenn man sie denn haben möchte - zum Normalfall zu machen. Wenn man sich große alte Gesetze wie das Bürgerliche Gesetzbuch anschaut, dann wird man feststellen, dass auch dort viele Dinge für den Fall geregelt werden, dass sich etwas ändert. Wir haben nun den Anspruch auf Teilzeitarbeit neu geregelt. Wir verstehen diese Regelung als Service des Gesetzgebers. Wenn wir meinen - das bekunden zumindest alle gemeinsam immer wieder -, dass Teilzeitarbeit eine größere und wichtige Rolle in der Zukunft spielen soll, dann müssen wir versuchen, zu bedenken, welche Interessen der Einzelne verfolgt, wenn er seinen Anspruch auf Teilzeitarbeit geltend macht, wenn er das wieder rückgängig machen möchte, wenn er qualifiziert werden möchte und wie er entlohnt werden möchte.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Herr Kollege Scholz, es gibt eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Grehn. Lassen Sie diese auch zu?

Olaf Scholz (SPD): Ja, bitte.

Dr. Klaus Grehn (PDS): Ich mache es auch ganz kurz. Sie haben von der Besetzung der Teilzeitarbeitsplätze gesprochen. Wie kommt man, da der Arbeitgeber nach dem Gesetzentwurf freie Arbeitsplätze grundsätzlich als Teilzeitarbeitsplätze ausschreiben soll, eigentlich wieder in Vollzeitarbeitsplätze?

(Widerspruch bei der SPD)

- Ja, der Arbeitgeber hat freie Arbeitsplätze grundsätzlich als Teilzeitarbeitsplätze auszuschreiben.

(Zurufe von der SPD: Wie? - Was?)

Olaf Scholz (SPD): Im Gesetzentwurf steht, dass er das auch so zu tun hat, weil er nämlich angeregt werden soll, darüber nachzudenken, ob dieser Arbeitsplatz nicht nur von Vollzeitarbeitskräften, sondern auch von Teilzeitarbeitskräften wahrgenommen werden kann, und weil ihm Folgendes passieren soll: Er möchte die Stelle eigentlich als Vollzeitstelle besetzen, schreibt sie aber so aus, wie das im Gesetz beschrieben ist, und stellt fest: Es haben sich zwei tolle teilzeitinteressierte Arbeitnehmerinnen beworben. Da nimmt er doch diese beiden, statt die Stelle mit einer Arbeitnehmerin zu besetzen. Das will der Gesetzgeber hier anregen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Das macht er doch bisher schon! Das ist doch lächerlich!)

- Nein, das wird jetzt verbessert. Das ist etwas, was wir gewissermaßen als Unterstützung für die Menschen zur Verfügung stellen. Der zweite Teil, mit dem wir etwas zur Flexibilität tun und gleichzeitig Sicherheit gewährleisten, ist die Neuregelung der Befristung. Zum Ersten geben wir die lange bekannte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Sachgrundbefristung im Gesetz wieder. Das ist wichtig, weil es nicht sein kann, dass man lange Urteile lesen muss, um sich mit einem wichtigen Lebenssachverhalt auszukennen. Es ist wichtig, dass jetzt endlich eine Kodifizierung stattfindet, in der man das, was in langer Rechtsprechung erarbeitet worden ist, wiederfinden kann. Zum Zweiten werden die Erfahrungen mit dem bisherigen Gesetz über die sachgrundlose Befristung, also dem Beschäftigungsförderungsgesetz, ausgewertet. In diesem Zusammenhang gibt es eine Erfahrung, die wir von unserer Seite aus freimütig zugestehen wollen: Die vielen Hoffnungen, die sich manche von Ihnen gemacht haben, dass das zu einer großen Aufweichung des Arbeitsrechtssystems in unserem Land führen würde, sind nicht eingetreten. Auch die vielen Befürchtungen, die bei Gewerkschaften und bei vielen von uns existiert haben, sind nicht eingetreten. Es hat gar keine massive Ausweitung befris-teter Beschäftigung in unserem Lande gegeben. Deshalb ist es wichtig, dass man dieses Instrument gewissermaßen aufrechterhält, es aber von den Missbrauchsmöglichkeiten befreit, die bisher bestanden haben.

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Wenn niemand eingestellt wird, kann es auch keinen Missbrauch geben!)

Die wichtigste Missbrauchsmöglichkeit, die es gegeben hat, ist die, dass Menschen über lange Zeit immer wieder in neuen befristeten Beschäftigungsverhältnissen angestellt worden sind: ein paar Monate mit einer Sachgrundbefristung, dann zwei Jahre mit Beschäftigungsförderungsgesetz, wieder ein paar Monate mit einer Sachgrundbefristung, dann wieder nach Beschäftigungsförderungsgesetz. Diese Regelung ist jetzt endgültig unterbunden worden,

(Beifall bei der SPD)

aber, Herr Kollege, in einer völlig einwandfreien Weise und nicht so, wie Sie es sich vorgestellt haben. Es steht nicht im Gesetz, dass man, wenn man einmal aufgrund einer sachgrundlosen Befristung beschäftigt war, nie wieder in diesem Unternehmen angestellt werden kann

(Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Aber man wird befristet eingestellt!)

oder nie wieder befristet beschäftigt werden kann. Das Einzige, was unterbunden wird, ist, erneut auf die sachgrundlose Befristung zurückzugreifen. Es ist aber sehr wohl möglich, dass man als Schwangerschaftsvertretung eingestellt wird oder was ansonsten seit Jahrzehnten in der Rechtsprechung als Befristungsgrund akzeptiert wird. Ich glaube, dass dieses Gesetz auch im Bereich der Befristung das Doppelziel erreicht, das ich beschrieben habe, nämlich dass man einerseits die notwendigen Flexibilisierungsmöglichkeiten schafft, das Ganze aber andererseits in einen solchen Rahmen stellt, dass die Menschen, die darauf angewiesen sind, dass Gesetze ihnen Sicherheit verschaffen, diese auch bekommen. Ich glaube, das ist besser geworden, als es bisher der Fall war.

(Beifall bei der SPD - Dr. Heinrich L. Kolb [F.D.P.]: Nein!)

Ich will ein weiteres Argument nennen, auch gegenüber denjenigen, die von gewerkschaftlicher Seite den jetzt gewählten Schritt vielleicht als etwas zu weit gehend empfinden, weshalb ich glaube, dass es notwendig ist, dass wir die sachgrundlose Befristung auch weiterhin aufrechterhalten. Es hat sich gezeigt, dass viele der sachgrundlosen Befristungen, die in der Vergangenheit gewählt worden sind, nur deshalb zustande gekommen sind, weil sie das einfachere Verfahren sind. Lediglich 13 Prozent der Befristungen sind ausschließlich auf der rechtlichen Grundlage des Beschäftigungsförderungsgesetzes erfolgt, die anderen wären auch immer schon mit Sachbefristung möglich gewesen. Insofern ist wahrscheinlich vor allem eine Entbürokratisierung für die Arbeitgeberentscheidung eingetreten - etwas, was wir für sehr sinnvoll halten und was wir durch das Gesetzesvorhaben, das wir vorgelegt haben, natürlich gern unterstützen. Vor allem aber tritt eines ein - und das ist uns ein ganz wichtiges Anliegen -: In der Tat gibt es Beschäftigte, bei denen es wichtig ist, dass die Arbeitgeber über eine gewisse Zeit hinweg die Sicherheit gewinnen, dass sie sich auch längerfristig mit ihnen zusammentun wollen. Das ist ein Problem des Arbeitsmarktes, das wir auch an anderer Stelle immer wieder besprechen. Das wird unter "Employability" diskutiert. Ich glaube, es ist sinnvoll, einen gesetzlichen Rahmen zu haben, mit dem diese Menschen in Beschäftigung integriert werden; denn das sollte für uns alle die wichtigste Aufgabe sein. Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)